09
"Was?"
Alec blinzelte mich fassungslos an und auch ich erschrak über meine eigenen Worte. "Du wirst da noch viel weniger arbeiten, als Jacob", sagte mein Bruder spitz, weshalb ich die Augen zusammenkniff. "Ich hab aber keinen Bock, ab nächster Woche unter einer Brücke pennen zu müssen", hielt ich dagegen, was ihn jedoch bloß schnauben ließ.
"Die werden uns das Hartz 4 schon nicht einfach so kürzen. Mach dir mal nicht ins Hemd", meinte er mit einem belustigten Unterton, der mich die Zähne zusammenbeißen ließ. "Doch. Die Abmachung war, dass mindestens einer von uns einen Arbeitsvertrag vorweisen kann, damit es zumindest so aussieht, als würden wir uns bemühen", erinnerte ich Alec an das Gespräch mit der Dame vom Arbeitsamt, das ihn noch vor wenigen Wochen auf Trab gehalten hatte.
„Wir haben doch einen. Jacob meldet sich einfach krank", entgegnete der Ältere wiederum nur und wollte sich an mir vorbeischieben, woran ich ihn allerdings mit einem festen Griff ums Handgelenk hinderte.
„Ich mein das ernst", zischte ich, woraufhin er die Stirn in Falten legte und mich mit zusammen gekniffenen Augen von oben bis musterte. „Ich meine das auch ernst, Louis. Aber wenn du unbedingt willst, dann geh doch zu diesen Ratten. Verräter."
Zwar trieften seine Worte nur so vor Verachtung, aber dennoch ließ ich mir nichts anmerken und straffte stattdessen die Schultern. „Gut, dann werde ich da morgen hingegen", beschloss ich und verschwand anschließend in meinem Zimmer, während Alec lauthals zu schimpfen begann, ich sei eine Schande für die Familie.
Dabei wollte ich diesem Harry genauso wenig begegnen, wie Jacob - doch wenn ich die Wahl zwischen einem Rauswurf aus der Wohnung und einigen unangenehmen Wochen hatte, biss ich lieber in den sauren Apfel.
Also klingelte mich am nächsten Morgen mein Wecker aus dem Schlaf und auch wenn ich ihn am liebsten im hohen Bogen gegen die Wand geschmissen hätte, quälte ich mich ächzend aus dem Bett.
Sobald ich die Küche betrat, wurde ich prompt von meinen Brüdern überrascht, die allesamt bereits am Küchentisch saßen und mich mit verächtlichen Blicken straften.
„Wehe du ziehst den Schwanz ein", drohte Alec, was ich geflissentlich ignorierte, obgleich es mich innerlich erstarren ließ.
Um sie von weiteren dummen Kommentaren abzuhalten, schlüpfte ich bloß in meine Bomberjacke und betätigte mit wenigen Griffen den Kaffeeautomaten, bevor ich samt Isolierbecher und ohne einen Abschiedsgruß die Wohnung verließ.
Draußen herrschte noch ein eisiger Wind, der mich unwillkürlich an die bevorstehenden Stunden erinnerte und mich erschaudern ließ- ebenso wie meine Nase sofort zu pochen begann, als ich an Harrys Visage dachte und wie purer Triumph in seinen Augen gelegen hatte, kaum dass er mich zum zweiten Mal niedergestreckt hatte. Dabei sollten Punks doch angeblich Pazifisten dein.
Nachdem mich meine noch müden Füße über den Eisernen Steg getragen und mich der Blick auf die Skyline Frankfurts zumindest ein bisschen aufgemuntert hatte, erreichte ich schließlich das Theaterviertel, in dem sich das Restaurant befinden sollte - hier reihten sich verschiedene Theaterhäuser an die Oper und war hier abends immer die Hölle los, irrten jetzt bloß ein paar einsame Penner über den Opernplatz, auf der Suche nach Pfandflaschen in den Mülleimern, ihr Hab und Gut schwer auf den Schultern tragend.
Abermals erschauderte ich. Ich führte wahrlich kein Luxusleben, aber wenn das die Alternative war, wirkte ein erneutes Aufeinandertreffen mit Harry fast wie Urlaub.
„Du hier?"
Sowohl Harry, als auch eine Frau, die ihm verdammt ähnlich war und garantiert seine Mutter war, starrten mich fassungslos an, als ich kurz darauf das Restaurant betreten hatte und mich ihnen vorstellte.
„Mein Bruder ist leider verhindert, weswegen ich einspringen werde", erklärte ich, was die Frau mit einer hoch gezogenen Augenbraue quittierte. „Das geht eigentlich nicht", überlegte sie laut, doch ehe sie mich wegschicken konnte, sah ich sie flehend an. „Können Sie nicht ein Auge zudrücken?", bat ich, Alecs Drohung im Ohr. Wenn sie mich wegschickte und stattdessen auf Jacobs vermeintliches Wiederkommen warten wollte, würde ich heute Abend das Gespött schlechthin sein.
Tatsächlich lockerten sich die Gesichtszüge meiner neuen Chefin und mit einem Kopfnicken überließ sie mich Harry, dann verschwand sie.
Einige Sekunden verstrichen, in denen der Grünäugige mich abfällig begutachtete, bis er sich schüttelte und mir mit einem Seufzen Schürze und Mütze in die Hand drückte.
„Für euer komisches Tattoo ist hier kein Platz. Und wenn ich auch nur einen dummen Spruch höre, kick ich dich hier hochkant raus."
Ich verkniff mir ein Augenrollen und nickte bloß brav, woraufhin er mich seufzend in einen Nebenraum führte. „Heute Nachmittag ist hier eine Tagung und wir sollen die Tische vorbeireiten", sagte er und kurz darauf war ich dabei, Gabeln parallel zu Tellern zu drapieren.
Harry hingegen hatte es sich lediglich zu seiner Aufgabe gemacht, mir beim Arbeiten zuzugucken und hockte dementsprechend gelangweilt im Schneidersitz auf dem Fußboden, sein Smartphone in den Händen.
„Der Teller steht zu weit am Tischrand, nachher fällt er noch runter!", rief er mir irgendwann zu, wofür ich ihm schlagartig das Porzellan ins Gesicht hätte schlagen können - wäre mir nicht Alec in den Sinn gekommen. Nein, ich durfte das hier nicht verhauen, sonst würde ich mir das noch in hundert Jahren vorwerfen lassen.
Also atmete ich tief durch, schluckte meine Wut hinunter und rückte den Teller an den richtigen Platz, während ich aus dem Augenwinkel sah, wie er mich mit raus gestreckter Zunge angrinste. Dem Drang, ihm den Zungenpiercing zu ziehen, widerstand ich ebenfalls.
Als ich fertig war, ließ Harry einen letzten prüfenden Blick über die Tafel schweifen, danach scheuchte er mich zurück ins eigentliche Restaurant, wo bereits die ersten Gäste an den Tischen saßen und die Speisekarten studierten.
„Nimm die Bestellungen auf. Und sei ja freundlich", befahl er, mir Notizblock und Geldbeutel reichend, danach machte er es sich hinter der Theke bequem.
Zwar äffte ich ihn im Weggehen nach, aber entweder war er taub oder blöd, denn sobald ich mich kurz umdrehte, lächelte er nur übertrieben freundlich.
Die erste halbe Stunde verlief reibungslos und obwohl Harry mich permanent beobachtete, schaffte ich es, ruhig zu bleiben und mich überwiegend auf die Gäste zu konzentrieren.
Nur ab und zu wanderte meine Aufmerksamkeit zu dem Punk hinüber, der mittlerweile aus Langeweile mit den Ringen an seinen Fingern spielte und mich mit finsterem Blick aus meiner Trance riss.
Seine Nase schillerte in einem Mix aus lila und grün, und trotzdem musste ich feststellen, dass er gar nicht mal so übel aussah - dafür, dass er eine regelrechte Todesmiene aufgesetzt hatte. Seine bunten Haare trug er im Dutt, wodurch man seinen Undercut erkennen konnte und da er ein kurzärmeliges Shirt trug, kamen seine zahllosen Tattoos zum Vorschein, von denen die Hälfte aus einer wirren Mischung aus Totenköpfen und Schriftzügen bestand.
Sobald ich aber plötzlich registrierte, wie genau ich sein kantiges Gesicht und seine breiten Schultern in Augenschein genommen hatte, zuckte ich zusammen und widmete mich wieder dem Gast vor mir - ein Mann, der meine Kinnlade hinunter klappen ließ.
Es war ausgerechnet der Schwarze, mit dem ich mich schon ein paar Tage zuvor angelegt hatte. Auch er blinzelte ungläubig, als er mich erkannte und wandte demonstrativ den Kopf weg.
„Von einem Nazi lasse ich mich nicht bedienen", verkündete er trotzig, was mich schnauben ließ. „Ich würde dich auch gar nicht bedienen", erwiderte ich ebenso pampig und wollte mich gerade abwenden, da baute sich Harry vor mir auf.
„Was ist los?", wollte er wissen, woraufhin ich auf den Typen zeigte. „Ich bediene so etwas nicht", stellte ich klar, weshalb Harry die Fäuste ballte und mich wütend hinter den Tresen schubste.
„Hast du sie noch alle?!", zischte er fassungslos, während ich mich aus seinem Griff befreite. Nur weil er größer war als ich, musste er sich nicht sonst was einbilden. „Stell dich nicht so an, der Kerl verlässt eh gerade seinen Platz", entgegnete ich mit einem Fingerzeig zur Tür hin, weswegen Harry stöhnend seine Haare raufte.
„Das kann doch nicht wahr sein. Wie blöd bist du eigentlich?", knurrte er leise, sodass ich es kaum verstehen konnte. Dennoch verschränkte ich die Arme vor der Brust und legte herausfordernd den Kopf schief. „Du willst dich wirklich wieder mit mir anlegen?"
Witz blitzte in seinen Augen auf. „Klar, ohne deine Bodyguards bist du immerhin nicht mehr als nur ein erbärmliches Würstchen."
„Ich hasse dich."
„Und ich würde dir gern jeden einzelnen deiner dämlichen Piercings rausreißen."
„Oh glaub mir, das wollte ich vorhin auch schon bei dir", giftete ich zurück, woraufhin er zwar zum Gegenfeuern ansetzte - wäre nicht just in diesem Augenblick die Tür zur Küche aufgegangen und seine Mutter aufgetaucht.
„Ihr streitet euch so laut, dass man euch selbst am Herd noch hört!", empörte sie sich und funkelte mich sauer an.
„Verhauen Sie es nicht!"
Siegreiches Kichern seitens Harry.
Ihr Blick schnellte in seine Richtung und sie schlug ihm auf den Unterarm. „Das Gleiche gilt für dich!"
Nachdem sie wieder abgedampft war, wackele ich mit den Augenbrauen. „Na, Mamasöhnchen? Hat Mutti dich mal wieder unter Kontrolle gebracht?", feixte ich, weshalb er gefährlich zu Knurren begann.
„Irgendwann bring ich dich um. Ganz langsam und extra qualvoll. Versprochen."
tadaaa, ein neues kapitel!! ich hoffe, es gefällt euch. all the love. xxx
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