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49 (2) Fortschritt


Moira

Unerledigtes Eben.

Die Prophezeiung war nutzlos hier oben, dennoch hielt ich sie umklammert, als wäre das raue Pergament das letzte Fädchen, das mich in diesem Spiel hielt.
Schon ironisch. Würde ich loslassen, über den Wolken... Niemand könnte es nachweisen. Es gab nur Nachtblitz und mich. Nur uns. Das war auch die einzige Einheit in meinem Leben, die sich nicht zu ändern schien.

Nein, das war Einbildung. Wir waren keine Konstante, egal wie sehr ich daran festhalten wollte. Die Augen vor der Wahrheit zu verschließen war eine Herabwürdigung dessen, was wir durchgestanden hatten.
Wir waren nicht unzerstörbar. Ich hätte sie beinahe verloren. Wir wären beinahe zerschmettert- und es war nicht die Prophezeiung gewesen, die das verhindert hatte.

Ich machte mir nur etwas vor, versteckte mich hinter Floskeln, dem Glauben anderer, unter Ausreden. Verstrickte mich in fadenscheinigen Argumenten.
Hatte es bei den Ahnen so begonnen? Hatten sie den einfacheren Pfad der Ohnmacht betreten, erst nur probeweise, hatten gar nicht bleiben wollen, dann einen Schritt nach dem anderen getan und sich schließlich so tief im Geflecht ihrer selbstgeschaffenen Blindheit verstrickt, dass der Weg zurück ihnen die Luft abgeschnürt hatte?
Denn so war das mit der Welt. Man konnte sie ignorieren, die Probleme übersehen, doch irgendwann musste man sich völlig abschotten oder gestehen, dass man feige war. Irgendwann wuchs das Geflecht unkontrollierbar und die eigenen Sichtweisen ließen einem schwindlig werden, so wenig passten sie mehr aufeinander.
Und dann kam jemand auf die glorreiche Idee, das eitrige Geschwulst an Problemen auf jemand anderen abzuschieben.

Die Prophezeiung war nichts anderes als ein Vertrag für den Transfer solcher Probleme.

Ich könnte sie loslassen, jetzt. Wir könnten abschweifen, einfach über die Welt gleiten. Weg von den Trümmern, weg von Erwartungen, die uns ohne Vorwarnung aufgeladen wurden, weg von alldem. Ohne Rechtfertigung. Ans andere Ende der Welt verschwinden, dorthin, wo uns niemand kannte.

Es gab keine Versuchung, denn trotz aller Möglichkeiten war es letztlich nichts als eine wilde Fantasie. Natürlich, ich könnte.
Und dann was?

Anders als die Ahnen würde ich meine Verantwortung nicht auf jemand anderen abschieben. Egal, wie sehr ich es könnte.
Das war meine Aufgabe. Unsere Aufgabe.
Den Kristall zur Bruthöhle bringen. Das Geschlecht der Himmelsflüche erneut aufleben lassen. Das Drachenfeuer retten. Sungird vernichten.

Vielleicht hielt ich die Prophezeiung nur, um die Möglichkeit zu spüren, sie loszulassen.

Lesen konnte ich sie nicht. In der Tasche wäre sie sicherer gewesen.
Der Flugwind langte nach den Rändern, ließ sie tanzen. Er würde sie hinfort tragen. Weit in die Ferne. Unerreichbarkeit.

Eines Tages würde er das. Eines Tages. Sobald das alles hier vorbei war.

Sobald alles vorbei war...

Wenn alles erledigt ist, komme ich nach Berk. Versprochen.

Versprochen. Wir würden nach Berk fliegen, wenn wir hiermit fertig waren. Das war neben der Seelenbindung das einzig Gute, was der Stamm, die hochwohlgeborenen Stjornur, mir geboten hatten. Zwei kleine, weiße Inseln in einem Meer aus Blut.
Was ein Stern, ein Stjarna, versprach, konnte nicht gebrochen werden. Niemals.
Deshalb konnte ich nie viel versprechen.

Anders als Nira. Die hatte keine Probleme damit, ihre Versprechen zu brechen.
Argh, schon wieder? Konnte ich nicht einen Tag lang nicht über diese... Person nachdenken?
Im Ernst, sie hatte mir fast den Kopf abgeschlagen, aber ihre paar Auftritte in dieser Schlacht nagelten sie in meinem Hirn fest?
Erbärmlich.
Und ich hatte sie tatsächlich auffangen wollen. Pffft. Verfluchte Dracheninstinkte.

<Nach Berk schauen wir bei den Berserkern vorbei, damit du und Heidrun einen exklusiven Anti-Nira-Verein eröffnen könnt. Einverstanden?>

<Mir wär's lieber, ich müsste nie wieder an sie denken. Sie soll einfach in das Loch zurückkriechen, in dem sie sich all die Jahre so hervorragend versteckt hat.>

<Du meinst die Ecke, in der vorher all deine Selbstzweifel gelauert haben? Um Platz zu haben, müsste sie sie wieder aufwirbeln.>

Wir wussten beide genau, was Nachtblitz damit meinte. Hätte sie Unrecht, wäre dieses Gespräch gar nicht möglich.

Ich stieß frustriert die Luft aus.

<Was sagt es über uns aus, dass wir kein Problem damit haben, füreinander draufzugehen, aber nicht... nicht in der Lage sind->

<Waren. Nicht in der Lage waren. Und wir waren sehr wohl dazu in der Lage. Es war nur schwierig.>

<Es hätte nicht schwierig sein sollen.>

<Manchmal sind die kleinen Dinge das, was wirklich schwer ist.>

Ich schwieg. Das wohl unnötigste der unnötigen Dinge, die ich heute getan hatte. Und ich hielt eine Pergamentrolle in der Hand, obwohl meine Finger abfroren- was bei meinem derzeitigen Zustand nicht wirklich einen Unterschied machen würde-, der Wind lauthals pfiff, ich mich lieber zweihändig festhalten sollte und die Tasche nicht nur genügend Platz bot, sondern auch heile war.
Nachtblitz spürte so oder so, dass ich noch etwas sagen wollte. Wahrscheinlich sogar, wie die Frage lauten würde.

Ach, was sollt's.

<Warum war es für dich ein Vertrauensbeweis?>

<Weil ich dich kenne. Ich musste darauf vertrauen, dass du mich dich stützen lässt und nicht auf eigene Faust losrennst. Oder selbst versuchst, die Führung zu übernehmen und uns beide den Hang hinabstürzt.>

<Ich würde dich nicht->

<Das weiß ich. Jetzt wieder. Aber du bist auch ohne mich losgezogen, um die Axt zu holen. Du lässt dich nicht gern beschützen, Moira. Eher rennst du für alle anderen durchs Feuer.>

Und bei den Reitern hatte ich mich ebenfalls nicht sehr einsichtig gezeigt. Sie hatte ja Recht.

<Ich war genauso überrascht.>, gab Nachtblitz zu und obwohl ich es in dem Moment, als sich die Seelenbindung wieder manifestiert hatte, klar spüren konnte, tat es gut, es nochmal zu hören.

<Ich schätze, das sagt mehr über mich als über dich aus>, murmelte ich. Noch so eine unnötige Sache.

Wir schwiegen eine Weile, ließen den Flugwind für uns reden.

<Du hast nicht gefragt.>

<Ich weiß.>, antwortete sie.

Zwei Worte, mit denen alles gesagt war, die in ihrer Schlichtheit meine Aussage durchdrangen und die stille Frage dahinter beantworteten.

<Meinst du, sie hat Kjell bezirzt und ihn auf ihre Seite gebracht?>

Okay, das Augenrollen hatte ich mir verdient.

Und ich ahmte es sofort nach, denn jetzt hatte ich mich erfolgreich wieder ins Tabu-Thema katapultiert.

Das Todbringergift bei Hakenzahn. Sungird meinte, ein Freund hätte es ihm gegeben.
Nira, wer sonst? Sie hatte es auch bei Nachtblitz verwendet.

Super. Nira und Sungird. Jetzt verbündeten sie sich sogar in meinen Gedanken gegen mich.
Wollten sich die ehrenwerten Ahnen vielleicht noch anschließen? Dann hätten sie eine geschlossene Front.

Jedenfalls für ein paar Minuten, bis Nira sich entschied, wieder flohgleich durch die Parteien zu springen.

Ich sollte aufhören zu denken.








Guten Flug, Rächerin!"

Nachtblitz war nur eine Spur nach unten geflogen, doch unter meinen Füßen gab der Kraterrand nach, eine Hand an meiner Schulter, ich kippte, fiel, Dunkelheit und Licht, das Auge, die Klinge in meiner Hand. Die Seelenbindung, ein glitzerndes Band, direkt vor mir.
Zitternde Hände, direkt darüber. Der Dolch drohte zu entgleiten, direkt auf das grazile Gebilde zu fallen, es sauber zu durchtrennen, mühelos, wie er es bereits-

<Moira.>

Der Dolch fiel, ich mit ihm, drehte sich, langsam, bis die Klinge genau auf das Schimmern zielte-

<Moira!>

-und verschwand.

Wach! Wach, ich war wach!
Blut fegte durch die Adern, mein Herz hämmerte mit aller Macht gegen seinen Knochenkäfig, Luft pumpte die Wirklichkeit zurück in meinen Körper.

Blinzeln. Es machte keinen Unterschied.
Manchmal war das das schlimmste. Nicht zu wissen, wann ich träumte und wann ich wach war.

Und schon sprudelten die Gedanken wieder, waren Wellenschaum auf meinem rasenden Puls.

<Was ist, wenn ich es wieder tue? Wenn ich sie wieder... wenn ich träume, es aber kein Traum ist und ich sie- sie->

<Das könntest du nicht.>

<Und wenn es ein Unfall ist? Wenn ich->

<Nein.>

<Aber->

<Du hörst dich wie Wilfriede an.>

<Wilfriede ist klüger, als man zuerst erwarten würde.>

<Du kannst sie nicht versehentlich zerstören. Sagtest du nicht, das Auge hätte deine Entschlossenheit geprüft?>

<Schon, trotzd->

<Moira, atme. Du kannst sie nicht nochmal zertrennen. Erst recht nicht im Traum.>

<Das Auge ist zerstört. Ich bin gestorben. Wir haben eine neue Seelenbindung. Warum sollte ausgerechnet das unmöglich sein?>

<Das Auge ist mehr als ein Kristall. Und als du sie zerstört hast, warst du die einzige, die aktiv auf die Bindung einwirken konnte. Ich war->

<-dabei, zu sterben.>

<Ohnmächtig.>

<Wir haben das noch nicht ausdiskutiert.>

<Ich würde es wieder tun und du würdest dich wieder selbst opfern, um mich zu retten. Das ist uns beiden klar. Und wir sind beide gleichermaßen nicht mit der Handlung des jeweils anderen einverstanden.>

Das... brachte es leider genau auf den Punkt.

<... Sie wird es ihm erzählt haben, nicht wahr?>

Namen waren nicht nötig. Sungird hätte nicht wissen können, dass ich die Rächerin gewesen war. Die einzige Person, die es ihm hätte sagen können, war... sie. Irgendwie musste sie es schließlich wieder zu ihm geschafft haben. Ich hätte sie- hätte sie-

<Hätten wir sie mitnehmen sollen? So wie Kjell?>

<... Selma? Da wäre sie wenig erfreut drüber->

Ich seufzte.
<Du weißt genau, wen ich meine.>

<Du fragst mich wirklich, ob wir die Person, die mich vergiftet und dich beinahe geköpft hat, die mit bloßen Händen versuchte, Hicks' Gesicht zu enthäuten und dich außerdem vor Jahren an die Drachenjäger ausgeliefert hat, obwohl ihr Freunde gewesen seid, die Fischbein offenbar zweimal mithilfe irgendwelcher Tinkturen ausgeschaltet hat und ihre eigenen Leute ausspioniert, die->

<Ist ja gut! Ich hab's verstanden.>

<Mir wäre noch mehr eingefallen. Sowas wie schlangenmelkende... Mückenstichbeschwörerin.>

Mein Lachen durchbrach den Wind, die Böen schlugen mir empört gegen die Wangen, doch der Druck auf meinem Herzen löste sich bereits und ich lachte ihn hinaus, lachte ihn zu Staub und schleuderte ihn in die Weite.
Einen Moment lang bewahrte Nachtblitz ihre Fassung, dann stimmte sie schnaubend mit ein.

<Mückenstichbeschwörerin?>

<Wenn mir dazu jemand einfallen würde, dann...>

Ich grinste.
<Es ist schön, bei dir zu sein.>

<Ich bin immerhin die allerbeste Reisegefährtin.>, scherzte Nachtblitz.

<Sowieso.>

<Ich bin auch froh, dass du da bist.>

Pergament raschelte, als ich ihren Nacken tätschelte. Die Prophezeiung.

Es wurde Zeit.

Einhändig friemelte ich an den Taschenriemen. Schlüpfrige kleine Dinger! Der Wind entriss sie mir, der Dorn wollte einfach nicht loslassen- argh!

„Jetzt geh endlich- komm schon!"

Wieder war er in ein Loch gefahren und stemmte sich vehement gegen meine Öffnungsversuche.
Ich wünschte, ich hätte mein Augenli- stopp.
Das brachte auch nichts.
Nochmal. Und danach nochmal. So oft, bis es endlich funktionierte.

Geduld. Was für eine grandiose Gelegenheit, sie mir anzueignen. Entweder das, oder ich zerstörte am Ende noch die Tasche. Wäre kein Problem, ich hatte irgendwo Nähzeug- aber niemanden, der es flicken könnte.
Reiß dich zusammen, verdammt nochmal!

Nach dem eindeutig zuvielten Versuch ging die Tasche tatsächlich auf. Ich stopfte die Rolle in den Lederbauch, fädelte ungeschickt die Gurte zurück und zerrte alles fest.

Irgendwann machte ich da Knoten rein.

Okay, Prophezeiung weg. Hände frei. Die waren in den letzten Tagen- in den letzten Wochen. Es waren über zwei Wochen gewesen, seit ich sie als Ersatz für meine Augen nutzen musste. Mit... allmählich steigendem Erfolg. Vielleicht gewöhnte ich mich auch nur daran.

Wir lebten. Das war die Hauptsache. Wir lebten, die Drachenreiter lebten. Wahrscheinlich.
Hatte Fischbein es geschafft? Hatte Sungird sie schon eingeholt? Wie ging es Astrid? Und Hicks... er kehrte von einer Schlacht zu einem Schlachtfeld zurück. Sie alle taten das. Valka war sicherlich in einem Kampf gefallen.

Wenn alles erledigt ist, komme ich nach Berk. Versprochen.

Noch immer konnte ich das Pergament an meinen Fingern spüren.
Wenn alles erledigt war...

Es fühlt sich seltsam an. Als braue sich bereits wieder etwas zusammen.

Immer noch. Es hat nicht aufgehört.

Wird es das je?

Dieser Krieg kann nicht ewig gehen, Moira. Keiner kann das.

Wenn alles vorbei war. Wenn das Pergament zu Ende ging und eine neue Rolle mit den Worten dieser Abenteuer gefüllt werden konnte. Bald.

Berk. Wir würden nach Berk fliegen. Zu einem Ort, wo man uns willkommen heißen würde.
Zu Leuten, die uns kannten- und uns trotzdem eingeladen hatten. Zu...

Na komm. Es war okay.

Zu Freunden.

Zu echten Freunden.

<Rotzbakke hätte schon früher der Kragen platzen können, oder?>

Natürlich wusste sie genau, worüber ich nachgedacht hatte.

<Nein. Das war... genau der richtige Zeitpunkt.>

<Du lächelst.>, flüsterte sie, Glück schimmerte in den Worten.

<Du auch.
...Und wenn Fischbein es nicht geschafft hat?>

<Dann ist das nicht deine Schuld. Sie würden uns so oder so sehen wollen.>

Jetzt war es eh unmöglich, einen Rückzieher zu machen. Versprochen war versprochen.

<Danke, Nachtblitz.>

Wenn alles vorbei war.
Es würde vorbei gehen. Es musste. Ich hatte ein Versprechen gegeben.

Doch das erklärte nicht, woher ich plötzlich wusste, was es mit den Versprechen auf sich hatte. Es war einfach da gewesen, dieses Wissen. Ich hatte die Worte ausgesprochen und gewusst, dass sie wahr werden würden.
War es, weil ich zum ersten Mal etwas versprochen hatte?
Hatte ich wirklich vorher noch nie...
Als ob ich noch alles wüsste, was ich jemals gesagt hatte.

Eventuell hatte mir das Ritual dieses Wissen eingepflanzt.
Pfft. Klang nicht wesentlich plausibler.










Wo steckte Sungird wohl? Schon seit Wochen gab es keine Spur mehr von ihm. War er wirklich nach Berk gefahren?

Konnte er überhaupt wissen, woher die Drachenreiter-
Urgh, selbstverständlich konnte er. Sie waren Drachenreiter, ein an sich schon seltenes Phänomen, und die Drachenjäger hatten weitläufige Informationsnetzwerke. Ob untereinander, mit Händlern, Käufern, zufälligen Begegnungen, sie tauschten ständig Neuigkeiten aus. Von ihren Spionen mal ganz abgesehen.
Ach, großartig. Da waren wir wieder. Sie hatte es ihm erzählt, so wie sie ihm vermutlich meine gesamte Kindheit geschildert hatte.

Nach Berk sollte ich mich diesem Netzwerk widmen und es Strang für Strang aufdröseln lassen.

Nach Berk.
Wenn es kein „nach" gab? Wenn wir... bleiben durften?
Nicht mehr allein.

Ich sollte mir keine falschen Hoffnungen machen. Nicht jetzt.
Einfach abwarten. Menschen waren... menschlich. Mit wechselnden Ansichten. Auch die Reiter konnten irgendwann genug haben.

Wir könnten in unsere Höhle zurückkehren. Dort hatten wir immerhin einige Jahre lang gelebt.
Oder wir reisten- nein, keine Dauerreise. Nachtblitz hatte sich einen Ort verdient, den sie Heimat nennen konnte.

Für immer an einem Ort leben. Immer zurückkehren können. Dort alt werden.
Seltsamer Gedanke.
Selma hätte ihn sicherlich besser verstehen können, hatte ihn gelebt.
Aber auch sie hatte nicht bleiben können. Sie war weitergegangen und hatte die Schale, in die sie ihr Leben gerahmt hatte, zurückgelassen.
Ihre Hütte hatte leer gewirkt. Die Stille war zu einem Echo geworden, hatte meine Worte zurückgeflüstert. Die meisten ihrer Kräuter hatte sie mitgenommen, doch die alten Möbel und Bücher standen noch. Staub hatte sich der Oberflächen bemächtigt, nur die Betten wirkten wie frisch gemacht.
Der Kamin war kalt gewesen, kein Kessel blubberte. Feuerholz hatte in sauberen Stapeln gewartet, ein Buch lag neben dem Bett. Trockenes Brot und abgestandenes Wasser. Sie hatte ihre Abreise nicht lange geplant.

Hatte sie gespürt, dass ihr Warten bald ein Ende haben würde?
War es das bei ihr gewesen, ein Warten?

<Das wirst du sehen wollen>, kündigte Nachtblitz das bekannte Kribbeln an. Die Welt wurde schlagartig hell, blendete. Es dauerte eine nervige Sekunde lang, bis ich wieder wusste, wo ich war.

Vor uns schälte sich eine unscheinbare Insel aus den Wellen, Felsen boten Schutz für ein paar mickrige Büsche. Die größeren Bäume wuchsen dort, wo Steintrümmer und Wrackgerippe ihre Wurzeln vor dem Wind schützten. Insgesamt machte das Stückchen Land nicht viel her.

<Die Flammenhöhle?>

Von den Umrissen her stimmte sie mit der Zeichnung überein- halbwegs.

Aber wo war der Berg? Die Höhlen? Wo sollte die Brutstätte- Trümmerberge. Trümmerwald. Dickicht aus Zerstörtem, Urwald geborstener Mäste. Nein.
Nein. Das konnte es nicht sein. Nein.
Bitte nicht. Das- das durfte es nicht sein!

Landung, Nachtblitz trabte auf die Scherbenhügel zu.
Dünengras streifte meine Schuhe, Flechten und Pilze drängten sich in die Spalten morscher Dielen, Mäuse flüchteten in den Schutz der Steine. Der Wald war so klein, dass man ihn nicht als Wald bezeichnen konnte. Ansonsten gab es karges Land, dunklen Fels mit Schuttbelag.
Oder- da, ein Funkeln im Augenwinkel.

<Nachtblitz, sieh nochmal zurück!>

Es funkelte wieder, zwischen den Steinen. Und ein Stück weiter. Und dahinter. Überall glitzerte es schüchtern, wo die Sonnenstrahlen zwischen die Trümmer gelangten.
Fast wie Nachtblitz' Schuppen.

Ich spürte ihre Freude, wurde angesteckt, wusste, was wir dort sahen, ehe sie die Worte denken konnte:
<Eierschalen!>

Wir drehten auf der Hinterhand, fegten mit den Flügeln die ersten Steine beiseite, legten das Glitzer frei. Die Schalen schimmerten. Schwach und mit kalter Gleichmäßigkeit, als wollten sie vor dem Licht verstecken, dass sie-

Scherben waren. Zertrümmert. Bruchstücke.

<Nein.>

Nachtblitz schlug weitere Brocken fort, mehr Scherben. Und dazwischen etwas, das an einigen Stellen noch weiß war- knochenweiß.
Wir pflügten durch die Trümmer, befreiten mehr Knochen, Scherbenberge, Hoffnungstrümmer.
Dann war das Trümmerfeld beräumt, kein Funkeln mehr unentdeckt.

Das konnte nicht alles gewesen sein. Das konnte es nicht!

Ich fiel beinahe aus dem Sattel, so hektisch stieg ich ab, rannte blind durch die Gegend, knallte auf die Knie, sah mich selbst, wie ich panisch Steine beiseite fegte, den Boden aufkratzte, als würden ihn Schläge dazu bringen, seinen geheimen Schlund zu öffnen. Die Welt flüsterte, drängte sich in meine Ohren, Echos überlagerten, Nachtblitz rannte, ihre Sicht erzitterte, ich stolperte weiter, schwindlig, fiel auf Kiesel, über Brocken, gegen Stämme, schrammte über Splitter, riss an Halmen, doch sie gaben nach, zerteilten sich, rupften samt Wurzel empor, antworteten nicht. Und das Auge schwieg, keine Visionen, wie sehr ich die Lider zusammenpresste, das Medaillon umklammerte, in der Dunkelheit nach Licht tauchte- nichts.

Das. Konnte. Es. Nicht. Gewesen. Sein!

Nein! Wir waren nicht dafür durch alles gegangen, hatten nicht hierfür geblutet und gekämpft, Freunde verloren und geopfert und nein! Nicht dafür, nicht für dieses Nichts, dieses Gar nichts!

„Jetzt redet mit mir, ihr verfluchten Vorfahren! Redet! Tut etwas! Werdet aktiv, ihr verrotteten Gerippe! Sagt! Etwas!"

Steine flogen, wohin auch immer, schnitten in meine Finger, aber nicht genug, sie flogen nicht genug und zu leise, explodierten nicht und setzten nicht den Himmel in Brand, schossen nicht die Sterne einzeln herab!

„Was jetzt?! WAS?! ÖFFNET ENDLICH EURE VERDAMMTEN LÜGENMÄULER!"

Sie schwiegen, diese verseuchten Hohlschnepfen schwiegen und schwiegen und schwiegen und bekamen die Kiemen nicht auf! Plötzlich! Aber für 'ne krüpplige Prophezeiung und eine ranzige Beschwörung reichte es!
„Arrogante Feiglinge, als ob die Stille euch verstecken könnte!"
Warum nicht gleich den Schall verbannen? Warum nicht die Luft? Wenn das Feuer verschwand, könnte das Licht gleich mitgehen! Wer brauchte Donner ohne Blitz? Wer brauchte Wind, wenn er weder Worte noch Bilder über die Welt verteilte? Wer brauchte Ahnen, die nur herabgafften, sich an Leid ergötzten, die ihre versifften Moralvorstellungen zerhackten, um der Welt einen verdreckten Sarg zu klöppeln?!

Die Welt brach sich in meinen Kopf, Töne zerschmetterten Gedanken, fraßen sich in Knochen, mein Schrei vertausendfachte sie, alles Schall und alles brüllte, die Insel brüllte, das Meer, die Vögel, antwortete meinem Schrei, zeichnete die Bäume, ließ die Insel zittern, dröhnen wie den Körper einer Laute, eines Instrumentes, warf jeden Schrei, jeden Ton zurück, noch stärker als zuvor, Teufelskreis, Hände auf den Ohren, zerdrückten bald den Schädel, doch es wurde nicht leiser, nahm noch zu, Schreie und Brüllen, Fauchen, Rauschen, Krachen, Stampfen, Sturm an Geräuschen, schwoll und schwoll und schwoll und schwoll noch weiter.

Zu viel, es war zu viel, sollte aufhören! Aufhören! Stille! Doch meine Ohren rissen nicht ab, flutschten zwischen den Fingern hervor, ließen sich nicht packen, verfluchter Knorpel, die Welt schrie weiter, Bilder blitzten auf, zu hell, zu schnell, Nachtblitz rannte, jeder Schritt ein Donnerschlag, erkannte mich, kam näher, doch sie sollte nicht, sollte nicht, keine Schritte, keine Körper, keine Bewegungen, keine Töne! Näher, kam näher, Flügelrascheln, Flügelfauchen, brüllende Atemzüge, noch näher, kam und kam und gleich, gleich war sie-






<Moira!>

Wo war ich?
Es war stockduster.

<Nachtblitz?>

<Bei den Sternen, du bist wieder wach. Langsam habe ich mir Sorgen gemacht.>

Langsam?
Wach. Ohnmacht wäre mir lieber. Mein Kopf dröhnte hohl, die Ohren taten weh und meine Finger hatten mir die kalte Luft und das unkontrollierte Schlagen noch lange nicht verziehen. Der Schmerz kribbelte aufgebracht, brach mit jeder Bewegung an die Oberfläche.
Blieb nur zu klären, weshalb ich nichts sehen-
Ach ja.

<Ich bin beim ersten Mal auch für einen Moment ohnmächtig geworden. Manche sogar noch beim vierten Versuch.>
Ihr Tonfall blieb besorgt, wahrscheinlich neigte sie gerade den Kopf und kniff die Lider etwas zusammen, um mich genauer zu betrachten.
Sie knurrte urplötzlich, ich sprang auf, zog die Axt, den Rücken zu ihr.

Ihr überraschter Laut überlagerte mein angespanntes <Was ist da?!>.

Keine Antwort.

<Nachtblitz?>

<Nichts, alles gut. Das w->

<Du hast geknurrt. Da ist mehr als 'nichts'.>

<- war ein Versuch, ob mit deinem Gehör noch alles in Ordnung ist.>

Ich ließ die Axt sinken. Sie hatte geknurrt, ja, aber ihr emotionaler Zustand hatte sich nicht so verändert, wie er es bei einer Gefahr getan hätte.

<Versuch?>

Ob- was?!

<Mein Gehör? Wieso?>

Sie seufzte.
<Echoortung ist grundsätzlich ungefährlich. Wenn man ein Einsteiger ist- wie du- und direkt zu intensiven Gebrauch davon macht -wie du-, kann es allerdings zu Schäden kommen. Der Körper ist noch nicht daran gewöhnt und wird direkt mit zu vielen Signalen überhäuft. Deshalb gibt es am Anfang auch üblen Kopfschmerz, der oft in Ohnmacht endet. Geh das nächste Mal lieber vorsichtig hoch, anstatt gleich zum Maximum zu springen. Oder gib mir die Gelegenheit, dich zu unterstützen. Ich war mir bis eben nichtmal sicher, ob du sowas kannst.>

<Echoortung?>
Ich?

<Ja. Du.>

<So gut sind meine Ohren nicht.>

<Ich kann dir nicht erklären, warum du es plötzlich kannst, aber das war eindeutig Echoortung.>

<Seelenbindungen können nicht den Körper verändern, oder?>
Einmal besser aufgepasst, wenn Selma etwas erklärt hatte. Und dabei war das schon das interessanteste Thema gewesen.

<Nein. Sie beeinflussen nur Empfindungen und Gedanken.>

<Und was ist mit der höheren Hitzeresistenz? Oder der Körperkraft? Die Seelenbindung kann Einfluss darauf nehmen, vielleicht...>

<Ja und nein. Die Seelenbindung kann bereits Vorhandenes beeinflussen. Du hast Drachenblut in deinen Adern, wie ich. Daher kommt die Hitzeresistenz und die steigende Kraft. Die Seelenbindung kann diesen Effekt aktivieren und seinen Umfang festlegen, mehr nicht. Sie kann dir keine völlig neuen Fähigkeiten geben.>

<Was?>

<Wir sind zwei Seelen, die sich nicht ganz zwei Körper teilen. Unsere Körper sind bereits seit Geburt über das Blut miteinander verbunden, die Seelen waren getrennt. Das ermöglicht es uns, unabhängig voneinander zu existieren. Doch sobald die Bindung stattgefunden hat, sind wir nicht mehr ganz zwei Individuen. Stell dir vor, du würdest zwei Schneebälle zusammendrücken. Daraus wird eine gemeinsame Schneefigur, die sich aus zwei einzelnen Teilen zusammensetzt. Die Teile selbst kann man an der Kontaktstelle nicht mehr klar unterscheiden. So in etwa.>

<Und deshalb führt eine Steigerung der Kraft bei mir zu einer Schwächung bei dir?>

<Genau. Wir können alles teilen, aber nichts vermehren. Dass du selbst eine Echoortung entwickelt hast, kommt nicht von der Seelenbindung. Und meine hast du garantiert nicht genutzt.>

<Das ist den Kopfschmerzen gerade äußerst zuträglich.>

Nachtblitz seufzte.
<Du hältst das für eine Problem.>

Goldrichtig.

<Moira, das bedeutet, dass du wieder sehen können wirst! Nur nicht mit den Augen.>

<Ich- wirklich?>

<Ja!>
Sie hopste freudig und rieb überschwänglich die Stirn an meiner Seite.
<Ich kann es dir beibringen!>

Gegen das Lächeln konnte ich gar nichts tun. Überglücklich schlang ich die Arme um Nachtblitz.

Ich würde wieder sehen!

Sehen. Glitzerpunkte blitzten durch die Erinnerung.
Eierschalenscherben.
Was brachte das alles, wenn wir am Ende versagen mussten?

<Werden wir nicht. Du hast die Bruthöhlen doch gefunden.>

Ich hatte was?! Wann? Wo?

Nachtblitz gurrte eine äußerst einzigartige Form von Gelächter.
<Direkt unter uns! Es fehlt nur noch der Eingang.>

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3890 Wörter

Tatsächlich können Menschen in gewissem Maße selbst Echoortung nutzen bzw. erlernen. Bei Moira geht es jedoch über diese Stufe hinaus.
Für die Lösung des Rätsels um Moiras neue Fähigkeit müsst ihr euch allerdings noch gedulden. 😅

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