Der... der Vanderer (bin ich nicht lustig?)
09.08.2021: Der Intelektuelle schreibt mir seit zwei Tagen nicht und ich bin unnötig missgestimmt, während ich mit meinem Papa ein Navi im Mediamarkt hole. Keine Grundschulkinder-Freude und Abenteuer-Reisepläne-machen-Stimmung. Ich grummle vor mich hin und probiere Kopfhörer an und schaue emo drein. Auf einmal schreibt mir der Intelektuelle. Ich grinse und hüpfe und kneife meinen Papa in den Arm, welcher mich kurz erschrocken betrachtet dann aber weiter die Navis studiert. Dann eile ich in eine ruhigere Ecke und höre mir die Sprachnachricht vom Intelektuellen an. Er hat einen Teil von einem Song aufgenommen den er mir zeigen wollte. Ich höre eine Zeile raus, die nur wir beide verstehen. Der Mediamarkt denkt wahrscheinlich ich bin auf MDMA. Bin ich auch. MeloDramatischMusikAnhören. Mein Grinsen breiter als die Laden-Security. Auch mein Dad freut sich über ein ausgezeichnetes Navi. Wir schreiten grinsend aus dem Geschäft. Das Leben kann so ok sein. Auf nach Schweden!
14.08.2021: Mein Papa und ich fahren mit dem weißen Van 6 Stunden nach Schweden. Wir schweigen viel. Über den Grund des Schweigens schweige ich. Erst gegen Ende der Fahrt redeten wir. Über den Inhalt des Redens rede ich nicht. Es war gut, es tat gut. Alles wird gut. Dieses Reden und Schweigen ist die Melodie unseres Familie-seins, es ist nichts neues. Ein altes Lied, das immer wieder neu von uns selbst gecovert und remixed wird.
Der Intelektuelle schrieb mir schonwieder nicht mehr und ich war aufs Neue und nochmal stärker schockiert, dass es mich so traurig machte. Ich hatte ihm erzählt, dass ich nach Schweden fahre und vielleicht eine Weile nicht erreichbar bin. Er hatte es sich angehört. Und... sich angehört halt. Was für ein guuuter Zuhörer. Antworten? Wie unnötig. Wahrscheinlich hat er am Handy gesessen und genickt.
Als mein Papa und ich und unser Van fast auf der Fähre sind: eine Nachricht vom I.!!! Er hat mir eine Playlist für die Fahrt gemacht. Ich freue mich kurz, höre sie mir aber nicht an. Auch nicht als ich mich von den Wellen in den Schlaf und nach Schweden schaukeln lasse. Kurz vorm Einschlafen schicke ich Mr. "Ich-melde-mich-...manchmal" noch eine traurig-erschöpfte Sprachmemo. Er würde es trotzdem nicht verstehen, egal wie sehr ich es traurig-erschöpft klingen lassen würde.
15.08.2021: SCHWEDEN! HEjjjjjjj! geil, Schweden. Schön hier. Wir fahren zu unserer Unterkunft.
Mein Dad muss gleich an den Laptop, arbeiten, und ich räume derweile den Van aus und höre mir die Playlist vom Intelektuellen an und das erste Lied ist episch, und kurz fühlt es sich so an, als hätte ich alles im Griff, als würde dies ein echt schöner Urlaub werden.
Als ich den Van fertig aufgeräumt habe installiere ich mir eine Datingapp und swipe alles im Umkreis von 5 km. Es Matscht. It's a Mess. Schweden hat hübsche Menschen. Warum ich das mache? Keine Ahnung. Language-Exchange? Hej, jag vill lära mig Svenska.
16.08.2021: Ich schreibe Hirngespenst: "Mein armes kleines Fahrrad, das steht bei nem Arschloch im Keller und wartet mit einem zerstochenen Reifen darauf abgeholt zu werden. (...)"
Und noch, dass der Intellektuelle wahrscheinlich "Wein' nicht, Shawty" zu mir sagen würde, bezüglich des Fahhrads, und dass ich mir gerade ein Müsli mache, und, dass Wald auf Schwedisch Skogen heißt.
17.08.2021: Mein emotionaler Zustand gerade: Ich höre Phillip Poisel zum Einschlafen. Bzw. zum In-den-Schlaf-Weinen. Mein Dad stromert derweile noch unten durch die Wohnung, er hat Probleme beim Einschlafen. Meine Tränen laufen leise, mein Papa räumt laut auf. Stresspegel ähnlich, denke ich. Äußert sich eben in unterschiedlichen Dezibeln.
18.08.2021: Hirngespenst schreibt mir: "tach, weiß gar nicht wo ich anfangen soll: Wie ist es bisher in Schweden? (...) Guten Appetit, shawty. Skogen klingt cool."
"Guten Appetit, shawty.", hat mich so sehr ermutigt und bekräftigt wie kaum etwas anderes in den letzten Tagen. Und ich lag spätabends im Bett hab so 3 min lang darüber gelacht, es vergessen, wieder dran gedacht, und nochmal gelacht. Mein Papa der im Nebenzimmer versucht hat einzuschlafen hat mich gefragt, ob ich weine.
Lieber spät als nie, nicht wahr? Ich hab ihn für die Frage nur weiter ausgelacht.
19.08.2021: Ich wollte früh morgens in den magiska skogen Joggen gehen und war dank zauberhaften Irrwegen anderthalb Stunden unterwegs. Als ich auf meiner Datingapp Caspar, 21, süß, Schnurrbart und toller Style, das schreibe, meint er: "Ah nej lol!".
21.08.2021: Irgendwie habe ich doch noch Kontakt mit dem Intelektuellen. Gestern war er sogar freundlich und war der Meinung mir viel erzählen zu wollen und: mir ein <3 zu schicken. Okay? Ich sag ihm, dass ich jetzt übers Wochende nicht erreichbar bin. Wahrscheinlich hätte ich es aber gar nicht sagen müssen und niemand hätte es bemerkt. Ah nej lol.
Abends fahren mein Papa und ich mit dem Van auf eine Insel und wir übernachten die erste Nacht im Van, es ist toll, am nächsten Tag klettern wir den ganzen Tag über Felsen und streiten uns und versöhnen uns und wiederholen unser Lied und interpretieren es neu. Eigentlich wäre es viel mehr wert, darüber zu schreiben. Aber Liebeskummer überdonnert bei mir einfach immer alles. Auch Weltschmerz und Familientragödien.
23.08.2021: Der Intelektuelle war am Wochenende feiern und erzählt mir fröhlich davon. Mir gings am Wochende scheiße und er hört wieder wunderschön zu und versteht absolut nichts.
Ich muss mich um einen Projektbericht für die Uni und um mein Bafög kümmern, beides könnte scheitern. Und es stehen online Wg-Castings und Job-Planungen an. Ich bin selbstständig und hab genug zu tun. Hejdå intellektuellt.
27.08.2021: Ab diesem Tag schrieb er mir nicht mehr und ich ihm auch nicht mehr und irgendwie war es sofort klar und eindeutig und befreiend.
Über unserer Toilette in der Wohnung ist ein kleines Regal. Mein Papa sagte mir immer, ich soll da lieber nicht so viel reinstellen. Heute ist mir von dort aus mein Handy ins Klo gefallen. Zum Glück im Unglück hatte ich vorher immerhin gespült. Und mein Handy lebt noch, denn es ist ein unzerstörbares Outdoor-Handy.
28.08.2021: Mein Papa und ich machen wieder einen Wochendendausflug mit dem Van. In der Stadt ist das viel lustiger.
Wir parken in einer ruhigen Seitenstraße - HAHA DACHTEN WIR. Sportwagenmotoraufheulen, Absatzklappern, arabische Autoradio-Musik, Partygruppen-Geplapper mit Klassenfahrt-Tratsch-Vibes, Autotürenknallen von denen die neben uns parken, sodass der ganze Van wackelt, und irgendjemand singt. Irgendwann versuche ich gar nicht mehr zu schlafen sondern sehe einfach an unser Autodach und lausche den Geräuschen der Nacht und denke mir Geschichten dazu aus.
Am nächsten Morgen muss ich dringend auf Toilette und mache mich auf die lange weite Suche nach einem Café das BITTE jetzt schon offen hat, damit ich nicht im Vorgarten des Hotels ins Gebüsch muss, wo mich garantiert irgendjemand aus Versehen entdeckt. Ich fand eins dass schon offen hatte. DANKE. Also schnell wieder zurück, meinen Papa wecken, schick anziehen, uns auf den Weg machen und dort beide einen Kaffe bestellen. Er checkt seine Emails und ich lese ein Buch und wir trinken unseren Kaffee. Dann gehe zuerst ich auf Klo. Pullernwaschenzähneputzenhaarekämmen zackzackzackin5min. Als ich rauskomme steht da eine Familie die ihr Kind wickeln will und mich verwirrt mustert.
Abends fällt mir mein Handy aus der Jackentasche aufs Kopfsteinplaster und das gesamte Display splittert. Anscheinend ist es doch nicht so unzerstörbar. Ich frag mich ob ich wohl mittlerweile unterbewusst mein Handy töten möchte.
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