Prolog: Septembernacht
[ Die folgenden Inhalte können für einige Leser verstörend wirken. ]
[ Bitte passt auf euch auf. ]
Der Wind frischte auf, es war kalt in dieser Septembernacht. Lotte zog sich die dünne Jacke enger um den Körper. Der Weg zur Bushaltestelle war nicht mehr weit. Das Geräusch ihrer Absätze hallte von den leeren Straßen wieder. Klock, klock, klock...
Nachts um 2 Uhr war sie ganz alleine in der großen Stadt unterwegs. Das letzte betrunkene Grüppchen war eine Weile her und auch Autos waren nur noch vereinzelt unterwegs.
Ihre Mutter hatte ihr immer eingeschärft, so spät nicht alleine unterwegs zu sein. Lotte hatte ihre Mom immer belächelt, ihr versichert, alles sei in Ordnung und sie könne schon auf sich aufpassen. Jetzt, in dieser leeren Straße, abseits des Zentrums, ganz alleine, beschlich sie doch ein mulmiges Gefühl.
Lottes Blick huschte über die Büsche und Wiesenflächen des Parks, zu ihrer Rechten, der Straße entlang, blieben kurz bei einer schmalen dunklen Seitengasse hängen. Es war nichts zu sehen.
An der Haltestelle angekommen blieb sie leise fluchend stehen. Den Bus hatte sie knapp verpasst. Sie fischte ihre Zigaretten aus der Clutch. Mit unruhigen Händen fingerte sie am Feuerzeug herum. Das dumme Ding gab immer in den besten Momenten den Geist auf. Nach einigen Anläufen leckte das kleine Flämmchen jedoch begierig am Tabak und Lotte nahm einen tiefen Zug.
Die Lichtkegel von entfernten Scheinwerfern erfassten sie. Ihre Silhouette warf lange Schatten auf den Asphalt. Die Motorengeräusche surrten gleichmäßig auf sie zu. Viel zu langsam für die 50er-Zone, dachte sie.
Ein himmelblauer Opel Corsa verlangsamte sich und blieb schließlich neben ihr stehen. Ihr Atem stockte. Da war das mulmige Gefühl wieder. Vielleicht ein Gast der Feier?
Das Fenster der Beifahrerseite schob sich mit einem leisen sirren abwärts.
« Lotte. «
Ihre Erleichterung wurde sofort von einem Knäuel des Unbehagens in ihrem Magen ersetzt, als sie die Person am Steuer erkannte.
« Kann ich dich mitnehmen? «, die Stimme des Fahrers wirkte freundlich.
Lotte nahm noch einen Zug der Zigarette, schnippte den angefangenen Stummel zu Boden und stieß die letzte Wolke Rauch in die Nachtluft. Sie nahm sich Zeit, um zu antworten.
« Nein. «
« Ach komm Lotte, die nächste Bahn fährt erst in über einer halben Stunde. «
Natürlich hatte Lotte keine Lust, sich in der Kälte ganz alleine die Füße in den Bauch zu stehen. Aber keine zehn Pferde würden sie in diesen Wagen bringen.
« Lass mich einfach in Ruhe. «, antwortete sie.
« Lotte... «, ihr Gegenüber wurde flehend.
« Nein. «, sie schnaubte.
Der Fahrer beugte sich tiefer zum Beifahrerfenster, versuchte ihren Blick einzufangen.
« Bitte... Bitte, lass mich mich erklären... «
« Du, du bist selbst schuld. Hast es ruiniert! «, sie atmete tief durch. Sie sollte versuchen, ruhig zu bleiben.
« Ich kann die Sache nicht einfach vergessen. Ich brauche Abstand. Meine Ruhe. Lass es einfach gut sein, ok? « Zu mehr Entgegenkommen war sie im Moment nicht fähig.
« Du kannst nicht... « Leises fluchen folgte aus dem Wagen.
Das Unbehagen wandelte sich langsam in glühende Wut.
« Ich sag's dir jetzt ein letztes Mal: Lass mich in Ruhe. Ich will nichts mehr zu tun haben mit dir! « Lotte kroch die Magensäure hoch.
Der Fahrer versteinerte. In seinem Gesicht war keine Regung mehr zu erkennen.
« Lotte. Ich kann das nicht so stehen lassen. «
Ein Schauer lief über ihren Rücken. Sie musste aus dieser Situation raus.
Lotte wandte sich zum Gehen. Lieber lief sie die fünf Kilometer, als sich das zu geben.
« Lotte ! «
Der Mensch hinter dem Steuer hatte sich wieder aus seiner Starre gelöst.
« Lotte! «
So stolz wie möglich lief Lotte den Bürgersteig entlang. Weit kam sie allerdings nicht. Der Motor des Corsa erwachte wieder zum Leben und ließ den Wagen sie wieder langsam einholen. Mit leisem Knirschen und Knacksen der Reifen rollte er neben ihr entlang.
« Lotte, rede mit mir! « Die Stimme des Fahrers wurde dringlicher.
« Lass mich dich fahren. Zu Fuss brauchst du sicher 'ne Stunde... «
Und wenn schon. Tapfer stolzierte sie weiter. Klock, klock, klock.
Sie würde nicht nachgeben. Klock, klock, klock.
Einfach nur auf ihre Schritte achten. Klock, klock, klock.
« Du kannst nicht einfach abhauen! «
Mit einem Knirschen hielt der Wagen wieder und hinter sich hörte sie das Klicken der Autotüre.
« Es tut mir leid, okay?! « Verzweiflung war aus der Stimme des Fahrers zu hören.
Nein. Klock, klock, klock.
Sie vernahm eilige Schritte hinter sich. Lotte hatte mittlerweile einen solchen Stechschritt angeschlagen, dass trotz der Stöckelschuhe nur schwer mit ihr mitzuhalten war.
« Bleib stehen! «
Mittlerweile brannten heisse Tränen in Lottes Gesicht.
« Lass uns reden! Wir finden eine Lösung... «
Eine Hand griff nach ihr, versuchte sie am Ärmel zurückzuziehen, sie zum Stehenbleiben zu bewegen.
« Lass mich los! « Mit einem Ruck befreite sie sich. « Hast sie doch nicht mehr alle! «, rief sie, während sie ihre Jacke zurechtzupfte.
« Ich kann das nicht einfach vergessen! Also bitte, ein letztes Mal, lass mich in Frieden. «
Lotte schloss die Augen, sog die kühle Nachtluft ein und legte den Kopf in den Nacken. Sie sah den Sternenhimmel kaum durch das Licht der Stadt. Dabei liebte sie die Sterne so sehr.
Sie seufzte, « Hör mal ich... Agch! «
Ein Ruck riss Lotte nach hinten. Sie verlor das Gleichgewicht und stieß mit dem Rücken gegen ihren Verfolger. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Angst machte sich in ihr breit und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie riss die Augen auf und japste. Ihre Kehle war zugeschnürt!
Ihre Hände schnellten zu ihrem Hals. Sie spürte das glatte Leder, das ihr die Luft abschnitt, sich in ihr Fleisch grub.
« H..f..gh... «, die Worte wollten ihr nicht über die Lippen kommen. Ihr Hilfeschrei scheiterte kläglich.
Lottes Brustkorb hob und senkte sich panisch beim Versuch Luft zu holen. Ihre Lungen protestierten. Sie versuchte sich mit ihren Fingern an die Schlinge zu klammern, etwas Raum wischen Fleisch und Leder zu bringen. Erfolglos. Der Zug an ihrem Hals wurde nur noch stärker.
Die Ränder ihres Sichtfelds begannen bereits gefährlich zu flimmern und weiße Punkte tanzten durch die Nacht.
Sie kämpfte mit aller Kraft gegen die Müdigkeit. Ihre Absätze kratzten über den Asphalt im Versuch Halt zu finden.
Ihre Hände ließen von der Schlinge ab und in einem letzten Versuch griff Lotte nach hinten. Sie bekam Haut zufassen und vergrub ihre Nägel darin. Wie ein Ertrinkender, nein, wie ein wildes Tier verkrallte sie sich in ihre Beute. Ein schriller Schrei fand seinen Weg durch das Gespinst des matten Wummern in ihren Ohren in ihr Bewusstsein.
Die Schlinge löste sich. Nur kurz und nur wenig, aber die Ablenkung reichte, um sich von ihrem Angreifer loszureißen. Unsanft landete sie auf dem Boden, Hände und Knie pochten schmerzhaft. Es war jedoch nichts im Vergleich zum Schmerz, der sie durchzuckte, als sie hustend und rasselnd die Nachtluft einzog.
Lotte verlor keine Zeit. Immer noch kriechend robbte sie vorwärts. Egal wohin, Hilfe suchend, Hauptsache weg von hier.Sie war nicht weit gekommen, da presste sie ein Gewicht wieder gegen den Gehweg. Sie hustete.
Der Angreifer war vorgehechtet und warf sie mit dem eigenen Gewicht zu Boden.
Haltsuchend tastete sie über den Asphalt. Ihre Fingerkuppen und Nägel rissen auf, als sie sich versuchte an jeder Unebenheit festzukrallen, vorwärtszuziehen, weg von diesem Monster.«
Du... kommst hier... nicht weg... « Das atemlose Schnaufen war, das Letzte, was Lotte hörte, ehe die Schlinge sich wieder um ihren Hals zog.
Unter würgendem Gurgeln und letztem Zucken spürte sie den heißen Atem an ihrem Hals. Das einzig warme, den der Asphalt entzog ihr jegliche Wärme. Ergeben begrüßte sie die endgültige Schwärze, die die weißen Punkte, das Sirren, die Nacht und den Schmerz verschluckten.
Und es war still.
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