Kapitel 4
Als er bei seinem Bett angekommen war, ließ sich Tim völlig geschafft darauf fallen und vergrub sein Gesicht in seinem Kopfkissen. Immer heftigere Schluchzer schüttelten seinen Körper und seine ganze coole Fassade war zusammengebrochen. Sofort sprang ich auf und lief zu dem weinenden Jungen. „Tim? Alles Ok?", fragte ich vorsichtig, doch seine Antwort war nur ein erschöpftes Kopfschütteln. Ich nahm all meinen Mut zusammen, setzte mich neben ihn und strich ihm beruhigend über den Rücken. Kurz verspannte er sich erschrocken und ich wollte meine Hand schon wegziehen, doch da wurde er etwas ruhiger und ich setzte mein Tun fort. Als ich nach einer Ewigkeit das Gefühl hatte, dass es Tim wieder etwas besser ging, fragte ich vorsichtig: „Tim bitte, was ist denn los?" Endlich begann er mit kratziger Stimme zu reden: „Ich hab grad einen Anruf von meiner Mutter bekommen. Meine Eltern wollen sich scheiden lassen!" „Ouh...", machte ich mitfühlend, denn ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Irgendwann setzte Tim sich wieder auf und sah mich überrascht und entschuldigend an. „Äh Stegi? Kannst du das vielleicht nicht rumerzählen?" Ich nickte nur. Zwar war ich mir nicht sicher, was er meinte, dass sich seine Eltern getrennt hatten, oder dass er sich gerade von mir hatte trösten lassen, aber ich war nicht der Typ Mensch, der Private Sachen ausplauderte und außerdem hätte mir hier ja eh niemand zugehört. Irgendwann stand ich wieder auf und setzte mich an meinen Tisch, um die Hausaufgaben fertig zu machen, doch nach etwa einer viertel Stunde riss mich eine Frage von Tim, der inzwischen auch angefangen hatte, zu lernen, aus meinen Gedanken. „Stegi? Du bist doch ziemlich gut in Mathe, kannst du mir vielleicht die eine Aufgabe erklären?" Jetzt ging das wieder los. Am Ende wäre doch sowieso ich derjenige, der die Aufgabe dass lösen durfte, wieso dann eigentlich noch erklären? Aber ich nickte brav und er schob seinen Stuhl zu mir rüber. Dann legte Tim sein Mathebuch neben meine Schulsachen und deutete auf eine Aufgabe. Ich überflog sie kurz. Es ging um Die Wahrscheinlichkeitsberechnung mehrstufiger Zufallsexperimente, klang kompliziert, war aber im Prinzip ganz einfach, wenn man das System verstanden hatte. Seufzend kramte ich einen Block aus meiner Schultasche und fing an, ein Baumdiagramm aufzuzeichnen und die Werte zu übertragen. Dabei erklärte ich Schritt für Schritt alles was ich machte auch Tim, damit er es verstand. Und überraschender Weise wirkte Tim tatsächlich so, als wäre es ihm wichtig, die Aufgabe zu verstehen. Zwischendurch stellte er immer wieder Fragen und war tatsächlich total aufmerksam. Vollends überrascht war ich dann, als ich geendet hatte und er tatsächlich begann, die Aufgabe selbst zu lösen. Verblüfft sah ich ihm zu, wie er herumrechnete und schließlich sogar zum richtigen Ergebnis gelangte. Fragend sah er mich an und ich meinte: „Hey, das ist richtig!" Erleichtert sah er mich an und erwiderte: „Danke fürs Erklären! Das ist das erste Mal, dass ich dieses Wahrscheinlichkeits Zeug verstehe! Du kannst voll gut erklären, solltest Lehrer werden!", und mit einem Grinsen auf den Lippen drehte er sich wieder zu seinem eigenen Schreibtisch um, während ich immer noch wie festgefroren auf meinem Stuhl saß und nachdenklich in die Luft starrte. Hatte Tim mich gerade wirklich gelobt? Und wieso machte es mir plötzlich nichts mehr aus, so viel am Stück mit ihm zu reden? Offenbar hatte ich ziemlich lange so dagesessen, denn irgendwann wedelte Tim mit einer Hand vor meinem Gesicht herum und riss mich aus meinen Gedanken. „Alles Ok?", fragte er mich vorsichtig. Überrascht nickte ich. Was interessierte es ihn, wie es mir ging? Aber in den letzten Tagen hatte ich gelernt, dass ich mir über sein Verhalten lieber keine Gedanken machen sollte, also stand ich auf und zog mich um. Kurz darauf lagen wir beide in unseren Betten und als ich schon dachte, Tim wäre längst eingeschlafen, da keine Geräusche mehr aus seiner Richtung zu vernehmen waren, murmelte er plötzlich: „Gute Nacht Stegi!" Perplex flüsterte ich ein „Nacht..." zurück und zog mir dann die Decke bis über die Nase. Tim war mir immer noch ein Rätsel. Doch der Tag hatte mich so erschöpft, dass ich einschlief, bevor ich mir Gedanken machen konnte.
Armes Tim :c
Bye!
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