Kapitel 2
Seine grauen Augen lachten mit, was mir verriet, dass er es wie immer ernst meinte. "Miss Grace! Wie schön, auch Sie wiederzusehen. Wie ist es ihnen seit unserer letzten Begegnung ergangen?", fragte er. "Es ist auch schön, Sie wiederzusehen. Erstaunlich gut, muss ich sagen. Wie sah es denn bei ihnen aus?" Es beruhigte mich irgendwie sehr, mit Sebastian zu reden, obwohl es sich nur um ein alltägliches Gespräch handelte. "Ebenfalls gut, vielen Dank der Nachfrage." Er wandte sich nun meinem Vater und mir zu. "Ich möchte die Herrschaften nun herzlich dazu einladen, mir ins Wohnzimmer zu folgen. Dort wartet eure Familie nämlich schon ganz ungeduldig auf euch. Um euer Gepäck müsst ihr euch keine Sorgen machen, ich werde mich natürlich in Kürze darum kümmern. Jedoch ist jetzt euer Zusammentreffen wichtiger.", sagte Sebastian und bedeutete uns, ihm zu folgen.
Augenblicklich marschierten wir los. Es fühlte sich angenehm vertraut an, durch die Korridore des Anwesens zu gehen. Diese glichen sich alle, da sie alle mit der gleichen, marineblauen Tapete tapeziert waren und der Boden mit dunelbraunen Holzdielen ausgelegt war. An den Wänden hingen immer die gleichen, silbernen Leuchter, die die Atmosphäre meiner Meinung nach etwas mystisch erscheinen ließ. Beim Vorbeigehen schaute ich mir die Porträts verschiedener Vorfahren an, die eine sehr lange Zeit vor uns im Anwesen gelebt hatten. Ich musste schmunzeln, da ich sie als kleines Mädchen wegen meiner Großmutter alle beim Namen nennen konnte. Mit der Zeit hatte ich sie aber leider vergessen. Als wir ein paar Mal hintereinander rechts abbogen, erinnerte ich mich daran, wie mein Bruder, meine Cousine und ich als Kinder in den Korridoren Versteckspiele gespielt hatten, die teilweise Stunden dauerten. Ein Mal hatten wir sogar einen der zahlreichen Geheimgänge gefunden, die sich im Anwesen befanden. Leider hatte ich auch vergessen, wo dieser sich befand. Der Geheimgang hätte mich wahrscheinlich aber früher oder später von großem Nutzen sein können. Beim Gehen knarzte der Holzboden so schön unter meinen Füßen, was mich auf eine seltsame Art und Weise glücklich machte. Oft fand ich an den unwichtigsten und kleinsten Dingen Freude. Die meisten Menschen fanden dies seltsam, weil sogar ich selbst es mir nicht recht erklären konnte.
Ehe ich mich versah, waren wir an unserem Ziel angekommen. Augenblicklich klopfte Sebastian an die Tür, die zum Wohnzimmer führte. Während wir darauf warteten, eintreten zu können, spürte ich, wie mein ganzer Körper zu zittern begann. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Ich konnte mir unmöglich wegen Viola meinen ganzen Aufenthalt bei meiner Familie ruinieren lassen. Als wenige Sekunden später das "Herein!" meiner Großmutter von der anderen Seite der Tür her zu uns drang, musste ich versuchen, mich schnell zu fangen. Sebastian öffnete meinem Vater und mir die Tür, worauf wir das Wohnzimmer betraten.
"Grace!", rief meine Cousine Winnie und umarmte mich stürmisch und fest. Sofort erwiderte ich die Umarmung, was mich etwas ruhiger werden ließ. "Ich bin so froh dich zu sehen!", sagten wir beide wie aus einem Munde. "Die beiden sind noch immer so unzertrennlich!", hörte ich meinen Vater sagen. Nach einer etwas längeren Zeit ließen wir uns los. Sobald wir uns zum ersten Mal seit fünf Jahren in die Augen schauen konnten, mussten wir beide grundlos anfangen zu lachen. Seit unserer frühesten Kindheit waren Winnie und ich unzertrennlich. Obwohl wir uns nur selten sahen, standen wir uns trotzdem sehr nahe. Wenn wir zusammen waren, hatten wir immer einen Riesenspaß und lachten, bis unsere Bäuche schmerzten und uns die Tränen kamen. Dennoch konnten wir auch ernst miteinander sein, da wir über alles miteinander reden konnten und uns alles anvertrauten. Nun ja, für meinen Teil war es nicht wirklich alles, da ich immer noch nicht wusste, ob ich ihr mein Geheimnis verraten konnte.
Als wir beide uns gefangen hatten, strich Winnie sich eine Strähne ihrer schokoladenbraunen Haare aus dem Gesicht. "Wir beide müssen uns später noch viel erzählen. Aber ich lass dich erst einmal ankommen und etwas Zeit mit den anderen verbringen.", sagte sie, während ihre hellgrünen Augen mich voller Freude musterten.
Als nächstes wandte ich mich meiner Tante Glenda, der Schwester meines Vaters, zu. Als sie mich erblickte, weiteten sich ihre dunkelgrauen Augen überrascht. "Ach du meine Güte, du hast dich seit unserer letzten Begegnung so sehr verändert!", rief sie, während sie mich noch fester als Winnie an sich drückte. Mir fiel in diesem Moment mehr denn je auf, dass manche Menschen sich ihrer körperlichen Stärke einfach nicht bewusst waren. Als sie mich schließlich losließ, betrachte sie mich mehrmals von oben bis unten. Dies fiel ihr denke ich nicht besonders schwer, da sie ein ganzes Stück größer als ich war. "Du bist wirklich zu einer schönen Frau geworden, ehrlich." Sie machte eine Pause. "Wenn ich dich nun sehe, fällt mir erst recht auf, wie sehr du doch nach deiner Mutter kommst." Ich wusste nicht, ob ich ihre Aussage als Kompliment aufnehmen sollte oder nicht, da ich meine Mutter noch nie in meinem Leben zu Gesicht bekommen hatte. Noch nicht einmal ein Foto hatte ich von ihr sehen dürfen, da mein Vater in ständiger Angst lebte, dass ich einen Rückfall erleiden würde.
Schließlich wandte sich auch meine Tante meinem Vater zu. Das nächste Familienmitglied, welches ich begrüßte, war mein Onkel Benjamin, Glendas Ehemann. Ihn begrüßte ich nicht mit einer Umarmung, sondern mit einem festen Händedruck, nachdem mir meine Finger etwas wehtaten. Er machte mit seinen edlen Anzügen, streng zur Seite gekämmten, dunkelbraunen Haaren, seinem Bart und seinen eisblauen Augen zwar einen sehr strengen Eindruck, jedoch war er eine sehr gute und vor allem nette Person.
"Es ist schön, euch beide endlich wiederzuhaben.", sagte er lächelnd. Ich nickte und lächelte zurück. "Ich bin ebenfalls froh, euch alle endlich wiederzusehen. Obwohl es nach fünf Jahren in der Wüste noch immer ungewohnt ist, an die Zivilisation zurückgekehrt zu sein.", sagte ich, worauf wir beide lachten. In diesem Moment vernahm ich in der Ferne schnelle Schritte, die immer Näher kamen. "Geht in Deckung! Es wird stürmisch.", rief Winnie lachend. Sie machte damit wohl eine Anspielung auf meine beiden Cousins, Liam und Louis. Die beiden waren die eineiigen Zwillinge von Glenda und Benjamin.
In der Tat flog die Wohnzimmertür wenige Sekunden später und meine zwölfjährigen Cousins stürmten in den Raum. "Grace! Onkel Ephraim!", brüllten sie und rannten auf mich zu. Augenblicklich rutschte mir das Herz in die Hose, da man bei ihren Begrüßungen oftmals zu Boden fallen konnte. Genau das passierte uns, was sie aber nicht davon abhielt, mich fast zu erdrücken. "Wir sind ja so froh, dass du nicht von irgendeinem Mumienfluch getroffen wurdest! Die Wahrscheinlichkeit war sehr groß, weißt du?", sagte Liam. Ich spürte, wie sein Bruder energisch nickte. "Die Chancen standen ebenfalls groß, dass du irgendeinen uralten Fluch aus Versehen auslöst, was du aber bestimmt nicht getan hast.", sagte Louis. Nach diesen Sätzen ließen sie mich los und wandten sich meinem Vater zu. Ich sammelte meine Brille vom Boden auf, die mir zuvor von der Nase gefallen war. Erneut breitete sich eine Welle an Angst in mir aus, da ich es überhaupt nicht mochte, so stürmisch begrüßt zu werden. Langsam stand ich auf und strich anschließend meinen Rock glatt. Als ich erneut den Blick hob, stand meine Großmutter vor mir. Sie lächelte mich freundlich an, wobei ihre hellgrünen Augen mitlachten. Ich ließ mich ebenfalls von ihr umarmen, was im Vergleich mit den anderen viel angenehmer und sanfter ausfiel. Meine Großmutter nahm immer große Rücksicht darauf, dass ich mich wohl fühlte und passte sehr darauf auf, nichts falsch zu machen. Sie ließ mich los und nahm meine Hände in ihre. "Ich bin sehr froh, dich zu sehen! Wie geht es dir? Hast du dich erneut gut hier in England eingelebt?", fragte sie. Ich nickte energisch. "Soweit geht es mir ausgezeichnet, und ihnen? Im großen und ganzen schon, jedoch sind die etwas kälteren Temperaturen noch immer etwas gewöhnungsbedürftig.", sagte ich. Ich log meine Großmutter über meinen Zustand nur an, weil ich unter keinen Umständen wollte, dass sie sich Sorgen um mich machte. Sie hatte mich ein Mal während eines Anfalls miterlebt, was sie aber erst nach einer Woche verdaut hatte. Ich glaubte sogar, dass sie sich noch schlechter als ich gefühlt hatte.
Meine Großmutter strahlte über das ganze Gesicht. "Das freut mich sehr, weißt du. Die einzigen, die ihr noch begrüßen müsst, sind Edward, Viola und Curtis. Ich habe aber nicht die geringste Ahnung, wo sie stecken könnten. Sie freuen sich alle sehr, dass ihr da seid! Vor allem Viola freut sich sehr. Sie hat die letzten beiden Tage ununterbrochen über dich geredet und über all das, was sie mit dir unternehmen möchte.", sagte sie. Ich spürte, wie sich ein Knoten in meinem Hals bildete. Viola freute sich allen Ernstes auf mich und wollte Dinge mit mir unternehmen? Genau das hätte meine Großmutter für sich behalten sollen, jedoch hatte sie einfach keine Ahnung, was sie damit anrichten würde. Ich hatte meine Emotionen definitiv nicht mehr unter Kontrolle und erlitt meinen nächsten Angstanfall. Ich spürte, wie mir das Atmen schwerfiel und sich meine Augen mit Tränen füllten. "Grace? Was ist los?", fragte meine Großmutter besorgt. Ich konnte sie durch meinen Tränenschleier nur sehr unscharf sehen und hatte das Gefühl, dass ihre Stimme von ganz weit weg kam. Meine Kehle fühlte sich so eng an, dass ich nicht die Kraft hatte, ihr zu antworten. Ich zitterte mittlerweile am ganzen Körper und hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Meiner Großmutter fiel das natürlich auf, worauf ihr sofort jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. "Sag mir, dass das nicht wahr ist! Glenda, komm her!" Ich wusste, warum sie meine Tante zur Hilfe rief. Diese litt ebenfalls an krankhaften Ängsten und Anfällen, die genauso schlimm wie meine waren. Glenda konnte mir besser als alle anderen helfen, da sie in solchen Situationen einen klaren Kopf bewahren konnte. Die meisten Menschen drehten fast durch und schrieen, was alles für mich nur noch schlimmer machte. Ruhige Menschen waren in solchen Fällen einfach die beste Lösung.
"Ach du meine Güte. Grace, wir beide verlassen jetzt den Raum und setzen uns irgendwo hin. Hast du mich verstanden?", fragte Glenda, als sie uns erreicht hatte. Es war mir furchtbar schwindelig, weswegen ich auf nichts mehr reagierte. Ich spürte nur, wie meine Tante mich an der Hand nahm und nach draußen führte. Was als nächstes geschah, ist wie aus meinen Erinnerungen verschwunden. Ich weiß nur noch, dass ich neben Glenda auf der Treppe saß, die zum Westflügel führte und das Gefühl hatte, jeden Moment sterben zu können. Ich hyperventilierte, zitterte und weinte fürchterlich. Ich bekam so gut wie nichts mehr aus meiner Umgebung mehr mit. Mein Herzschlag war in jeder einzelnen Zelle meines Körpers zu spüren, was mich noch mehr aufdrehte. "Ich werde sterben, dieses Mal ist es sicher!", schluchzte ich. Glenda schüttelte den Kopf. "Es mag sich zwar so anfühlen, aber dazu kommen wird es nicht. Würde es wirklich stimmen, wärst du schon mehrmals gestorben. Deine Angst möchte es dich glauben lassen, sie möchte es erreichen, die Kontrolle zu übernehmen und dich schreckliche Dinge glauben zu lassen. Du darfst ihr unter keinen Umständen zuhören, hörst du?", sagte sie. Ich hatte die Kontrolle über meine Atmung nun komplett verloren. Alle meine Bauchmuskeln schmerzten schrecklich, was mir das Atmen noch viel mehr erschwerte. Es kullerten mir unaufhörlich Tränen übers Gesicht, was mich in diesem Moment sehr aufregte. Plötzlich vernahm ich schnelle Schritte, die näher kamen. "Grace? Oh nein, was ist los?", fragte eine mir bekannte Stimme, die ich als die von Viola identifizierte. Ich drehte mich nicht zu ihr um, da ich in diesem Moment wirklich nicht die Nerven dazu hatte, mich mit ihr zu beschäftigen. Sie berührte meine Schulter, was das Fass endgültig zum überlaufen brachte. Ich wand mich aus ihrer Berührung und verlor nun auch noch die Kontrolle über das, was ich sagte. "Fass mich bloß nicht an!", schrie ich, worauf ich noch mehr zitterte. "Viola, ich denke es ist besser, wenn du nun gehst. Grace braucht Zeit, es geht ihr sehr schlecht.", erklärte Glenda ruhig.
Plötzlich sah ich, wie mir farbige Punkte vor den Augen tanzten. Zu Beginn waren es nur wenige, die sich jedoch alarmierend vermehrten. Ich stand abrupt auf, um an einen anderen Ort zu gehen, jedoch war ich nicht schnell genug. Sobald ich stand, schnappte ich ein letztes Mal nach Luft, bevor es mir schwarz vor Augen wurde.
Als ich erwachte, was ich anfangs sehr verwirrt. Wenige Sekunden später erkannte ich, dass ich mich in meinem Schlafzimmer befand und ich auf meinem Bett lag. Ich fühlte mich augenblicklich sicherer, als ich wusste, wo ich mich befand. Die einzige Frage, die noch offen stand, war, warum ich im Bett lag. Ich strengte mich sehr an, jedoch konnte ich mich nicht wirklich an das erinnern, was vorgefallen war.
Ich richtete mich behutsam auf und setzte mich. Es war mir sehr schwindelig, weswegen ich die Augen etwas schloss. Glücklicherweise verzog der Schwindel sich schnell, worauf ich die Augen erneut öffnen konnte. Ich schaute mich einmal im Raum um und der Fakt, dass sich seit meines letzten Besuches nichts verändert hatte, beruhigte mich sehr. Mein Schlafzimmer hatte noch immer das große Doppelbett in der Mitte des Raumes, neben dem sich eine große, aus dunklem Holz angefertigte Kommode befand. Meinem Bett gegenüber befand sich noch immer der aus ebenfalls dunklem Holz angefertigte Schreibtisch und sein mit rotem Samt gepolsterter Stuhl. Auf der linken Seite des Bettes befand sich noch ein kleiner Nachttisch und auf der gleichen Seite des Raumes war noch ein großes Fenster vorhanden, durch das man den Garten des Anwesens betrachten konnte.
In diesem Moment klopfte es an meiner Tür. "Herein!", rief ich. Die Tür öffnete sich langsam und ich erblickte den erdbeerblonden Haarschopf meiner Tante. Sie lächelte mich an, schloss die Tür hinter sich und setzte sich neben mich aufs Bett. "Wie fühlst du dich?", fragte sie und musterte mich besorgt. Ich zuckte die Schultern. "Ich bin schrecklich müde und fühle mich richtig ausgelaugt.", antwortete ich. Glenda seufzte. "Ich weiß. Nach dem, was passiert ist, kann ich es dir wirklich nicht übel nehmen." Ich beschloss, nicht länger zu warten und ihr meine Fragen sofort zu stellen. "Was ist denn passiert?", fragte ich. Erneut seufzte sie. "Du kannst dich also doch an nichts erinnern. Ich fasse mich kurz. Du hattest einen nicht gerade harmlosen Anfall und bist womöglich wegen Sauerstoffmangel ohnmächtig geworden. Weil du in diesem Moment in der Treppe gestanden hast, musst du dir beim Fallen irgendwie den Kopf gestoßen haben.", erklärte sie. Überraschenderweise schockierten mich die Ereignisse nicht, da ich solche Dinge gewohnt war. Jedoch war es das erste Mal gewesen, dass ich während eines Anfalls das Bewusstsein verloren hatte. "Spürst du sonst irgendwelche Beschwerden? Schwindel? Kopfschmerzen? Übelkeit?", fragte Glenda. Ich schüttelte den Kopf. "Dem Himmel sei Dank! Es hätte uns wirklich noch gefehlt, wenn du dir eine Gehirnerschütterung zugezogen hättest." Eine kurze Stille trat zwischen uns ein. "Ich gehe dann. Du musst dich bis zum Abendbrot noch etwas ausruhen, hörst du? Ich möchte wirklich, dass du es dir bald wieder gut geht." Glenda stand auf und wandte sich zum Gehen um. Sie machte vor der Tür jedoch halt und drehte sich ein letztes Mal zu mir um. "Bevor ich es vergesse: Winnie und Viola wünschen dir eine gute Besserung." Anschließend verließ meine Tante den Raum. Kaum war ich alleine, ließ ich mich zurück auf mein Bett fallen und seufzte. Es freute mich, dass meine Cousine wollte, dass es mir bald besser ging, doch Viola sollte sich bloß um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Ich beschloss aber, keinen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden und ein kleines Schläfchen zu halten. Somit hatte ich die Gelegenheit, vor dem Essen meine Kräfte zu sammeln. Ich deckte mich zu und es ging erstaunlich schnell, bis ich auch schon eingeschlafen war.
Ich schreckte aus meinem Schlaf hoch, als die Uhr, die in meinem Schlafzimmer an der Wand hing, sieben Mal läutete. Das Abendbrot hatte eine Stunde zuvor begonnen und ich war viel zu spät dran. Ich stand augenblicklich auf und überlegte kurz, was ich denn nun machen sollte. Sollte ich in meinem Schlafzimmer bleiben und so tun, als ob ich nichts mitbekommen hätte? Oder sollte ich mich trotzdem zu meiner Familie begeben und riskieren, jemanden zu verärgern? Spontan konnte ich mich nicht entscheiden und tat während des Nachdenkens etwas anderes. Nämlich hatten sich meine Haare größtenteils aus ihrer Frisur gelöst, weswegen ich sie komplett öffnete. Ich fand es sehr ungewohnt, meine Haare offen zu tragen, da sie mich meistens in diesem Zustand nur aufregten. Ich nahm meine hüftlangen, braunen Wellen auf eine Seite und hoffte, dass ich wenigstens akzeptabel aussah. Mittlerweile hatte ich mich nämlich dazu entschieden, trotz meiner großen Verspätung beim Abendbrot aufzutauchen. Ich zögerte nicht lange und verließ mein Schlafzimmer umgehend. Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, meine Angst vor Viola zu überwinden, trödelte ich dennoch sehr auf meinem Weg.
Als ich den Speisesaal wenig später erreicht hatte, zögerte ich sehr, um die Tür zu öffnen. Ich atmete ein paar Mal tief durch, bis ich die Tür schließlich schweren Herzens öffnete. Das laute Gespräch, welches in vollem Gange war, verstummte sobald ich den Raum betreten hatte und die Tür hinter mir schloss. Jede einzelne Person, die sich im Raum befand, starrte mich an. Ich musste wirklich versuchen, jedem meine steigende Nervosität nicht zu zeigen und so neutral wie möglich zu wirken. Jedoch war die Stille, die in diesem Moment herrschte, beinahe erdrückend. Nach einer gefühlten Ewigkeit brach meine Großmutter endlich das Eis: "Da bist du ja! Wie fühlst du dich?" Alle Blicke lagen auf mir, weswegen mir das Reden sehr schwer fiel. Ich hatte das Gefühl, dass meine Stimme mich von einer Sekunde auf die nächste komplett im Stich gelassen hatte. "Etwas besser.", sagte ich leise. Man konnte meiner Familie wirklich ansehen, dass sie mich fast nicht gehört hatten. Die einzigen, die mich verstanden hatten, waren mein Bruder, mein Vater und meine Großmutter, da sie am Kopf des Tisches und mir somit am nächsten saßen. Ich schaute einmal in die Runde, um mich nach einem freien Platz umzusehen. Ich hatte großes Pech, da sich der einzige freie Platz ausgerechnet neben Viola befand. Genau in diesem Moment entstand zwischen uns einen kurzen Blickkontakt, bei dem sie mich anlächelte. Sofort schaute ich weg und marschierte auf den leeren Stuhl am Ende des Tisches zu.
Als ich mich hinsetzte, begann das Gespräch, welches durch mein Ankommen unterbrochen worden war, von neuem. Ich hörte aber nicht zu, da ich zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt war. Ich saß neben Viola und musste wirklich alles daran setzen, dass der Abend reibungslos verlief. Mein Herz pochte wie verrückt und ich spürte, wie es in meinen Händen und Beinen zu kribbeln anfing. Ich bohrte meine Finger in meinen Rock und knetete diesen unauffällig unter dem Tisch, damit ich mich mit irgendetwas ablenken konnte und schaute zu meiner Cousine, die zwei Stühle weiter entfernt saß, hinüber. Diese schenke mir einen besorgten Blick und ich bedeutete ihr unauffällig, dass alles in Ordnung sei. Winnie lächelte mich an und nahm nun auch am Gespräch teil.
Während ich mehr oder weniger munter an meinem Rock weiterknetete, spürte ich plötzlich, wie Viola meinen Arm anstupste. Warum wollte sie bloß mit mir kommunizieren? Ich hob den Blick und schaute ihr fest in die Augen, was aber nicht funktionierte, da sie mich furchtbar nervös machte. Kaum hatte ich ihr in die Augen geschaut, war es auch schon erneut um mich geschehen. Ihre warmen, braunen Augen glänzten im Licht der Kronleuchter etwas golden, was ich seit jeher faszinierend gefunden hatte. Aber ihre Augen waren nicht das einzige, was ich an ihr faszinierend fand. Viola war einfach bildhübsch. Ihre langen, blonden Haare hatte sie meistens zu einem einfachen Zopf geflochten, aus dem sich im Laufe des Tages immer kleine Strähnchen lösten, die ihre weichen Gesichtszüge zur Geltung brachten. An ihrem Gesicht war ebenfalls alles faszinierend. Außer ihren schönen Augen besaß Viola eine niedliche Stupsnase, Sommersprossen und immer rosige Wangen. Von ihrem Lächeln konnte ich nur schwärmen, da es einen augenblicklich aufheiterte. Sie besaß außerdem Grübchen, was sie allgemein noch niedlicher aussehen ließ. Allgemein konnte ich mich nie entscheiden, ob ich sie nun wunderschön oder niedlich finden sollte. Aber all dem konnte ich in diesem Moment nicht verfallen.
"Wie fühlst du dich? Geht es dir besser?", fragte Viola mich im Flüsterton und schaute mir dabei tief in die Augen. Ich nickte nur stumm, worauf sie mich anlächelte. Als sie dies tat, hatte ich das Gefühl, vor lauter Freude ein Mal quer durch das ganze Anwesen rennen zu können. "Weshalb ging es dir denn schlecht? Möchtest du darüber reden?", bot sie mir an. Ich hätte ihr in diesem Moment mein ganzes Herz ausgeschüttet, doch ich tat es nicht. Ich musste trotz meiner großen Schwierigkeiten stark bleiben. Daher log ich und schüttelte den Kopf. Viola griff unter dem Tisch nach meiner Hand und hielt sie plötzlich in ihrer. Sie kam sehr nahe an mich heran, was mich sehr überraschte. Ich konnte ihr Parfum riechen, was mein Herz nur noch schneller schlagen ließ. "Ich bin wirklich glücklich, dich endlich wiederzuhaben.", flüsterte sie mir zu, wobei ich ihren Atem in meinem Nacken spüren konnte. Sie setzte sich erneut aufrecht hin und lächelte mich an. Ich lächelte etwas gezwungen zurück und errötete stark, was ihr aber nicht aufzufallen schien.
Viola hielt meine Hand den ganzen Rest des Abends und ließ sie nur dann los, als und das Dessert aufgetischt wurde. Ein Teil von mir war überglücklich, bei ihr sein zu dürfen, doch ein anderer hätte sich am liebsten in meinem Schlafzimmer verkrochen und wäre Viola am liebsten auf alle Ewigkeiten aus dem Weg gegangen. Auf welchen Teil ich schlussendlich hörte, würde sich am folgenden Tag herausstellen.
------------------------------------------------------
Es tut mir furchtbar leid, weil ich so selten update! Ich habe die Geschichte nämlich noch nicht fertig geplant und werde noch vieles ändern, weswegen sich die Updates etwas ziehen. Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse!
Anyway, nun zu unserer Frage:
Was haltet ihr von Viola und ihrem bisherigen Verhalten!
Ich freue mich schon auf eure Antworten. Bis zum nächsten Mal!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro