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Louis' POV:
„Lena?"
Sobald ich außerhalb Harrys Hörweite war, meldete ich mich mit belegter Stimme, woraufhin am anderen Ende der Leitung ein erleichtertes Aufatmen ertönte.
„Gott sei Dank, ich hätte damit gerechnet, dass du mich abwürgst", sagte sie, was ich bloß mit einem undefinierbaren Brummen beantwortete – denn am liebsten hätte ich genau das getan. Aber irgendwas verriet mir, dass sie nicht ohne Grund anrief, sondern genau wusste, was zwischen meinen Brüdern und mir vorgefallen war.
Tatsächlich ließ sie nach einigen halbherzigen Fragen nach meinem Wohlbefinden prompt die Bombe platzen. „Ich war eben bei Alec. Hab mich gewundert, warum ich nichts mehr von dir gehört habe. Und er hat mir gesagt, dass er dich rausgeschmissen hat?" Sie klang etwas unschlüssig, so als ob sie nicht glauben konnte, dass ich wirklich gegangen war.
„Ja, das stimmt", meinte ich, wodurch sie scharf die Luft einzog, wobei das jedoch pures Schauspiel war. Immerhin war es noch nie ein Geheimnis gewesen, dass ich mich in Wahrheit gegen all den Nationalsozialismus in meiner Familie gewehrt hatte. Nur hatte man irgendwann angenommen, ich sei mittlerweile „über den Berg". Pustekuchen.
„Wollen wir uns mal treffen? Um über alles zu sprechen."
Gern hätte ich abgelehnt, doch ich biss mir bloß auf die Unterlippe, bis ich Blut schmeckte. „Ja, okay", stimmte ich schließlich zu und kniff im nächsten Moment die Augen zusammen, innerlich fluchend. Ich war ein verdammtes Weichei.
Diese Auffassung schien Harry zu teilen, da er bei meiner Rückkehr nur eine Augenbraue hob. „Lena oder Alec?" „Lena", nuschelte ich, woraufhin er aufstöhnte. „Ich dachte, sie vermisst dich nicht", murmelte er, sichtlich eifersüchtig. Und obwohl mich das irgendwie freute, konnte ich lediglich meine Miene verziehen.
„Ich weiß. Aber sie will mich sehen, um nochmal über alles zu sprechen."
Skeptisch runzelte der Punk die Stirn, ehe er in die Ferne blickte, an dessen Horizont inzwischen dicke Regenwolken aufgezogen waren – ganz passend zu meiner Stimmung.
„Du weißt, dass das nur eine Falle ist, oder?", durchbrach er nach einer Weile das Schweigen zwischen uns, weshalb ich reuevoll nickte. „Ja... aber was hätte ich sonst tun sollen?" „Nicht dran gehen?", schlug er mit einem sarkastischen Unterton vor, der mich schlagartig erschaudern ließ. Natürlich war Harry nicht begeistert davon, dass ich mich mit meiner Exfreundin traf, doch irgendwie hatte ich auf mehr Verständnis gehofft.
So allerdings liefen wir, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zur S-Bahnstation und erreichten seine Wohnung glücklicherweise noch bevor der erste Regenschauer losbrach.
Dort angekommen wurden wir bereits von Nia erwartet, die nicht schlecht über meine Veränderung staunte. „Das Blond steht dir", lobte sie, sobald ich die Küche betrat und Teewasser aufsetzte. Sie saß am Küchentisch vor ihrem Laptop und schien höchst konzentriert zu arbeiten, was sie jedoch unterbrach, kaum dass ihr Harrys Gesichtsausdruck auffiel.
„Was ist passiert?", erkundigte sie sich besorgt, was ihr Freund bloß mit einer abwehrenden Handbewegung quittierte. „Ich will nicht drüber reden", murmelte er missmutig, während er sich neben sie auf einen Stuhl fallen ließ und sich bei ihr anlehnte.
„Wie war das Treffen noch?"
„Gut", erwiderte Nia mit einem verschmitzten Lachen. „Zum Schluss ist Sophia noch aufgetaucht und Raul zusammengestaucht, er solle nicht so ein Arschloch sein", kicherte sie. Harry fiel mit ein und weil ich mir plötzlich schrecklich fehl am Platz vorkam, verließ ich ohne Tee die Küche und verzog mich stattdessen ins Gästezimmer.
Mit einem resignierten Seufzen ließ ich mich auf die Matratze fallen und starrte auf die Einkaufstüten, aus denen die neuen Sachen hinauslugten. Noch vor einer Stunde hatte ich stolz in der hellen Jeans vor dem Spiegel posiert, jetzt hingegen fühlte ich mich regelrecht elend – ganz zu schweigen von Harrys Liebesgeständnis, das wie eine Illusion erschien, so als hätte ich das alles nur geträumt.
Deprimiert sank ich in mein Kissen und war innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen. Als ich das nächste Mal aufwachte, war es bereits dunkel und aus dem Flur drang der Geruch von Pasta zu mir. Sofort begann mein Magen zu knurren und auch wenn ich mir nicht sicher war, ob es eine gute Idee war, mich zu den anderen zu gesellen, rappelte ich mich trotzdem auf.
Doch noch bevor ich die Tür öffnen konnte, stand mit einem Mal Nia im Raum und lächelte mich etwas verlegen an, einen Teller dampfender Nudeln in der Hand. „Na, Schlafmütze? Gut geschlafen?", wollte sie wissen, dann drückte sie mir das Essen in die Hand und lotste mich zurück zur Matratze, sich neben mich setzend.
Dankbar nickte ich ihr zu und begann, die ersten Spagetti auf die Gabel zu drehen. Währenddessen überlegte ich fieberhaft, was ich nun am besten sagen konnte, aber sie kam mir schon zuvor.
„Harry war ganz schön eifersüchtig."
„Mhm", machte ich bloß, woraufhin sie mir einen traurigen Blick zuwarf, wofür ich mich am liebsten tausendmal entschuldigt hätte. Ich nahm ihr ihren Freund weg.
„Du nimmst mi nicht meinen Freund weg", entgegnete sie, nachdem ich meine Bedenken laut ausgesprochen hatte und sie scheu ansah. Skeptisch rümpfte ich die Nase. „Aber... ich bin in Harry verliebt... und... und wir hatten Sex." Die letzten Worte waren nur ein Flüstern, das sie dennoch verstand.
Die Trauer nach wie vor nicht aus ihren Augen verbannen könnend, hob sie die Mundwinkel und tätschelte mir sogar die Schulter. „Ich weiß. Und ich war im ersten Augenblick auch echt schockiert. Aber wenigstens war er ehrlich. Und ich... ich glaube ihm, wenn er mir sagt, dass er mich liebt."
Verständnisvolles Nicken meinerseits. „Das tut er auch. Das merkt man in jeder Minute, die ihr miteinander verbringt." Sie stupste mich an. „Dito."
„Glaubst du, dass das wirklich geht? Sich in zwei Menschen gleichzeitig zu verlieben?"
Sie zuckte mit den Achseln. „Na ja, frag mal eine polyamoröse Person, die kann dir das bestimmt zu hundert Prozent bestätigen."
Schnaubend kratzte ich den letzten Rest Soße von meinem Teller, danach stellte ich ihn auf den Boden und wandte mich wieder Nia zu. Ihre braunen Haare lösten sich einzeln aus ihrem Dutt und sie war stärker geschminkt als heute Vormittag. Vielleicht musste sie sich irgendwie einen Schutzpanzer anlegen, damit sie noch bei Verstand blieb. Denn im Gegensatz zu meinen, schienen ihre Gedanken sehr klar.
„Die Frage ist nur, was wir machen...", überlegte ich, worauf sie ohne Umschweife eine Antwort wusste. „Ganz einfach. Du sagst erstmal dieser Lena ab und besorgst dir am Montag eine neue Handynummer. Und dann hat mir Sophia die Kontaktdaten ihrer Tante gegeben, die Psychologin ist. Ich weiß zwar nicht, was du davon hältst, aber ich denke, du solltest eine Therapie machen."
Etwas ungläubig blinzelte ich. „Ich? Therapie? Muss das sein?" Statt etwas zu erwidern deutete sie nur auf meine Augen, unter denen garantiert tiefe Schatten lagen und verrieten, was mich in den letzten Tagen umhertrieb.
„Zumindest versuchen solltest du es", befand sie und drückte mir einen kleinen Zettel in die Hand, ehe sie wieder aufstand. „Ich geh schlafen. Wir sehen uns morgen."
Ein wenig überrumpelt sah ich ihr nach, bis sie wenig später das Licht gelöscht und ihre Schlafzimmertür geschlossen hatte. Da ich natürlich hellwach war, beschloss ich, nachzuschauen, ob Harry eventuell noch wach war und im Wohnzimmer saß. Jedoch fehlte von ihm jegliche Spur, sodass ich ahnte wo er war – und tatsächlich, als ich vorsichtig zu Nia lugte, konnte ich eine zweite Gestalt unter der Bettdecke ausmachen, die ihre Arme um die Brünette geschlungen hatte.
Und obwohl ich sein „Ich liebe dich" noch im Ohr hatte, spürte ich, wie sich mein Herz zusammenzog und ich die Lippen aufeinanderpresste. Dabei war das so unglaublich dumm, immerhin waren die beiden zusammen und liebten sich ebenfalls – ich konnte nicht verlangen, dass Harry alles für mich stehen und liegen ließ, zumal ich heute derjenige war, der sich mit seiner Ex zum Essen verabredet hatte. Wer im Glashaus saß, sollte nicht mit Steinen werfen.
Also kroch ich wieder zurück unter meine Bettdecke, wo ich wenig später versuchte, nicht die Krise zu bekommen – vergeblich. Denn nicht nur Harry raste durch meinen Kopf, sondern auch Lena und meine Brüder. Morgen würde ich sie eigentlich in einer Sachsenhäuser Apfelweinkneipe zum Abendessen treffen – ausgerechnet.
Doch Harrys Bedenken waren absolut berechtigt und es konnte durchaus sein, dass Alec, Jake und Jacob auftauchten und mir an die Gurgel wollten. Oder mit Tränen in den Augen vor mir standen und ich schwach wurde.
Aber sobald ich ihren Kontakt in meinem Handy aufgerufen hatte, begannen meine Finger zu zittern und ich schaffte nicht, ihr abzusagen. Es sollte keine Rache für Harry sein, weil er wieder bei Nia schlief und mir nicht mal Gute Nacht gesagt hatte, aber plötzlich war es mir irgendwie egal, was morgen passieren würde; selbst wenn meine Brüder aufkreuzten und mich wieder an sich banden.
Dann wäre das vielleicht zum Einen mein Schicksal und zum Anderen würde ich bei Harry und Nia nicht mehr für Verwirrung sorgen. Demnach ließ ich das Telefon wieder sinken, kramte nach meinen Kopfhörern und fiel zum Klang eines Hörbuches nochmal in einen leichten Halbschlaf.
och lou, das kann doch nur nix werden.... na ja, ich hoffe, euch hat das kapitel gefallen und ihr seid gespannt, was mit lena und co. passieren wird.
eine frage hab ich aber noch: kennt ihr polyamorie? seid ihr es vielleicht sogar oder kennt jemanden, der mit mehreren leuten zeitgleich eine beziehung führt? und was haltet ihr davon, beziehungsweise könnt ihr es euch vorstellen?
all the love. xx
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