Kapitel 5
Ich wusste nicht, wie lange ich weinend auf dem Küchenboden saß, jedoch kam es mir vor, als hätte ich schon eine ganze Ewigkeit dort gehockt. Irgendwann hörte ich auf, Tränen zu vergießen und fühlte plötzlich nichts mehr. Mir schien, als sei die Zeit stehen geblieben und als würde das Leben an mir vorbeiziehen. Trotzdem wollte ich unter keinen Umständen von Viola losgelassen werden und drückte mich fester an sie. Ich hatte mein Gesicht in ihr Nachthemd vergraben, dessen Stoff wegen meiner Tränen ganz nass geworden war. Regungslos saß ich da, während sie schweigend meinen Kopf streichelte. Mir schien es, als wüsste sie nicht, was sie mir sagen sollte. Diese Situation war viel zu absurd, um irgendwelche passenden Worte finden zu können.
Wenig später vernahm ich Schritte und Stimmen, die sich schnell der Küche näherten. „Grace, hör mir bitte zu. Wir müssen gehen, die Polizei ist soeben eingetroffen. Komm, wir wollen sie nicht bei ihrer Arbeit stören.", sagte Viola und ließ mich los. Sie lächelte mich schwach an und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. „Na komm, wir beide gehen nun an einen Ruhigen Ort. Was hältst du davon?" Sie stand auf. Ich wusste nicht, warum, jedoch war ich völlig unfähig, mich auch nur einen Millimeter zu rühren. Viola nahm meine Hände in ihre und zog mich mit einem Ruck auf die Beine. Es kam mir vor, als würde ich alles wie im Traum wahrnehmen und wusste nicht, ob ich wach war oder mir alles nur einbildete. „Was haben Sie hier zu suchen? Dies ist ein Tatort, verlassen sie ihn auf der Stelle!", befahl eine mir unbekannte, männliche Stimme. Diese kam mir unendlich weit entfernt vor. „Wir wollten sowieso gehen.", antwortete Viola gelassen. „Wer sind Sie überhaupt?", fragte die Person, die sich als ein junger Polizist entpuppte. Seine dunkelbraunen Augen musterten uns misstrauisch. „Mein Name ist Viola Carpenter und meine Freundin heißt Grace Dashwood. Sie ist diejenige, die das Opfer aufgefunden und ich bin die, die Sie verständigt hat.", erklärte sie. Der Polizist atmete erleichtert auf, musterte mich anschließend besorgt. „Miss Dashwood, geht es ihnen gut?", fragte er. Seine Stimme klang nun sanfter und nicht mehr so aggressiv wie zuvor. Ich wollte ihm antworten, jedoch bekam ich keinen einzigen Ton heraus. Es fühlte sich an, als hätte meine Stimme mich verlassen. Der Polizist kam ein Paar Schritte näher, während seine Kollegen den Raum absicherten. „Miss Dashwood?", hakte er nach, was mir völlig sinnlos erschien. „Kommen Sie, ihre Freundin braucht umgehend frische Luft." Er bedeutete Viola, ihm zu folgen. Erneut gingen wir durch die Küche, da dies der kürzeste Weg ins Freie war. Kurz darauf spürte ich die kalte Nachtluft in meinem Gesicht, was mich aber leider nicht zu mir kommen ließ. Direkt neben der Tür befand sich eine Bank, auf die Viola und ich uns hinsetzten, während der Polizist sich vor mich hinkniete. „Ich vermute ganz, dass ihre Freundin einen gewaltigen Schock erlitten hat, Miss Carpenter.", sagte er. Viola legte ihren Arm um meine Schultern. „Grace, sag doch etwas!" Man konnte aus ihrer Stimme pure Verzweiflung heraushören. Ich hätte am liebsten geschrien, geweint, all meinen Gefühlen freien Lauf gelassen, jedoch ging es einfach nicht. Ich wusste nicht, was mit mir passierte, was mir einen noch größeren Schrecken einjagte. Das einzige, wozu ich in diesem Moment noch fähig war, war, stumm in die Ferne zu starren und irgendwie versuchen, das Geschehene zu verstehen und einzuordnen. „Wissen Sie zufällig, ob Miss Dashwood irgendwelche psychischen Probleme hat?", fragte der Polizist. Viola nickte. „Grace hat in der Vergangenheit mit krankhaften Ängsten und sehr schlimmen Angstanfällen gekämpft, jedoch geht es ihr schon viel besser. Diese haben Depressionen mit sich gebracht, aber diese hat sie ebenfalls überwunden und diese haben sich auch nie wieder gezeigt.", erklärte sie. Er nickte verständnisvoll. „Deswegen hat es ihr wohl sehr zugesetzt, diese junge Frau vor sich sterben zu sehen." Plötzlich konnte ich von einer Sekunde auf die nächste erneut fühlen. Ich spürte, wie mein ganzer Körper zu kribbeln begann und ich schaute panisch um mich. Ich fing an, lauter als gewollt zu hyperventilieren und mir liefen dicke Tränen übers Gesicht. „Miss Dashwood, können Sie mich hören?", fragte der junge Polizist besorgt. Ich nickte, worauf Viola erleichtert aufatmete. „Es ist alles meine Schuld! Hätte ich mich bloß beeilt, dann hätte Dolores überlebt.", schrie ich, worauf ich unkontrollierbar schluchzte. Viola legte erneut ihren Arm um mich und wollte mich in eine Umarmung ziehen, jedoch wehrte ich mich und sie ging auf Abstand. „Es ist nicht deine Schuld! Du hast versucht ihr zu helfen, jedoch war es schon zu spät. Niemand hätte sie noch irgendwie retten können, Dolores war viel zu schwer verletzt.", sagte sie. Der Polizist nickte. „Miss Carpenter hat Recht. Sie haben sich wirklich heldenhaft verhalten und haben keinerlei Schuld an dem, was passiert ist. Der Einzige, der Schuld daran hat, ist einzig und allein der Täter.", sagte er. Obwohl es beide mit ihren Worten gut meinten und mir helfen wollten, fühlte ich mich kein Bisschen besser. In diesem Moment ging die Tür auf und ein weiterer Polizist kam nach draußen. „Officer Adams, Inspektor Moseby möchte Sie augenblicklich sprechen." Officer Adams nickte und stand auf. Er lächelte Viola und mich schwach an. „Ich weiß genau, wie Sie sich fühlen. Jemanden sterben zu sehen ist schrecklich und nicht einfach zu verdauen. Ich wünsche ihnen alles Gute.", sagte er und verschwand ins Innere. Ich wischte mir meine Tränen weg und schaute zu Viola. „Komm, wir gehen auch. Hier ist es nämlich sehr kalt und ich möchte unter keinen Umständen, dass du dich erkältest.", sagte sie und stand auf.
Officer Adams hatte uns die Erlaubnis erteilt, uns zurückzuziehen. Viola hatte sich dazu entschieden, dass wir uns in mein Schlafzimmer begeben würden und hatte auf dem ganzen Weg dorthin meine Hand gehalten.
Sie schloss die Tür hinter uns, während ich mich auf mein Bett setzte. „Ich werde heute Nacht bei dir schlafen. Es geht dir sehr schlecht und du könntest die Gesellschaft wahrscheinlich gut gebrauchen. Außerdem würde ich es nicht übers Herz bringen, dich in diesem Zustand alleine zu lassen.", kündigte sie mir an. Viola bedeutete mir, aufzustehen. Ich gehorchte, während sie das Bett vorbereitete. Es wäre mir in diesem Moment viel lieber gewesen, wenn Winnie oder Edward bei mir übernachtet hätten. Dies hätte mir den zusätzlichen Ärger mit meinen Gefühlen erspart und ich hätte mich ohne große Mühe sicherer und ruhiger Gefühlt. Aber ich konnte die Situation leider nicht ändern und musste mich damit abfinden, dass Viola auf mich aufpassen wollte.
Diese legte sich hin, breitete ihre Arme aus und musterte mich erwartungsvoll, wobei ihre Augen im Kerzenschein golden glänzten. „Na komm, leg dich hin." Sie klopfte auf die Matratze, während ich unsicher neben dem Bett stand. „Ich will dir doch bloß helfen! Es könnte dir wirklich besser gehen, wenn du jemanden bei dir hast." Ich seufzte. „Viola, ich weiß ja, dass du es gut mit mir meinst, jedoch ist es nicht so einfach. Heute Nacht ist ein unschuldiges Mädchen vor meinen Augen gestorben und das unter schrecklichen Umständen! Dolores wurde ermordet, hörst du? Ermordet! Dies ist genau die Art und Weise, auf die niemand sterben sollte. Zudem war sie erst neunzehn Jahre alt, was viel zu jung zum Sterben ist.", sagte ich, während mir erneut die Tränen kamen. Trotzdem gab ich nach und legte mich neben Viola ins Bett. Ich hielt jedoch Abstand zu ihr, weil ich eigentlich keine Lust dazu hatte, in ihrer Nähe zu sein. Sie deckte mich zu und schaute mich besorgt an. „Ich habe mich noch nie so schrecklich gefühlt! Ich habe das Gefühl, dass ich sie wirklich hätte retten können und dass sie meinetwegen gestorben ist. Wir waren die einzigen, die ihr hätten helfen können und wir haben es nicht geschafft. Außerdem verstehe ich nicht, warum mich ihr Tod so mitnimmt. Ich habe sie doch kaum gekannt.", schluchzte ich. Viola zog mich in eine Umarmung, gegen die ich mich nicht wehrte. Es ging mir so schlecht, dass ich mich sogar gegen sie nicht wehrte. „Obwohl ich jetzt nicht in deiner Haut stecke, kann ich dennoch nachvollziehen, wie du dich fühlst. Ich habe sie nämlich auch dort liegen gesehen, aber nicht lange genug, dass die Erinnerungen mich eine Zeit lang verfolgen werden. Es ist keine Schande, zu trauen, denn Dolores hat wirklich nichts von alldem, was ihr widerfahren ist, verdient. Du musst aber nicht alleine damit kämpfen. Ich bin immer für dich da, Edward, Winnie und die anderen auch.", sagte sie. Obwohl ich nicht bei ihr sein wollte, war ich schlussendlich doch froh, sie bei mir zu haben. „Wir sollten versuchen, uns etwas auszuruhen, morgen wird nämlich ein anstrengender Tag. Ich bin davon überzeugt, dass wir befragt werden.", sagte Viola. Ich nickte und schloss die Augen. Violas Plan klappte leider überhaupt nicht, da mich die Ereignisse zu sehr aufwühlten.
Nach einer unendlich langen Nacht schlug die Standuhr endlich 8:00 und es war höchste Zeit für mich, aufzustehen. Ich hatte die ganze Nacht lang kein Auge zugemacht und fühlte mich noch schrecklicher als am Abend zuvor. Ich fühlte mich, als ob ich nun ebenfalls gestorben wäre. Eine der schlimmsten Nächte meines Lebens hatte soeben ein Ende genommen, was mich trotz der unerträglichen Müdigkeit sehr freute. Es freute mich ebenfalls, dass Viola mich die ganze Nacht nicht losgelassen hatte. Obwohl ich mich anfangs dagegen gewehrt hatte, hatte es mir trotzdem gut getan, die Nacht nicht alleine verbringen zu müssen.
Ich drehte den Kopf zu ihr und merkte, dass auch sie hellwach war. Ihre braunen Augen waren von dunklen Schatten umgeben, die mir verrieten, dass sie ebenfalls die ganze Nacht nicht geschlafen hatte. Sie schaute mich an und lächelte müde. „Guten Morgen. Konntest du etwas schlafen?", fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Sobald ich meine Augen schließe, spielen - ach, es spielt keine Rolle. Jedenfalls bin ich sehr glücklich, dass es nun hell ist." Viola gab mir einen Blick, der mir verriet, dass sie genau wusste, was in mir vor sich ging. Sie wendete sich dann trotzdem von mir ab und setzte sich aufrecht ins Bett. „Wir beide stehen zuerst einmal auf und ziehen uns an. Wenn du möchtest, kann ich dich frisieren.", bot Viola an, jedoch ging ich nicht darauf ein. Anschließend stand sie auf, worauf ich mich hinsetzte und ihr dabei zusah, wie sie ihre Anziehsachen aufs Bett legte. Sie wollte gerade ihr Nachthemd vor mir ausziehen, als ich sie sofort stoppte. „Was machst du da?", fragte ich panisch. Scheinbar hatte sie solch eine Reaktion meinerseits nicht erwartet und schaute mich erschrocken an. „Was ist denn los?", fragte sie, scheinbar nichtsahnend. Ich seufzte. „Dieses Zimmer besitzt ein Badezimmer, weißt du. Es befindet sich hinter dieser Tür." Ich zeigte auf die hölzerne Tür, die sich wenige Meter hinter ihr befand. Sie drehte sich zunächst zur Tür um, dann zu mir. „Ich verstehe ja, dass du ziemlich offen bist, jedoch ist dafür der Zeitpunkt wirklich der falsche. Entweder du ziehst dich im Badezimmer um, oder ich tue es. Ich möchte bloß nicht, dass irgendjemand irgendwen entkleidet zu Gesicht bekommt. Nicht heute.", erklärte ich hektisch, während ich aufstand und einige Anziehsachen zusammenkratzte. „Aber Grace, ich verstehe dein Problem nicht. Glaube mir, wir haben uns gegenseitig schon oft in viel unangenehmeren Situationen erlebt. Erinnerst du dich noch an die Nacht, in der du mir-„ Ich bedeutete ihr mit einer hektischen Handbewegung, ruhig zu sein, während ich spürbar errötete. Ich konnte es nicht fassen, dass sie es wagte, darüber zu sprechen! „Ja, ich erinnere mich daran. Ich erinnere mich ebenfalls daran, dass wir uns gegenseitig versprachen, nie wieder darüber auch nur ein Wort zu verlieren! Es war extrem unfair von dir, gerade diese Situation als Beispiel zu nennen.", regte ich mich auf, während Viola ihr Lachen unterdrückte. „Viola, du weißt ganz genau, dass man so etwas nicht kontrollieren kann! Hör auf, dich darüber lustig zu machen. Lass mich dir nun einen deiner unangenehmsten Momente in Erinnerung rufen: Weihnachtsball 1887. Die kleine Viola trinkt sich heimlich die Birne weich und übergibt sich anschließend vor der ganzen Familie auf die teure Hauspflanze meiner Großmutter." Bei der Erinnerung konnte ich ein Grinsen nicht unterdrücken. Ich konnte mich noch daran erinnern, als sei es gestern gewesen: Viola schämte sich dafür so sehr, dass sie zwei Tage ihr Zimmer nicht mehr verlassen hatte. „Ich hatte nun meine Rache, jetzt gehe ich mich umziehen.", sagte ich und verschwand ins Badezimmer.
Wenig später standen wir fertig angezogen und frisiert in meinem Schlafzimmer. Sobald ich den Raum betrat, musterte Viola mich von oben bis unten und lächelte dabei breit. „Schön siehst du aus!" Ich brachte nichts anderes als ein verlegenes Grinsen zustande, während eine verlegene Stille zwischen uns eintrat. „Möchtest du frühstücken? Du stirbst bestimmt bald vor Hunger.", brach Viola irgendwann das Eis. Als das Wort „frühstücken" fiel, wurde es mir flau im Magen. Ich war davon überzeugt, dass sich die gestrigen Ereignisse wie ein Lauffeuer verbreitet hatten und jeder bescheid wusste. Ich fühlte mich nicht in der Lage dazu, schon so früh am Morgen meiner Familie und deren vielen Fragen zu den Geschehnissen gegenüberstehen zu müssen. Viola merkte sofort, was los war. „Wenn es dir recht ist, könnten wir woanders essen. Ich weiß zwar nicht, wo, doch es lässt sich bestimmt einen ruhigen Ort finden. Ich kann versuchen, unauffällig Brötchen und etwas Marmelade auch der Küche zu schmuggeln, oder ich könnte Sebastian darum bitten, uns ein paar Butterbrote zu schmieren. Eine Alternative lässt sich bestimmt finden." Ich starrte stumm in eine Ecke. Es rührte mich sehr, dass sich Viola um mich kümmern wollte, jedoch kam ich mir dabei wie eine einzige Last vor. „Grace, ich weiß, was du denkst. Du bist keine Last, ganz im Gegenteil. Ich möchte dir wirklich helfen, denn ich hasse es, dich in diesem Zustand zu sehen. Falls es dir hilft, kann ich den anderen auch eine Ansage machen, dass sie dich gefälligst mit ihren Fragen in Ruhe lassen sollen." Sie schaute mich erwartungsvoll an. „Könnten wir es so machen? Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht.", sagte ich. Sie nickte energisch. „Da dies nun geregelt ist, können wir essen. Es wird dir bestimmt guttun, etwas zu dir zu nehmen.", sagte Viola lächelnd und griff nach meiner Hand. Sofort machten wir uns auf den Weg.
Unserem Weg wurde aber wenig später schon ein Ende gesetzt, da uns Officer Adams begegnete und uns anhielt. „Miss Dashwood, genau Sie brauche ich. Inspektor Moseby führt die Befragungen durch und er wollte mit ihnen beginnen.", erklärte er. Ich schaute panisch zu Viola. „Ja, natürlich.", stammelte ich. Obwohl ich von Anfang gewusst hatte, dass ich befragt werden musste, hatte ich trotzdem große Angst davor. Neue, unbekannte Situationen stellten für mich immer ein großes Problem dar und waren eng mit Ängsten verbunden. „Wäre es möglich, dass ich euch begleite? Miss Dashwood fühlt sich in unbekannten Situationen nämlich sehr unwohl, vor allem, wenn sie ihnen alleine gegenüberstehen muss.", fragte Viola sofort. Officer Adams nickte. „Natürlich, aber sie müssen leider draußen warten. Inspektor Moseby sieht es nämlich nicht gerne, wenn befragte Personen von irgendjemandem begleitet werden.", erklärte der junge Polizist. Er wendete sich nun mir zu: „Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde die ganze Zeit bei ihnen sein. Sobald irgendetwas vorfällt, werde ich einschreiten und ihnen helfen. Solange ich da bin, kann ihnen nichts passieren, das verspreche ich ihnen." Ich nickte. Seine Worte beruhigten mich ein Wenig und ich war bereit dazu, mich auf den Weg zu meiner Befragung zu machen.
Kurz darauf hatten wir unser Ziel erreicht. Die Befragungen wurden im Wohnzimmer abgehalten, was mich komischerweise etwas beruhigte. Ich wusste nicht, warum, jedoch hatte ich erwartet, dass diese auf der nächsten Polizeistation stattfinden würden. Vor der Tür hatte man einige Stühle aufgestellt, auf die sich womöglich die noch zu befragenden setzen und warten mussten, bis sie an der Reihe waren. „Miss Carpenter, Sie können dort Platz nehmen und auf ihre Freundin warten. Sie sind nämlich als Nächste an der Reihe. Machen Sie sich keine Gedanken, Miss Dashwood ist in guten Händen.", versicherte Officer Adams Viola und lächelte sie beruhigend an. Diese nickte und nahm langsam Platz. Trotzdem wirkte sie noch etwas unsicher, was mich unruhiger werden ließ. Ich fühlte mich wenige Augenblicke später furchtbar unter Druck gesetzt und hilflos. Mein Herz begann in meiner Brust wie verrückt zu pochen, als der junge Polizist mir die Tür zum Wohnzimmer aufhielt und mich zuerst den Raum betreten ließ. Ich durfte nun unter keinen Umständen irgendeinen dummen Fehler begehen. Dies konnte ich nämlich ausgezeichnet, wenn ich unter Druck stand. Ich blieb dicht an der Wand stehen und war wie gelähmt. Ich schaffte es kaum, mich auch nur einen Zentimeter zu rühren. Unruhig untersuchte ich den Raum und erblickte einen korpulenten Mann in einem dreckigen Anzug, der am Tisch saß und sich mit einem anderen Polizisten unterhielt. Officer Adams schaute mich besorgt an. „Geht es ihnen gut?", fragte er. Ich schüttelte energisch den Kopf, wobei sich eine Strähne aus meiner Frisur löste und mir ins Gesicht fiel. „Ich habe schreckliche Angst. Inspektor Moseby wirkt sehr einschüchternd und besitzt bestimmt keinerlei Geduld.", flüsterte ich ihm zu. „Sie müssen sich vor nichts fürchten! Ich werde die ganze Befragung über bei ihnen bleiben und Sie keine Sekunde aus den Augen lassen. Falls Sie sich nicht mehr sicher fühlen, werde ich alles stoppen und ihnen Zeit geben, sich zu beruhigen. Ich stecke nämlich selbst in ihrer Situation und weiß, dass man sich manchmal schrecklich fühlt. Machen Sie sich keine Sorgen, solange ich bei ihnen bin, wird ihnen nichts passieren.", versicherte er mir. Ich nickte langsam. Ich war sehr verwundert, dass ausgerechnet Officer Adams mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatte wie ich. Er konnte so etwas als Polizist bestimmt überhaupt nicht gebrauchen, da man in diesem Beruf für andere Menschen stark sein muss und diese beruhigen soll. Ich respektierte diesen Mann nun noch mehr, als ich es eigentlich schon tat. Es verlangte bestimmt eine unmenschliche Stärke, um mit unserem Problem als Polizist zu arbeiten.
„Wir gehen nun gemeinsam zum Tisch und werden uns anschließend hinsetzen. Ist es in Ordnung, wenn ich Sie anfasse?", fragte er vorsichtig. Ich nickte. Er legte mir vorsichtig seinen Arm um meine Schultern und wir begaben uns mit langsamen Schritten zum Tisch. Anschließend bat er mich mit einer Geste, mich hinzusetzen und rückte, als ich Platz genommen hatte, meinen Stuhl zurecht. Ich bedankte mich kaum hörbar bei ihm, was er aber glücklicherweise verstand. Mein Herz pochte immer schneller und ich begann, unter dem Tisch energisch meinen Rock zu kneten.
Inspektor Moseby und der andere Polizist schienen uns nicht bemerkt zu haben, denn sie schauten erst zu uns, als Officer Adams sich laut räusperte. Sofort drehten beide den Kopf zu mir, wobei der Inspektor mich mehrmals von oben bis unten musterte. Schließlich legte er sich seinen Notizblock zurecht und las sich die Akte des Falles durch. Inspektor Moseby verströmte einen ekelerregenden Geruch von Zigarren, Kaffee und Alkohol, bei dem mir etwas schlecht wurde. Er stich sich durch seine fettigen, dunkelbraunen Haare und kratzte sich an seinem drei Tage Bart. Ich fühlte mich in der Gegenwart dieses Mannes sehr unwohl und war überaus dankbar, dass Officer Adams während der ganzes Befragung an meiner Seite blieb. Ich schaute kurz panisch zu ihm, während er mir mit dem Blick bedeutete, dass alles in Ordnung war.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis der Inspektor sich mir widmete. „Name? Alter? Beschäftigung im Leben?", fragte er mit einer rauen Stimme, die mit Sicherheit vom vielen rauchen so geworden war. „Grace Dashwood, achtundzwanzig Jahre alt, Archäologin.", antwortete ich mit zittriger Stimme. Während der Inspektor irgendwelche Notizen auf seinen Block kritzelte, versuchte ich mir einzureden, dass ich mich möglichst ruhig verhalten musste. Er machte nämlich den Eindruck, dass er sich wegen jeder Kleinigkeit aus der Haut fuhr und ich hatte keine Lust, einen Wutanfall über mich ergehen zu lassen. „Was ist der Grund ihres Aufenthaltes?" Ich holte tief Luft. „Meine Großmutter, Clementine, lud meinen Vater und mich über die Feiertage zu sich ein. Da wir uns schon mehrere Jahre nicht mehr gesehen haben, haben wir natürlich sofort zugesagt.", antwortete ich und wunderte mich sehr über meinen plötzlich ruhigen Ton. Inspektor Moseby lachte trocken auf. „Ersparen Sie mir die Details, die interessieren mich nämlich überhaupt nicht." Ich war über seine sehr unfreundliche Aussage etwas erschrocken, da ich es nicht gewohnt war, dass jemand so grob mit anderen Menschen umging. Ich schaute ängstlich zu Officer Adams, der wütend zu seinem Vorgesetzten hinüberschaute. „Hatten Sie irgendeinen Bezug zum Opfer?" Inspektor Moseby hatte während der ganzen Befragung noch kein einziges Mal zu mir aufgeschaut. „Indirekt, würde ich sagen. Ich habe Dolores an ihrem Todestag kennengelernt und wir haben uns etwas gemeinsam unterhalten. Sie schien aber ein gutes Mädchen zu sein.", antwortete ich. Mein Gegenüber seufzte genervt. „Ein einfaches Nein hätte genügt.", murmelte er. Sofort breitete sich ein mulmiges Gefühl in mir aus. Meiner Meinung nach sollte man Befragte, vor allem die, die das Opfer aufgefunden haben, nicht so grob behandeln. Diese mussten so schon genug mitmachen und haben es nicht nötig, von irgendeinem Möchtegern-Inspekor schlecht behandelt zu werden.
„Schildern Sie die gestrigen Ereignisse. Dieses Mal sind Details erwünscht.", befahl er mit kalt. Ich wollte antworten, jedoch hatte mir meine Angst die Stimme verschlagen. Kein einziger Ton verließ meine Kehle und ich spürte, wie meine Hände unter dem Tisch zu zittern begannen. „Heute noch, wenn möglich.", meckerte der Inspektor. Ich versuchte und versuchte, jedoch bekam ich keinen einzigen Ton mehr raus. Meine Augen füllten sich langsam mit Tränen, worauf mein Gegenüber völlig aus der Haut fuhr. „Gott, Sie sind wirklich zu nichts zu gebrauchen! Noch nicht einmal eine brauchbare Antwort können Sie mir geben! Wie in aller Welt sind Sie mit solch einer Dummheit überhaupt so weit im Leben gekommen?", schrie er mich an und schlug fest mit seiner Hand auf den Tisch. Seine blutunterlaufenen Augen musterten mich angriffslustig, während ich am ganzen Leib zu zittern begann und mir dicke Tränen übers Gesicht kullerten. Sofort schritt Officer Adams ein. „Merken Sie denn nicht, dass Sie die arme Frau völlig verängstigen? So sollte niemand, wirklich niemand mit einem traumatisierten Menschen umgehen. Ja, nicht jeder ist so kalt wie Sie!", schrie er seinen Vorgesetzten noch lauter an. Seine sonst so freundlichen Augen blitzen vor lauter Wut auf. Der Inspektor schaute ihn verblüfft an, bevor er sich von seinem Platz erhob. „Dann führen Sie doch die Befragungen durch, wenn Sie es doch so viel besser können!", sagte er und stürmte beleidigt aus dem Wohnzimmer. Kaum hatte er den Raum verlassen, breitete sich eine Welle der Erleichterung in mir aus. Officer Adams setzt sich mir gegenüber und seufzte. „Geht es ihnen gut?", fragte er. Ich nickte, obwohl ich noch immer weinte. Ich wischte mir meine Tränen weg, was aber leider nicht half. Er nahm meine Hände in seine und schaute mir in die Augen. „Ich werde von nun an die Befragungen durchführen. Es tut mir wirklich aufrichtig Leid, dass sie diesen Wutanfall miterleben mussten. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Launen des Inspektors, was sein Verhalten aber noch lange nicht entschuldigt. Ich verspreche ihnen, von nun an wird alles ganz anders verlaufen.", sagte er. Er riss das vollgekritzelte Blatt vom Notizblock und bereitete ein neues vor. „Inspektor Moseby hat solch eine gute Arbeit geleistet, dass wir alles von vorne machen müssen.", sagte er ironisch, worauf ich lachte. Ich mochte Officer Adams viel lieber als den Inspektor und freute mich sehr darüber, dass meine Familie von Anfang an besser befragt werden würde als ich. „Bevor ich es vergesse: es ist überhaupt keine Schande, emotional zu werden. Sie haben ein gutes Recht dazu, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Geben Sie mir bescheid, sollten Sie eine Pause benötigen.", sagte er. Ich nickte. „Also, wie lautet denn ihr Name? Zusätzlich müssten Sie mir noch ihr Alter, ihre Tätigkeit und den Grund ihres Aufenthaltes nennen. Diese Fragen werden jedem gestellt, machen Sie sich keine Gedanken."
So, nach 3 Monaten ist das neue Kapitel dann endlich da! Ich hoffe, ihr seid mir wegen der ewig langen Wartezeit nicht allzu böse. Außerdem spackt Wattpad zurzeit wieder extrem, weswegen ich nirgendwo kommentieren oder auf eure Kommentare antworten kann. Es hat mir außerdem fast den letzten Nerv geraubt, weil es mich nicht updaten gelassen hat. Wie auch immer, kommen wir zu unserer Frage:
Habt ihr irgendeinen Verdacht, wer Dolores umgebracht haben könnte?
Edit: weil ich beim Updaten sehr müde war, habe ich aus Versehen die falsche Frage ins falsche Kapitel geschrieben und fast gespoilert. Sorry dafür.
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