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55 (8) Kriemhild

Wilfriede

Nein, das war auch nicht der richtige Weg gewesen. Hier gab es nur ein Kliff.
Vom Himmel aus erschien die Insel wesentlich weniger verwirrend. Aber vom Himmel sah man auch die ganzen versteckten Orte nicht.
Blöd nur, dass ich keinen versteckten Ort, sondern diese Hütte suchte. Die nicht versteckt sein sollte, wie die Zwillinge gesagt hatten.

Der Wind sang und bunte Blätter tanzten. Heute Nacht würde es wahrscheinlich regnen, die Wolken sammelten sich bereits überm Meer. Aber bis dahin hatte ich noch genug Zeit. Mal sehen, wohin mich der Blättertanz diesmal führen würd- nicht jetzt!

Aber natürlich hörte mein Körper nicht und ich landete mit dem Gesicht voran am Gras. Immerhin war ich nicht mehr in dieser Esshöhle, das hätte weh getan. Gab es hier Schnecken, die ich beobachten konnte, bis meine Arme und Beine wieder arbeiteten? Hmmm... nein. Aber eine kleine Spinne. Hallo kleiner Freund- Nein, nicht weglaufen!
Na toll.
Ok, toll, heute dauerte es also länger als sonst. Aber ich würde mich nicht darüber ärgern. Sonst fühlte sich der Lähmungsgeist nur noch mehr eingeladen.

Aha! Geschafft! Meine Hände machten mit und die Füße fingen mich gut auf, als ich wieder auf sie sprang. Und ich war auch gar nicht müde!
Gehört, Augen? Nicht müde!
Und das war kein Gähnen, das war ein stummer Siegesschrei. Denn es war hell und ich konnte wach bleiben, solange die Sonne wach war.
Ich musste dafür nur die Augen offen halten.

Aber wenn ich nur ganz kurz...










Dunkel. Oh, ich war lange weg gewesen. Upsi.
Es roch gut, nach Tee und staubigem Holz, eine Kerze leuchtete ein Stück neben mir und leise Schritte verrieten, dass jemand ein Regal durchsuchte. Holz knarrte, Behälter klonkten dumpf gegeneinander und ab und an klirrte Metall.
Wahrscheinlich suchte Wilfried gerade die Zutaten fürs Abendessen zusammen. Da konnte ich ihm bestimmt bei helfen!

Seit wann hatte unsere Höhle Fensterlöcher? Und Holzwände?
Das war nicht unsere Höhle. Das war nicht einmal eine Höhle. Und ich war nicht im Gebirge, ich war auf Berk.
Wer wirtschaftete dann in einem der Räume? Wessen Hütte war das hier?!

„Pfft, klar.", sagte die Person hinter der Wand und stellte ein Gefäß weg. Auf einen Tisch, dem Geräusch nach zu urteilen.
„Hel, ich weiß, dass ich noch etwas davon habe."
Es folgte Gemurmel, in dem eine Menge fieser Worte vorkamen und ab und an ein Name fiel, den ich nicht genau verstehen konnte.

„Argh, Yorvick! Nächstes Mal mische ich dir wirklich etwas ins Wasser, bei Hels heiligen- Ach, Moment. Da war ja was."
Es klirrte gefährlich laut, ein weiteres Gefäß wurde auf den Tisch geknallt und dann wurde es still, nur der seltsame Atem der Person war zu hören. Schnell und abgehackt. Schluchzer?

In dem anderen Raum war es heller, da einige Kerzen ihn erhellten. Es gab wirklich ein Regal und auch einen Tisch, auf dem einige Schachteln, Gläser und Flaschen standen. Pflanzen trockneten an langen Bändern neben dem Regal oder wuchsen aus Eimern verschiedener Größe. Mittendrin stand Kriemhild mit ihren Schlangenzöpfen und schluchzte definitiv nicht. Das war ein leises Lachen, was zwischen ihren Fingern hervordrang und immer lauter wurde.

Uhm, dann war ich tatsächlich dort angekommen, wo ich hingewollt hatte. Die abgelegene Hütte, in der die unfreundliche Neue lebte, vor der alle Angst hatten.
Das war keine sehr kluge Idee gewesen.

Der Raum war größer als der, aus dem ich gekommen war. Dann müsste es der Hauptraum sein und von dem führte immer eine Tür nach draußen. Bestimmt diese dort. Ich müsste nur unbemerkt am Tisch vorbeikommen. Ohne Dinge umzuwerfen und gesehen zu werfen. Wenn sie sich wieder zum Regal wandte, würde ich loslaufen.

Da verebbte Kriemhilds Lachen, sie stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und ihre Augen schnippten zu mir wie eine Bogensehne, die einen perfekt ausgerichteten Pfeil abschoss.

„Guten Morgen, Wilfriede."
Ihr Lächeln war freundlich weich und viel unheimlicher als ein geblecktes Wolfsmaul.

„Setz dich doch.", deutete sie auf einen Stuhl.
Ich schluckte. Diese Kriemhild war wesentlich gruseliger als Moira. Und sie hatte sich immer noch nicht entschuldigt.
Ihre Hand wischte durch die Luft, als würde sie ihre Worte davon fegen. Augenrollen und danach sah sie auf die Schachteln vor sich. Ich war aus ihrem Blick entlassen.
Aber nicht aus ihrer Wahrnehmung.

„Oder bleib stehen und fall von weiter oben zu Boden, wenn du wieder umkippst."

„Ich bin nicht eingeschlafen!"

„Wer hat von schlafen gesprochen?"
Sie hielt einen Moment inne, legte den Kopf gaaaanz leicht zur Seite, sagte: „Das Thema hast du aufgebracht.", und machte weiter damit, in den Behältern Zeug zu suchen.

„Hmpf."
Ich setzte mich mit verschränkten Armen. Heidrun würde das gar nicht gut finden.
„Und jetzt?"

Ihre freie Hand zeigte auf eine Ansammlung von Kerzen, ohne dass sie von einem neuen Keramiktöpfchen aufsah.
„Wasser."

„Man kann Kerzen auch auspusten."

„Sagt der Armleuchter. Benutz deine Augen, wenn sie gerade offen sind. Über den Kerzen kocht Wasser."

Ach, dafür war dieses eigenartige Konstrukt gut.

„Das ist eine tolle Erfindung! Hast du sie selbst gebaut? Schmiedest-"

Der Deckel schlug viel lauter zu, als nötig gewesen wäre. Oder gut für die Schachtel.
Wobei die momentan eher Angst davor haben musste, zwischen Kriemhilds Fingern zerquetscht zu werden.

„Nimm das Wasser. An den Holzgriffen. Kipp genug in die Tasse daneben, dass sie gut gefüllt ist, aber nicht überläuft. Das bekommst du ohne Zeichnung hin, oder?"

„Zeichn- Ja, das bekomme ich hin."
Vielleicht konnten mir die Zwillinge nächstes Mal erklären, was das für eine Zeichnung sein sollte.

„Großartig."
Aus ihrem Mund klang es nicht nach einem Lob.

Das Wasser dampfte, blubberte aber nicht. Das war gut, dann konnte man es besser kippen und tadaa, es landete nichts neben der Tasse!
Es war noch Wasser übrig... sicherheitshalber zurückstellen. Da stand es wenigstens nicht im Weg.

„Endlich.", kam es vom Regal und schwupps, schon stand Kriemhild neben mir. Von ihren Fingern rieselten schwarze Krümel in die Tasse.
Tee?
Schwer zu beurteilen, hier roch alles nach Pflanzen.

„Nimm und trink, wenn es gezogen hat."
Damit war sie wieder beim Regal, um alles zurückzustellen- nein, sie holte noch weitere Dinge von den Brettern.
„Nicht dran verbrennen.", fügte sie in dem seltsamen Tonfall hinzu, den sie häufig verwendete.

„Äh, was ist das?"

Schnalzen.
Warum schnalzte sie? Gab es hier ein Tier?
„Was soll es schon sein? Eine tote, ausgetrocknete Pflanze, der man mit kochendem Wasser die Essenz entzieht. Trink."

„Das klingt aber nicht sehr... gesund."

„Es ist gesünder, als im Tiefschlaf über ein Kliff zu fallen."

„Ich bin nicht vom Kliff gefallen!"

„Viel hat nicht gefehlt."
Sie führte dieses Gespräch, ohne mich anzusehen. Und alle anderen sagten, sowas wäre unhöflich. Sogar Wilfried hatte das gesagt.
Es gab dafür nur wenige Ausnahmen.

„Das weißt du überhaupt- Hast du mich hier her gebracht?"

„Pff.", schnaubte sie.
„Gelaufen bist du jedenfalls nicht."

„Aber warum hier her? Ich übernachte woanders."

„Natürlich schleppe ich dich einmal um die halbe Insel zurück ins Dorf, wenn du nur einige Ecken von dieser Hütte entfernt liegst."

Das klang nicht so, als würde sie es tatsächlich ernst meinen. Und es wäre ziemlich dämlich, wenn sie so denken würde.

„Ich hätte dich auch ins Meer schubsen können, da wäre ich günstiger bei weggekommen. Es ist besser, wenn sie keinen Körper finden, als wenn jemand sieht, wie ich bewusstlose Kinder durch Wälder schleppe. Selbst auf die Gefahr hin, dass man deine Leiche irgendwann vom Strand sammelt."

Warum sagte sie sowas Gruseliges?

„Kein Wunder, dass die Leute Angst vor dir haben."

Kriemhild schnaubte leise.
„Das ist auch so ziemlich das einzige, was sie richtig machen."

„Du bist schon wieder unfreundlich."

„Ich weiß. Was lernst du daraus?"

„Dass du jemanden brauchst, der dir zeigt, wie man freundlich ist."

Kriemhild stutzte und widersprach hastig, aber bestimmt:
„Nein."

„Doch. Ich kann versuche-"

„Das mache ich mit Absicht."
Sie ließ von ihren Tongefäßen ab und drehte sich zu mir um.

„Weil Schlangen keine Freunde haben wollen?", riet ich.

„Sieh an, du kannst mitdenken."

Apropos Schlangen:
„Bist du eine giftige Schlange?"

„Vielleicht werde ich gleich eine."

„Schlangen werden nicht giftig. Sie schlüpfen so oder sie schlüpfen ungiftig. Glaube ich."

„Trink deinen Tee und verbrenn dir die Zunge."
Sie lächelte wieder.
„Bitte."

Ich wollte das nicht trinken, wenn ich nichtmal wusste, was es war. Und eigentlich auch dann nicht.
„Was ist das?"

„Tee."

„Was macht der?"

„Dich wachhalten. Hoffentlich. Ich hätte dir auch andere Sachen geben können, aber die sind teilweise wesentlich gefährlicher."

„Gefährlicher Tee?"

„Ja. Wenn ich dich unter Drogen setze, wird Heidrun  ihre Axt das nächste Mal sicherlich nicht bremsen."

„Was sind Drogen?"

Kriemhild blinzelte.
„Eine bestimmte Art von Gift."
Das war's mit dem höflichen Gespräch, sie sortierte wieder Tee und was sonst so in diesem Regal stand.
„Trink die Tasse aus."

„Aber erst, wenn du mir gesagt hast, ob du eine giftige Sch-"

Die Schlangenzöpfe peitschten über ihre Schultern, so schnell drehte sie sich wieder um.
„Das ist kein Gasthaus und ich bin kein guter Mensch. Du willst ihn nicht? Okay, da hört meine Pflicht als Heiler auf. Dein Leben ist nicht bedroht, damit ist es deine Sache, ob du meinen Rat befolgst oder nicht. Trink ihn und verschwinde oder trink ihn nicht und verschwinde, Hauptsache, du verschwindest."

„A-aber es ist dunkel."

„Und?"

„Ich soll im Dunkeln nicht mehr allein nach draußen gehen."

„Sagt wer? Dein Bruder? Sehe ich so aus, als würde es mich interessieren, was ein weiterer Toter zu sagen hat?!"

„Er ist nicht- Es ist dunkel!"

„Hältst du die Dunkelheit für gefährlicher als mich?"

Wo- wo kam das Messer her?
Sie schlug es in die Tischplatte. Es blieb stecken.
„Raus."








Heidrun war nicht sehr glücklich darüber gewesen, mich mitten in der Nacht aus dem Wald zu sammeln. Und alle anderen Mitglieder der Suchgruppe auch nicht.
Deshalb hatte ich nicht ihnen, sondern den Bäumen erzählt, was passiert war. Mehr, als dass ich selbstverständlich nicht mitten in der Wildnis eingeschlafen war, hatte Kapitän Holzbein-Hicks auch nicht wissen wollen.

Trotzdem war es gut, dass ich heute bei Astrid war. Mein schlechtes Gewissen war nicht besonders gut darin, Geheimnisse geheim zu halten. Die Zwillinge hatten zwar gesagt, dass ich mich nicht mehr von Kriemhild fernhalten musste, aber es war trotzdem da und nahm Platz in meinen Gedanken weg.
Aber die mussten sich viel dringender damit beschäftigen, warum Astrid versuchte, uns möglichst unbemerkt durchs Dorf zu dirigieren.

„Gehen wir auf eine Geheimmission?"

„Beinahe. Du weißt nicht zufällig, weshalb gewisse Drachen plötzlich pink sind?"

„Ähm... Zum Schutz von Berk."

„Dann sollten sich die beiden schnell selbst bemalen. Sie werden jeden Schutz brauchen, den sie bekommen können."

Sicherheitshalber hielt ich Ausschau nach ihrer Axt, aber sie trug sie nicht bei sich. Ungewöhnlich, aber gut. Nicht, dass sie plötzlich wie Nicht-Astrid die Beherrschung verlor.

„Hey, ich weiß, wo wir sind! Da vorne ist die Hütte der Zwillinge!"

„Allerdings.", bestätigte Astrid.
Und stieß die Tür ohne Anklopfen so heftig auf, dass die Angeln empört aufschrieen.

„Oh.", sagte Taffnuss und ließ den Pinsel sinken.
„Hallo Astrid! Hast du eine neue Frisur? Dein Zopf sieht heute besonders... ähm- freundlich aus."

Astrid verschränkte die Arme.

„Was mein Schafskopf von Bruder sagen will, ist, dass wir uns sehr freuen, dich hier zu sehen, denn wir haben zufällig etwas gefunden, was..."
Raff wurde leiser und sah mit einem unschuldigen Grinsen zu dem Gegenstand auf dem Tisch.

„Hm-hm?", machte Astrid und tippte mit den Fingern gegen ihren Oberarm.

„Was aussieht, als hätte ich es schonmal irgendwo gesehen, aber ich wusste nicht mehr wo. Taff auch nicht."

„Und da dachten wir uns, wir nehmen es auf, damit es nicht vereinsamt. Aber natürlich hätten wir direkt zu dir gehen müssen, denn das ist dein Spezialgebiet. Vielleicht kennst du den armen Besitzer, der dieses Schmuckstück verloren hat?"

„Es war übrigens von Anfang an Taffs Idee."

„Von wegen, du Feigling!"

„Ja, aber Feigling, der seinen Kopf behalten wird."

Astrid tippte noch immer mit den Fingern auf ihrem Arm herum.
„Also?", wollte sie wissen.

„Ja, wirklich, Taff. Gib ihr ihre Axt zurück."

„Ich? Warum ich? Du hast die Hände frei!"

„Meine schönen, zarten Damenhände? Ich verbitte mir diese Vorstellung!"

„Deine Vorstellung ist eh defekt, wenn du diese Drachenpranken als Damenhände ansiehst. Da gibt sich Würg bei der Maniküre mehr Mühe."

„Würg?! Das ist alles Kotz' Arbeit!"

„Erklärt die fransigen Kanten."

„Sag das deiner Entschuldigung von Bart!"

Daraufhin schnappte Taff entsetzt nach Luft und griff sich ans Herz. Mit weinerlicher Stimme sank er zu Boden: „Wie kannst du nur...?"

„Meine Axt.", forderte Astrid und er rappelte sich etwas umständlicher als nötig wieder auf.

Jeder der Zwillinge hatte eine Hand am Griff und beide ließen mit einem Sprung nach hinten sofort los, als sich Astrids Finger um den Holzstiel schlossen.

„Wir wollten sie nur polieren.", beteuerte Taff.

„Mit Pinsel und Farbe?"

Raff nickte.
„Neue Technik. Gerade in der Entwicklung."

So richtig hatten sie Astrid nicht überzeugt. Sie steckte die Axt weg und verschränkte erneut die Arme.
„Solltet ihr nicht auf Patrouille sein?"

„Erst nach Heidrun.", antwortete Raff und strich sich über ihre Zöpfe.

„Wie passend, sie ist vor ein paar Minuten gelandet."
Damit war unsere Mission offenbar beendet. Ich winkte den beiden noch schnell im Weggehen. Schade, dass ich ihnen nichts von gestern erzählen konnte. So war das bei Geheimmissionen eben: Man sagte nur das, was für die Mission wirklich wichtig war.



Mit Astrid in die Halle zu gehen war nicht so schlimm. Die Leute maulten sie nicht an und machten ihr sogar Platz, wenn sie sie bemerkten. Nicht so hektisch wie bei Kriemhild, aber Astrid war auch wesentlich freundlicher. Und trug keinen Tee.

Urgh, Kriemhild. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Sie verhielt sich wirklich wie die Person, die ich mir unter diesem Namen vorgestellt hatte. Nur, dass sie vertraute Dinge hatte. Um mich zu täuschen? Hm, das wäre klug, wenn sie nicht so unglaublich gemein gewesen wäre. Wer sollte da noch getäuscht werden? Trotzdem war sie irgendwie hier her gekommen und durfte bleiben. Weil sie sich besser als alle anderen auf dieser Insel mit Heilerzeug auskannte. Apropos, ich musste Heidrun noch über Tee aufklären.

Wo waren die Tische hin?
Hinter mir. Ich war einmal durch die Halle gelaufen und hier gab es nur noch Strohmatten für die Kranken. Die meisten schliefen oder taten zumindest so. Wahrscheinlich, um nicht mit Kriemhild reden zu müssen, die durch die Reihen lief.
Okay, lieber wieder gehen.
Da vorne war direkt ein leerer Tisch!

Naja, fast leer. Jemand hatte etwas darauf stehen lassen. Aber mit Zettel, sodass man wusste, wem es gehörte. Kluger Jemand.

Wilfriede, stand auf einem der Zettel. Konnte nicht sein, das war nicht meins. Ganz sicher ni- Ach so, Für Wilfriede. Geschenke!
Wenn mein Name dran stand, durfte ich den kleinen Beutel auch öffnen. Das Band war fransig und klemmte etwas in der festen Schleife, ploppte schließlich aber doch auseinander und gab den Blick auf noch mehr Beutel frei. Auch alle beschriftet und mit einem würzigen Geruch, der appetitlicher war als alles, was ich hier bisher gegessen hatte.
Und noch mehr kleine Zettel!

Tagsüber, besagte das Schild an einem leichten Beutel, der nicht so sehr voll zu sein schien. Und Nachts gab es auch, dessen Geruch erkannte ich sogar! Lavendel, den hatte Wilfried mir abends immer gekocht!
Was gab es noch? Kauen bei Müdigkeit am Tag und dazu einen mit Papier ausgeschlagenen Beutel, der kleine gelbliche Würfel enthielt. Bestimmt eine getrocknete Frucht... Ingwer, stand auf der Schildrückseite. Bäh. Ingwer. Der war scharf und seltsam und davon lief die Nase. Und ich sollte das kauen?!

Hey, Moment mal! Das war meine Schrift! Mit den Schnörkeln und den Haken und nicht nur geraden Strichen! Jemand kannte meine Schrift! Der kluge jemand, der mir Geschenke machte... und definitiv Kriemhild hieß, denn sonst hatte ich bei niemandem hier Tee gesehen.
Kriemhild kannte meine Schrift!

Die schlafend-tuenden Leute zuckten zusammen, als ich an ihnen vorbeirannte. Kriemhild stand gerade wieder auf und drehte sich von mir weg- nein, warte! Ich streckte die Hand aus, erreichte gerade ihre Schulter und hüpfte, um den Schwung zu kompensieren und weil hüpfen toll war und natürlich, weil...

„Du kannst schreiben!"

Kriemhild sah mich an, blinzelte und erwiderte:
„Wahrscheinlich als einziger auf dieser Insel sogar ohne Rechtschreibfehler. Worauf willst du hinaus?"

„Ich kann lesen!"

„Ach wirklich?"

„Ja! Wirklich! Und du kannst schreiben! Und ich auch und dann kannst du auch lesen und das kann sonst niemand! Nicht hier, jedenfalls! Aber wir beide schon und-"

„Whoa, halt die Luft an."

Okay, wenn sie es so wollte. Gluckerte lustig beim Hopsen.

Sie verdrehte die Augen.
„Weißt du, was du mit den Sachen aus dem Beutel tun musst?"

Ich nickte eifrig. Stand ja alles dran und ich konnte es sogar lesen!

„Super, dann geh mir nicht weiter auf die Nerven."
Drei Hopser lang sah sie mich an.
„Und atme wieder.", sagte sie und drehte sich um.

Ich schnappte nach Luft. Puh, das war langsam knapp geworden. Aber sie sollte nicht gehen!

„Warte!", rief ich und griff wieder nach ihrer Schulter, aber sie war plötzlich weg und auf meiner anderen Seite. Das war schnell. War sie auch gut im Bodenkampf? Bestimmt.

„Wenn du lesen kannst, dann muss nicht nur ich vorlesen! Und du kannst Gabi helfen, sie ist hier auch eine Heilerin. Und sie schreibt, aber noch anders als die anderen und ganz sicher nicht wie wir. Ich glaube, sie ist ziemlich schlau, aber einiges von den Seiten kennt sie nicht und da keiner hier so lesen kann wie wir, braucht sie jemanden, der ihr vorliest. Aber ich kann nicht ständig vorlesen und auf den Wald aufpassen und mit Kaida fliegen. Hey, ich wollte dich doch sowieso zu ihr bringen!"

Kriemhilds Schlangenzöpfe wackelten mit den Enden, also den Köpfen. Hatte ich etwas Falsches gesagt?
Wer weiß. Alles, was Kriemhild antwortete, war:
„Seiten?"

„Ja, genau! Die Seiten! Viele Seiten. Von Selma."
Ach ja, nicht jeder kannte Selma. Wilfried und ich schon, aber wir waren nicht jeder.
„Selma ist die Frau, die Kräuter und Geschichten schickt und-"

„Ich weiß, wer Selma ist!", fauchte Kriemhild beinahe. Dabei war Selma eine nette Person, niemand, den man anfauchen musste.

„Nicht meine Selma. Sie ist toll und-"

„Und schiebt euch auf eine Insel ab, um sich nicht persönlich mit euch herumschlagen zu müssen? So langsam verstehe ich, weshalb sie das getan hat."

„Genau, wir hatten eine wichtige Aufgabe, immerhin mussten wir die Truhe beschützen, bis Kriemhild kommt, aber das war ein großes Missverständnis."
Oder? Die Kriemhild, vor der wir es beschützt hatten, hätte einen Grund, Selma nicht zu mögen.
Wartewartewarte-
„Du weißt, dass sie uns auf die Insel geschickt hat? Davon hat nur Wilfried mir erzählt!"

„So bin ich. Ich weiß Dinge. Und ich weiß ganz sicher, dass du hier störst."

„Du wirst wieder unfreundlich."

Immer noch, Wilfriede. Aber wenn du nicht gleich gehst, werde ich auch ungehalten."

„Hä? Wer hält dich denn?"

„War ich gestern Nacht nicht deutlich genug?"

„Doch, aber das beantwortet meine Frage nicht- egal, du kennst Selma! Und du schreibst wie sie! Das kann sonst keiner!"

„Weil alle anderen gestorben sind."

Nicht das jetzt. Nein.
„Also kommst du mit zu Grotel?"
Darauf hatte sie auch nicht geantwortet, also durfte ich wieder nachfragen.

„Ganz bestimmt nicht."
Sie hockte sich neben den nächsten Patienten und sammelte Flaschen aus ihrem Gürtel zusammen.
„Soll ich dir was für die Ohren geben?! Offenbar hörst du schlecht. Du sollst gehen. Weggehen."

„Aber ich will nicht."

„Dann hopse. Oder krieche. Hauptsache, du bist danach weg."

„Hey, sowas sagt man nicht! Das tut weh!"

„Gut so."

„Aber du bist Heilerin! Ihr tut nicht weh, ihr helft!"

„Heilung tut weh."

„Wovon heilst du mich denn gerade? Ich bin nicht krank, ich brauche keine Heilung, also ist es auch nicht richtig, dass du mir-"

„WILFRIEDE!", unterbrach mich Kriemhild. Ich zuckte zusammen und der Rest der Halle wahrscheinlich auch.
„Halt. Deinen. Mund. Und verschwinde endlich.", presste die Neue zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Vielleicht war sie weniger eine Schlange und mehr ein Drache. Schlangen brüllten nicht.
Eventuell mit Ausnahme von menschlichen Schlangen, die ihre Stimme als Giftzähne benutzten.

Ich würde ihr wohl einen Zettel schreiben. Den konnte sie so viel anschreien und wegschicken, wie sie wollte. Er hatte keine Ohren und auch kein Herz, das davon traurig wurde.












Meine Zettel blieben unbeantwortet und nach einer Woche sah ich, wie ein Schrecklicher Schrecken auf dem herumkaute, den ich erst am letzten Abend unter Kriemhilds Tür geschoben hatte. Das Papier war halb in einen Fisch gestopft worden.
Danach schrieb ich keine mehr.

Aber dann standen zwei kleine Beutel auf dem leeren Tisch in der Esshalle, wieder mit Tee. Und beschriftet. Und es wurden immer weniger Leute, die auf den Strohmatten lagen.
Und als ich zum Vorlesen ging, waren keine Zettel da. Flunderfischkniebeuge meinte, Kriemhild hätte sie sich ausgeliehen. Hoffentlich stopfte sie sie nicht ebenfalls in Fische und verfütterte diese dann an Drachen.

Offenbar nicht, denn auf dem Rückweg kam mir Kapitän Hicks mit einem bekannten Stapel Blätter in den Armen entgegen. Er lächelte, als er mich sah.

„Hallo Wilfriede."

„Hallo!", grinste ich zurück und winkte. „Können wir gleich in der Arena trainieren? Alle anderen haben zu tun."

An seinem Lächeln verändert sich etwas, es wurde traurig. „Leider nicht", sagte er. „Ich habe Ohnezahn einen langen Patrouillenflug versprochen. Hast du schon Grobian gefragt?"

„Muffel hat sich erkältet und er meint, er müsse die nächsten fünf Jahre in der Schmiede stehen, um alle Aufträge zu erledigen. Und Hilfe möchte er erstmal nicht, weil ich sonst schon so viel mache."

Hatte er jedenfalls gesagt. Meiner Meinung nach spielten die Schwerter, die ich vorgestern beim Schleifen zerbrochen hatte, und der angekokelte Blasebalg auch eine Rolle und er war nur zu freundlich, um es zu sagen. Das war nett von ihm.

„Was ist mit Gustav?", fragte Hicks.

Ich schnaubte und verschränkte die Arme. „Hmpf."
Ihn sollte man höchstens als Zielscheibe verwenden.

„Habt ihr nochmal miteinander gesprochen? Ich weiß, dass die Leute hier manchmal... sehr... sture Esel sind und alles besser wissen, doch tief in sich drin können sie gute Freunde sein."

„Heißt das, Rotzbakke war früher auch so ein dummer, schleimiger Aal?"

„Nicht nur früher.", murmelte Hicks.

„Wer hat dir dann gesagt, dass du nochmal mit ihm reden musst?"

„Ich- ähm, das ist kompliziert."

„Natürlich ist es kompliziert, alles hier ist kompliziert. Gustav hat sehr deutlich gesagt, dass ich nicht mehr mit ihm reden soll. Und das nichtmal direkt zu mir, sondern zu anderen. Ich habe es nur zufällig gehört."

Das Lächeln verschwand, als Hicks den Kopf schüttelte. „Ich rede gleich mit ihm, verspr-"

„Nein! Ich kann selbst reden, ziemlich gut sogar! Mir hören nur nicht viele zu! Außerdem macht das nichts besser, denn ich will nicht mit ihm sprechen. Egal, was er zu dir sagen würde. Kennst du das? Wenn ja, dann geht es irgendwann offenbar wieder weg, denn jetzt sprechen du und Rotzbakke miteinander. Ich warte einfach solange."
Und natürlich darauf, dass Gustav sich entschuldigte.

Hicks überlegte einen Moment. Die Seiten raschelten.
„Bei Leuten wie Gustav und Rotzbakke muss man sehr lange warten. Falls es überhaupt etwas bringt."

„Ich kann sehr lange warten. Wenn ich will. Und ich habe ja euch, also dich, Astrid, Heidrun, die Zwillinge, Fischstein, Rotz-dings, die Drachen und die Schnecken. Apropos Fischzeug, was ist mit den Seiten? Soll ich mitkommen und vorlesen?"

„Oh!"
Hicks sah auf den Stapel, als wäre der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht.
„Nein, ich- ich denke, du musst nichtmehr vorlesen. Wir..."
Da stockte er für eine Weile, als würden die nächsten Worte nichtmal in seinem Kopf Sinn ergeben.
„Wir haben jetzt neue, die wir selbst lesen können. Nira hat sie... übersetzt...", erklärte er mehr sich selbst als mir. „Und sie wird die alten behalten, sobald Gothi einen Blick auf diese hier geworfen hat und sie für sinnvoll befindet."

Hä?
„Wer ist Nira?"
Konnte noch jemand hier lesen? Und sogar übersetzen? Und ich wusste nichts davon?!

Kapitän Seitenstapel stutzte. „Nira? Du bist auf dem Schiff gelandet, als sie ankam. Der Händler hat sie gebracht."

„Ach so, du meinst Kriemhild!"
Das war ja noch unlogischer. Also ja, sie konnte das wahrscheinlich übersetzen und hatte Ahnung von Heilerzeug, aber wieso sollte sie die Seiten behalten wollen? Offensichtlich mochte sie Selma nicht besonders. Sollten die Rezepte auch als Drachenfutter enden? Nein, ganz sicher nicht! Das waren meine Seiten! Ich hatte sie Gabi-Githi nur ausgeliehen! Und wenn Kriemhild sie wollte, musste sie mit mir reden!

„Kriemhild? Wie Moira?"

„Ja, aber diesmal wirklich böse. Wahrscheinlich. Ich weiß noch nicht genau. Aber sie darf die Seiten nicht haben! Ich muss los! Tschüss, bis bald, gute Reise, auf Wiedersehen!"

Mittlerweile kannten meine Beine die Strecke und flitzten nur so über Wege, Wurzeln, vorbei an Schafweiden und den Anstieg hinauf. Ich riss die Tür auf, die ganze Hütte wackelte. Staub rieselte von einem Balken ins Licht, das durchs Fenster auf den Tisch fiel, der über und über mit Blättern bedeckt war. Nur eine kleine Arbeitsfläche mit Tintenfass und Feder war für eine Landkarte frei geräumt. Jemand, der ziemlich sicher Kriemhild hieß, hatte dort gepunktete Linien und Symbole eingetragen. Ein Zettel daneben war halb mit einer Liste beschrieben. Was war denn Guarana?

„Willst du unbedingt sterben?"

Ich zuckte zusammen. Da stand sie, an eine Stützsäule gelehnt, die Knöchel überkreuz gestellt und in den Händen einen fein gearbeiteten Dolch, dessen Klinge seltsam glänzte. Kleine Lichtbögen malten klare Muster auf das Metall, schillerten in Farben, die ich so schnell nicht erfassen konnte. Hatte sie ihn mit etwas eingerieben? Wohl eher nicht, wenn sie ihre bloßen Finger über die scharfen Kanten spielen ließ.

„Natürlich nicht. Warum stellst du immer so seltsame Fragen? Ich will die Seiten haben."

„Weiß Heidrun, dass ihr Schützling ein Dieb ist?"

„Ich bin kein Dieb! Das sind meine Seiten!"

„Nicht mehr, seit du sie weggeben hast."

„Ich habe sie verliehen! Nicht verschenkt und nicht weggegeben!"

„Dann waren sie dir nicht wichtig."

„Doch! Doch, sie sind mir wichtig! Deshalb will ich sie zurück!"

„Lerne draus."

„Ich? Warum muss immer ich etwas lernen?! Du musst genauso Sachen lernen! Wie man freundlich und höflich ist! Das sind meine Seiten und dir bedeuten sie gar nichts! Du verfütterst sie nur an Drachen! Das ist nichtmal gesund! Und du solltest das wissen, du bist Heilerin!"

„Ich werde als Heilerin bezahlt."
Kriemhild löste sich aus ihrer Pose und bewegte nicht mit kleinen, fließenden Schritten auf den Tisch zu, den Dolch in der Hand.
„Das macht mich noch lange nicht zu einer. Vorrangig bin ich Händlerin. Weißt du, was Händler machen?"

Pffft, wer wusste das nicht?
Ich verschränkte beleidigt die Arme.
„Sie handeln."

„Und zwar immer so, wie es gerade nötig ist. Berk brauchte einen Heilkundigen mehr, also habe ich ihnen einen gegeben."
Sie lehnte sich ein Stück über den Tisch zu mir, ohne das Holz oder die Blätter zu berühren.
„Aber sie brauchten auch jemanden, der die Schuld für sie übernimmt. Einen Sündenbock. Jeder sucht einen. Ein Wesen, das kein Mitleid braucht. Ein Monster. Das habe ich ihnen gleich mitgeliefert. Du willst die Seiten, die Selma euch geschickt hat? Hat sie euch nicht auch Geschichten geschrieben? Sag mir, Wilfriede, was passiert mit den naiven Helden, die sich in die Höhle des Monsters begeben?"

„Sie müssen am Ende jemanden küssen, glaube ich. Ich mag diese Geschichten nicht."

Kriemhild lehnte sich zurück und steckte den Dolch weg.
„Sie überleben aus absolut unangebrachtem Mitleid.", zischte sie leise.

„Wenn du keine Heilerin bist, obwohl du eine bist, brauchst du die Seiten nicht. Du magst sie nicht, du brauchst sie nicht und du magst nichtmal Selma. Aber ich schon. Und es sind außerdem meine."

„Nicht mehr.", schnalzte Kriemhild.

„Aber es ist ungerecht, wenn du sie behältst! Ich habe sie nur ausgeliehen! Um Leuten zu helfen! Ich wollte sie danach zurück!"

„So ist das, wenn man hilft. Niemand dankt und man selbst verliert etwas. Gewöhn dich dran."

„Aber das ist ungerecht! Und es stimmt nicht! Sie sind dankbar!"

„Natürlich. Deshalb läufst du immer allein herum."

„Du läufst auch allein herum!"

Sie schnaubte.
„Wenn du nicht gerade den letzten Rest Verstand verlierst und mir auf die Nerven gehst."

„Weißt du, die Leute wären dir auch dankbar, wenn du freundlicher wärst."

„Ich will keine Dankbarkeit für Lügen."

Kriemhild musste dringend den Raff-Tafftistischen Hörtest machen. So sehr konnte man sich gar nicht verhören.

„Freundlichkeit, nicht Lügen! Das ist so ziemlich das Gegenteil voneinander!"

„In dem Fall wäre ich bereits ausgesprochen freundlich."

„Eben nicht! Du- Hörst du überhaupt zu?!"

„Die Frage ist, ob du verstehst, was du sagst. Freundlichkeit wird enttäuscht, wenn sie ehrlich ist. Darauf kann man sich verlassen. Distanzierte Freundlichkeit wird Höflichkeit und Freundlichkeit ohne Naivität rankt sich um Lügen. Sie kann nicht gewinnen. Weshalb sollte ich etwas Aussichtsloses unterhalten?"

„Weil... weil alle anderen es auch machen!"

„Ach."
Sie verdrehte die Augen.
„Schnallst du irgendwann, dass ich mit 'den anderen' nichts zu tun haben will?"

„Okay, Schlangen wollen keine Freunde. Aber Schlangen trinken keinen Tee und übersetzen auf keinen Fall Rezepte."

„Monster schon."

„Hattest du schonmal Freunde?", fragte ich. Wenn sie noch keine hatte, konnte sie nicht wissen, wie gut sie waren. Dann wäre es logisch, dass sie keine wollte. Menschen konnten immerhin sehr kompliziert sein.

„Ja, und sie sind alle gestorben."

Oh.

„Bist du traurig?"

Kriemhild verdrehte die Augen. „Warum? Ich habe sie umgebracht."

„Was?! Aber- aber sie waren deine Freunde! Warum?!"

„Weil Monster das tun."

„Aber-"

„Soll ich es dir demonstrieren?", flötete Kriemhild, plötzlich wieder mit Dolch in der Hand.

„Nein! Ich- ich will nur die Seiten."

„Das hatten wir bereits. Du bekommst sie nicht."

„Es sind meine!"

„Pass besser auf das auf, was dir wichtig ist."

Wie konnte man so gemein sein?! Es waren MEINE Seiten! Sie hatte sie sich einfach genommen! Und ich sollte das hinnehmen?
Meine Faust knallte auf den Tisch.
„Nein! Hör auf, Dinge wegzunehmen, die anderen wichtig sind!"

„Hm?"
Sie zog eine Augenbraue hoch.
„Während du genau das gleiche tust?"

„Ich nehme nichts weg!"

„Dann gib mir die Zeit zurück, die ich mich mit dir rumschlagen musste."

„Man kann Zeit nicht zurückgeben! Oder wegnehmen! Sie gehört niemandem!"

„Sag das den Toten."

„Die. Können. Mich. Aber. Nicht. Hören."

„Noch nicht."

Das war wirklich Kriemhild. Aber ich hatte ewig für so einen Moment trainiert. Ich konnte gut kämpfen. Dummerweise konnte sie noch besser ausweichen und meine Faust landete im Leeren. Und Kriemhild lachte nur.
„Guter Versuch."
Sie entwischte auch dem Tritt und dem folgenden Handkantenschlag.
„Aber denk dran, dass dich alles hier drin töten könnte.", fuhr sie fort. „Und ich von allem am effektivsten."
Diesmal erwischte mein Schlag gerade noch einen ihrer Schlangenzöpfe. Ich vernachlässigte meine Deckung zugunsten von Schnelligkeit und- wo war sie hin?! Hinter mir. Die perfekte Position, um zuzuschlagen.
Aber sie schlug nicht. Sie wich nur aus. Jetzt sprang sie wieder zurück und hatte sich dabei wohl auf die Zunge gebissen, denn ihre Hand fuhr zum Mund. Ein Stich in meiner Schulter, war etwas zu viel Schwung gewesen, aber nicht schlimm. Ich sprang ihr nach, mein Schlag brach ab, bevor ich ihn vollenden konnte. Der Arm sackte einfach nach unten. Die Geräusche wurden dumpf, ich sah nicht mehr richtig. Kriemhilds Schemen nahm die Hand vom Mund. Ich kippte vorn über, stieß gegen den Tisch, Blätter stoben zu Boden, jemand packte meinen Arm-













Das Bett schwankte. Wie auf einem Schiff. Aber ohne das Geräusch von Wellen.

„Den Göttern sei Dank!"

Das Licht war zu hell, aber ich konnte gerade so schwarze Haare ausmachen. Heidrun?

„Hmnn..."
Aufsetzen war eine sehr schlechte Idee gewesen. Sah Heidrun auch so. Ihre Hände halfen mir dabei, mich langsam wieder hinzulegen.
„Wo bin ich?"

„In unserer Hütte. Fischbein ist noch bei Gothi einquartiert und Nira hat sich strikt geweigert, dich in der großen Halle zu akzeptieren." Heidrun schnaubte trocken. „Da waren wir ausnahmsweise einer Meinung."

Nira! Die Seiten!

„Sie hat die Seiten!"

„Hey, bleib liegen!"

Wäre besser gewesen. Im Stehen schwankte die ganze Hütte und schubste mich zurück auf den Po.

„Aber sie-"

„Wir holen sie dir morgen zurück, sobald du dich erholt hast. Sei das nächste Mal etwas vorsichtiger, wenn du trainierst, ok?"

„Ich- ich habe gar nicht- Ich war nicht..."
Aber wenn ich ihr sagte, was ich wirklich gemacht hatte, würde Heidrun wütend werden. Ihre Wut war laut und mein Kopf tat schon weh.
„Ok."










Beim Abendessen war mir noch nicht wirklich gut. Der Geruch half auch nicht. Hungrig schlafen gehen war allerdings nicht schön, also saß ich trotzdem in der großen Halle.
An dem leeren Tisch. Kriemhilds Tisch.
Gut, dass die gerade völlig eingebunden war. Am Nachmittag hatte es einen Wolkenbruch gegeben und einige Glutkessel beanspruchten die Fischschwärme für sich, sodass die freien Matten nun von triefenden Fischerleuten belegt wurden.
Kriemhild war gar nicht begeistert gewesen. Aber das war sie sowieso nie.

Urgh, diese Suppe schmeckte immer mehr nach nichts. Sogar mit eingetunktem Brot. Dabei war der Händler heute da gewesen.
Ich konnte bestimmt beim Kochen helfen! Damit kannte ich mich aus. Ein bisschen. Ich hatte Wilfried oft zugesehen. Ha, wenn er hier war, würde er ganz sicher allen zeigen, wie das richtig ging!
Solange hielt ich das noch aus.

Nein, Kommando zurück, hielt ich nicht. Eine halbe Schüssel schaffte ich, alles darüber erzeugte rummelnden Protest in meinem Magen.
Ich schob die Schale weg. Für wenig Geschmack hatte die Brühe sehr viel Geruch.

Etwas rumste auf den Tisch, ich schrie erschrocken auf, wollte wegspringen und kippte samt Bank um.
Aufrappeln, überraschenderweise hatte die Schale alles überlebt. Neben ihr lag ein Paket, eingeschlagen in fleckigen, aber weichen Stoff und zusammengehalten von dünnen Bändern, an denen man Kräuter zum Trocknen aufhing. Mit einer Schleife.

Niemand zu erkennen, der es hier hingelegt haben könnte. Hm. Fühlte sich schwer an. Geschichtet. Wie... Pergament?
Die Seiten?!

Wirklich! Das waren sie! Und ein kleiner Zettel. Die Tinte war trocken, hatte aber noch diesen unberührten Glanz.

Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt.

In meiner Schrift.
Ich hob den Blick und einen Moment erwiderte Kriemhild ihn, während sie eine Bisswunde ausspülte.







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5596 Wörter

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