Kapitel 12 - Konfrontation
Die Mittagssonne stand hoch am Himmel. Blass und kühl war das Licht, das sie auf die Welt warf und ließ den lichten Wald unwirklich erscheinen, den die drei Gefährten durchquerten. Sie konnten zwischen den Ästen bereits eine Lichtung ausmachen und den Rauch einer Siedlung riechen.
»Ich wusste nicht, dass die Menschen bereits so nah an das Dorf der Elflinge herangekommen sind. Früher gab es im ganzen Tal hier keine Sterblichen.« Phobos sprach mehr zu sich selbst.
»Meine Leute haben es im Wald spuken lassen, damit sie nicht noch näher kommen würden«, rief Sylfaen gegen den Wind an, der aufgekommen war und das Blattwerk rascheln ließ.
»Wie das?«, fragte Riley, der Thally nahe neben Lielan laufen ließ.
»Mit Magie. Mein Volk beherrscht ... beherrschte ... leichte Naturmagie. Die Menschen sind abergläubisch. Es reichte oft schon, ein paar gefallene Blätter in einer menschenähnlichen Form tanzen oder unheimliche Geräusche erklingen zu lassen. Nachts traute sich niemand hier hinein wegen der Irrlichte. Dass die harmlos sind, wissen die meisten nicht. Viele denken, dass sie ein dunkles Omen sind, Seelenfänger, die Leute in den Tod treiben und so ...«
»Sie verwechseln sie wohl mit den kleinen Gasfeuern im Moor, die tatsächlich gefährlich sind, weil sie einem den falschen Weg weisen. Haben sie euch gehorcht?« Phobos ließ Lielan langsamer gehen, weil er nicht im Galopp auf das ungleichmäßige Pflaster der Dorfstraße treffen wollte.
»Sie gehorchen dem, der sie gut behandelt und füttert. Ein Irrlicht ist ein Lebewesen wie jedes andere auch. Es muss fressen, es mag Gesellschaft und liebt Orte, wo es vor Regen sicher ist. So wie ein Glas.«
»So etwas hätte ich auch gern«, schmunzelte Riley, der Thally zügelte, als sie die Baumreihen hinter sich ließen. Bereits von ihrem Standort am Dorfrand aus konnten sie die aufgeregten Stimmen und den Tumult hören. Die Dörfler, sehr einfach gekleidete und ländlich aussehende Siedler, standen auf der Straße, als die Drei auf sie zuritten.
»He da«, rief Phobos, »ist etwas geschehen?«
»Verschwindet von hier. Wir mögen hier keine Fremden auf unheimlichen Pferden«, ein alter, sehr verhutzelt und grimmig aussehender Mann starrte zu den Vampiren und Sylfaen hoch, »und die mit Elfling-Biestern im Bunde sind.«
Phobos und Riley sahen sich einen Augenblick an und rutschten dann aus ihren Sätteln.
»Hört, guter Mann«, sprach der junge Vampir den Alten an, höflicher, als es seinem Gefährten in diesem Moment möglich gewesen wäre, dessen gereizte Ader an der Stirn schon wieder zu sehen war. »Wir verfolgen einen Mann. Er hat unser Kind entführt und muss hier durchgekommen sein, gestern.«
Der alte Dörfler spuckte Riley vor die Füße. »Teufel. Vampire. Sodomiten. Freunde von Kreaturen!« Er funkelte zu dem Elflingmädchen hinauf, das noch immer auf Lielans Rücken saß und der Hass sprang ihm förmlich aus dem Gesicht.
Phobos seufzte und ließ seine Fingerknöchel knacken. »Spar' dir den Atem bei ihm, Rye.« Er sah sich in der Gruppe von Menschen um, von denen die meisten ihn ebenso misstrauisch ansahen. »Ich frage noch einmal: Ist hier gestern irgendetwas geschehen?«
»Das Böse ist in unseren Ort gekommen!«, jaulte eine junge Frau, andere fingen zu wimmern an, während die Männer sich aufregten und pöbelten. »Fremde haben hier nichts zu suchen. Man sieht ja, wohin das führt. Teufel! Kreaturen!«
Der Unsterbliche schob die aufgebrachten Leute rigoros beiseite, um zu sehen, wovor sie sich aufgebaut hatten und worüber sie so heftig diskutierten und lamentierten.
Er zuckte zusammen und schluckte schwer, als sein Blick auf die schlecht mumifizierte Leiche einer Frau fiel, die sie offenbar aus dem Haus geborgen hatten.
»Malucius war hier«, murmelte er und Sylfaen, die vom Pferd geklettert war, zwängte sich durch die Leute, die angewidert über ihre Kleidung putzten, als wäre das Mädchen schmutzig.
Ein kleiner Junge schubste es, als es ihn zufällig leicht streifte und es wäre beinahe gestürzt, wenn Riley es nicht aufgefangen hätte. Der junge Vampir warf dem Burschen einen gefährlichen Blick zu, bevor er ebenfalls auf die Tote schaute.
»Ja ...«
»Sagtet Ihr ‚Malucius'?«, krächzte eine raue und unangenehme Stimme von einer Bank, die einige Meter von der Menschentraube und der Leiche entfernt an der Hauswand stand. Sie gehörte einer uralten Frau mit schneeweißem und sehr schütterem Haar. Ihr Gesicht sah wie schlechtes Pergament aus und sie war dünn wie ein Skelett. Irgendetwas an ihr wirkte unnatürlich. »Malucius Maleachi?«
Phobos und Riley blickten sich an und gingen zu der Greisin. »Ja, Mütterchen. Woher kennt Ihr den Namen?«
Die Alte schluchzte trocken. »Mütterchen ... ich bin siebenundzwanzig Jahre alt! Dieser ... dieser Malucius ... dieses Monster ... hat das getan. Er hat mich berührt und ... er hat meine Mutter getötet. Er hat mir die Jugend genommen und mir dann seinen Namen gesagt, damit ich denen, die ihm folgen, sagen kann, dass sie das, was sie suchen, nie wiederbekommen. Hat er damit Euch gemeint?«
Die Vampire nickten. »Hatte er ein Kind dabei?«
»Ja ... oh Gott, der Junge war so niedlich. Hätte er ihn nicht dabei gehabt, wäre er mir womöglich unheimlich gewesen. Doch ... wer misstraut einem Mann mit einem Baby?« Die Alte fing zu weinen an und die Tränen versickerten in ihrer staubtrockenen Haut. »Er sagte, er würde das Kind töten ... Wenn es Eures ist, meine Herren, dann müsst Ihr es retten. Um jeden Preis.«
Die Frau atmete tief ein und verkrampfte sich plötzlich. Schmerzverzerrt griff sie sich an die platte und schmale Brust, röchelte und kippte schließlich wie eine Puppe von der Bank und blieb liegen.
Phobos fühlte ihren Puls und schüttelte den Kopf. »Dieser verkommene Schweinehund hat ihr gerade so viel Energie gelassen, um uns diese Nachricht zu übermitteln.«
»Ist das eure Schuld?«, brauste eine laute Stimme hinter den beiden Unsterblichen auf. Ein bärbeißiger Mann mit gewaltigem Schnurrbart hatte sich vor ihnen aufgebaut, begleitet von einigen anderen, offenbar den stärksten Männern in dieser kleinen Siedlung. Sie wirkten wie Holzfäller, mit mächtigen Armen. »Habt ihr uns diesen Teufel vor die Haustür gebracht, der unsere Frauen tötet?«
»Nein«, erwiderte Phobos trocken und bedeckte die Alte mit dem Tuch, auf dem sie gesessen hatte.
»Der letzte Fremde hier hat uns das gebracht. Ihr seid auch fremd. Wir wollen euch hier nicht. Vielleicht sollten wir euch töten. Wer weiß, welches Übel ihr uns bringt.«
Der Anführer des Pöbels hob seine Axt und der Unsterbliche zog die Augenbraue hoch. »Das willst du nicht wirklich tun, oder, mein Freund?« Er ließ die Augen rot aufleuchten, Riley tat es ihm nach und auch Sylfaen zeigte ihr furchterregendes Elfengesicht.
Schreien und Angstrufe erklangen. »Alptraummänner! Vampire! Elfenbiester!«
»Wir wollen euch kein Leid zufügen. Wir suchen einen Mann, der etwas gestohlen hat, das uns gehört. Nicht mehr und nicht weniger. Begrabt eure Toten. Wir werden euch nicht behelligen, wenn ihr uns ziehen lasst!«
Riley stieg auf Thally und zog Sylfaen hinter sich in den Sattel, während der andere Unsterbliche noch immer in ein Blickduell mit dem vierschrötigen Holzfäller verwickelt war.
»Lasst eure Waffen sinken, wir ziehen weiter und niemandem geschieht etwas. Greift uns an und ihr werdet alle sterben. Das ist mein Ernst!«
Der bullige Mann ließ seine Axt sinken und Phobos wandte sich ab, um auf seinen Wallach zu steigen.
Er hörte das Getuschel und auch das leise Sirren hinter sich in derselben Sekunde, in der Riley ihm etwas zurief, er sich umwandte und die Hand hob. Seine Augen waren leuchtend rot und das Beil, das nach ihm geworfen worden war, zischte mit einem schneidenden Geräusch über die Köpfe der Menschen hinweg und blieb mit einem lauten Krachen tief in der hölzernen Wand eines Bauernhauses stecken.
»Du hattest Recht, Sylfaen. Die Menschen hier sind dumm und abergläubisch. Glaubt ihr einfältigen Narren allen Ernstes, ihr könntet einen Vampir aus dem Hinterhalt töten?« Er richtete seinen glühenden Blick auf den Aufrührer, dessen Finger nun leer waren. Der Unsterbliche hob die Hand in seine Richtung und der Holzfäller fing zu röcheln an.
»Ich hatte doch wirklich höflich darum gebeten, uns unbehelligt ziehen zu lassen, oder? Haben wir euch ein Leid angetan, dass ihr es uns mit einer fliegenden Axt vergeltet?«
Die Menschen starrten mit entsetzten Gesichtern auf den Vampir mit den roten Augen, der wie durch Hexerei den stärksten Mann im Dorf im Würgegriff hielt und so aussah, als wäre er nur noch einen Reiz davon entfernt, diesem den Hals zu brechen.
»Phobos!« Die Stimme von Riley war es, die den Unsterblichen wieder zur Besinnung brachte. Seine Augen wurden wieder braun und widerwillig entließ er den Holzfäller aus seiner Umklammerung.
»Du dreckiger kleiner Feigling hast Glück, dass die Rettung meines Sohnes wichtiger ist als du, sonst würde ich dir deine stinkenden Eingeweide herausreißen und dich zwingen, sie zu essen. Hast du mich verstanden? Leg' dich nie wieder mit einem Vampir an! Noch ein Angriff von euch und nichts kann euch mehr retten!«
Phobos schwang sich auf Lielan und sie jagten unbehelligt von den total verängstigten Dorfbewohnern aus der Siedlung.
»Das war abgefahren«, befand Sylfaen und blickte zwischen den beiden Unsterblichen hin und her.
»Das war vor allem knapp und unbedacht. Was wäre gewesen, wenn du dem den Hals gebrochen hättest?« Der junge Vampir seufzte und Phobos nickte.
»Ja, das war nicht gerade vorbildlich. Andererseits hat der eine Axt nach mir geworfen, hallo? Solltest du nicht wenigstens ein bisschen auf meiner Seite sein?« Der Vampir schmollte und Riley fing zu lachen an.
»Wenn er dich verletzt hätte, hätte ich ihn umgebracht. Auf eine unappetitlichere Art, als du sie ihm angedroht hast. Das ist doch Ehrensache.«
»Na wenigstens das«, die beiden lächelten sich an und trieben ihre Pferde weiter über einen leichten Waldpfad. Ein salziger Hauch lag in der Luft, sie konnten nicht mehr sehr weit von der Küste entfernt sein.
»Diese Dorfleute waren schon immer so. Wenn irgendetwas Schlimmes bei ihnen geschah, gaben sie immer uns die Schuld dafür. Eine Ernte war schlecht? Die Elflinge im Wald haben sie verhext. Kinder wurden krank? Wir waren es ... und heute haben sie euch die Schuld an der Tragödie gegeben. Weil das viel leichter ist ...«
»Das war schon in meiner alten Heimat so. Als Fremder in einem solch entlegenen Ort konntest du froh sein, wenn du nicht erschlagen wurdest, einfach weil die Leute dein Gesicht nicht kannten.«
»Finsterstes Mittelalter«, murmelte Riley und trieb Thally über einen Hügel. Als Lielan ihr folgte und die Vampire den Pfad weiterverfolgen wollten, scheuten die beiden Pferde jedoch plötzlich heftig und Sylfaen würgte Riley beinahe, um nicht hinten herunterzufallen.
»Mein Gott, was ist denn nun wieder?«, röchelte der junge Vampir und Phobos konnte sehen, wie sich die spitzen Ohren des Mädchens ebenso aufrichteten wie die der Tiere. Die beiden Unsterblichen sahen einander an und streckten ihre Fühler in die Umgebung aus.
Irgendetwas war dort in dem Wald unterhalb des Hügels, das sowohl dem Elfling als auch den Pferden Angst machte.
»Hier rumstehen nutzt gar nichts«, befand Riley und fasste Thallys Zügel kürzer. »Lass' uns einfach nachsehen.«
Sylfaen schluckte, während Phobos mit finsterem Gesicht die Zähne aufeinander biss und nickte.
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