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53 (6) Ritual


Moira

Selmas Lächeln vertiefte sich mitleidig.
„Bis dahin wird noch einige Zeit vergehen müssen."

„Aber..."
Es würde passen. Die ganzen Veränderungen, das leise Gefühl von Frieden, dass ich mit einer Toten sprach, die meinetwegen gekommen war.
Hatten mich die Ahnen nur wiederbelebt, um die Prophezeiung zu erfüllen? Hatten wir das nicht getan, als wir den Stern erweckten?

„Verzeih mir, dass ich dir einen derartigen Schrecken eingejagt habe."
Selma sah verlegen zu Boden.
„Du musst viele Fragen haben."

Die Erleichterung ließ auf sich warten. An ihrer Statt kam Ernüchterung.
Es hätte nicht gepasst. Auf den ersten Blick, vielleicht. Tief in mir wusste ich es besser und hatte längst erkannt, dass mit diesem Frieden etwas nicht stimmte. Er war zu simpel.
Etwas fehlte.

Und ich hatte Fragen.

„Ich bin blind.", konfrontierte ich sie mit mehr Trotz als gewollt. Nicht direkt eine Frage, doch sie verstand.

„Über das Ritual weiß ich nicht viel. Sein Zweck ist die Vereinigung des Körpers mit der Seele, nicht die Heilung des einen oder anderen. Es liegt nahe, dass dein erstarkender Körper seine Genesung der Stärke deiner Seele zu verdanken hat. Er wird wohl versuchen, sich ihr anzugleichen."

„In anderen Worten: Meine Seele ist blind?!"

„Mir bleiben nichts als Spekulationen. Wenn ich die Antwort kannte... Du hast sie dir mehr als verdient."

„Und warum kann ich dich sehen?"

„Weil ich tot bin. Du siehst meine Seele. Das hängt nicht von Augen ab. Während des Rituals konnten auch die Drachenreiter uns sehen. Das waren besondere Umstände. Dir wohnt diese Fähigkeit seit Geburt inne. Sie musste nur hervorgeholt werden."

Sie hielt mir meine Hände entgegen.
„Du trägst einen alten Geist in dir, Moira. Wenn man ihm die Hand reicht, ist er zu vielem fähig."

„Das wirft mehr Fragen auf, als es klärt."

„Sieh her. Ich lasse los, dennoch wirst du mich weiterhin sehen."

Blitzschnell umklammerte ich ihre Handgelenke.
„Und wenn nicht?"
Sie sollte nicht gehen. Nicht jetzt schon, nachdem sie gerade erst erschienen war.

„Dann kehre ich in der nächsten klaren Nacht zurück."
Selma strahlte vor Zuversicht.

„Versprochen?"

Sie seufzte. „Versprochen."
Ihre Seele leuchtete mit den Silben auf, die Nacht wurde intensiver.
Ich ließ los.

Selma blieb.

Dann klinkte sich mein Verstand wieder ein und plötzlich war klar, was hier falsch lief.
„Warum hast du mich nicht schon früher besucht? War ich deine Zeit nicht wert, solange die Prophezeiung nicht erfüllt war?"

„Moira", setzte sie streng an, doch darauf pfiff ich gerade.

„Offenbar kann ich dich sehen, mit dir sprechen und dich sogar festhalten. Warum also erst jetzt? Wenn ich es schon immer konnte, weshalb hast du gewartet? Was ist bei euch Toten im Himmel so unglaublich wichtig?!"

„Ich verstehe deinen Ärg-"

„ICH WILL DEIN VERSTÄNDNIS NICHT, ICH WILL ANTWORTEN!"

„In dem Fall solltest du mich ausreden lassen."

„Spar dir dein Gelaber und komm zum Punkt!"

„Moira, dieser Tonfall-"

„Könnt ihr mir jetzt auch den Mund verbieten? Reicht euch die Kontrolle über mein Leben nicht?!"

„Niemand kontrolliert-"

„Und was mache ich dann hier? Urlaub?!"

„Ich hätte dir gern jemanden vorgestellt."

„Was hat das jetzt damit zu tun?!"

„Wenn du an der Antwort interessiert bist, solltest du ihr Gehör schenken."

Ich verdrehte die Augen, verschränkte die Arme. Noch so eine Selma-Weisheit. Und sieh sich einer an, wie weit ihr solche Sprüche geholfen hatten.
„Ich höre."

„Wir können dich nicht nach Belieben besuchen. Die meisten können nur zu den Lebenden gehen, wenn sie eingeladen werden. Daher gibt es Rituale.
Ich habe die Fähigkeit, auch aus eigenem Willen zu erscheinen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Die Magie des Sternes ist eine davon. Ihr habt sie gerade erst erweckt, daher bin ich nun hier."

„Aha."
Das ergab Sinn, doch ich würde mich nicht so schnell abspeisen lassen.
„Was ist mit den Visionen? Woher kommen sie?"

„Die meisten sind Spuren des Polarsterns, über die er mit den Lebenden kommuniziert."

„Die meisten?"

„Das Schicksal ist ein kompliziertes Gebilde."

„Das Schicksal ist wirklich die perfekte Ausrede für alles, was euch über den Kopf wächst, nicht?"

Seufzen.
„Es ist so viel mehr als das."

„Offenbar ist es in nichts davon wirklich gut."

„Deine Unzufriedenheit übertönt deinen Verstand, Moira. Du weißt es besser."

„Bist du hier, um mich zu belehren?"

„Der Grund ist ein anderer."

„Langeweile?"

„Schuld und Liebe."

„Große Worte."
Gut, dass mein Mundwerk schneller war als mein Hirn. Das war gerade aus dem Konzept geraten.
Welche Schuld? Ihre? Wohl kaum. Meine? Was sollte das sein? Sie würden nicht wagen, mir etwas vorzuwerfen, nach allem, was geschehen war. Sie sollten es nicht wagen.
Die Schuld der Ahnen? Hatten sie ihr Hirn wieder ausgekotzt und plötzlich ein Gewissen entwickelt?
Schön wär's.

„Womöglich sind diese Themen für einen reiferen Zeitpunkt bestimmt.", sagte Selma ohne jeglichen Vorwurf.
„Ich sollte nicht bestimmen, wann du dafür bereit bist, wenn die Entscheidung bei dir zu liegen hat."

„Ich will Antworten."

„Natürlich. Aber worauf?"

„Auf alles?! Was passiert hier? Schuld? Was soll das alles? Warum muss ich dafür herhalten? Warum erklärt niemand etwas? Wann ist es vorbei?"

Selma sah mich an, durch meinen Körper hindurch, direkt ins Innere. Als wäre dort etwas, das nichtmal ich selbst erahnen konnte, etwas, das ihre Aufmerksamkeit fesselte.
Dann sprach sie mit einer Stimme wie flauer Nachtwind.

„Vor langer Zeit habe ich mir dieselben Fragen gestellt. Bis heute habe ich für viele von ihnen bloß vage Vermutungen. Irgendwann musste man die Fragen gegen Akzeptanz tauschen und auf höhere Mächte vertrauen, Moira. Um seiner selbst Willen."

„Pfff."
Klar, spiel Schäfchen und duck dich in die Herde, damit der Wolf dich nicht erkennt. Tu so, als wäre er nicht da. Bis er dir die Kehle zerreißt. Dann kommt es plötzlich und oh nein, niemand hätte es kommen sehen oder verhindern können.
Das war doch die Philosophie dieses Stammes. Sei feige und lebe blind. Vertraue darauf, dass nichts deine Schuld ist. Dann wird sie es auch nicht sein.

„Ich habe dich oft für weise gehalten und das ist, was wirklich dahinter gesteckt hat? ‚Hör auf zu fragen und füge dich?' Ich werde sicher nicht zum scheuen, ängstlichen Mädchen, nur damit ihr euch besser fühlen könnt! Die Rolle hast du immerhin schon besetzt."

Schwungvoll drehte ich ihr den Rücken zu. Wasser schwappte gegen meine Knie, verglichen mit dem Nebel, der sich in meiner Brust ausbreitete, war es warm.
Ich war nicht soweit gekommen, um jetzt den Rücken zu beugen und zu beten. Zu wem auch?!

Und trotzdem kam die Wut nicht. Nicht als der lodernde Feuersturm, der sonst durch meine Organe gewetzt war. Ich hätte schreien und stampfen, die Ahnen und Selma mit ihnen ein weiteres Mal verfluchen können, doch mir blieb nur der eisige Nebel der Fremde. Enttäuschung.
Ich war müde und frustriert, übersäht mit Narben von einem Kampf, dessen Ziel und Ursprung mir immer verschwommener und substanzloser erschienen. Es wurde Zeit für Antworten, echte Antworten, nicht dieses gönnerhafte Geaffe über Schicksal.

Was war so unglaublich schwer daran, mir Gründe zu nennen? Einen Grund, weshalb Nachtblitz und ich diese Bürde tragen mussten. Einen Grund dafür, weshalb ich wieder in diesem Körper saß. Einen Grund, weshalb ich nicht nachfragen sollte. Was erwartete uns, dass ich es nicht vorher erfahren durfte?
Es gab immer Gründe.

Es gab mit Sicherheit auch einen Grund dafür, weshalb Nira mich urplötzlich genug gehasst hatte, um mich an Mörder auszuliefern. Oder dafür, weshalb ich diesem verdammten Todsinger zum Opfer gefallen war.
Und aus irgendeinem verfluchten Grund hatten die Ahnen beschlossen, dass ich mich ihnen noch nicht anschließen sollte.
Für die Prophezeiung, die sie in den letzten Jahrhunderten so geflissentlich ignoriert hatten? Ts.

Ich hatte die Nase voll davon, dass hinter jeder Information nur neue Fragen lauerten. Es reichte. Sobald die Drachen schlüpften, war ich mit der Prophezeiung und den Ahnen fertig. Wenn sie auf mein Leben bestanden, dann würde ich es auch leben.
So, wie ich es wollte.

Die weitesten Ausläufer der Wellen brachen sich an meiner Ferse, Wind wickelte mir eisige Wirbel um die nassen Beine. Auf dem Trockenen lief es sich leichter.

„Moira."
Sie war vor mir, trat auf mich zu. Hatte sie sich teleportiert oder hatte ich nicht bemerkt, wie sie mich überholte?

„Wenn das alles war, was du sagen willst, kannst du wieder verschwinden und aus sicherer Distanz das Weltgeschehen beschweigen."

„Hätte ich schweigen wollen, wäre ich nicht gekommen."

„Und warum bist du gekommen?!"
Zum Dritten. Zum dritten verfluchten Mal stellte ich ihr diese Frage und wenn sie diesmal keine vernünftige Antwort liefern wollte, brauchte sie nicht wiederzukommen.

„Um dir die Person zu sein, die ich damals gebraucht hätte."
Sie hielt inne, ein leichtes Lächeln schwang sich auf ihre Lippen.
„Die ich damals hatte. Ich sehe dir an, dass du nicht wahrhaft glaubst, die Prophezeiung wäre nie bedacht worden."

Mit verschränkten Armen erwiderte ich ihren Blick. Das Lächeln sprang nicht auf mich über.

„Ich vermag dir die Mehrheit deiner Fragen nicht zu beantworten. Noch weniger bin ich fähig, dir einen Weg zu weisen. Was ich dir beschrieb, war die Richtung des Pfades, den ich wählte, um voranzuschreiten. Es ist ein Vorschlag, doch bei den Ahnen, du und ich sind verschieden. Mögen sie bewahren, dass du jemals so wirst wie ich."

„Das waren sehr viele Worte für sehr wenig Inhalt."

„Es war nicht der Inhalt, den du gewünscht hast."

Ich verdrehte die Augen.
„War das dann alles?"

„Das war mitnichten Teil dessen, was ich sagen wollte."

Ach so, ja. Klar. Erklärte mal wieder gar nichts.
„Und warum plapperst du mich dann damit voll?!", stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Ist bestimmt toll, alle Zeit dieser Welt zu haben. Aber meine ist mir für solchen Kram zu wertvoll."

Wie gern hätte ich ihr dieses Lächeln vom Gesicht gewischt.

„Ich habe dir nie von Seelenschwinge erzählt."
Ihre Augen schimmerten liebevoll, als der Name durch die Nacht schwebte.

Metallischer Geschmack auf meiner Zunge. Ich biss mir in die Wangen, das Blut ließ die zynischen Kommentare schmelzen.
Nachtblitz hatte erwähnt, dass Selma eine Seelenbindung gehabt hatte. Ich hatte es selbst gespürt, als sie während der Schlacht Kontakt zu mir aufgenommen hatte; ihre Einsamkeit, so tief und allumfassend, wie sie nur durch einen Seelenriss hervorgerufen werden konnte.

Es war ein schöner Name.

Ich schwieg, sah dorthin, wo sich in meiner Erinnerung der Felsspalt befand. Bis Selmas nächste Worte mich mit der Wucht einer Brandungswelle trafen.

„Der Grund, weshalb nun alles an euch hängt, liegt darin, dass deine Ahnen zu sehr versuchten, die Prophezeiung selbst zu erfüllen."

Wasser riss den Sand unter meinen Füßen fort, ich strauchelte rückwärts. Knöcheltief ins Meer.

„Was?!"

Sie musste lügen. Sie sollte lügen.
Sie konnte nicht lügen. Nicht, wenn sie eine Seelenbindung hatte.

Was auch der eindeutige Beweis dafür war, dass Nira für eine Seelenbindung völlig ungeeignet-
Vielleicht sollte ich mich einfach ertränken.

Wenn Selma nicht log, dann musste sie getäuscht worden sein. Sie wiederholte die Lüge eines anderen. War das möglich?
Nein, Lüge blieb Lüge. Sie würde sie nicht als Wahrheit verkaufen können.
Aber so musste es doch sein. Es musste.
Oder ich verwechselte etwas. Versprechen konnte man nicht brechen, aber Lügen... was unterschied sie von Versprechen, die bereits in der Sekunde ihres Erschaffens gebrochen wurden?

Argh.

Dieser Tag war zu lang. Ich sollte schlafen. Längst.

<Moira, wir wollen beide Selmas Geschichte hören. Lass uns ein Urteil bilden, nachdem wir die Antworten haben, einverstanden?>

<Seit wann bist du wieder wach?!>

<Seit du dachtest, du würdest sterben. Ich war schon fast aus der Höhle raus, als ich Selma hören konnte. Sie würde dir nichts tun, also bin ich hier geblieben, um euer Gespräch nicht zu unterbrechen.>

„Hallo Nachtblitz.", lächelte Selma. Meine Freundin nahm das als Einladung, sich zu uns zu gesellen, und landete wenige Wimpernschläge später in einem Gewimmel aus Luftwirbeln.
Bestimmt funkelten ihre Schuppen mit dem Himmel um die Wette- falls er nicht mit Wolken bedeckt war.

„Meine Ausbildung begann, als ich sechs war.", nahm die Seelengestalt den ungesponnenen Faden wieder auf.

„Zur Heilerin?"
Keine Ahnung, ob es mich wirklich interessierte. Wenn sich die nächsten Minuten allerdings um Kräuter und Tees drehten, würde ich im Stehen einschlafen.

„Zur Kriegerin.", erwiderte Selma. Mir entwich ein Schnauben.
Andererseits hatte sie es irgendwie geschafft, Sungird ein Auge zu rauben. Mehr, als ich ihm hatte zufügen können.

„Du warst eine Kriegerin?"
Der Ernst in meinen Worten überraschte selbst mich. Nachtblitz produzierte ein schleifendes Geräusch, wahrscheinlich wischte ihre Schwanzflosse über den Sand.
„Mit sechs?"
Da konnte ich noch nichtmal vernünftig sprechen. Passierte, wenn man einige Jahre lang nur mit Drachen kommunizierte.

„Die Ausbildung begann, sobald ich eine Seelenbindung hatte. Man hat einige Tage nach dem Ritual den Entschluss gefasst, dass ein Aufschub zu große Risiken mit sich bringen würde."

„Ritual?"

Selma seufzte wie früher, wenn ich ein weiteres Mal sämtliche Buchstaben vergessen und spontan durch sinnfreie Kringel ersetzt hatte.

„Der Stamm hatte eine Vielzahl an Ritualen. Eines befasste sich mit dem Knüpfen von Seelenbindungen. Der wesentliche Teil bestand aus einem Akt des Vertrauens: Die Kinder und Drachen, die in einem übereinstimmenden Zeitraum das Licht der Welt erblickten, wurden einander vorgestellt und  für die Dauer des Rituals fütterte jedes Kind täglich einen der Drachen. Das Ritual war beendet, sobald sämtliche Kombinationen mit Potential auf eine Seelenbindung ausprobiert worden waren."

Ich starrte sie an, doch nichts davon galt ihr. Nicht das Entsetzen, nicht mein schriller Tonfall.
Es galt den Sternen, die sich hinter meine Blindheit verkrochen.
„Sechsjährige?!"

„Mit etwa sechs Wintern werden Kinder und Drachennachkömmlinge als alt genug angesehen, um der angeborenen Naivität weit genug entwachsen zu sein. Das Vertrauen, dass sie einander entgegenbringen müssen, reicht aus."

<Davon haben die Ältesten erzählt. Um das Risiko durch die Drachenjäger klein zu halten, gab es verschiedene Orte dafür, an denen sich jeweils kleine Gruppen gefunden haben. Das ganze muss mehrere Wochen gedauert haben.>

<Warst du auch bei einem dabei?>
Ich hätte mich sofort ohrfeigen können.
Als wir sechs gewesen waren, hatte der Stamm nur noch aus Selma bestanden.

In Nachtblitz Schnauben mischten sich Belustigung und Nostalgie.
<Beinahe.>

„Sie setzen Sechsjährige auf die Zielliste der Drachenjäger?!"

Selma neigte den Kopf.
„Es gab friedlichere Zeiten, Moira. Die Schlachten haben sich erst nach Jahrhunderten in die Siedlungen verlagert."

„Das ist eine Rechtfertigung."

„Hättest du abgelehnt, Nachtblitz früher zu treffen, wenn man dir die Möglichkeit geboten hätte?"

„Ich hätte die Prophezeiung abgelehnt, wenn man mir die Möglichkeit gegeben hätte."

„Moira", setzte Selma und ich wollte auf keinen Fall hören, was dem folgen würde. Ihr Tonfall war zu weich, zu vorsichtig. Sie konnte ihre Wahrheit gern für sich behalten.

Sie redete trotzdem weiter, ignorierte meine verschränkten Arme und abgewandten Schultern.

„Die Prophezeiung wurde nicht von den Ahnen verfasst. Sie stammt von den Urmächten selbst, vermittelt durch den Polarstern."

„Natürlich. Eure allmächtigen Geister können nämlich nicht schreiben. Drachen übrigens auch nicht und Tote schon dreifach nicht."

„Das Schicksal findet immer einen-"

„Offensichtlich nicht! Warum erkennt keiner, wie sinnfrei das ist?! Schicksal hier und Schicksal da, aber es hat noch nie etwas gebracht! Etwas ist nicht automatisch vorherbestimmt, nur weil man es im Nachhinein so nennt!"

„Etwas ist nicht automatisch nicht vorhanden, nur weil wir dessen Existenz leugnen können."

Ich könnte auch mit der Felswand diskutieren und dabei wäre selbst mein Echo weniger vorhersehbar.

„Wir haben den Faden verloren.", sagten Selma und Nachtblitz gleichzeitig.

Okay, schön. Das brachte sowieso nichts.

„Durch das Ritual lernte ich Seelenschwinge kennen-"

„Und wurdest sofort zu einer Kriegerin ausgebildet."

Seufzen.
„Deine Ahnen waren keine Monster. Eine Seelenbindung bedeutete nicht, dass man in die Schlacht gehen würde."

„Nichts von dem, was du sagst, passt auch nur ansatzweise zusammen."

„Du lässt mich die Lücken nicht füllen."

„Du kommst nicht zum Punkt!"

„Zusammen mit der Seelenbindung erhielt ich das Zeichen für den Krieger des Lichts. Das silberne Bild eines Drachen erschien auf meiner Schulter. Es war ein Einzelfall, ich war auserwählt worden. Wir waren auserwählt worden. Wir hätten die Dunkelheit vernichten und den Krieg beenden können."

„Und die Prophezeiung erfüllen.", fügte ich hinzu.

„So dachten alle."
Sie schwieg einen Moment, hing in Gedanken.
„Außer Seelenschwinge. Doch sie behielt ihre Zweifel bei uns und wir taten, was jeder für das Richtige zu halten schien.

Wir waren gut. Nach sechs Wintern begleiteten wir das erste Mal eine Schlacht. Weder Seelenschwinge noch ich verfehlten. Die Schlachtfelder verließen wir stets als Sieger und so schrumpften ihre Zweifel.
Zehn weitere Jahre lang ließ uns das Schicksal gewähren. Wir trieben die Drachenjäger zurück, schufen einen geschützten Raum für den Stamm und hielten unsere Opfer gering. Doch wir kämpften nicht im Namen des Schicksals, wie wir annahmen. Stattdessen richteten sich unsere Taten gegen seinen Strom und so setzte es uns in dieser Nacht dem entgegen, was sich im Schatten unserer Anmaßung Leib und Seele geschaffen hatte. Wir hatten von dem aufstrebenden Jäger gehört, hatten gehört, dass auch er keine seiner Schlachten verloren hatte."

„Sungird.", knurrte ich. Selma blickte in den Himmel.

„Ich sah ihn erst, als sich sein Pfeil bereits in ihr Herz gebohrt hatte. Meiner dagegen verfehlte."

„Und er hat dich am Leben gelassen?"

„Er hat einen Pfeil gespart. Wir stürzten aus vollem Flug ab, doch selbst unverwundet war ich zu den Toten zu zählen.
Eine Seelenbindung wirkt über den Tod hinaus, Moira. Und wie es die Natur der Seelenbindung ist, versucht sie, die Seelen zueinander zu bringen. Bewusst oder unbewusst, der Tod des einen führt dazu, dass auch der andere aus dem Leben geht. Es ist ein Prozess, der sich bis zu zwei Jahre ziehen kann, wenn nichts sonst den Verbliebenen näher zum Tod trieb. Ich war schwer verwundet und hätte ihr noch in derselben Nacht folgen müssen.
Wir sollten uns erneut irren."

„Aber wie?"

Selma lächelte.
„Ich kann es nur durch das Schicksal erklären. Es hatte noch einen Plan für mich."

Musste ich es ihr wirklich einzeln aus der Nase ziehen? Diese Kunstpausen waren anstrengend.
„Was für ein Plan?"

„Dich. Ich, die Person, die alle für die Gesegnete gehalten hatten, sollte dich, die tatsächliche Auserwählte, vorbereiten."

„Nein."

Nein. Ich hatte nicht schon vor der Seelenbindung im Netz des Schicksals gezappelt. Ich war nicht von Beginn an an diesen Weg gekettet worden. Nein.
Ich war keine Waffe, die nur für diesen Kampf geschmiedet worden war, verdammt!

„Ich wünschte, es wäre anders."

Anders? Wie anders? Dass ich dich nie getroffen hätte? Dass du die Stärke hättest, mich nicht in das Grab zu stoßen, dass die Ahnen vorbereitet hatten? WIE ANDERS?!"

„Moira."
Sie sah mir tief in die Augen.
„Es ist nicht die Schuld der Ahnen. Es ist meine Schuld. Nichts von dem wäre geschehen, wenn ich auf Seelenschwinges Zweifel geachtet hätte, wie es eine Freundin tun müsste.

Nach ihrem Tod wendete sich das Blatt zugunsten der Drachenjäger. Ich verließ die Insel nicht mehr und erlernte in den Jahren das Handwerk des Heilens, doch immer häufiger waren mehr Tote als Lebende zu versorgen. Unser Hochmut hatte uns in den Abgrund getrieben. So tief, dass ich kaum wagte, das neue Leben zu beobachten, dass sich in ihrem Leib entwickelte. Sie nannte nie den Namen des Vaters und ich fragte nicht."
Selmas Blick gewann nochmals an Intesität. „Lyanna liebte dich bereits lange, ehe du deinen ersten Atemzug getan hast, Moira. In der Nacht deiner Geburt flüsterten die Sterne einen Namen, den nur sie und ich hörten. Da wusste ich, dass du die Lasten würdest tragen müssen, die ich angesammelt hatte. Der Polarstern trug deinen Namen in die Träume der Stammesältesten. Niemand sprach von einer Ausbildung. Niemand, Moira. Wir hatten unsere Lektion gelernt. Wenn das Schicksal seine Wahl getroffen hatte, würde es sich durchsetzen. Wir riskierten nicht, es nochmals zu provozieren."

Das Schicksal ist wirklich die perfekte Ausrede für alles, was euch über den Kopf wächst. Die perfekte Begründung für alles. Eine überirdische Kraft, die jegliche Verantwortung tragen konnte.
Pah.

Ich verengte die Augen.
„Was soll das sein? Eine Entschuldigung?"

„Eine Erklärung."

„Wofür?"
Lief super, wenn ich ihr jedes Wort dieser Erklärung auf die Zunge legen musste. So funktionierten Unterhaltungen.

<Wie viel gesprächiger waren wir bei den Drachenreitern noch gleich?>, meldete sich Nachtblitz.
<So sieht die andere Seite aus, Moira.>

Ja, gut, sie hatte Recht. Aber ich hatte gute Gründe gehabt. Ich hatte sie am Leben erhalten woll-
Kalt rann die Erkenntnis mein Rückgrat entlang; Wovor wollte Selma uns schützen? Jetzt noch, nachdem die Schlacht geschlagen war?

Sungird lebte.

„Für die Frage nach der Schuld.", sagte sie. „Du kannst nicht die Ahnen verfluchen und mich in Schutz nehmen wollen. Ich bin genauso Schuld, wenn nicht mehr."

„Du hast dieses dämliche Gedicht nicht geschrieben.", hielt ich dagegen.

Hatte sie auch nicht. Sie war manipuliert worden. Bei den verdammten Geistern, sie war ein Kind gewesen! Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn sie anders gehandelt hätte. Vielleicht.
Aber wer stand jetzt hier und entschuldigte sich dafür, dass ein Monster namens Sungird ihre beste Freundin getötet hatte? Wer war im Kampf gewesen und hatte ihn nicht nur schweigend beobachtet?

„In dem Fall musst du die Zeit beschuldigen, dir Unrecht zu tun. Niemand anders als sie bringt Prophezeiungen hervor."

„Schwachsinn!"
Ich schlug mit den Händen durch die Luft.
„Euer Schicksal hat sie hervorgebracht, oder nicht? Ein Schicksal, dass es offensichtlich nicht gibt! Wach auf, Selma! Pergament beschreibt sich nicht von selbst!"

Sie seufzte.
„Ist es richtig oder falsch, ein Leben zu retten?"

Wie zum Geier kam sie jetzt darauf? Das hatte gar keinen Bezug zu irgendwas.
Aber schön, wenn es sie herumtrieb und wir danach endlich wieder auf unser eigentliches Thema zurückkommen konnten:

„Du wusstest nicht, dass Kjell mich umbringen wollte. Oder will. Weiß der Wind, wo sich dieser Kerl herumtreibt."

Sie sagte nichts und die Stille verriet, dass sie sich auf ein anderes Ereignis bezog. Doch sie wechselte lieber erneut das Thema.

„Ich habe deine Mutter immer bewundert. Sie hat nie aufgehört, an Frieden zu glauben."

Mein Kopf war leergefegt. Ich starrte Selma an, als hätte sie nicht schon vorher von ihr gesprochen. Aber jetzt ging es um sie, nicht um die Ahnen oder Prophezeiungen oder all dieses andere Zeug.
Das Medaillon drückte seine Gravur in meine Handfläche, ohne dass ich es bewusst gegriffen hatte.

Das Medaillon. Der Vulkan, Sturz und die Verwandlung.
Sie hatte es mir gegeben.

Ich öffnete den Mund und die Worte verschwanden, lösten sich in der Bewegung auf.
Selma suchte meinen Blick, der unstet durch die fehlenden Bilder sprang.

Ihre Stimme war weich, einfühlsam.
„Ich hätte dich nicht überrumpeln dürfen. Bitte verzeih mir. Das ist kein Thema für diese Nacht."

„Doch!", brachte ich hervor. Nachtblitz rieb ihren Kopf an meiner Hand und meine Gedanken hörten auf, sich zugleich zu überschlagen und nicht zu existieren.
„Doch, das ist ein Thema für diese Nacht."
Das Herz schlug mir bis zum Hals, der Puls zwängte sich in die Worte, aber ich hatte sie ausgesprochen und keiner der keimenden Zweifel brachte Reue hervor.

„Obgleich es nicht an den Faden anknüpft, den du verfolgen willst?"

Meine Fauste krampfte sich um das Medaillon.
„Ja, obgleich deine metaphorische Schwafelei zutrifft! Sie ist meine Mutter!"

Selma schwieg, suchte etwas in meinem Gesicht, dann im Himmel. Zu gezielt, um im Nachdenken den Blick schweifen zu lassen.

„Ist sie- Hat sie-"
Mein Puls erstickte die Sätze.

„Sie hat einen Platz am Himmel, ja.", vollendete Selma mein Gestammel.
„Einen hellen Stern, der jede Nacht zu dir sieht."

Ich schluckte. „War sie dabei, als..."

Mit einem stummen Seufzen wandte Selma ihren Blick vom Himmel ab.
„Auch sie ist im Ritual erschienen, um dein Leben zu erhalten. Alle sind gekommen, jeder einzelne Stern. Jeder deiner Ahnen, jeder Drache und jedes Tier des Stammes. Nicht eine Seele hat gefehlt."

Es brannte im Hals, ihre Worte legten sich wie eine unsichtbare Last auf meine Lungen.
Dieses dämliche Ritual war ein Thema für wann anders. Nicht jetzt. Nicht, wenn ich über meine Mutter reden konnte.
Aber es hatte sich tief in mir verwurzelt, blühte auf und begrub alles andere unter einem Schleier aus klebrigen Pollen.

„Warum?"
Das war sie. Die Frage, die ich nicht hatte greifen können.
„Warum wurde ich zurückgeholt? Warum nicht du? Warum haben sie es nicht verhindert? Warum erschienen sie erst, als alles vorbei war? Interessieren sie sich mehr für die, die tot sind wie sie, als für die, die sind, was sie einst waren? Und warum bekomme ich die Antworten erst hinterher? Warum, Selma. Warum seid ihr wieder verschwunden, ehe ich aufwachen konnte?"
Mein Herz krampfte.
Nichtmal meine Mutter war geblieben. Sie hatten mich um Antworten betrogen und blind zurückgelassen. Blind, auf so vielen Ebenen. Aber atmend. War es das, worauf es ihnen ankam?
„Nütze ich euch blind mehr? Bin ich leichter zu kontrollieren?!"

„Moira", setzte Selma an und ich unterbrach sie nicht. Es war einfach, einen Satz zu beginnen, wenn man wusste, dass man ihn nicht weiterführen musste.
Sagte sie meinen Namen nur, um mir das Gefühl einer Antwort zu geben, oder hatte sie tatsächlich eine?

„Dich kann niemand kontrollieren. Einen Blitz kann man nicht zähmen, selbst, wenn man es wollte."

„Erzähl das einem Skrill."

„Manche mögen rohen Fisch gegessen haben, doch das ließ deine Ahnen noch lange nicht zu-"
Zu den Sternen mit vollständigen Sätzen.

„Drachen werden?", fuhr ich dazwischen, leises Lachen vibrierte in meiner Kehle.
„Nein, dafür braucht es keinen rohen Fisch. Nur einen Zahn."
Aus dem Medaillon meiner Mutter.

Wie tief hatten mich meine Entscheidungen in das Spinnennetz katapultiert? Ha! Von wegen!
Selma hatte mich von Beginn an auf das hier, diese Existenz, vorbereitet. Hatte versucht, mir die Sagen nahezubringen. Verständnis für einen Stamm, der lange dem Untergang geweiht war.
Aber sie war nicht die erste gewesen. Es hatte nicht mit ihr begonnen. Schon mein Name hatte mich an dieses gesponnene Konstrukt gekettet. Sie hatten nicht über eine Ausbildung gesprochen?!
Warum auch?!
Ich musste nicht in die Falle gelullt werden. Ich war bereits mit Fesseln geboren.

„Wie viel davon hättest du mir schon vorher erzählen können? Wie viel hast du mir wirklich verschwiegen?", fragte ich. Mein Hals schnürte sich zu, doch die Worte kamen. Ungebrochen.
Ich hatte schon schlimmeren Verrat erlebt. Von jemandem, dem ich mehr vertraut hatte.
Mein Herz konnte gefälligst später brechen.
Nachtblitz gurrte besorgt, doch auch das blendete ich aus. So weit es ging.

„Die Antworten sind zu komplex, um sie di-"

„AALMIST! Sie sind überfällig und sie werfen ein echt scheußliches Licht auf all die Leichen in eurem Keller! Bist du nicht gekommen, um mir Antworten zu geben? Hast du nicht gesagt, du wärst deshalb hier? Was war das, eine Lüge? Halbwahrheit? Honig im Tee, sodass ich das Gift nicht schmecke?"

Sofort blitzte ein Bild von Nira auf, die Honig in einen dampfenden Becher goss. Mit einem süffisanten Grinsen.

Argh! Wie spät war es? Ich sollte seit Stunden schlafen. Ich sollte seit Wochen die Antworten kennen. Ich sollte seit Jahren über Verrat hinweg sein.
Aber hier standen wir, die Tote und die, die keine hatte werden sollen. Ich hatte einen Haufen Kram gehört, als wäre auch nur ein Hauch davon verwertbar. Als wäre nicht alles zu verknotet, um mehr als ein gigantisches Filznäuel zu sein.

„Ich kehre wieder, sobald ich die Gelegenheit habe. Versprochen."
Selma versuchte sich gar nicht erst an einem Lächeln. Dafür lag in ihrer Stimme eine ernste Wärme.
„Wir reden über diese Themen, wenn du die Zeit hattest, die Informationen von heute zu sortieren."

„Ich brauche keine Zeit, ich brauche die verfluchten Antworten, zum hinkenden Wechselflügler!"

„Du wirst sie bekommen. In ihrer Reihenfolge, eine nach der anderen."

Ich schnaubte abfällig.
„Versprochen?"
Das Wort triefte vor Verachtung.

Selma hielt meinen Blick stand und trotz des bläulichen Lichts, das ihre Konturen goss, schienen ihre Augen im gewohnten warmen Braun zu schimmern.
„Versprochen.", erwiderte sie in bestimmtem Ton.

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Grüße von meinem Zeitgefühl, es hat sich auf unbestimmte Zeit verabschiedet.
Falls jemand es findet, wäre es lieb, wenn es zurückgebracht werden würde. Dann kommt das nächste Kapitel ausnahmsweise mal pünktlich... 😅

Schön, dass einige noch hier sind! :) Ich freue mich ehrlich über jeden einzelnen von euch.

Hektorianja

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