54 (7) Teegespräch
Wilfriede
Die große Höhle war wieder total überfüllt, aber das störte keinen. Also auch mich nicht.
Große Höhle? Hütte? Raum? Loch im Berg?
Nein, definitiv nicht 'das große Loch im Berg'. So einen langen Namen hatte Nicht-Astrid nicht benutzt.
Aber vielleicht wäre so ein langer Name besser gewesen. Ein langer Name mit vielen Worten für die vielen Menschen und Stimmen und Geräusche. Und Gerüche. Die wurden jeden Tag schlimmer. Und jeden Tag husteten mehr Leute. Aber es kümmerte niemanden, dass hier auch Essen gemacht wurde.
Wilfried hatte sich durch die Haare gestrichen und mich zurück in mein Zimmer gejagt, wenn ich beim Herd auch nur niesen musste. Vielleicht wäre Berk doch nichts für ihn gewesen.
Aber sie hatten geniale Zielscheiben. Und wir hatten sogar alle getroffen! Und manchmal auch die Zwillinge, aber Raff hatte sich nur die Flammen aus den Zöpfen geklopft und irgendwas über Chaos gesagt. Und war vor Lachen wieder hingefallen, als sie das verkohlte Gesicht ihres Bruders sah. Vielleicht war Feuer doch nicht so gefährlich. Aber es war trotzdem heiß und gefräßig. Vielleicht schmeckten ihm die Zwillinge nur nicht?
Wie mir dieses eklige Gebräu, das aus den Holzhumpen auf den Tisch schwappte. Bäh. Das Holz mochte das Zeug auch nicht, es wurde davon ganz grau.
Aber die Leute tranken es. Aber keinen Tee.
Ich trank Tee.
Und wenn Holz seine Farbe änderte, dann machte dieses... wie hatte Hildegard es genannt? Nicht-Hildegard. Aber wie hatte sie es genannt? M... Mmmmmm... Alkohol? Irgendwie so. Alko-hohl. Aber es war flüssig. Und Flüssiges war nicht hohl.
Das ergab schon wieder keinen Sinn. Aber niemand hinterfragte es. Es war ja nur ein Name.
So wie meiner. Wilfriede. Will Friede. Dafür stiftete ich wahrscheinlich ziemlich viel Unruhe. Aber sie ließ sich so einfach stiften, ganz ohne, dass ich es wollte. Diese Holzhöhlen waren halt nicht für mich gebaut. Und es gab zu viele lose Gegenstände. Und generell einfach zu viel. Überall stand etwas rum. Selbst im Wald. Da waren Fallen und die waren immer woanders. Dabei war es sinnlos, Fallen zu wechseln. Wenn ein Tier gefangen wurde, wurde es gekocht. Es würde der Falle beim nächsten Mal nicht ausweichen. Oder es wurde freigelassen, weil man es mochte und dann war es doch gut, wenn es nicht wieder in die Falle ging. Also warum wechseln?
Das war nur verwirrend.
Holz. Graues Holz.
Wenn dieses Trinken Holz änderte, dann bestimmt auch Menschen. Das erklärte, weshalb hier alle anders als ich waren.
Oder war ich anders als sie?
Waren wir alle anders als die anderen?
Da sollte noch jemand durchsehen, ehrlich.
Wo war Nicht-Heidrun hin? Nicht-nicht-Heidrun. So langsam bekam ich ihren Namen hin!
Aber jetzt war sie trotzdem weg, auch wenn ich wusste, wie sie hieß. Seit vor ein paar Tagen der Händler da gewesen war, war sie noch seltsamer geworden. Sie hatte oft geschrien und einige Zielscheiben zerlegt. Ich dachte immer, man sollte versuchen, sie heile zu lassen.
Das war hier auch anders.
Aber sie war trotzdem immer mit mir zusammen in diese Halle gegangen.
Halle! Große Halle! Jawohl, so hieß das!
Wo war jetzt Heidrun, damit ich ihr das sagen konnte?
Immer noch weg.
Mein Magen knurrte. Zumindest ruckelte er seltsam in meinem Bauch. Zu hören war bei diesem Lärm nichts.
Es gab bestimmt wieder Fischsuppe.
Bäh. Warum keinen Grießbrei? Nicht ein einziges Mal hatte es Grießbrei gegeben. Nichtmal Haferbrei.
Wahrscheinlich hätte das eher der Boden gegessen. Die Leute hatten Probleme damit, Essen im Mund zu behalten. Oder Trinken.
Aber warum gab es dann Tische? Auf dem Boden lag mindestens genauso viel.
Okay. Irgendwie musste ich jetzt durch diese Menschen. Und einen Sitzplatz finden. Und was zu Essen.
Genau. So wie die letzten Male auch. Einfach-
„HEY! Pass doch auf!"
Etwas knallte zu Boden. Einer dieser Holzhumpen. Ein Bart zitterte wütend, an meinem Ellbogen wurde es nass. Erschrocken drehte ich mich um, um mich zu entschuldigen, trat auf etwas und kam mit der anderen Hand gegen einen Helm und dann fiel noch ein Teller runter und die Menschen wurden lauter und ich war plötzlich mehrere Tische weiter, rennend, und meine Beine wollten nicht aufhören und meine Hände hielten die Ohren zu.
Und hier war auch nichts frei.
Tief durchatmen. Das sollte helfen, aber es stank und Gestank half halt nicht, aber irgendwie sollte man es trotzdem machen und- Was war das für ein Geruch?
Tee! Tee! Es roch nach Tee! Jemand machte Tee!
Der Geruch kam von... irgendwo.
Kaida wüsste, wo wir hinmussten. Aber Kaida durfte nicht in diese Höhle.
Vielleicht ja von da. Nein, nicht von da. Also musste ich wieder einige Meter zurück. Da vielleicht?
Irgendein Tisch wackelte, als ich gegenstieß, aber der Geruch wurde stärker. Oder?
Doch, ganz eindeutig. Pfefferminztee!
Hey, da! Da musste er herkommen, denn da stand eine Kanne auf dem Tisch und es waren keine Leute da. Sinnvoll, denn die tranken keinen Tee.
Alko-hohl und sinn-voll. Das war auch seltsam. Sinn war kein Gefäß und daher nicht voll. Und was war Alko?
Die Kanne dampfte sogar noch. Nein, nicht die Kanne, sondern der Tee darin. Und es gab Becher aus Keramik! Zeug, das ich kannte! Nur ohne Henkel. Verständlich, Henkel ließen sich schwer abwaschen. Deshalb nahm ich auch lieber Wilfrieds Tasse.
Die Kanne flog hoch.
Was?!
Oh, da saß doch jemand. Im Schatten. Großartig! Jemand trank Tee!
Die Bank wackelte, ich hatte wohl etwas zu viel Schwung gehabt. Aber sie kippte nicht um!
„Da ist jemand ganz besonders mutig", sagte die Person.
„Wer denn? Wo?"
Niemand zu sehen, der etwas besonders Mutiges machte. Oder war es besonders mutig, sich gegenseitig anzugrölen? Bestimmt. Deshalb waren Wikinger auch so mutig.
Die Kanne wurde abgestellt.
„Du hast dir gar nichts eingegossen", stellte ich fest.
War der Tee noch nicht durch?
„Du hast hier gar nichts verloren", sagte sie in einer ähnlichen Stimmlage wie ich zuvor.
„Natürlich nicht."
Ich runzelte die Stirn.
„Sonst würde ich danach suchen. Aber ich suche nichts. Jedenfalls nicht hier. Aber danke, dann muss ich auch nicht anfangen zu suchen."
Sie goss sich Tee ein.
„Darf ich auch?", fragte ich.
So machte man das nämlich.
Sie zog eine Augenbraue hoch.
Das wollte ich auch können.
„Hast du keine Angst davor, vergiftet zu werden?"
Meine Güte, sagte sie seltsame Sachen. Schon wieder etwas, das doch eigentlich offensichtlich war.
„Warum sollte man keine Angst davor haben? Gift ist schlecht. Aber ich weiß nicht, wer mich vergiften sollte, also nein, nicht direkt, aber grundsätzlich schon. Sollte ich immer Angst davor haben? Aber warum sollte mich jemand vergiften? Was habe ich denn gemacht? Oder-"
Oh! Darauf wollte sie hinaus!
„Oder hast du Angst davor, dass dich jemand vergiften könnte? Nein, keine Sorge, sowas machen die Leute hier nicht. Sie sind zwar seltsam, aber nicht so seltsam. Du bist bestimmt die Neue, richtig? Ja, ich glaube, ich habe dich auf diesem Schiff gesehen. Beim Händler. Toll, dass du einen hergebracht hast! Oder er dich. Hicks hat wirklich einen gebraucht. Also, es ist zwar eigenartig hier- sie schlafen in diesen Holzhöhlen und trinken Alko-dings, was ein total sinnfreies Wort ist, und sinnfrei ist sinnvoller als sinnvoll, was nicht sinnvoll ist, aber egal- aber die Leute sind nett. Meistens. Besonders Hicks. Der ist wirklich nett. Und Nicht-Astrid. Heidrun! Sie heißt Heidrun! Ja, die sind sehr nett. Und Astrid natürlich auch. Und die Zwillinge. Die heißen Raff und Taff, das kann man sich gut merken. Ich bin Wilfriede. Und ich mag Tee."
Ich überlegte kurz.
„Ach ja, und das hier ist die große Halle."
„Ich bin das Monster aus den Schatten", sagte sie und goss mir einen Becher ein.
„Oh, okay. Kann ich dich auch etwas Kürzeres nennen?"
Auf dem Schiff hatte sie sich anders vorgestellt, ganz sicher. Mit einem kürzeren Namen.
Sie schob den Tee über den Tisch.
„Nira."
Ich nahm den Becher entgegen.
„Danke! Und du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Dieses Zeug, was sie trinken, schmeckt zwar scheußlich, aber es ist nicht giftig. Für die meisten. Es macht sie manchmal nur dumm."
„Noch dümmer", erwiderte Nita.
Vielleicht war dumm nicht das richtige Wort gewesen.
Aber Heidrun hatte es so beschrieben.
Ich hatte ihren Namen wieder richtig hinbekommen!
Rita sah aus, als wolle sie etwas sagen, aber sie trank dann nur.
„Hey, ich kann dir nachher Kaida zeigen! Und wir könnten Kuyen satteln! Hast du Zeit für einen Ausritt? Die anderen nicht. Und ich kann ja nicht beide fliegen. Du weißt doch, wie man fliegt, oder? Ich meine, du bist auf Berk, aber du kommst ja von wo anders, also bin ich mir gerade nicht sicher. Wir könnten nach oben zu Gabi fliegen! Ich muss nachsehen, ob sich Flunderschuh noch mit den Schnecken verträgt. Nein, warte, er heißt anders. Er heißt... Karpfen ist ein Fisch und Schuhe trägt man an den Füßen, die am Bein sind. Also... Fischknie. So ähnlich jedenfalls. Und wir dürfen nicht vergessen, mit Gretas Stock abzuklatschen, wenn sie ihn uns hinhält. Der ist übrigens auch nett. Nicht der Stock, sondern der Mensch. Also, Fischdings. Bei Gotha bin ich mir nicht sicher. Sie mag keine Schnecken. Aber du bist keine Schnecke, also wird sie dich mögen."
Nia verschluckte sich kurz an ihrem Tee.
„Nein", sagte sie dann und stellte den Becher ab.
„Nein was?"
Ich legte den Kopf schief.
„Nein, du darfst dich hier nicht hinsetzen."
„Aber das habe ich doch gar nicht gefragt."
„Richtig. Nimm also deinen Tee und verschwinde."
„Das ist ziemlich unhöflich."
„Wie man's sieht. Vielleicht rette ich dir gerade das Leben."
„Wovor denn?"
Sie goss sich nach und sah mich über ihre Hände hinweg an: „Mir."
„Aber du hast Tee."
„Und außerdem einen ganzen Tisch für mich allein."
„Deshalb bin ja jetzt ich da. Allein sein ist doof. Aber zu viel sein auch."
„Lektion eins fürs Leben unter Menschen: Wenn sich alle von einem Ort fern halten, hat das einen Grund."
„Ja. Sie mögen keinen Tee."
„Sie haben Angst."
„Vor Tee?!"
„Vor mir. Dafür reicht ihr Verstand gerade noch."
„Oh, ich glaube, du verwechselst etwas. Sie mögen den Tee nicht. Das hat nichts mit dir zu tun. Sonst hätten sie dich nicht aufgenommen."
Der Tee schmeckte gut. Es war sogar Honig dran!
„Ich habe sie dazu gezwungen, mich aufzunehmen. Und jetzt verschwinde."
„Aber warum solltest du sie zwingen? Womit denn?"
„Du sollst gehen, sagte ich."
„Zu den Drachen? Kommst du mit?"
„Warum sollte ich?"
„Habe ich doch schon gesagt. Damit wir ausreiten können. Kuyen vermisst das."
„Was ist mit seinem Reiter? Liegt der auch dahinten und suhlt sich in Selbstmitleid?"
„Nein, sowas macht Wilfried nicht. Er ist ein toller großer Bruder."
Oh nein, hatte ich das gerade ausgesprochen? Wieso passierte mir sowas ständig?
„Aber sag ihm nicht, dass ich das gesagt habe.", flüsterte ich schnell.
Naja, nicht glorreich, aber besser als nichts.
„Und wo ist dein toller Bruder gerade?"
„Nicht auf Berk, deshalb kann er Kuyen auch nicht fliegen. Ist doch logisch."
„Mich interessiert nicht, wo er nicht ist. Wo ist dieser großartige Bruder, der seine Schwester ganz allein bei Fremden lässt?"
„Hicks und Astrid und die anderen sind nicht fremd!"
„Wo ist er?", beharrte Nira und ihre Stimme klang beinahe so, als würde man zwei Steine aufeinander schlagen. Hart.
„Woanders."
„Wo?"
„Halt nicht hier!"
„Soll ich es dir sagen? Wo er ist?"
Sie beugte sich vor, über die Kanne. Dampf wirbelte um ihr Gesicht, Schatten tanzten über ihre Haut.
„Er ist tot."
„Ist er nicht!"
„Dann ist er ein feiger Idiot."
„Ist er nicht!", rief ich und schlug auf den Tisch. Es knallte laut, ich hatte noch die Tasse in der Hand gehabt. Sie kippte um, als ich losließ.
Nira zuckte mit den Schultern, lehnte sich zurück.
„Also ein toter Idiot."
Sie nippte an ihrem Becher.
Ich schlug ihn ihr aus der Hand, aber sie packte meine Unterarme und knallte sie auf den Tisch. Der Becher flog auf den Boden, Scherben und Tee spritzten über die Steine.
Ihre Augen bohrten sich in meine. Ich zerrte an meinen Armen, aber sie war stark. Das raue Holz war unangenehm, kratzte gegen meine Befreiungsversuche.
Sie begann zu reden und die Schatten in ihren Augen sagten bereits, dass es keine guten Worte werden würden. Dann kamen sie auch schon. Giftige Worte.
„Er ist tot und sein Drache hat keinen Reiter mehr. Er kommt nicht nach. Er wird nichts von dem hier sehen und sich keine deiner trivialen Geschichten anhören. Nicht eine einzige. Verstehst du, was ich sage?"
„Lass los!"
„Verstehst du, was ich sage?!", zischte sie.
„Du bist gemein!"
„Korrekt. Langsam schnallst du's."
Sie schubste meine Arme weg.
„Du bekommst keine Freunde, wenn du gemein bist", sagte ich böse. Die Haut wurde dunkler, wo sie sie angefasst hatte. Und es tat weh.
„So der Plan."
„Dummer Plan."
Und dummer Tee. Und dumme Kira. Dumme Welt. Dumme Menschen. Dumm, dumm, dumm. Allesamt.
Dafür gab es bestimmt auch ein Wort. Aber ich würde sie nicht fragen. Nicht jetzt und auch nicht später. Dann sollte sie halt allein hier sitzen.
Aber die Halle war immer noch voll. Kein Durchkommen, ohne wieder jemanden anzurempeln. Und sie schimpften dann immer.
Als wäre es nicht schon laut genug.
An diesem Tisch war es ein bisschen stiller. Es roch nach Tee. Und diese gemeine Person saß hier.
Hmpf.
Allerdings war Moira anfangs auch gemein gewesen. Sehr gemein. Hatten die Leute diese Frau deshalb für Moira gehalten?
Wenn ja, dann war das vielleicht wieder nur ein Missverständnis. Sie kannte Wilfried nicht, also wusste sie auch nichts über ihn. Ich schon. Ganz einfach.
Die Bank kippelte, als ich mich wieder auf ihren Rand plumpsen ließ.
Mein Name wurde gesagt, aber sie konnte vergessen, dass ich darauf antworten würde. Moira hatte sich auch entschuldigt. So in etwa.
Und vorher würde ich nicht mehr mit ihr sprechen.
Der Tee dampfte noch. Was für ein seltsamer Plan.
Tee kochen, aber keine Freunde wollen. Hatte sie deshalb Tee gekocht? Weil niemand hier den mochte?
Wieder mein Name. Ich schloss die Hände um die henkellose Tasse. Es war überhaupt nicht schwer, sie komplett mit meinen Fingern zu umranden.
Diese Tasse war auch zu klein. Oder ich war selbst für eine Tasse zu groß. Wie sollte ich dann in ein Dorf passen?
Und schon wieder mein Name. Lauter diesmal und definitiv nicht aus der Richtung vom Tee. Es rumpelte, die Stimmen wurden lauter, als kämen sie in einer Welle auf mich zu. Da waren Schritte und metallisches Klirren und bevor ich aufstehen konnte, zog mich jemand von der Bank und knallte die Fäuste auf den Tisch.
Die Neue sah auf. Wie hieß sie noch?
„NIRA!"
Heidruns Stimme tat in den Ohren weh, aber sie sah wütend aus. Sehr wütend. Lieber nichts zu ihrem Schrei sagen.
Nira schien der Ton nichts auszumachen. Sie nahm einen Schluck Tee. Direkt aus der Kanne.
„Lernst du meinen Namen? Wie schön."
Hildegard hatte auch Schwierigkeiten damit, sich Namen zu merken? Ich sollte ihr unbedingt von meinen Eselsbrücken erzählen! Wir könnten zusammen üben!
„Was hast du mit Wilfriede gemacht?", knurrte die Schwarzhaarige, anstatt zu antworten. War wohl eine dieser Fragen gewesen, die keine Antwort wollten.
Die Neue zuckte die Schultern.
„Sie weggeschickt. Aber offenbar kennt keiner hier die Bedeutung davon, denn stattdessen benehmt ihr euch, als wärt ihr gerade persönlich eingeladen worden."
„Du musst es wissen", fauchte Heida. Wie eine Katze, der man Wasser ins Gesicht gespritzt hatte. Eine Katze mit Rüstung. Ob es Katzenrüstungen gab? Wilfried könnte bestimmt eine-
Dumme Gedanken. Und dumme Arme. Sie sollten endlich aufhören, wehzutun!
Die nicht-Katze kniff die Augen zusammen- also, noch weiter, als sie schon waren. Konnte man da überhaupt noch etwas sehen?
Jupp, konnte man. Ein bisschen verschwommen allerdings.
Oh, beinahe hätte ich verpasst, wie sie die Kanne, den leeren Becher und schließlich die Scherben ansah.
Die Augen wurden schlagartig wieder groß. Größer als sonst. Fast rund. Und sie verlor die Farbe im Gesicht, das plötzlich zu mir schnappte.
„Du hast nichts getrunken, oder?!", fragte sie und mein Herz schlug schneller, als ich auf den leeren Becher sah. Angst war ansteckend. Wie eine Krankheit. Warum eigentlich?
„Wilfriede."
Sie machte einen winzigen Schritt auf mich zu.
„Sag mir, dass du nichts getrunken hast!"
„Aber...", setzte ich an.
„Nira!", fauchte Heidrun, schoss zu ihr herum und riss mit einer Hand die Axt von ihrem Rücken.
Nora verdrehte schnaubend die Augen.
„Pfefferminztee. Gemeingefährlich", sagte sie mit einem seltsam unfröhlichen Lächeln.
„Nein, nein."
Es war ok, wenn sie Selmas Blätter nicht lesen konnten, aber sie sollten trotzdem nicht sowas Falsches glauben.
„Pfefferminztee ist nicht gefährlich. Ganz im Gegenteil. Er ist gut bei Erkältungen. Oder so ähnlich. Aber defintiv-"
„Gib ihr sofort das Gegenmittel", verlangte Heidrun. Hatte sie gerade nicht zugehört?
Nira schüttelte den Kopf, was ich mich nicht getraut hätte, wenn ein Axtblatt so kurz vor meiner Stirn schweben würde. Das war noch mutiger, als sich gegenseitig anzugrölen.
„Das Gegenmittel!"
Heidrun lehnte sich vor, die Axt zitterte leicht.
„Aber es ist nur Tee!"
Ich griff die Axt und hob sie mit einem Ruck hoch. Das war erstaunlich einfach, Heidra hatte wohl nicht besonders fest gehalten.
„Tee ist nicht giftig!"
Zwei überraschte Blicke folgten der Axt. Also, wahrscheinlich waren sie überrascht. Nina lachte leise.
Was war nur mit Heidrun los? Warum verhielt sie sich so anders? Ich hatte vorhin noch gesagt, dass sie nett sei! Und das war sie sonst auch immer. Kannten sich die beiden schon? Aber warum war Anita dann hier? Und warum vertrugen sie sich nicht einfach? Man konnte sich immer vertragen. Das hatte Wilfried mir gesagt. Oft. Man musste nur über alles reden und sich entschuldigen, wenn man etwas Schlimmes getan hatte, wie zum Mittag Schlammsuppe zu kochen. Und dann war es wieder gut.
„Was hast du reingetan?!"
Oh je, gleich sprang Nicht-Astrid über den Tisch.
Stattdessen griff sie nach irgendwas hinter der Kanne und hielt es Anita in der geschlossenen Faust entgegen.
„Was ist das?!"
Anita grinste.
„Honig. Der sollte selbst dir bekannt sein."
„Lass deine Spielchen!"
„Sieh nach und blamier dich, wenn du darauf bestehst."
Meine Freundin riss den Stopfen aus der Ampulle, roch an der Öffnung und ließ ein bisschen was auf den Tisch tropfen.
Honig, ganz klar.
Sie schnaubte, warf den Arm zur Seite, als wollte sie das Fläschchen- Aber man darf doch keinen Honig weg!
Sah Nora genauso, blitzschnell schossen ihre Hände vor und pflückten den Honig aus der Luft. Puh, das war knapp gewesen.
Deshalb war es also so wichtig, dass ich die Rezepte vorlas. Die Leute hier hatten ganz falsche Vorstellungen von Pflanzen und Heilerzeug.
„Schwer zu glauben, dass du dich von Honig bedroht fühlst."
Nia schloss die Ampulle und atmete verächtlich aus.
Jetzt wusste ich endlich, was dieses Wort beschrieb. Es passte wirklich gut.
So langsam wurde die Axt schwer. Aber Heidrun sah noch nicht so aus, als würde sie niemanden mehr angreifen wollen. Im Gegenteil, sie krallte die Nägel in den Tisch und versuchte, Anita mit Blicken zu verbrennen.
„Ich schwöre dir", begann sie und ihr Ton war mindestens so gefährlich wie ihr Blick, „wenn du Wilfriede auch nur anrührst..."
Ni... die Neue neigte den Kopf ein bisschen, eine Augenbraue zuckte hoch.
„Du schwörst ziemlich unbedacht", sagte sie.
Jetzt bleckte Heidrun die Zähne. Ich schluckte. Die Axt wurde noch schwerer. Mein Magen zitterte, nur nicht mehr vor Hunger. Eher, weil er wegrennen wollte.
Langsam, ganz langsam den Haltearm wechseln... okay, und gaaaanz langsam den Arm wieder runternehmen... ja, das war- oh-oh.
Heidrun hatte die Stellen entdeckt, an denen ich festgehalten worden war. Sie waren noch dunkler geworden.
Kümmerte die Neue nicht. Sie lehnte sich zurück, dabei hatte die Bank gar keine Lehne.
„Auch Monster dürfen sich verteidigen", erklärte sie... fröhlich?
Was für Mons- oh, so hatte sie sich vorgestellt.
Hieß sie wirklich Monster?
„Du-", setzte Heidun an, wurde aber sofort unterbrochen: „Du wolltest schwören. Worauf nochmal?"
Heidrun gab keine Antwort, sondern knurrte nur.
„Ich soll dich also ernst nehmen?", fragte Nira auf eine Weise, die nicht nach Frage klang. „Für leere Worte? Womit willst du mir drohen, Heidrun? Was kannst du wahr werden lassen? Und wovor sollte ich mich fürchten? Ihr braucht mich."
Sie stand auf.
„Pass besser auf deinen Schoßhund auf, damit tust du uns beiden einen Gefallen. Wenn ihre Hoheiten mich nun entschuldigen würden, ich mache mich nützlich."
Mit einem kleinen Knicks drehte sie uns den Rücken zu und verschwand nicht in der Menge. Die Leute machten ihr Platz, bis sie bei den Kranken ankam. Manche hielten schützend die Hände übers Essen. Oder die Trinkbecher.
Mieden sie Nira, weil sie Tee trank? Oder mieden sie Tee, weil Nira ihn trank?
Heike schlug den Tisch. Der konnte wirklich am wenigsten was für das, was an ihm passiert war.
„Diese falsche Schlange!"
Weiter weg beugte sich die Neue über einen Mann auf einer Strohmatte. Aus der Entfernung könnte man ihre beiden Zöpfe wirklich für Schlangen halten, die von ihrem Kopf über die Schultern wuchsen und den Patienten begutachteten.
Manchmal hielt man Schlangen für Monster. Sie sollten Lügen zischen und ihre Giftzähne mit Vorliebe bei Ahnungs- oder Hilflosen einsetzen.
Die Neue hatte keine Giftzähne, aber giftige Worte. Und ihre Hände hatten um meine Arme zugeschnappt wie das Maul eines unfreundlichen Tieres.
Unfreundlich. Unanfreundbar.
Für eine Schlange war ihr Plan bestimmt gut.
„-iede?"
„Hmm?", machte ich und sah wieder zu Nicht-Astrid. Sie hatte besorgt die Augenbrauen zusammengezogen. Schüttelte leichte den Kopf.
„Lass uns gehen", sagte sie.
„Warte!"
Ich nahm die Axt runter und gab sie ihr wieder. Just, als sie sie entgegennahm, meldete sich lautstark mein Bauch zu Wort, der sich mit Tee als Mittag einfach nicht zufriedengeben wollte. Er war sogar laut genug, um trotz des Gequatsches und Geklappers gehört zu werden. So laut konnte nichtmal Kaidas Magen knurren, ehrlich.
Heidrun schüttelte wieder den Kopf, lächelte dabei aber. Dann griff sie meine Hand und zog mich zielstrebig durch die Menschenmasse.
„Ich hoffe, dass die klapprige Hütte nachts über ihr zusammenbricht."
Heidrun stampfte auf die Stufen, die von der Halle wegführten, als wären es Pfützen.
„Aber das ist gefährlich!"
„Eben drum." Sie schnaubte. „Dann gäbe es ein Problem weniger, um das wir uns kümmern müssen."
„Hä?"
Ich blieb stehen. Treppenlaufen erforderte Konzentration und die brauchte ich gerade für dieses Gespräch.
„Wieso hilft es, wenn noch jemand verletzt ist? Und wer soll sich um alle kümmern, wenn Nola selbst Pflege braucht? Ich kann euch zwar vorlesen, aber im Anwenden bin ich nicht so gut."
„Weil sie eine vermaledeite Hexe ist, deshalb!"
Ich zuckte zusammen und Heidrun atmete tief durch, bevor sie weitersprach: „Erinnerst du dich noch daran, dass ihr uns erst für eure Feinde gehalten habt? Dabei war das nur ein kleiner Lesefehler und Moira wollte euch nichts Böses. Bei Nira ist es genau andersherum. Man könnte sie für jemanden halten, der helfen will, aber sie hat nur Schlechtes vor. Früher oder später zeigt sie uns, wie falsch wir gelegen haben und dann zerstört sie alles."
Kurze Pause, in der sie Blickkontakt suchte.
„Und deshalb, Wilfriede, solltest du dich von ihr fernhalten. Okay?"
„Sie ist eine schlechte Kriemhild?"
„Wer ist Kriemhild?"
„Na, die Person aus der Geschichte. Moira. Die, die mit einer Maske kämpft."
„Ja, sie ist eine schlechte Kriemhild."
„Können wir in den Wald gehen?"
Die Frage ließ Heidrun mehrfach blinzeln. Weil es selten war, dass hier Leute einfach so in den Wald gingen. Es gab immer etwas zu tun, was wichtiger war. Sägen, zum Beispiel. Oder fischen. Das war auch alles toll, aber nicht jeden Tag. Immer das gleiche. Und vor allem nahm sich niemand die Zeit, Freude daran zu empfinden. Niemand bestaunte die Jahresringe, genoss den Geruch nach Harz oder untersuchte, wie sich Moos an die Rinde gehaftet hatte.
Es musste schnell gehen, damit die Holzhöhlen- Häuser- repariert werden konnten. Am Ende, wenn alle wieder weg waren, würden sie diese Holzbauten wieder einreißen und in ihre echten Höhlen ziehen. Die aus Stein. Wie sich das gehörte. Sie hatten es zwischen all den Aufgaben nur vergessen, deshalb sprach niemand davon.
„Bitte?", setzte ich hinterher und setzte meinen besten Bettelblick auf. Dem konnte nichtmal Kuyen widerstehen.
„Willst du nicht lieber Gothi helfen? Sägen hatte dir gestern nicht gefallen."
Uff. Aufgaben, mal wieder.
Schnaubend verdrehte ich die Augen.
„Nicht arbeiten. Nur in den Wald. Geister jagen."
Sie überlegte.
Ach ja, ich hatte das wichtigste vergessen:
„Okay."
Jetzt war sie verwirrt.
„Was?", kam auch direkt die Frage.
„Okay, ich halte mich von der schlechten Kriemhild fern. Jetzt weißt du, dass ich vorsichtig sein werde, und ich darf in den Wald, richtig?"
Sie widersprach nicht direkt. Das war eine Erlaubnis.
„Tschüss! Bis heute Abend!", winkte ich schnell und rannte los. Rennen tat gut, einen Schritt nach dem anderen, die Stimmen und Bilder um mich herum verwuschen, nur vor mir sah ich scharf.
Bäume waren im Herbst besonders schön. So viele Farben! Und Igel. Aber die sollte man lieber nicht streicheln, so niedlich sie auch waren.
Blätter raschelten, denn Bäume konnten auch erzählen. Aber geduldiger als Menschen. Sie redeten mit dem Wind, darüber, was sie in diesem Jahr alles getan hatten. Und wovon sie im Winter unter einer Schneedecke träumen würden. Welchen Tieren sie Unterschlupf boten oder wie viele neue Geheimnisse sich in ihren Zweigen verhangen hatten. Dort blieben sie nämlich hängen, wenn man sie erzählte, während man unter einem Baum stand. Der Wald hielt sie fest, damit kein Sturm es über die Welt verteilen konnte. Und genau deshalb erzählte man solche Dinge lieber im Schatten dieser uralten Giganten. Oder in den Höhlen von Bergen. Aber niemals dem Meer, das verteilte sie an alle Strände.
Dem erzählte man lieber Dinge, bei denen nicht der Inhalt, sondern der Sender geheim bleiben sollte.
Und dem Wind gab man Botschaften mit, die nicht in Briefe passten. Er gab sie den Vögeln und den Wolken und man konnte sich darauf verlassen, dass sie irgendwann ankommen würden. Nur anders, als man es erwarten würde.
Bisher kannte Berks Wald noch nicht sehr viele Geheimnisse von mir. Aber heute war ein guter Tag, denn ich hatte ein paar neue gelernt.
Das Dorf war nicht mehr zu hören, daher konnte es auch mich nicht mehr hören. Braune Blätter legten sich als Schmuck auf meine Haare. Gut, dass es so unordentlich war, sonst hätten sie keinen Halt gefunden.
„Ich glaube, Menschen mögen es, sich das Leben schwer zu machen. Sie streiten lieber, anstatt sich zu vertragen, und arbeiten an Sachen, die sie wichtig nennen, anstatt wichtig zu nehmen, woran sie arbeiten. Sie nehmen die Lösung, die ihnen als erstes einfällt, und suchen nicht nach einer, die genauso gut funktionieren und ihnen Spaß machen würde. Ich glaube, manchmal vergessen sie vor lauter arbeiten den Sinn dahinter. Wie bei den Hütten. Wenn man stattdessen gleich die Höhlen vorbereiten würde, gäbe es weniger Arbeit. Aber sie wollen lieber Ameisen als Schnecken sein.
Aber das ist ok. Eine Ameise weiß nicht, wie schön es als Schnecke ist. Oder wie schön Schnecken sind. Und Schnecken haben nicht so viele Freunde wie Ameisen. Ich muss nur lernen, beides zu können."
Ich verschränkte die Arme.
„Aber es ist schwer. Wirklich. Und es gibt keine richtige Anleitung dafür, wie man-"
Doch, die gab es! Und Lektion eins war, dass es einen Grund dafür gab, warum sich alle Menschen von einem Punkt fernhielten. Hm, fast alle Menschen. Es konnten sich nicht wirklich alle Menschen von etwas fernhalten, wenn dieses Etwas auch ein Mensch war. Das funktionierte nicht. Regen wurde schließlich auch nicht nass. Seltsamer Vergleich, aber beides stimmte. Keine Ahnung, was es sonst miteinander zu tun haben sollte...
Wenn es eine Lektion eins gab, dann gab es noch weitere. Und ich kannte jemanden, der sie kannte!
Die schlechte Kriemhild.
Von der ich Abstand halten musste. Ich hatte es versprochen.
Na toll.
Und außerdem war Kriemhild gemein. Und eine Schlange. Kamen Schnecken mit Schlangen aus? Ich hatte noch nie gesehen, dass eine Schlange eine Schnecke gefressen hatte. Oder eine Ameise.
Allerdings fraßen Eidechsen Ameisen und Schlangen waren ähnlich wie Eidechsen.
Außer die, die giftig waren. Dann jagten sie eher Vögel oder Mäuse.
War Kriemhild eine giftige Schlange?
Wenn ich sie nicht fragte, würde ich es nicht herausfinden.
Aber ich konnte nicht fragen, denn dann würde ich zu ihr gehen müssen.
Ich konnte es aufschreiben! Und unter ihre Tür schieben!
Welche Hütte hatte sie nochmal? Keine im Dorf. Es gab noch eine, die weiter abseits stand. Mit Feldern. Da waren die Lebensmittel gelagert worden.
Aber jetzt, wo Kriemhild dort eingezogen war, gab es in den Regalen nichtmal mehr ein Stück hartes Brot. Ich wusste das, denn das harte Brot lag nun bei Heidrun und mir.
Woher bekam ich jetzt Papier? Die Zwillinge! Sie hatten alles. Sogar Sachen, die aussahen, als würden sie gar nicht ihnen gehören.
„Auf Wiedersehen, Wald! Ich bin bald wieder zurück!"
Ich klopfte und in der Hütte knallte es, dann rief jemand etwas, es knallte wieder, jemand antwortete und wieder knallte es und dann riefen die Stimmen durcheinander, während das Scheppern zunahm.
Irgendwas traf besonders schwungvoll auf den Boden, die Wände wackelten und die Tür schwang auf.
Sofort wurden die Stimmen still. Raff hing halb im Maul des einen Zipperkopfes, zog mit einer Hand an den Haaren ihres Bruders und hielt in der anderen eine kleine Keule, die aussah, als würde sie jeden Moment auf Taffs Helm landen. Der wiederum schob mit einer Hand Raffs Gesicht beiseite, sodass daraus eine seltsame Grimasse wurde, und hielt in der anderen eine Schale, aus der es pink tropfte. Rosa Spritzer waren über beide verschmiert, Pinsel lagen auf dem Fußboden, zusammen mit jeder Menge anderem Zeug. Töpfe, Messer, ein Helm- hey, Rotzdings hatte auch so einen!- Felle, Besteck, wirklich, wirklich viel Zeug. Hinter ihnen brach ein Regal zusammen und ein Schrecklicher Schrecken schrie auf, ehe er die offene Tür nutzte und fluchtartig den Raum verließ. Wow, ich hatte noch nie einen Schrecken gesehen, der einen pinken Rücken hatte und sonst grün war.
„Oh, Wilfriede!"
Taff warf die Farbschale weg.
„Wilfrrd?", machte Raff, schlug ihrem Bruder eins mit der Keule über und wiederholte mit nun freiem Mund:
„Wilfriede?"
Dann schob sie den Helm hoch, der ihr über die Augen gerutscht war, und sprang jubelnd aus dem Drachenmaul.
„Wilfriede! Unser Lehrling! Komm rein, komm rein!"
Schon zerrte sie mich über die Schwelle, sah nochmal draußen nach links und rechts und schloss schnell wieder die Tür, die von innen so aussah, als wäre etwas großes Pinkes dagegengeknallt.
Wie ein Schrecklicher Schrecken.
„Malt ihr Drachen an?"
„Jupp!"
„Nein!", wiedersprach Taff sofort, „Nicht pauschal 'Drachen', da steckt Methode hinter! Wir malen die Nachrichtendrachen an. Dann wissen wir, ob jemand sie abgefangen und ausgetauscht hat."
„Eigentlich testen wir nur Hicks' Geduld."
„Aber mit einer grandiosen Ausrede. Stell dir das mal vor:" Taff wischte mit den Händen über die Luft, als würde er ein Blatt glattstreichen, „Hicks ruft uns zu sich und beginnt, über die bunten Drachen zu schimpfen-"
„Und dann treten wir vor, genau so", Raff machte kopfschüttelnd einen Schritt vor und wedelte dabei mit den Zeigefingern, „und erklären, dass das kein Streich ist, sondern ein signierter Beitrag zu Berks Sicherheit."
„Signifikanter Beitrag, Schwesterchen! Deine Ziegenzunge ruiniert uns noch den Auftritt!"
„Ziegenzunge? Eher dein Flundergesicht!"
„Aber Flundergesicht macht bei euch doch gar nicht mit, der liegt noch oben bei der Frau mit dem Stock.", warf ich ein, bevor Taff kontern konnte.
Die Zwillinge sahen sich mit großen Augen an.
„Hat sie gerade...", begann Taff.
Raff nickte leicht: „Ja, hat sie."
„Was habe ich?"
„Einen brillanten Namenswitz gebracht, den keiner kommen sah!", sagte Taff und seine Schwester applaudierte.
„Es war eine großartige Idee von mir, dich zu unserem Lehrling zu machen! Bald stecken wir Taff in die Tasche!"
„Da brauchen wir eine große Tasche für."
Aber wenn jemand sowas nähen konnte, dann die Zwillinge. Sie waren Experten in einzigartigen Sachen.
„Hey, es war meine Idee!"
„Urgh, meinetwegen war es unsere Idee." Raff winkte ab. „Aber was führt dich zu uns?", sie legte ihren Arm um mich und flüsterte verschwörerisch: „Tüftelst du an einer neuen Unsinnigkeit?"
„Trainierst dein chaotisches Genie?"
„Übst dich in der Kunst des Unruhestiftens?"
„Und benötigst einen kleinen Funken Inspiration, der deine Kreativitätsbombe zündet?"
„Dann bist du bei uns genau richtig! Funken, Feuer, Explosionen, wir haben alles!"
„In verschiedenen Größen!"
„Also, wie viel Schabernackizität brauchst du?"
„Äh... wie viel hat ein Blatt Papier?"
„Papier? Ooooooh, das klingt gut. Verteilen wir mysteriöse Nachrichten und beobachten, wie man versucht, sie zu lösen, obwohl es keine Lösung gibt?"
Taff rieb sich die Hände.
„Ganz mein Geschmack."
„Oder wir verteilen Listen mit seltsamen Aufgaben! Klappt jedes Mal.", schlug Raff vor.
Das klang alles viel lustiger als das, was ich vorhatte.
„Naja, eigentlich..."
„Sag schon! Es wird etwas Grandioses sein!"
Taff klatschte gespannt.
„Ich wollte Kriemhild eine Nachricht schreiben."
„Uh..."
Er klatschte immer noch. Wahrscheinlich machten sich seine Hände selbstständig.
Raff kratzte sich hinterm Ohr.
„Kriemhild im Sinne von Moira?"
„Nein, die andere Kriemhild. N... die Neue mit dem Tee."
Er hörte mit dem Klatschen auf.
„Das", sagte er und machte eine lange Pause, die sicher etwas zu bedeuten hatte, „ist genial."
„Oh ja. Alle haben Angst vor ihr und sie erwartet bestimmt nicht, dass ausgerechnet wir ihr einen Streich spielen. Aber warum sollten wir nicht? Bei Mehltau hat es immer ganz besonders viel Spaß gemacht und sie wohnt schon in seiner Hütte."
„Wir malen ihre Zöpfe pink an!", rief Taff pinselschwenkend und mit einer Überzeugung, als hielte er statt des Stocks mit Borsten ein goldenes Schwert.
Und ausgerechnet ich durfte nicht mitgehen. Das war ungerecht.
„He, was ist denn los? Willst du ihr lieber einen Schnurrbart malen?", fragte Raff.
Ich schüttelte den Kopf.
„Ich habe Heidrun gesagt, dass ich mich von Kriemhild fernhalte."
Enttäuscht verschränkte ich die Arme.
Aber Raff gab nicht auf.
„Oh. Und wie lange?"
„Hä?"
„Na, wie lange hältst du dich von ihr fern? Eine Woche? Zwei Tage? Fünf Sekunden?"
„Hm, das habe ich nicht gesagt."
„Dann ist doch alles gut! Du hast dich eine Weile von ihr ferngehalten und die Weile ist jetzt vorbei. Tada!"
Ihr Bruder nickte zustimmend.
„Ehrlich, wenn sie die Dinge nicht eindeutig verbieten, sind sie erlaubt."
„Aber erzähl das niemandem. Das ist ein Thorston-und-Wilfriede-Geheimnis, klar?"
Sie sah mir tief in die Augen.
„Klar!", nickte ich begeistert. Die beiden waren toll!
„Wundertastisch! Auf, lasst uns Papier such-"
Der Rest des Wortes ging in dem Aufschrei unter, mit dem Taff über den Schwanz seines Drachens stolperte.
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5679 Wörter
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