Kapitel 43 ~ Ausbruch einer Krankheit
Mein Verstand wurde mit einem lauten Klick wieder hochgefahren, sogleich sich die Türe meines Zimmers öffnete. Panisch und mit wild pochendem Herzen drückte ich mich von Christian weg. Bevor ich aber bei meiner Hektik über die Bettkante stolperte, fing er mich auf. Von dort, wo er mich festhielt, breitete sich sofort ein angenehmes Kribbeln aus. Es beruhigte mich sofort, dass er in der Nähe war, jedoch konnte ich darüber momentan nicht nachdenken. Für mich galt im Augenblick nur das schlimmste Unheil abzuwenden, das über mich hereinbrechen könnte, wenn ihn jemand sah.
Panisch stürmte ich zur Tür hinaus und hievte mir meinen kleinen Bruder auf den Arm, sobald ich ihn entdeckte. So konnte ich zumindest verhindern, dass er auf die Idee kommen könnte hinter mir ins Zimmer zu schielen.
»Ich bin doch kein kleines Kind mehr!«, zickte der Kleine auch schon herum und strampelte mit seinen Füßen.
Seine Knie trafen mich direkt in den Bauch. Der Schmerz verjagte die restlichen Schmetterlinge, die noch fröhlich in mir umhergeflattert waren. Leider änderte es nichts an meinem rasenden Herzen und dem Chaos in meinem Kopf, den der Quarterback veranstaltet hatte. Es war zu spät ...
»Lyni, lass mich runter!«, quengelte der Erstklässler weiter in meinen Armen und versuchte sich von mir wegzudrücken.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mich an ihn klammerte, als wäre er der letzte Fels in der Brandung, der mich vor dem Abtreiben rettete. Völlig durcheinander stellte ich den kleinen Rabauken vor mir ab. Wenn ich selbst zu mir ehrlich war, hatte Linus mich tatsächlich vor dem Ertrinken bewahrt. Augenblicklich blitzten die Augen des Grauäugigen in meinem Gedächtnis auf.
»Ich will ins Bett. Ich bin müde«, murmelte mein kleiner Bruder.
Wie müde er war, machte er mir deutlich, in dem er sich die Augen rieb und laut gähnte. Ein wenig erinnerte er mich an eine Babyraubkatze, die verschlafen dreinblickte. Er hatte die sonderbare Wirkung auf mich, alles in binnen Sekunden zu vergessen, was mir Sorgen bereitete. Zumindest für einen kurzen Augenblick.
»Dann machen wir uns fertig.« Ich nahm die kleine Hand meines Bruders und führte ihn ins Bad.
Nachdem Linus sich gewaschen und Zähne geputzt hatte, musste ich noch einen erbitterten Kampf gegen Rina durchstehen, die noch nicht müde war. Es war schwierig zwei Kinder in dem gleichen Zimmer unterzubringen, während eins einer Nachteule glich und das andere bei berennendem Licht nicht einschlafen konnte. Es war zum frustrieren ...
Völlig verloren saß ich im nächsten Augenblick auf meinem Bett. Nur noch leise grollte der Donner über das Haus, auch der Regen hatte ein wenig nachgelassen. Es war trotzdem nicht genug, um Christian nach Hause schicken zu können, außerdem war es mittlerweile dunkel. Abgesehen davon war er auch noch eingeschlafen. Er musste wirklich fertig sein ...
Bereits als ich in mein Zimmer gestampft war, hatte ich bemerkt, dass er schlief. Seitdem saß ich hier und beobachtete den Dunkelhaarigen, obwohl es gar nichts zu beobachten gab ...
Weder bewegte er sich, noch schnarchte er. Mit an die Brust gezogenen Knie, den an die Lehne angelehnten Kopf und der bis zum Hals gezogen Decke, schlummerte er friedlich auf meinem kleinen samtblauen Sessel. Dabei schien mir diese Haltung eher weniger als gemütlich. Er strahlte solch eine Ruhe auf mich aus, dass sogar ich dazu geneigt war, nach diesem aufregenden Tag, einzuschlafen.
Erst das harte Training mit Jona, dann das plötzliche Donnerwetter und schließlich Christian, der plötzlich vor meiner Haustür stand. Ach, die kleinen Raubtiere, die mir heute den letzten Nerv raubten, sollte ich wohl nicht vergessen. Der Kuss ...
Nur bei dem Gedanken, wie seine Lippen auf meine trafen, schoss mein Puls schlagartig in die Höhe. Mir wurde ganz heiß und in meinem Bauch brodelte ein Vulkan, kurz vor dem Ausbruch. Wie konnte es nur so weit kommen?
Auf der Hoffnung, diese Gefühle loszuwerden, schüttelte ich meinen Kopf und wandte mich von dem schlafenden Quarterback ab. Er weckte in mir Gefühle, die ich seit einer langen Zeit nicht mehr erleben wollte. Die Krankheit war bereits ausgebrochen, doch fühlte es sich weniger danach an. Es war mehr eine Genesung, eine Therapie oder ein Medikament für meine geschundene Seele. Ich hatte ihm Dinge offenbart, die niemand außer Kate und Nancy über mich wussten. Selbst sie kannten nicht die ganze Wahrheit. Es fühlte sich ... gut an ...
Und dieser Kuss ... Wie Balsam für meine Seele. Lange war es her, als ich das letzte Mal jemanden geküsst hatte und doch konnte ich mich nicht daran erinnern, wie es sich anfühlte. Nie hätte ich mir erträumen lassen können, dass es sich so gut anfühlen würde. Ich wollte diesen Kuss. Mehr als ich etwas in letzter Zeit überhaupt wollte. Ich hatte den ersten Schritt gemacht, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Ganz sicher würde es welche geben, doch sollten diese wohl später eintreffen. Darüber zu sprechen, war für den heutigen Ausgang keine Option mehr.
Also beschloss ich, mich umzuziehen und ins Bett zu gehen. Im Bett liegend konnte ich trotz meiner Müdigkeit nicht einschlafen. Gewissensbisse plagten mich. Christian würde mit Schmerzen am nächsten Morgen aufwachen, wenn er weiterhin so zusammengekauert auf dem Sessel schlief. Das hatte er nicht verdient. Nur bei dem Gedanken daran, wie er sein Gesicht vor Schmerzen verzerren könnte, zog es in meinen Bauch. Demnach setzte ich mich wieder auf, rutschte von der Bettkante und trat auf ihn zu.
Fast war ich gewillt ihn doch nicht zu wecken. Er wirkte einfach so sorglos. Ich konnte ihn trotzdem nicht so schlafen lassen. Langsam streckte ich meine Hand nach seiner Schulter aus, an der ich ihn versuchte sanft wachzurütteln. Leise sagte ich seinen Namen. Er hatte einen wirklich tiefen Schlaf, ein weiterer Grund für mich aufzugeben. Ich rüttelte ein wenig stärker an ihm und rollte seinen Namen sicherer und lauter über meine Zunge.
Seine Lider begannen zu flattern. Das erste Anzeichen, dass er fast bei Sinnen war. Als sich seine Augen öffneten und das Grau auf mein Blau traf, schossen augenblicklich Blitze durch meine Hand, die seine Schulter berührten. Schmetterlinge tanzten durch meinen Magen. Am liebsten hätte ich jeden einzelnen von ihnen die Flügel ausgerissen. Ich mochte Schmetterlinge, doch nicht diese lästigen Dinger, die für meine Gefühle verantwortlich waren.
Zur Antwort bekam ich von dem Grauäugigen ein leises Brummen, das eine Gänsehaut auf meiner Haut verursachte. Schnell nahm ich meine Hand wieder zurück. Sein Blick hielt noch immer meinen gefangen.
»Du musst hier nicht auf dem Sessel schlafen«, erklärte ich ihm leise.
»Es macht mir nichts aus«, brummte er.
»Christian, bitte«, flehte ich ihn an. Ich könnte es nicht mit mir vereinbaren, würde er am nächsten Morgen mit Rücken- und Nackenschmerzen aufwachen. Schließlich hatte ich mit dem scheußlich Ding schon meine Erfahrungen gemacht. So gemütlich es auch aussah, zeigte es erst nach der ersten Nacht darauf sein wahres Gesicht. Es war, als hätte man in der Hölle geschlafen.
Leider war es mir schon des Öfteren passiert, dass ich mit meinem Laptop auf dem Schoß eingeschlafen war. Erst schaute ich mir noch konzentriert Videos übers Tanzen an und dann war ich auch schon ganz weit weg von ihnen. Das Ding war wie eine Sirene. Erst rief es nach mir und machte mir schöne Augen, nur um mich dann umbringen zu wollen.
»Okay«, gab der Quarterback mit rauer Stimme nach. Noch nie hatte ich gehört, dass solch ein rauer Ton gleichzeitig so sanft sein konnte.
Seine Augen ließen mich keine Sekunde frei, in der er sich aufrichtete. Nicht einmal meine, wollten sich von ihm abwenden, als die Decke herunterrutschte und den Blick auf seinen trainierten Oberkörper freigab. Etwa in Höhe seines Bauches raffte er sie zusammen, um nicht beim Gehen darüber zu stolpern. Ich konnte es nicht verhindern, bei diesem Anblick hart zu schlucken. Würde ich es nicht tun, hätte ich wahrscheinlich an Ort und Stelle begonnen zu sabbern.
Ein Glück, dass Christian davon nichts zu bemerken schien. Er war sich wohl über seine Wirkung auf mich nicht bewusst. Selbst nachdem wir uns geküsst ha ...
Hör auf, daran zu denken!
Wie konnte das nur passieren? Wann war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich begann, ihm so zu verfallen?
»Auf welcher Seite schläfst du?«, fragte mich der Grauäugige.
»Außen«, antworte ich ihm, wie aus der Pistole geschossen und erntete einen verwirrten Blick von ihm.
Mein Herz machte einen Satz, als er seine vernarbte Augenbraue in die Höhe zog. Dabei kräuselte sich seine Stirn, die es mir unmöglich machte, klar zu denken. Die kleine Narbe an seinem Haaransatz unterbrach die feinen Linien, die sich auf seiner glatten Haut bildeten. Verzweifelt zog ich meine Unterlippe zwischen meine Zähne und biss zu, bis ich spürte, dass der heiße Schmerz mich bei Sinnen hielt.
Das war so eine beschissene Idee, Lyn!
Nach einem leichten Nicken, kroch er auch schon auf die linke Seite, die an der Wand angrenzte. Er legte sich gerade auf die Matratze, breitete die dünne Decke über sich aus und starrte an die Wand.
Ich selbst stand völlig bewegungslos im Raum.
Da war ein Junge ... In meinem Bett ... Nicht nur irgendeiner. Es war Christian Bailey, der Quarterback der Eagles meiner Highschool. Meine Wette, die ich gewinnen wollte, und das Gefühlschaos höchstpersönlich ...
»Wie gesagt, ich kann auch auf dem Sessel schlafen.« Er versuchte sich gerade wieder aufzurichten, während ich nach einem Kissen auf dem Sessel schnappte und ihn gegen den Oberkörper pfefferte. Damit sank er auch wieder zurück auf die Matratze und stopfte sich das Kissen unter den Kopf. Schnell tapste ich über meinen Teppich und legte mich mit ausreichend Abstand neben ihm.
Ein Glück hatte Kate mir bereits ein breiteres Bett gekauft. Damals hatte ich es nicht verstanden, doch war ich ihr in diesem Augenblick mehr als dankbar. Zu meinem Bedauern konnte es trotzdem nicht genug Abstand zwischen uns bringen, um es mir möglich zu machen, seinen Geruch und seine tiefen Atemzüge auszublenden. Diesmal war es nicht der Duft vom Regen, der in meine Nase kroch. Etwas Leichtes von Zitrone und Minze schwebte in der Luft.
»Danke.« Seine Stimme war nur ein leises, raues etwas. Beinahe hätte ich geglaubt, es mir eingebildet zu haben, wenn er nicht weitergesprochen hätte. »Du hättest mich auch nach Hause schicken können. Stattdessen gabst du mir frische Sachen, etwas zu Essen und ein Bett zum Schlafen.«
»Du hättest dasselbe getan.«
Die Matratze unter mir gab nach. Christian drehte sich in meine Richtung und betrachtete mein Profil. Ich meinte auf meiner Haut zu spüren, wie sein Blick jeden Zentimeter von ihm erkundete. Es kribbelte, als würden tausende von Ameisen darüber hinweglaufen.
»Ich sehe es dennoch nicht als selbstverständlich, Lyn. Und das vorhin ...«
»Wir sollten schlafen«, unterbrach ich ihn harsch. Es kostete mich eine Menge Kraft, denn nur mein Name auf seiner Zunge entfachte in mir erneut ein Funken, den ich nicht nachgeben durfte. Deswegen drehte ich mich auch auf die andere Seite, um der Gefahrenquelle aus dem Weg zu gehen. Ich spürte, wie die ruhige See sich förmlich in meinem Rücken brannte.
»Gute Nacht, Chris.«
»Gute Nacht, Lyn.« Erneut spürte ich, wie die Matratze unter mir nachgab.
Lange konnte ich aufgrund von Christians Anwesenheit nicht einschlafen. Mein Körper kam einfach nicht zur Ruhe. Einerseits war da sein Duft, der mich wie eine Wolke umhüllte, andererseits war die pure Wärme, die von ihm ausging. Er strahlte Hitze ab, wie die Sonne an den schlimmsten Sommertagen. Mein Bauch kribbelte, meine Gedanken kreisten die ganze Zeit um ihn und den Kuss. Warum hörte es nicht auf?
Die ruhigen und tiefen Atemzüge hinter mir, verrieten mir, dass der Quarterback eingeschlafen war. Ich versuchte, mich auf diesen Rhythmus zu konzentrieren und ihn nachzuahmen. Vielleicht würde ich dadurch in den Schlaf fallen.
Das tat ich auch. In einen unruhigen und unvergesslichen.
»Das war noch nicht der letzte Tanz«, versprach mir mein Freund mit tiefer, rauer Stimme. Sanft strichen seine Lippen über mein Ohr und bescherten mir eine Gänsehaut vom feinsten. Sein betörender Duft nach Zitrone und Minze raubte mir alle Sinne, sogar noch nach über einem Jahr. Schmetterlinge flatterten glücklich in meinem Bauch herum und spornten mein Herz an, umso kraftvoller zu schlagen.
»Was hast du vor?«, fragte ich ihn wie in Trance, während er mich weiter über das Parkett der Turnhalle schaukelte.
»Auch ich als dein Freund, muss ein paar Bedürfnisse nachgehen.« Er brachte Abstand zwischen uns, damit er mir in die Augen sehen konnte. Sofort vermisste ich seine Nähe. Mein Körper schrie mich gerade zu an, ihn wieder zurück zu mir zu ziehen.
»Und ich dachte immer, du wärst perfekt, um war zu sein. Das schließt Bedürfnisse aus«, stichelte ich ihn.
Ein breites Lächeln bildete sich auf seine vollen Lippen aus, welche ich immer so an ihm liebte. Seine grauen Augen glitzerten auf mich hinab. »Ich habe dir schon immer gesagt, dass ich nicht der Prinz auf dem weißen Pferd bin.« Er beugte sich zu mir herab und presste für einen kurzen Augenblick seine weichen Lippen auf meine. »Ich bin kurz für kleine Jungs. Ich werde dich nicht lange auf mich warten lassen.«
»Das will ich auch hoffen!«, rief ich ihm noch hinterher, ehe er in der Menge der tanzenden Schüler verschwand.
Ich stand nicht lange allein. Zusammen mit ein paar Mitschülern begann ich mich in Takt der Musik zu bewegen und einfach Spaß zu haben. Irgendwann bemerkte ich jedoch, dass Christian nicht wiedergekommen war. Er war bestimmt schon seit einer halben Stunde weg, weshalb ich die Schüler am Rand der Tanzfläche betrachtete. Ich konnte ihn nicht sehen. Er war nicht in der Turnhalle. Auch mein Smartphone konnte mir keine Auskunft über seinen Aufenthalt geben, weshalb ich mich von der Gruppe abkapselte und ihn zu suchen begann. Es war ungewöhnlich, dass er mich so lange allein ließ, wenn er mit versprach bald wieder da zu sein.
»Na, Lyni. Schon lange nicht mehr gesehen«, hauchte jemand dicht neben mir in mein Ohr und schlag seine Arme um meine Taille. Mit einem Seitenblick erkannte ich eine von Sommersprossen übersätes Gesicht und rotes Haar. Noch immer fragte ich mich, wie er zu Christians besten Freunden gehören konnte.
Ich ignorierte ihn und sah mich suchend nach den grauen Augen um, die nur kurz auf die Toilette verschwinden wollten. Nebenbei versuchte ich mich aus Christophs Umklammerung zu winden, der jedoch nicht vorhatte locker zu lassen. Konnte mich der Typ nicht in Ruhe lassen?
»Du suchst doch bestimmt deinen Freund. Wenn du möchtest, bringe ich dich zu ihm«, bot er mir mit einem undefinierbaren Lächeln an. Er war schon lange nicht mehr, der freundliche und schüchterne Junge, den ich kennengelernt hatte. In mir schrillten die Alarmglocken lauter denn je. Er führte definitiv nichts Gutes im Schilde.
»Lass sie in Frieden.« Ein silberner Haarschopf und haselnussbraune Augen schoben sich in mein Sichtfeld. Jona hatte sich uns in den Weg gestellt und bedachte seinen Freund neben mir mit einem warnenden Blick.
»Ich will ihr doch nur helfen, Bailey zu finden. Bleib mal flauschig.«
»Auf deine Hilfe kann sie sehr gut verzichten«, giftete Jona zurück und baute sich bedrohlich vor Christoph auf. Er war noch lange nicht bei der Muskelmasse, die sein Gegenüber besaß. Warum kam er auf die Idee, sich ausgerechnet mit ihm anzulegen?
»Ich schaffe das auch allein, Jungs«, rief ich den beiden zu und tauchte unter ihnen hindurch.
Hoffentlich lag er nicht wieder völlig besoffen in eine der Umkleiden herum. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich ihn dort finden würde. Deswegen machte ich mich auch als Erstes auf den Weg zu ihnen. Wie ich ihn kannte, war er auf dem Weg zurück zu mir von ein paar Teamkollegen aufgehalten worden. Dann wurde ein wenig gebechert und dann zog er sich völlig besoffen zum Schlafen auf eine der Umkleidebänke zurück.
»Hey, Lyn! Hast du deine beste Freundin gesehen?« Der Blondschopf, von dem die Frage kam, drängelte sich durch eine quer dichte Jungengruppe. Seine blauen Augen, die meinen glichen, glitzerten mich besorgt an.
»Tut mir leid, Kayden! Nach den Fotos habe ich sie so gut wie gar nicht mehr gesehen. Hast du Christian gesehen?« Ich musste diese Chance einfach nutzen. Es würde mir eine enorme Arbeit erleichtern, wenn Kayden wusste, wo mein Freund steckte.
»Nein, tut mir leid. Dann sollten wir wohl beide weiter unser Glück woanders versuchen.« Damit verabschiedeten wir uns auch schon. Ich nahm meinen Weg zu den Umkleidekabinen wieder auf.
In dem langen Flur angekommen, öffnete ich eine nach der anderen ganz vorsichtig. Von nichts, bis zu wild herummachenden Teenagern, war keine Spur von ihm zu finden. Umso näher ich den letzten Umkleiden kam, umso größer wurde meine Sorge um ihn. Wo konnte er denn nur stecken?
Zum dritten Mal, wollte ich peinlich berührt die letzte Tür des Ganges schließen, wie auch bei den anderen davor, hinter denen ich die halbnackten Pärchen gesichtet hatte, die ihre Minuten miteinander auskosteten. Wären da nicht die mir sehr bekannten Geräusche ins Ohr gedrungen. Sein tiefes Stöhnen würde ich überall erkennen, wenn gleich ich es auch noch nicht in dieser Art gehört hatte.
Mein Herz blieb stehen, als ich das lustvolle Stöhnen zweier Personen vernahm. Ich blieb stehen, als ein erregtes Knurren in meine Ohren drang. Nebenher ein klatschendes Geräusch, das in ein und demselben Rhythmus durch den von Fliesen bedeckten Raum schallte.
Das Blut gefror mir in den Adern. Ich wusste, würde ich mich jetzt umdrehen, dann würde entweder eine ganze Welt für mich zusammenbrechen oder eine unmenschliche Erleichterung durch mich hindurch fluten. Ich könnte auch einfach gehen und für immer im Unwissen bleiben. Dennoch gab es nur eine Option für mich: die Wahrheit.
Mit angehaltenem Atem drehte ich mich um. Langsam, auf der Hoffnung, dass sich meine schlimmsten Befürchtungen sich nicht bewahrheiten würden. Die nächsten Sekunden vergingen, wie in Zeitlupe. Als wolle mein Verstand diesen Moment auskosten. Mich auskosten, wie ich den letzten Hauch von Hoffnung verlor.
Ich hatte mich für den Untergang meiner letzten kleinen heilen Welt entschieden, während das Paar vor meinen Augen sich in diesem Augenblick in ein ganz anderes Universum katapultierte. Wie angewurzelt stand ich, mit weit aufgerissenen Augen, da. Nicht fähig auch nur einen Finger zu krümmen, starrte ich auf das Szenerio, das sich vor mir abspielte.
Fassungslos schlug ich eine Hand vor meinem Mund, um nicht laut aufzuseufzen. Tränen rannen bereits über mein Gesicht, die ich nicht kommen sehen hatte. Mein Herz zerfiel in diesem Moment in tausend kleine Einzelteile.
Erst, als seine stahlgrauen Augen meine fanden und sich in die unergründliche See verwandelte, die er nur mir zeigen konnte, wusste ich, dass er mich bemerkt hatte. Ein letztes Mal nahm er meinen Namen in den Mund, dann rannte ich davon. So schnell ich nur konnte, verließ ich den Raum und sprintete ich durch den Flur.
Kurz bevor ich in der Menge der feiern den Schüler abtauchen konnte, zerrte etwas fest an meinen Arm. Er wirbelte mich herum und hielt mich fest. Gleichzeitig schoss meine Hand hervor und verpasste ihn mit einem lauten Knall eine saftige Ohrfeige. Sein Kopf flog zu Seite. Mein Brustkorb hob und senkte sich hektisch, während weitere Tränen flossen.
Es verging eine halbe Ewigkeit, bis er seinen Kopf langsam wieder zu mir drehte. Fassungslos starrte mich der wolkenlose Nachthimmel an, der mich gnadenlos in der Tiefen des Abgrundes stieß.
Die blauen Augen, die sich dazu entschieden haben, mich zu betrügen, mit meiner besten Freundin, die mich hämisch auslachte ...
Wir kommen Lyns Vergangenheit immer näher ...
Nun ist die Frage, ob sie sich ihr stellen kann oder sie weiterhin versucht unter Verschluss zu halten?
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