Kapitel 1
„Schätzchen, könntest du vielleicht stehenbleiben, wenn ich mit dir reden will?"
Wütend drehe ich mich um und funkle den Jungen vor mir an. „Ich bin nicht dein Schätzchen, du Arsch. Renn mir nicht ständig hinterher!"
Einige Schüler drehen den Kopf in unsere Richtung, doch sobald sie merken, was hier los ist, wenden sie sich gelangweilt ab und gehen ihren Weg weiter. Kein Wunder, schließlich ist das wohl oder übel zur Gewohnheit geworden. Als unsere ständigen Auseinandersetzungen ihren Anfang fanden, wurden wir von jeden angegafft, aber es hat einfach nicht aufgehört und nun sind wir schlicht und einfach uninteressant geworden.
„Aber ich wollte dich nur fragen, ob du mich am Samstag auf die Geburtstagsfeier meiner Tante begleiten willst. Wir sollen jemanden mitbringen und ich hätte dich echt gerne dabei." Seine braunen Kulleraugen blicken mich unschuldig an, doch das geht mir am Arsch vorbei.
„Wann kapierst du es endlich, Zach?", zische ich und hebe drohend meinen Zeigefinger. „Ich will nichts von dir und das wird sich auch nie ändern. Und jetzt lass mich einfach in Ruhe." Ich sehe das Gespräch oder was auch immer das war als beendet und wende mich zum Gehen, doch der Junge hält mich davon ab, indem er mich an der Taille festhält.
„Au, verdammte scheiße", fluche ich, als sich die altbekannten Schmerzen bemerkbar machen, denn nicht weit von Zachs Hand entfernt ist mein neues Tattoo platziert, das noch immer sehr empfindlich auf Berührungen reagiert.
„Sorry, habe ich dir wehgetan?", sagt Zach schon fast panisch und nimmt seine Hand sofort zurück.
„Dürfte ich mal durch?", unterbricht uns jemand. Sofort blicke ich hoch und ziehe skeptisch meine Augenbrauen nach oben. Vor uns steht Mr. Schulnerd, oder wie andere ihn auch gerne nennen, Isaac. Ich betrachte ihn kurz und stellte das gleiche wie immer fest, wenn er zufällig in mein Blickfeld gerät. Sein blauer Pullover, den er gefühlt immer trägt, wirkt viel zu groß für seinen dünnen Körper. Er rückt sich seine Brille zurecht und deutet auf etwas hinter uns. „Ihr steht vor meinem Spind."
Für einen kurzen Moment verweile ich noch grinsend in meiner Position, eher ich den Kopf schüttle und mich endlich auf den Weg in den Unterricht mache. Der ist mir nämlich um einiges lieber als einen nervigen Zach, der mich irgendwie zu seiner zukünftigen Freundin auserkoren hat. Zu blöd für ihn, dass es nie dazu kommen wird.
„Eines Tages wirst du mich heiraten!", schreit Zach mir hinterher, doch als Antwort bekommt er nur meinen Mittelfinger zu sehen. Dann bin ich auch schon um die Ecke verschwunden und atme erleichtert aus, da ich dieses Theater wenigsten für eine kleine Weile nicht mehr ertragen muss. Ich mache noch einen kurzen Umweg auf die Toilette, um mein Tattoo einzucremen, eher ich mich endlich in den Unterricht begebe. Dort habe ich wenigsten für eine Stunde meine Ruhe.
Als die Schule zu Ende ist, begebe ich mich zum Ausgang und warte dort auf meine Schwester. Währenddessen beobachte ich all die Schüler, die an mir vorbeigehen und verziehe angeekelt das Gesicht, als ich zwei Menschen erkenne, die händchenhaltend aus der Schule spazieren. Die beiden müssen auch immer und überall in der Öffentlichkeit ihre Liebe präsentieren. Als wäre es zu einem Zwang geworden, jedem zu zeigen, wie verliebt sie doch sind.
Mein Blick wandert weiter und bleibt bei Mr. Nerdie hängen, der mit seinen Kumpels irgendwelche Miniroboter nach draußen trägt. Belustigt sehe ich ihnen hinterher. Das passt ja wie angegossen. Ein Nerd, der Roboter baut. Klischeehafter geht es wohl nicht mehr.
„Na, machst du dich schon wieder über alle lustig?", nehme ich plötzlich eine Stimme neben mir wahr und ich zucke erschrocken zusammen.
„Bei dieser Meute kann man gar nicht anders", erwidere ich und blicke meine Schwester an. Genau genommen sind wir sogar Zwillinge, obwohl wir unterschiedlicher nicht sein könnten. Äußerlich, als auch innerlich. Allein schon aufgrund meiner grün gefärbten Haare und den Tattoos, die meinen Körper verzieren, ist eine Verwechslung ausgeschlossen, denn Viola hat ihr natürlich blondes Haar noch nie mit Chemie in Berührung gebracht und auch von Tattoos hält sie sich lieber fern.
Viola schüttelt nur den Kopf. „Komm, lass uns gehen", meint sie und wir verlassen das Schulgebäude.
„Zach will übrigens, dass ich dich überrede, für Samstag sein Date zu sein", erzählt meine Schwester mir auf dem Heimweg.
Genervt stöhne ich auf. „Sag ihm, dass ich liebend gern verzichte. Ich weiß überhaupt nicht, wieso er mir noch hinterherrennt. Immerhin habe ich ihn jedes Mal abgewiesen."
Meine Schwester wirft mir einen vorsichtigen Blick zu. „Vielleicht solltest du ihm eine Chance geben. Er scheint doch ganz nett zu sein."
„Wie oft soll ich es dir noch sagen, Viola? Ich brauche keinen Freund und schon gar nicht Zach. Er ist seltsam", antworte ich augenverdrehend. Wie oft haben wir dieses Thema schon durchgekaut und trotzdem kann sie es nicht lassen. Nur weil sie schon seit zwei Jahren eine perfekte Beziehung mit ihrem perfekten Freund führt, denkt sie, ich kann ohne Beziehung nicht glücklich werden. Dabei bin ich ziemlich zufrieden mit meinem Single-Dasein. Wer braucht schon einen Typen, der dir nur im Weg steht?
„Warum ist er denn seltsam?", fragt Viola nach.
„Weil sein Gehirn anscheinend so klein wie eine Bohne ist. Wieso sonst sollte er nicht kapieren, dass ich nie mit ihm ausgehen werde?", rege ich mich weiter auf.
„Vielleicht weil er dich mag?"
„Tja, das ist sein Problem", meine ich schulterzuckend. Ich kann doch nichts dafür, dass dieser Idiot sich aus welchen Gründen auch immer in mich verknallt hat.
Viola hat es anscheinend aufgegeben, denn sie erwidert darauf nichts.
Zu Hause angekommen ziehe ich mir erstmal mein ungemütliches Oberteil aus, da es sowieso viel zu warm in diesem Haus ist. Das verdanke ich übrigens meiner Schwester, die extrem überempfindlich reagiert, was Kälte betrifft. Deswegen haben unsere Eltern die Heizung trotz meines Protestes raufgedreht. Man sieht also, ich bin eindeutig nicht das Lieblingskind in dieser Familie.
Ich spaziere in die Küche und suche nach etwas Essbarem, doch ich werde von meiner Mutter unterbrochen, die plötzlich in der Tür steht und mich begrüßt. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass sie eindeutig noch nicht zu Hause sein sollte, denn normalerweise kommt sie jeden Tag pünktlich um vier Uhr nach Hause.
„Hallo, was machst du hier zwei Stunden zu früh?", erwidere ich ihre Begrüßung und wende mich wieder dem Kühlschrank zu.
„Paige." Ihr seltsamer Tonfall macht mich stutzig. Ist etwas passiert?
„Was ist das da?", fragt sie mich skeptisch.
Verwirrt drehe ich mich doch wieder zu ihr um und ziehe fragend meine Augenbrauen nach oben. „Wovon redest du?"
Meine Mutter kommt einige Schritte auf mich zu und lässt ihren Blick sinken. „Hast du dir etwa schon wieder ein neues Tattoo stechen lassen?"
Scheiße, das habe ich ganz vergessen. Wieso muss sie heute auch so früh zu Hause sein? „Ich bin 18, Mum", sage ich ruhig, als würde das alles erklären.
„Na und? Du bist viel zu jung, um zu wissen, was du willst. Was ist, wenn es dir in zehn Jahren nicht mehr gefällt? Oder wenn du deswegen einen Job nicht bekommst? Was ist das überhaupt? Dieser schwarze Fleck sieht doch grässlich aus", plappert sie vor sich hin, doch ich höre ihr gar nicht mehr zu. Sie kann sagen, was sie will. Ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen.
„Ich hätte dir das Erste nicht erlauben dürfen, dann hättest du nie mit dem Blödsinn angefangen", murmelt sie vor sich hin und kann es gar nicht fassen, was ich getan habe.
Genervt schnappe ich mir irgendwelche Reste aus dem Kühlschrank. „Das ist nicht dein Problem, okay? Ich bin kein kleines Kind mehr."
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