9 Der Berg der Drachen
Man konnte nicht sagen ich sei nervös.
Das war die Übertreibung des...keine Ahnung ob es einen Ausdruck dafür gab.
Ich schlotterte nur so vor Angst.
Es war nicht schön, zu wissen dass man sowieso verkackte, egal wie gut man geübt hatte oder wie gut man die Forderungen sonst erfüllen konnte.
Das Schulzimmer war völlig leergeräumt worden, nur der Wasserfleck von Vorgestern war noch zu sehen. Ja, Holz vertrug sich nicht so mit Wasser.
An einem langen Tisch sassen die drei Meister und ich stand wunderbar vor ihnen wie auf dem Präsentierteller.
Meine Hände hatte ich verkrampft ineinander verhakt und glaubte auch nicht, sie in nächster Zeit bewegen zu können. Es tat nämlich langsam weh.
„Also Quinn Hale, bist du bereit für die Prüfung?"
Meinte Gendryl freundlich und mit warmer Stimme.
Ich öffnete meinen Mund zu einem heftigen nein, brachte dann aber keinen Ton hervor.
Das brachte mir einen zweifelnden Blick von Caspar ein.
Scheisse.
„Ja gut, dann beginnen wir mal mit dem Test.
Ich möchte von dir dass du eine Flamme herauf beschwörst."
Ermutigend nickend beobachtete mich Meister Kiesel, die anderen zwei waren immer noch nicht sonderlich überzeugt.
Wer konnte es ihnen verdenken, ich sah erbärmlicher aus als ein Sack voller Kartoffeln.
Die waren wenigstens zu etwas gut.
Ich nickte langsam und starrte einfach nur den alten Meister an, von dem ich so hoffte dass er diese Bitte wieder zurück nahm.
„Bist du soweit?"
Fragte Master Emmet nach und seufzte dann.
Ich atmete rief ein und versuchte, die Kraft aus meinem Innern herauf zu beschwören.
Doch es passierte natürlich nichts. Wie voraussehbar.
Zuerst hielten sie ihren Mund, doch als ich nach fünf Minuten mit Tränen in den Augen und mit vor Frust gerauften Haaren immer noch ohne Ergebnis dastand, schob sich Caspar auf seinem Stuhl zurück.
„Ich kann das nicht mehr länger mitansehen. Ich will dass sie geht. Dieses Mädchen ist keine Reiterin, das sieht man doch."
Er wies auf mich und schüttelte das schüttere Haar.
Ich biss mir auf die Lippe um ihn nicht anzuschreien.
Aber der Moment hatte ja sowieso kommen müssen.
„Ich muss Caspar leider beipflichten, ich habe die Mängel bereits im Unterricht bemerkt.
Vielleicht gehört sie einfach nicht hierhin."
Wagte sich nun auch der Pergamentschreiber vor und ich blitzte ihn verzweifelt an.
Er war doch mein Lehrer, es war doch seine Aufgabe mir zu helfen. Nicht mich raus zu schmeissen.
Gendryl nickte nachdenklich, man sah ihm nicht wirklich an wie er davon dachte.
Dann wandte er sich mir zu. Der Erste der mich ansprach und nicht tat als wäre ich nicht hier.
„Möchtest du etwas dazu sagen, Quinn?"
Ich nickte heftig.
Jetzt war es scheiss egal, ich würde fliegen wenn ich nicht endlich mit der Wahrheit heraus rückte, also schlimmer konnte es sowieso nicht werden.
„Ja! Ich schwöre euch ich kann es! Ich kann alles bewegen oder verbrennen was auch immer! Aber ich weiss nicht wieso, es geht nur an einem einzigen Ort."
Caspar schnaufte höhnisch ein und Gendryl lehnte sich vor.
„Wo denn?"
Ich schluckte. Jetzt würde er mich wahrscheinlich gleich eigenhändig raus schmeissen.
Ich wusste ja selbst wie dumm es sich anhörte.
„Nur bei meinem Fenster im Zimmer. Dort wo man auf das verbrannte Land sehen kann."
Meine Stimme wurde immer leiser und ich kam mir immer dümmer vor.
Ich hätte meinen letzten Staubfetzen Ehre zusammenkratzen und gehen sollen, aber ich fand es einfach nicht fair.
„Es ist ja wirklich schon traurig deinen Leistungen eine Beurteilung geben zu müssen Quinn, aber diese Ausrede ist wirklich schlecht. Darüber stehst du doch."
Caspar massierte seine Schläfe und ich presste die trockenen Lippen zusammen.
Ich wusste ja dass sie es lächerlich finden würden.
Emmet seufzte nur und hielt sich raus; während der alte Mann mit den Gletschersee Augen sich langsam vorbeugte.
„Sprichst du die Wahrheit Quinn?"
Fragte er dann und ich setzte an um zu antworten.
„das ist doch völlig belanglos! Wir müssen ihre Abreise planen, so eine Schülerin können wir nicht brauchen. So leid es mir auch tut."
Ja als ob, der Sack war doch froh, mich los zu werden.
Ich schenkte Caspar einen herzlich bösen Blick.
„Nein."
Gendryl schüttelte nachdenklich den Kopf und tippte sich mit den Fingern an seinen kurzen und schneeweissen Bart.
„Nein?"
Kam es aus meinem, Emmets und Caspars Mund wie auf die Sekunde genau.
Ich war zwar positiv überrascht, aber eben...überrascht.
„Nein. Ich möchte dass Quinn hier bleibt."
Caspar schüttelte energisch den Kopf.
„Und wie soll man sie bitte unterrichten? Gendryl bitte lass diese Nummer, es bringt nichts."
Doch der alte Mann liess sich zu meinem Glück nicht abhalten.
Erwartungsvoll schlug ich die Hände vor meiner Brust zusammen und wartete drauf, was er sagte.
„Ich werde sie persönlich unterrichten.
Sie wird dir nicht in die Quere kommen Caspar, falls es das ist was dich stört."
Mit dunkeln Blick krachten die langen Nägel des Angesprochenen auf den Holztisch.
„Es stört mich dass du lieber eine Unwürdige unterrichtest anstatt deine Zeit den echten Reitern zuzuwenden."
Gendryl zuckte nur die gebrechlichen Schultern.
„Ich übernehme die Verantwortung für sie.
Den Rest geht dich nichts mehr an."
Ich spitzte die Lippen ab seinem, plötzlich harschen, Ton.
Auch Caspar liess sich langsam in seinem Stuhl zurück sinken und schüttelte missmutig den Kopf.
„Das Leben straft dich irgendwann für deine Gutgläubigkeit Mein Lieber."
Doch der alte Mann lächelte mich nur verschmitzt an und nickte.
„Hoffentlich doch."
Ich musste leise lächeln und mir wurde warm ums Herz.
Ich würde ihm nie vergessen was er jetzt gerade für mich getan hatte.
„Also darf ich bleiben?"
Fragte ich ganz ausser Atem und Gendryl nickte mir zu.
„Ja, ich informiere dich wann wir den Unterricht starten."
Ich sprang in die Luft zu springen und mich so oft zu bedanken, dass Caspar stöhnend aufstand und mit den Worten „ich brauche eine Pause" den Raum verliess.
Aber Gendryl lächelte mich warm an.
Er glaubte mir, dafür war ich ihm so dankbar.
„Geh jetzt Quinn Hale. Und freue dich darauf, deinen Drachen kennen zu lernen."
Ich nickte und huschte schnell aus dem Raum, bevor er es sich doch noch anders überlegen konnte.
Ich würde meinen Drachen bekommen, ich war wirklich drinnen.
Doch als ich das erzählte erntete ich nur fragende und etwas misstrauische Blicke.
„Wie hat die bitte bestanden?"
War die meist gestellte Frage.
Weil ich es nicht mehr ertragen konnte, verschwand ich irgendwann in meinem Zimmer und widmete mich wieder meinem besten Freund.
Dem Fenster.
☽
Entgeistert starrte mich Kristian an.
„Und er hat wirklich angeboten dich als Mentor zu unterrichten?"
Ich nickte zögernd.
„So genau hat er es nicht gesagt aber ja. Das bringt es etwa auf den Punkt."
Kristian, Ida und ich lehnte an der Wand des Ganges, in dem wir und alle treffen sollten.
Die Aufregung war natürlich gross, wir bekamen jetzt unsere Drachen und das war wohl das grösste Ereignis das man sich vorstellen konnte.
Also ja. Ich war mit den Nerven völlig am Ende.
„Das ist doch toll! Ich freue mich für dich."
Ida grinste breit und umarmte mich zum zehnten Mal.
„Da bist du aber auch die Einzige."
Murmelte ich und linste zu den Tuschelnden andern, die ab und zu zu mir blickten.
„Ach und was ist bitte mit mir?"
Kristian fuhr sich beleidigt mit den Händen durch die platinblonden Haare und lächelte mich aus wässrigen Augen freundlich an.
„Und Finn?"
Ida stupste mich vielsagend in die Seite.
Sofort räusperte ich mich.
„Ich habs ihm erzählt und er hat sich für mich gefreut. Mehr auch nicht."
Das war sogar wahr, als ich es ihm gesagt hatte, war er zuerst auch erstaunt gewesen, dass sich der älteste der Meister so für mich eingesetzt hatte.
Dann aber hatte er gesagt er fände das toll, weil er mich so immer noch sehen konnte.
Und das fand ich irgendwie auch noch recht positiv.
Kristian lächelte.
Und schwieg.
„Also ich bin aufgeregt, wisst ihr wie das abläuft? Und wo genau im Berg leben die Drachen eigentlich?"
Plapperte Ida wieder los und ich stöhnte.
Als ich den Kopf nach hinten kippte, vergass ich dass es Stein war und fuhr fluchend von der Wand zurück.
„Beisst sie? Sieht ja gefährlich aus."
Kam sogleich ein Kommentar von Marie.
„Was macht die eigentlich hier? Ihr Drache liegt doch verletzt irgendwo anders."
Meinte Kristian überaus freundlich und ich zuckte extra auffällig die Schultern.
„Vielleicht will sie sich einen neuen suchen, weil sie mit solch einer Situation einfach nicht klarkommt."
Beipflichtend nickte Ida mir zu.
„Okay das reicht!"
Zischte Marie und stapfte auf mich zu.
Ich war mir ziemlich sicher dass meine Nägel in ihren Augen gelandet wären, wenn nicht Finn um die Ecke gebogen wäre und sich elegant dazwischen manövriert hätte.
Schlauer Junge.
„Also. Ich bin hier um euch euren Drachen finden zu lassen.
Aber bevor wir den anderen Teil des Berges betreten sind einige Regeln, die ihr unbedingt beachten müsst."
Vielsagend sah er uns an.
Alle nickten und ich bemerkte dass ich nicht die Einzige war, die ihn anstarrte.
„Gut. Regel Nummer eins, ihr sprecht nicht. Die Ställe der Drachen sind etwas heiliges, selbst die Reiter reden nur leise mit ihren Tieren."
Notiert. Ich würde kein Wort sagen, nur zur Sicherheit.
Ich wollte ja nicht abgefackelt werden. Schon wieder.
„Regel Nummer zwei, ihr fasst keinen Drachen an und haltet euch immer in der Mitte der Höhle.
Ich werde erklären wie ihr euren Drachen unter all den hunderten findet, aber ihr dürft nur meine Schritte befolgen.
Kapiert?"
Absolut.
Ich war sowas von nervös. Aber auch glücklich, denn so wie Finn erzählt hatte, war es ein Freund oder eine Freundin fürs Leben, die man hier gewann.
„Dann los."
Finn führte die kleine hibbelige Truppe durch den Gang und in zwei Etappen fuhren wir mit dem Lift hinunter.
Mich hielt er extra unauffällig fest, damit ich mich etwas sicherer fühlte.
Dabei klopfte mein Herz ein klein wenig schneller und Idas Augenbrauen begannen wieder so komisch zu wackeln.
Danach führte er uns an den Ställen der Pferde und dem Tor vorbei, durch welches ich gekommen war, als ich noch vor zwei Wochen neu hier war.
Wie schnell die Zeit doch vergangen war...nein. Nicht schnell genug.
Wir liefen bis nach hinten, wo eine leere, grosse Wand stand. Dort öffnete sich ebenfalls ratternd ein Tor.
Das hiess der Stein rollte zur Seite und machte eine runde Öffnung frei, durch welche einer nach dem anderen hindurch stieg.
Zuerst war da nur ein langer Gang, der einige Kurven machte, die Fackeln erhellten es gerade genug damit ich nicht in Kristian vor mir rannte.
Unsere Schritte hallten an allen Ecken wieder und ich fühlte mich gefangen in einem Labyrinth aus Schuhen. Unheimliche Vorstellung, wenn man es so bedachte.
„Bist du bereit?"
Ertönte Finns Stimme hinter mir und sein Atem strich kurz über meinen Nacken.
Gänsehaut pur.
Ich nickte schnell.
„Ja."
Und das war sogar die Wahrheit, ich war noch nie bereiter gewesen, einen Freund oder eine Freundin zu finden wie jetzt.
„Gut. Und hier sind wir."
Ich trat aus dem schmalen Gang und blieb, genau wie alle anderen, mit offenem Mund stehen.
Wir standen am Anfang einer riesigen Höhle, sie schien den ganzen Berg auszuhöhlen, und überall waren Höhlen. Bis hin zur Spitze erstreckten sie sich.
Und dann sahen wir Drachen.
„Im Berg der Drachen."
Es war nicht so majestätisch wie ich es mir vorgestellt hatte.
Ich hatte gedacht die Höhlen würden sich häufen bis an die Spitzen der ausgehöhlten Berge.
Ich dachte dass die Luft dem Rauch weichen musste, der aus Tausenden von Nüstern strömte und die Hitze im Berg ins unendliche trieb, sodass mir der Schweiss nur so hinunterfloss.
Ich dachte ich würde grosse, unbezwingbare Drachen aller Farben sehen, die sich in einem Wirrwarr aus ausgestreckten Flügeln herum bewegten und sich mit ihren schnappenden Kiefern ums Essen stritten.
Aber so war es nicht.
Es war ganz still, einige schuppige Schwänze ragten aus den Höhlen, doch ansonsten war nichts als ein regelmässiges Schnauben zu hören.
„Momentan befinden sich dreiundzwanzig Drachen in den Bergen."
Ich runzelte die Stirn.
„Aber das sind ja gar nicht genug für alle Reiter."
Finn drehte sich zu mir um und legte einen Finger an die Lippen.
Ich lächelte entschuldigend.
Im Flüsterton fuhr er weiter.
„Nicht jeder Drache der zu seinem Reiter gehört befindet sich zwangsläufig hier in den Bergen.
Vor langer Zeit wurden alle übrigen Dracheneier hier versteckt, doch Niemand weiss wo sich die restlichen Drachen aufhalten."
Sein Blick schweifte zu mir.
„Aber du hast recht Quinn, ein Reiter ist immer mit nur einem Drachen verbunden, befindet sich dieser nicht hier, wird er ihn auch nicht finden."
Ich nickte nachdenklich und fragte mich wieso sie so schöne und majestätische Tiere verstecken musste.
Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie einen Drachen gesehen, obwohl so einer doch das Leben eines ganzen Dorfes erleichtern konnte.
Wenn man ihn richtig einsetzte oder so. Keine Ahnung, ich kannte mich mit Drachen nicht aus.
„Stellt euch in einigem Abstand voneinander auf, und dann schliesst die Augen und ruft nach eurem Drachen, aber nur im Kopf! Er wird euch hören."
Aufmerksam trottete ich einige Schritte von den anderen weg, jeder Schritt hallte an den Wänden wieder, an denen sich feines grünes Moos und Rinnsale mit Wasser befanden.
Ich war aufgeregt, vielleicht wüsste ich bald wie es war, einen Drachen zu besitzen.
Ich hatte in meinem Leben noch nie viel besessen, aber ich war mir dennoch ziemlich sicher dass ein Drache kein Besitz war. Aber was war er dann?
In Gedanken versunken stand ich da, beobachtete die anderen neun Anfänger, wie sie mit angestrengten Gesichtern die Augen zusammenkniffen als müssten sie alle dringend aufs Klo.
Ich musste Grinsen.
Doch tatsächlich begann sich etwas in der Höhle zu regen.
Grosse, monströse Köpfe mit Hörnern oder kleine schmale mit langen, spitzen Zähnen erschienen an den Eingängen der Höhlen.
In wenigen Sätzen krachten ihre Pranken auf den Boden und brachten meine Füsse zum zittern.
Sie waren gross, aber wirkten so, als wären sie nicht voll ausgereift. Ihre Körpermasse stimmten nicht ganz. Einer hatte zu grosse Pranken aber dafür zu dünne Beine oder einen zu grossen Kopf für den Rest seines Körpers. Wer weiss, vielleicht lag es daran dass sie seit Jahren in einem Berg eingesperrt wurden. Der Grund dafür war mir auch eher unklar.
Trotzdem minderte das nicht ihre Kraft.
Legten sie ihre Flügel an, traf mich ihr Windstoss und wehte mich beinahe davon.
Ich wich nur Knapp einem langem Schwanz aus, der hin und her peitschte, während einer der Jungs mit grossen Augen in das Gesicht seines Drachen starrte.
Ich zählte fünf Drachen, den roten, mit welchem ich bereits Bekanntschaft gemacht hatte, nicht mitgezählt.
Dann war ich wohl auch mal dran.
Ich schloss die Augen und atmete tief ein.
Ich wartete bis ich meinen Herzschlag in den Ohren hören konnte und mein Atem flach über meine Lippen glitt.
Bis ich meinen Kopf komplett gelehrt hatte und mich auf die Stille, die mich plötzlich umgab konzentriert hatte.
Dann rief ich, laut in meinen Gedanken in diese Leere hinein.
„Drache!"
Meine Worte hallten an den Wänden meines Kopfes wieder, bildeten ein Echo und hörten sich an als würden sie vom Winde fortgetragen werden.
Doch irgendetwas musste schief gelaufen sein.
Da kam kein Drache.
Und nicht nur das, eine plötzliche Unruhe rauschte über die Drachen.
Die in ihren Höhlen verbliebenen Drachen begannen die Köpfe herauszustrecken und schreckliches gequältes Gebrüll auszustossen.
So laut dass es in meinen Ohren dröhnte und ich sie mir zuhalten musste.
Auch die fünf Drachen die sich unter uns Schülern befanden, begannen den Hals hin und her zu schwingen und unruhige Schritte hin und her zu machen. Als würden sie plötzlich von etwas enorm beunruhigt sein.
Es war wohl schlechter Zufall dass ihr Verhalten zeitlich mit meinem kläglichen Ruf nach einem, mir zugeteilten, Drachen zusammenfiel. Ich glaubte nicht an Zufälle.
Ich schluckte und zog mich leise und möglichst unauffällig einige Schritte zurück.
Auch die anderen möchtegern Reiter wichen den vereinzelten kleinen Felsbrocken aus, die mit kleinen Knallen auf den Boden prallten und dort zu staubigem Sand zerfielen.
„Alles in Ordung, macht keine Ruckartigen Bewegungen, klar?"
Finn hob beruhigend die Arme, was aber weder Drachen noch Reiter sonderlich beruhigten.
Ich drückte mich an die Felswand sodass sich mir spitze Steine in den Rücken gruben.
Wieso reagierte mein Drache nicht? War er womöglich nicht zu finden gewesen und deshalb nicht hier, so wie Finn gesagt hatte?
Nein das durfte nicht sein, ich hatte nicht all diese Veränderungen auf mich genommen nur um zu erfahren dass ich eine drachenlose Reiterin werden sollte, der es zudem an magischen Fähigkeiten mangelte.
Ich musste es erneut versuchen.
„Drache! Wo bist du?"
Ich versuchte den Worten in meinem Kopf mehr Platz einzuräumen. Vielleicht hörte er sie dann.
Kaum hatte ich daran gedacht, ging das Geschrei erneut los und einige der Drachen, die sich senkrecht an den Felsmauern festgeklammert hatten brüllten, schüttelten die langen Hälse und schwangen sich dann in die Luft.
Mächtige Luftstösse erfassten das innere des Berges und drohte mich, als auch den Rest von den Füssen zu wischen.
„Scheisse..." murmelte ich. Das lag definitiv an mir, dass die jetzt alle so durchdrehten. Nicht einmal die Drachen konnten mich leiden. Na super.
Flügel krachten ineinander, einige Drachen taumelten zu Boden, zerstampften uns beinahe mit ihren riesigen Pranken, nur um sich dann schnellstmöglichst wieder in die Luft zu schwingen.
Weg von mir wahrscheinlich. Es war einfach zu wenig Platz im Berg für eine Massenpanik.
Für die ich offenbar der Grund war.
Finns Blick traf auf mich, während er versuchte die anderen Schüler aus der Gefahrenzone zu schubsen.
Ich sah ihn mit meinem besten entschuldigenden Blick an. Und den hatte ich wirklich drauf, denn es kam nicht selten vor, dass ich in meinem Dorf etwas angestellt hatte.
Er kapierte sofort was Sache war und riss mich eher unsanft von meiner Nische weg, sodass ich Richtung Ausgang stolperte.
„Du musst hier verschwinden Quinn."
Ich riss verzweifelt den Mund auf.
„Aber ich hab doch gar nichts gemacht ich schwöre!"
Er schüttelte ratlos den Kopf und liess den Blick über die alarmierten Drachen schweifen, die sich nun langsam in ihre Höhlen zurück zogen.
„Ich weiss nicht was du getan hast, Quinn. Aber wir sollten jetzt ohne dich weitermachen, es tut mir wirklich leid."
Jetzt war er dran mit einem wirklich meisterhaften entschuldigenden Blick.
Doch dieser tat seine Wirkung nicht. Das war alles so verdammt unfair.
Wütend machte ich mich auf den Weg zum Ausgang und musste schmerzhaft feststellen, dass der Lärm abnahm mit jedem Schritt den ich vom Ort des Geschehens weg tätigte.
★
Den Rest des Tages hatte ich jeden Menschen im Berg gemieden so gut es ging.
Sogar mit Ida und Kira hatte ich kein Wort mehr gewechselt.
Ida hatte einen eleganten, gelblich verfärbten Drachen mit langen Schnurrhaaren bekommen und selbst Kira hatte ihren Seelenverwandten gefunden.
Nur ich nicht. Und einige andere Unglückliche vielleicht noch.
Missmutig hatte ich in meinem Bett gehockt und hatte die Briefe meiner Tante gelesen. Beinahe täglich schickte sie mir welche und informierte mich über jede Einzeltheit, die im Dorf geschah.
Wer geheiratet hatte, wo Nachwuchs auf dem Weg war und wer wieder die Heuballen als Spielzeug missbraucht hatte. Ja so normal hatte mein Leben früher auch ausgesehen. Und ich hatte die Möglichkeit dahin zurück zu kehren.
Doch das wollte ich nicht, auf keinen Fall. Ich hatte noch nicht aufgegeben.
Also griff ich nach Pergament und Tinte und schrieb Selene zurück, von den Dingen die hier geschahen und heulte mich bei ihr aus. All meine Sorgen wegen meinen mangelnden Fähigkeiten und meine Angst nie einen Drachen zu finden.
Gerade hatte ich unterzeichnet und die Tinte vorsichtig zurück auf den Nachttisch gestellt als es klopfte.
„Nein!"
Rief ich bockig und zog die Decke zum Schutz etwas höher.
„Ich bins, Finn. Kann ich reinkommen?"
Ich seufzte und nickte dann. Dann fiel mir ein dass er das nicht hören konnte und gab einen zustimmenden Laut von mir.
Daraufhin öffnete sich die schwere Holztüre und Finn lehnte sich an den Rahmen.
Seine himmelblauen Augen faszinierten mich noch genauso sehr wie damals, als er mich durch das halbe Dorf verfolgt hatte. Sie waren wirklich sehr schön.
„Störe ich?"
„Ja."
Belustigt hob er eine Braue.
„Hör zu, ich denke ich weiss wieso du deinen Drachen nicht gefunden hast."
Ich horchte auf.
„Und wieso das bitte Herr Schlaumeier?"
Fragte ich spitz zurück und er schloss die Türe hinter sich, blieb aber abgelehnt dort stehen.
Als wollte er sicher gehen dass ich ihm nicht aus Lust und Laune die Augen herauskratzte.
„Ich habe kombiniert."
Er verdrehte ebendiese und ich seufzte.
„Also, du hast deinen Drachen innerhalb des Berges nicht gefunden, genauso wie auch deine Magie hier nicht wirkt.
Das heisst dein Drache kann nicht hier sein."
Ich schnaubte.
„Wow, als ob ich nicht auch bereits selbst zu der Erkenntnis gelangt wäre. Vielen Dank auch, Finn."
Er machte eine verärgerte Bewegung.
„Ich bin noch nicht fertig Quinn. Ich denke du hast deinen Drachen schon gefunden."
Da wusste er aber mehr als ich.
Meine Braue hob sich zweifelnd.
„Ja! Denk nur an Kaschmir, er hätte dich zu Asche verbrannt, doch etwas tauchte auf um dich zu retten. Und zwar auf der Seite des Berges wo auch das verbrannte Land liegt. Und auf welcher Seite deine Magie plötzlich funktioniert..."
Er wartete darauf, dass bei mir der Groschen fiel.
„Du...meinst doch nicht etwa dass das ‚Biest' dass Kaschmir angegriffen hat mein Drache sein soll?"
Er nickte vielsagend.
„Genau das denke ich."
„Und wieso ist mein Drache dann auf der falschen Seite des Berges?"
Finns Augen strahlten vor Abenteuerlust. Irgendwie süss.
„Wir gesagt, die Reiter konnten nie alle Dracheneier retten. Niemand weiss wo all die anderen Drachen geblieben sind, oder wie viele es noch von ihnen gibt. Vielleicht wurde dein Drache einfach auf der falschen Seite des Berges geboren. Und deine Magie folgt nunmal ihm."
Ich schnaubte. Das war doch völlig absurd.
Aber eben leider auch die einzig logische Erklärung.
„Und was mache ich jetzt?"
Fragte ich, als wir eine weile schweigend beide den Boden angestarrt hatten.
Über Finns Lippen huschte ein Lächeln.
„Ganz einfach, er hat dich bereits entdeckt, also musst du ihn nur noch suchen gehen."
Das hatte ich befürchtet.
„Das heisst also ich soll das grösste Verbot missachten dass diese Schule hat und das verbrannte Land betreten?"
Finn zuckte die Schultern.
„Das habe ich nicht gesagt, aber du solltest bald einen Weg finden. Ich mag dich und will dass du hier bleibst, aber Gendryl kann dich nicht ewigs vor Caspars Missgunst beschützen."
Er wandte sich zum gehen und ich blinzelte. Mein Herz schlug ein klein wenig schneller.
„Du magst mich?"
Fragte ich mit piepsiger Stimme nach.
Ich wusste dass er grinste, auch wenn er mir den Rücken zugedreht hatte.
„Gute Nacht Quinn, schlaf gut."
Meinte er dann und die Türe fiel mit einem Rums hinter ihm ins Schloss.
Ich seufzte. Na super. Was für ein beschissener Tag auch. Da ich beschloss, nun nicht weiter darüber nachdenken zu wollen, mir aber bewusst war dass ich das nicht einfach so schaffte, ging ich schlafen. Nicht einmal Kira war wieder zurück, und ich stand in meinem schmuddeligen Pijama bereit, mich unter die kuschlige und warme Decke zu legen. Da es mir natürlich nicht wie Ida möglich war, das Licht mit einem Fingerschnipsen auszumachen, lief ich hin und wieder zurück, wie ich es auch all die Jahre zuvor gemacht hatte. Als ich noch ein normales Dorfmädchen mit keinem besonders spannenden, aber entspanntem Leben gewesen war. So schlimm war es gar nicht, nicht zaubern zu können. Zumindest nicht in meinem Heimatsdorf. Dieses trug soweit ich weiss nicht einmal einen Namen, denn ich hatte nie über die Grenzen des kleinen Dorfes hinausgehen dürfen. Ich wusste also nicht einmal, wie viele andere Dörfer oder vielleicht sogar Städte noch existierten. Vielleicht konnte mir ja Gendryl morgen bei unserem Privatunterricht mehr dazu sagen, wenn ich ihn ganz lieb fragte. Aber ich wollte es mir auch nicht mit ihm verscherzten, schliesslich war er der Einzige unserer Lehrer, ja vielleicht sogar der Einzige im gesamten Berg, der die Hoffnung in mich noch nicht aufgegeben war. Na gut, da waren noch Kira, Ida und vielleicht auch Finn. Aber sie alle waren normale, drachenfindende und mit Zauberkraft beschenkte Glückspilze, also verstanden sie mich wahrscheinlich auch nicht ganz. beim Gedanken an Finn wurde mir warm ums Herz. Ich mochte ihn, es war süss wie er versuchte, mich zu ermutigen und sogar zu verteidigen. ich seufzte und schob meine eiskalten Zehen genüsslich unter die warme Decke. Dann kuschelte ich mich tief in mein flauschiges Kissen und versteckte mich somit vor allem Ärger und allen Problemen, die der heutige tag für mich bereit gehalten hatte. Ziemlich schnell fielen mir die Augen zu, denn auf einmal wurde ich in tiefen Schlaf gezogen. Dieser währte aber nicht sonderlich lange. Denn auf einmal ging ein Ruck durch meinen Körper und es fühlte sich an, als würde mich irgendetwas von weit weg wieder zurück in meinen Körper ziehen. ich hatte das Gefühl zu fallen und dann prallte ich mit einem knall auf den imaginären Boden. Ich zuckte zusammen und schlug die Augen abrupt auf. Mein Atem ging schnell, mein Herz schlug doppelt so schnell dadurch, dass ich mich so unerwartet erschreckt hatte. Alarmiert sah ich mich im kleinen Schlafsaal um. Es war dunkel und auf den beiden anderen betten konnte ich die Umrisse meiner zwei schlafenden Mitbewohnerinnen ausmachen. Ich konnte sogar ihre regelmässigen Atemzüge hören, während die meinen gehetzten Lippen entflohen, als würden sie vor etwas weglaufen. Dummer Gedanke. Ich gähnte und streckte mich herzhaft, während ich einzuordnen versuchte, wie lange ich wohl schon geschlafen hatte. Dann knallte plötzlich etwas ans Fenster, was ich aber nur aus den Augenwinkeln wahrnahm. ich zuckte zusammen und verharrte bewegungslos an der Stelle. Auf einmal war mir eiskalt und mein Herz begann kräftiger zu schlagen. Ich horchte dem Echo der Erschütterung und beobachtete die zwei schlafenden Mädchen. Sie hatten wohl nichts bemerkt, sie schnarchten weiterhin seelenruhig vor sich hin. ich sog langsam die Luft ein, schloss die Augen und versuchte nebenbei meinen Herzschlag wieder etwas unter Kontrolle zu bringen. dann sammelte ich all meine Brocken Mut zusammen, die ich finden konnte und drehte langsam den Kopf zum Fenster, bevor ich die Augen langsam öffnete und zwischen den Wimpern herausschielte. Vor dem grossen Fenster war nichts als undurchsichtiger Nebel, der sich wie kleine Rauchschwaden entlang des Glases bewegte. Es sah aus als würden sie tanzen. Erleichtert öffnete ich die Augen ganz und schüttelte den Kopf. Ich musste wohl einfach verrückt geworden sein. Aber irgendetwas in meinem Inneren drängte mich, diesen Gedanken nicht zu akzeptieren. Etwas war da. Und dieses etwas spürte ich genau. Mehr schlafwandelnd als bei vollem Verstand schob ich die Beine seitlich vom Bett und tappte über den eiskalten Boden. meine haare hingen mir über die Schultern und in meinem hellen Schlafanzug sah ich wohl aus wie ein Geist. So fühlte ich mich gerade auch. Als würden meine Gedanken von einem unaufhaltsamen Drang kontrolliert, dieses Fenster zu erreichen. Meine Füsse bewegten sich ganz von selbst und ich schwebte auf das saubere Glas zu. Dann atmete ich langsam aus, das Glas der Scheibe wurde beschlagen. Wie in Trance beobachtete ich das und wischte dann vorsichtig mit der Hand meinen Atem von der Scheibe. Es war kühl und auf einmal begann meine Hand zu kribbeln. keine Sekunde später knallte es erneut und ein Ruck ging durch die Scheibe. von meiner Hand aus breiteten sich feine Risse aus und erstreckten sich bald über das ganze Glas. Mit grossen Augen beobachtete ich den Vorgang. Und ich war mir sicher dass das nicht ich gewesen war.
Was könnte nun wohl passieren?^^ ich hoffe euch gefällts und nur damit ihrs wisst, wir stehen noch am Anfang einer groooossen Geschichte :)
Viel Spass beim Weiterlesen! ♡
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