Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

(45) Blindes Vertrauen


Hicks

Heilung war nicht das Meer, in dem alle Dinge mündeten. Sie war nicht das geheimnisvolle Endergebnis aller Wunden, die Zukunft aller Brüche.
Manchmal war Heilung machtlos, eine Reparatur unmöglich.
Die Münze musste fallen, musste auf einer Seite landen, wenn es weitergehen sollte. Sie konnte nicht ewig in der Luft hängen und deshalb blieb manchmal nichts Anderes übrig, als auf den hohlen, blechernen Klang der Akzeptanz zu warten. Die Gegenseite der Heilung, die den Schmerz schluckte, indem sie einen dazu brachte, die Scherben loszulassen.

Kalter Wind, grau vor Asche, strich wie von Künstlerhand geführt über Moiras Silhouette. Schwarzer Fleck in all den kohlig-leuchtenden Farben.
Sie wusste selbst nicht, worauf sie wartete. Vielleicht darauf, dass die Münze ihren Zenit erreichte und die Hoffnung aufhörte, im Todeskrampf ihre Krallen in Herzen zu treiben.

„Es ist vorbei."
Fröstelnd rieb sich Heidrun über die Arme.

War es das?

Trümmerteile ließen das Meer glitzern, brachen das Sonnenlicht brillanter, als die Wellen allein es gekonnt hätten. Rote Zungen leckten über den Strand, ihre Farbe verwusch allmählich, folgte der Vergangenheit in den Himmel.
Fischbein atmete gleichmäßig, von Wilfriede fehlte jede Spur. Sie jetzt zu suchen wäre töricht. Die Sonne neigte sich zum Horizont, goldene Strahlen kündigten die letzten Stunden des Tages an. Ein letztes Krümelchen Wirklichkeit, ehe von dem Massaker für den Rest der Welt nur Legenden blieben. Eine weitere Schlacht, eine von vielen. Niemand zählte Tote, die ihren Namen mit sich genommen hatten.

Würden wir Wilfriede finden, wenn wir sie morgen suchten?

„Zeit für ein Nachtlager."
Die Worte schmeckten fremd.














„Was macht ihr da?", fragte Moira, noch ehe Nachtblitz auf dem Boden aufsetzte.

„Wonach sieht's denn- wir bauen ein Nachtlager."
Rotzbakkes Zunge überschlug sich hörbar bei der scharfen Kurve, die seine Worte kratzten.
Frustriert warf er die gesammelten Zweige zu Boden, grummelte und suchte nach einer neuen Beschäftigung.

„Hier?"

Eine ganze Geschichte zwängte in den Mantel des kleinen Wortes, ihr Entsetzen verknotete sich im Klang der Frage.

„Die nächste Insel ist zu weit entfernt. Mir gefällt es auch nicht-"

„Och man, und ich habe mir solche Mühe mit den Matten gegeben!", unterbrach mich Taff enttäuscht.

„Ach, das sollen Matten sein! Ich hab' mich schon gefragt, welchem Bieber du etwas beweisen willst."

„Und welche Krähe musste ihr Nest gegen deine Haare tauschen, hm?"

Raff zuckte mit den Schultern. „Hab' nicht nach ihrem Namen gefragt."

„Die Matten sehen wirklich ganz wundervoll aus, Taffnuss.", pflichtete Moira ihm fahrig bei, „aber-"

„Dankeschön! Seht ihr, wenigstens Moira erkennt mein Potential!"
Seine geschwollene Brust geriet ins Stocken, er bekam schmale Augen. „Moment mal..."

„Aber", nahm die Kriegerin ihren Faden nachdrücklich wieder auf, „man schläft nicht auf solchen Schlachtfeldern. Damit rechnet Sungird. Er ist geschwächt, doch jeder Hänfling könnte problemlos gestandene Krieger umbringen, während sie schlafen."

„Ehe wir die nächste Insel erreichen, stürzen wir vor Erschöpfung ins Meer und ertrinken.", hielt Astrid dagegen.

„Außerdem denken sie, wir hätten zwei Himmelsflüche auf unserer Seite. Du bist ihnen sogar ein gutes Stück hinterhergejagt. Und sollte sie das nicht abschrecken, sind sie zu Schiff immer noch wesentlich langsamer als wir auf den Drachen. Selbst, wenn sie auf der nächsten Insel ihre Vorräte aufstocken und sofort wieder ablegen, wären wir hier weg, ehe sie ankommen. Morgen."
Nur Heidruns Kopf hatte sich bewegt, der Rest ihres Körpers hockte neben dem ersten Lagerfeuer und versuchte, dem stichligen Branden der kalten Nachtluft zu entkommen, das an ihren heiseren Worten zerrte.

Moira stieß langsam die Luft aus. Zischend legte diese sich unter das Knistern der Flammen, fütterte die Glut mit unterdrückten Worten, zerstob Argumente zu Funken.

„Ein Grund mehr, meine Axt zu holen."

Aber sie bewegte sich nicht von der Stelle.
Super. Diese Diskussion fehlte echt noch.

Wer wusste, warum sie nicht direkt loslegte. Wahrscheinlich suchte sie nach Gründen, die wir nicht in den Wind schlagen konnten. Etwas, das uns überzeugte, noch heute von hier zu verschwinden, ungeachtet des sicheren Erschöpfungstodes.
Nur gab es da eben nichts. Keiner war scharf darauf, länger als nötig hier zu bleiben und Moira hatte erst Recht allen Grund dazu, aber wir hatten bereits jede Möglichkeit durchgekaut, ausgespuckt, in Einzelteile zerlegt und alle erdenklichen Alternativen auseinandergenommen. Astrid war sogar über das Trümmerfeld geflogen und hatte nach einem halbwegs seetauglichen Schiff gesucht. Erfolglos. Die Lecks konnte nichtmal eine ganze Horde Todsinger stopfen.
Konnten wir das Thema nicht endlich abhaken?

„Moira, wirklich, wir haben keine andere Wahl."
Es war ein Tropfen auf ein Fass siedenden Öls, das wusste ich. Aber dieses Fass würde sowieso bald sprengen und uns mit Trümmern und kochender Brühe befeuern, da konnte ich die fadenscheinige Chance nutzen, das Brodeln abzukühlen.

„Was?", schreckte Moira auf.

„Wir müssen hier bleiben, es gibt keinen Umweg."

„Ich weiß."

„Prima, dann- Was?"

Verhört. So musste es sein. Oder? Oder ich hörte Stimmen. Akustische Halluzinationen. Gespinste der Müdigkeit. Wäre nicht verwunderlich.
Aber sicherheitshalber:
„Was meintest du dann?"

Jetzt war Moira mindestens so verwirrt wie ich.
„Womit?"

„Mit dem..."
Sie hatte nichts gesagt. Sie hatte einfach bloß still verharrt.
„Schweigen.", brummte ich kleinlaut.
Ja, es war mir bewusst, wie das klang.

Nur druckste Moira jetzt auch herum.
War mein verbales Auftreten ansteckend? Nein, das musste Zufall sein. Oder mein Auffassungsvermögen hatte den Dienst an meine Fantasie abgegeben, was immer davon wahrscheinlicher sein mochte.

„Vorhin."
Angesetzt und abgebrochen. War das ihre Antwort oder nur ein vorschneller Gedanke?

„Vorhin war Nachtblitz nicht begeistert von der Idee."

Das waren mehr Wörter, denen ich jedoch nicht ein Fitzelchen mehr Inhalt abringen konnte.
Welche Idee? Was hatte Nachtblitz mit dem Lager zu tun? Sollten wir woanders schlafen, weil der Himmelsfluch sich hier nicht wohl fühlte? Und woher wusste Moira-

„Ich kann die Axt nicht alleine holen.", platzte es aus ihr heraus. „Sie liegt irgendwo in unmittelbarer Nähe zum Krater und ich bin blind. Wenn ich nicht wieder in den Schlund stürze, dann in einen der Lavaströme. Oder über Steine oder all den anderen Krempel, der früher nie ein Problem war."

Hilfe. Sie brauchte Hilfe. Sie, Moira, bat um Hilfe, um unsere Hilfe und ich Idiot hatte es nicht erkannt.

„Ich komme mit."

Ooooooder Astrid tat, was ihr Blick ankündigte und ich hätte mir den Atem sparen sollen.

„Du?", fragte sie da direkt und nagelte mein Selbstbewusstsein mit eisblauen Pflöcken hinter meinem Gaumen fest, sodass es in der Kehle stremmte.
„Das ist keine gute Idee. Du kannst kaum noch geradeaus laufen und klingst, als würdest du im Schlaf sprechen. Ich gehe mit."
Dann sah sie zu Moira, ihre Augenbrauen weichten auf. „Wenn ich darf."

„Astrid, du-"

„Danke.", sagte Moira.

„Dein Arm! Was ist, wenn-"
Blonde Haare schwebten an mir vorbei, der zugehörige Zopf pendelte schon Richtung Vulkan.

„Hört ihr mir überhaupt zu?!"

Ich war wahrlich der geborene Anführer. Zweifelsohne.

„Hey! Diese Diskussion ist noch nicht beendet!"

Doch, war sie. Schon in dem Moment, als das erste Wort Astrids Mund verlassen hatte. Aber sie konnten nicht einfach- Das konnte doch nicht wahr sein! Ich konnte einen hungrigen Nadder bezwingen und aufgestachelte Kiesklopse zu Besinnung bringen, aber meine Verlobte sah nichtmal zurück. Der große Drachenbezwinger besaß bei Menschen das Durchsetzungsvermögen eines Gänseblümchens. Und wahrscheinlich würden die anderen Blumen mich noch als Rankhilfe nutzen.

„Welche Diskussion?"
Probehalber schob sich Taff in einen Kopfstand.

„Wunder Punkt. Er meint das Trauerspiel zwischen vergeblichem Machtgehabe und Ignoranz. Streck die Knie durch!"

„Oh. Tja, mein Freund, das war definitiv keine Diskussion. Dafür hatte Astrid gar keine Zeit. So?"

„Und jetzt mit den Füßen kreisen! Andersrum! Ja, genau so. Und jetzt einen Spagat! Das nennst du Spagat? Da bekommt Großvater Schnuffnuss ja einen besseren hin! Und er ist einbeinig!"

„Die Hose ist zu eng!"

„Jetzt gib nicht der Hose die Schuld!"

„Siehst du, Hicks, das ist eine Diskussion. Für's nächste Mal. Bin mir sicher, es kommt bald.
Schwesterchen, wie lange muss ich die Position jetzt halten, um die Weichheit der Matte bewerten zu können?"

„Vielen Dank auch."

„Keine Ursache, Hicks. Ich helfe, wo ich kann. Und wenn ich nicht helfen kann, dann helfe ich dabei, Hilfe nötig zu machen.
Uh, Raff? Ich sehe schwarze Punkte."

„Gehört zum Test."

„Ach so."

Überdosis Zwillinge. Gleich explodierte meine Stirn.

Einladend hob Ohnezahn den Flügel- natürlich nicht, ohne seinerseits belustigt zu schnauben. Offenbar hatte niemand mehr Respekt vor mir.
Ein Seufzer entwich mir. Niemand mehr? Pff. Immer noch keiner, das traf es besser.

„Was genau testen wir nochmal?"
Taffs Stimme klang gedämpft durch die schwarzen Schuppen.

„Die Abstufung der Rottöne, die dein Gesicht annehmen kann, ehe du umkippst."

„Hör auf zu rauschen, ich verstehe dich nicht!"

„Neuer Rekord! Die Farbe ist noch ein Stück dunkler als alle bisher!"

Ein dumpfer Aufprall verkündete, dass das Experiment vorerst beendet war.















Panisches Poltern, ein kräftiger Ruck, ich sprang auf, das Blut jagte mir durch die Adern.
Nichts zu sehen, wortwörtlich. Dunkelheit. Hände fischten Leere, wo war Inferno? Dann schlug mir der Schmerz die geballten Fäuste ins Gesicht und das Knie in die Lunge.

„Hicks! Beruhige dich, atmen. Atmen."

Stimme. Vertraut. Ernst besorgt. Luft holen, meine Lunge zog und zerrte und der Strom blieb flach, sperrte sich gegen die Tiefe des Brustkorbs, brauste dünn durch den Hals und schoss hektisch zurück.
Atmen. Atmen. Aber die Luft wollte nicht. Sie wollte nicht! Zog sich zurück, versteckte sich, zischte durch die Ohren und stachelte in der Kehle.
Ich würde platzen, explodieren, zerreißen, gleich, hier, jetzt. Die Luft wollte nicht in mich hinein, ich sollte in sie und gleich hatte sie mich, gleich sprengte mein Brustkorb auf und-

Ich flog rückwärts oder vorwärts oder weiß der Geier wohin, knallte aufs Steißbein, Sterne schepperten auf. Ich hustete, rappelte mich auf, taumelte zurück, plumpste, Dornenbrei ätzte und brannte in meinem Magen. Kopf schütteln, stärker, die Sterne sollten weg und erst jetzt spürte ich die Kälte in meinem Rachen, die sich losriss, Bahn brach und die Atemwege vereiste.
Die Atem- ich atmete. Tief und erschrocken.

Vor mir lösten sich die Sterne zu schwachem Licht auf, deuteten phantomartige Konturen an.

„Astrid?"
Japsen. War das meine Stimme? Viel zu hoch.
„Musste der Schlag in den Bauch wirklich sein?"

„Er hat geholfen, oder?"
Sie lächelte. Mit dem Mund, nicht mit den Augen.

Sie war zurück. Ich hatte geschlafen. Und offenbar ziemlich tief. So viel zur Vorsicht. Nichtmal an die Einteilung einer Nachtwache hatte ich gedacht!

„Was ist passiert? Warum hast du mich geweckt?"

Argh, klang das quenglig.

„Ich habe Moira verloren."

Das war dem Schlaf zu viel. Er preschte davon, ließ nicht das leiseste Echo zurück.

„Du hast was?!"

Meine Sohlen gruben sich in den Sand, ich stand, stierte in die Dunkelheit, als bräuchte Astrid zusätzliche Bestätigung, als könnte ich Moira durch krampfhafte Blicke aus der Nacht stanzen.

„Wir waren gerade auf dem Rückweg, ich hatte mich nach dem Licht aus dem Krater nicht richtig an die Dunkelheit gewöhnt und sie ist über einen Felsbrocken gestolpert. Dahinter ging es steil bergab. Ich bin ihr hinterher, aber sie war verschwunden, das Trümmerfeld zu groß. Sie hat nicht auf meine Rufe geantwortet, vielleicht ist sie bewusstlos- oder noch weiter gestürzt. Wir müssen sie suchen."

Mein Blick schoss zu meinen Freunden. Heidrun lag fest zusammengerollt unter zwei Decken, hatte sich an Windfang gekuschelt und das Gesicht der züngelnden Glut zugewandt. Unweit von ihr baute Fleischklops' Gestalt einen Schutzwall für Fischbein, Raff und Taff ragten gliederweise aus einem Mattenhaufen hervor, der sich zwischen Kotz' und Würgs Hälsen türmte. Rotzbakke schnarchte und durfte nie erfahren, dass ich gesehen hatte, wie innig er sich an Hakenzahn kuschelte. Schnüffler ruhte neben Windfang, sein Atem summte über die scharfen Ränder der Metallschuppen. Irgendein Magen knurrte.

„Wir wecken sie nicht auf. Mit Ohnezahns Echoortung haben wir sowieso die besten Chancen."

Astrid nickte, in ihren Augen funkelte es. Genau das war ihr Plan gewesen.

„Ohnezahn? Hey, Kumpel, wach auf. Wir brauchen dich."

Grummeln, protestierendes Schnaufen, aber er blinzelte träge und kippte auf die Tatzen. Mit einem treuen Gurren schüttelte er den Schlaf ab und trottete zu uns- in die große Lücke.

Der Todsinger lag ein Stück abseits, wie vorhin. Und dennoch hatte hier ganz sicher kein so gewaltiges Loch geklafft, als-

Siedend heiß durchzuckte mich die Erkenntnis.
„Wo ist Nachtblitz?"

Astrid schwang sich in Ohnezahns Sattel.
„Vorgeflogen. Sie hat gesehen, wie ich allein zurückgekommen bin und ist wie ein geölter Blitz losgeprescht."




Wir hatten noch nicht abgehoben, da klapperten Steine, Sand knirschte und dann rollte eine Welle knisternd wilder Energie über das Lager, schwemmte die Glut zu tanzenden Flammenröcken, spülte Konturen aus der Dunkelheit, übergoss uns mit einer eigenartigen Wärme, die von innen kam und nur wie eine Erinnerung an sich existierte. Ein Nachhall, ein Echo, dessen Original es nie gegeben hatte.

Nachtblitz' Schuppen leuchteten mit dem Nachthimmel um die Wette, als hätte jemand in ihnen Sterne gesät. Moira lief neben ihr, ließ sich führen, eine Hand ruhte vor den Flügeln. Sie war noch ein gutes Stück entfernt, zu weit, um ihr Gesicht zu erkennen, doch ich wusste auch so, welche Farbe ihre Augen hatten.
Dieselbe wie Nachtblitz'.



„Bei allen Geistern, siehst du zerschlissen aus.", war das wichtigste, was mir die Kriegerin mitzuteilen hatte, als sie das Lager erreichten.

„Ja, ist noch nicht so ganz modern.", sagte ich in einem Ton, von dem nichtmal ich wusste, ob er grummelig oder heiter klingen sollte. Vielleicht eine missglückte Mischung aus beidem.

Der Sattel bewegte sich, als Astrid- nicht abstieg, sie hatte es sich im letzten Moment anders überlegt.

„War das...?"
Ihre Frage verlief sich in Offensichtlichkeit.

„Ja.", strahlte Moira. Nachtblitz gurrte glücklich.

„Aber wie? Wodurch?"

Damit hatte ich mal wieder offiziell den Moment zerstört.

Moiras Erklärung übersprang den Teil, der meine Frage beantworten würde und endete direkt mit einem:
„Es ist einfach passiert."
Und im Prinzip hatte sie recht, denn das war alles, was zählen sollte.

„Das ist großartig!", jubelte Astrid. Ich stimmte mit ein, glücklicherweise überdeckte ihre Freude meine unangebracht flache Euphorie.
Was war nur los mit mir? Moira und Nachtblitz hatten ihre Seelenbindung zurück, das war wundervoll! Es war fantastisch! Es war unglaublich! Es war ein Schlag ins Gesicht. Warum konnte ich mich nicht einfach freuen? Warum musste ich mich beinahe dazu zwingen? Vorhin, als die Energie floss, als Nachtblitz gefunkelt hatte, war alles gut gewesen. Da hatte sich eine enge Kette von mir gelöst und mich wieder atmen lassen, mich schweben lassen. Wo war das jetzt? Weshalb war es gegangen?
Das war nicht fair von mir.

Beinahe war ich erleich- Ich war erleichtert, als Moira uns nach wenigen Sekunden zurechtwies:
„Nicht so laut, ihr weckt die anderen noch."
Aber ihr Tonfall lächelte.

Jetzt schwang sich Astrid tatsächlich von Ohnezahn. War das- das war Schuldbewusstsein, dünn um ihre Auge geflochten, die Masse ruhte auf ihren Schultern.

„Geht es dir gut? Hast du dich irgendwo verletzt?"

„Ein paar Kratzer." Moira winkte ab. „Wenn überhaupt. Es tut eh nichts zur Sache."

„Warum hast du nicht geantwortet? Ich dachte, du wärst mit dem Kopf gegen einen Stein geschlagen oder schlimmeres!"

„Ich habe dich nicht gehört."

Nachtblitz sah Moira an, deren Mundwinkel ein unwilliges Zucken andeutete. Sie schwieg kurz, gähnte herzhaft, kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, als wolle sie ihre Gedanken neu in Schwung bringen. Ob das funktioniert hatte, stand in den Sternen, als Nebeneffekt trug sie nun jedoch eine Maske aus Schatten, befestigt an den Haaren, die sich bei der Bewegung von ihrem Platz hinterm Ohr gelöst und einen dünnen Vorhang gebildet hatten, der das Licht des Feuers bremste.
Hatte da nicht gerade eine Beule wachsen wollen?

Moira streckte die Arme, drückte Rücken und Beine durch. Zufällig schob das ihr Gesicht noch tiefer in den Schatten. Sie ließ die Glieder sinken, gähnte erneut und auch in meinem Hals keimte ein Ziehen auf. Ich blinzelte, versuchte dem Drang durch Kauen zu widerstehen- vergeblich. Was für eine Überraschung. Es war mitten in der Nacht und ich war müde.

„Schlafen?", schlug Moira vor, die Silben hingen durch.

Die einzig nötige Antwort kam von Ohnezahn, der sich unserer Gähnreihe so lautstark anschloss, dass ein sehr verwirrter Vogel aus dem nahen Gebüsch flatterte.

















Der Talkessel war leer. Nur der Wind fegte einen wogenden Ascheteppich über die riesigen Steinstufen, schuf einen Wasserfall aus Mahnung und Trümmern, dessen Brandung sich vor dem großen weißen Felsen verlief.
Das Auge lag da, wie es gestern schon gelegen hatte, nur glühte es nicht und die meisterhaft geschnitzte Oberfläche spiegelte das trübe Himmelsgrau so gebrochen wieder, dass der Stein vor Unreinheiten zu blühen schien.

Moira kratzte an dem getrockneten Blut herum, dass sie noch vor wenigen Stunden auf die glatten Konturen geschmiert hatte. Den Vormittag hatten wir mit der Suche nach Wilfriede verbracht, was sich als sinnloses Unterfangen entpuppt hatte. Die Gründlinge waren abgezogen, vermutlich zurück ins Gebirge. Sie würden Wilfriede mitgenommen haben.
Sie mussten sie mitgenommen haben.
Sie mussten, denn ich hatte schon Wilfried nicht wiederfinden können. Nur Selmas Körper war angespült worden. Oder viel eher hatte ihn das Meer auf einen Flecken strahlend weißen Zuckersand gebettet, mit morgendlichem Nebel zugedeckt und ihren Bogen auf Handhöhe abgelegt. Hätte sich das Morgenlicht nicht in der Befierderung des Pfeils gefangen, der schnurgerade aus ihrer Brust ragte, hätte sie lebendig gewirkt.
Selma. Das machte eine von vier. Die Geschwister und Kjell blieben verschwunden. Von dem Taschendieb fehlte absolut jede Spur. Vielleicht hatte er Glück gehabt und schlich sich gerade durch irgendeinen Frachtraum.
Das klang so unglaubwürdig, dass das zugehörige Bild sofort wieder verpuffte.

Stattdessen hatten wir den Eruptodon gefunden. Zu niemandes Überraschung höhlte er den Vulkan aus, mit einer Gewissenhaftigkeit, die mich daran zweifeln ließ, dass wir ihn wieder von hier wegbekamen. Andererseits hatten die Jäger ihn irgendwie von den Beschützern des Flügels fortgelockt... Wir hatten den Todsinger. Keine besonders glanzvolle Lösung und hoffentlich würden wir nicht darauf zurückgreifen müssen, aber wenn doch, funktionierte sie unter Garantie.
So oder so würde es Heidrun auf andere Gedanken bringen. Hoffentlich. Fischbein schlief noch genauso fest wie gestern und die Berserkerin hatte für Nira einen ganzen Band an Namen und Bezeichnungen entwickelt, dessen schöpferische Vielfalt selbst die Zwillinge überforderte. Erst, als wir den Rand des Einschlagkraters erklommen hatten und augenblicklich von den letzten Geschehnissen überrollt worden waren, war sie verstummt.

Es roch schwach nach brennendem Holz, ich hörte noch das Knacken, mit dem die Wracks sich unseren Feuerbällen hingaben.
Das war das beste gewesen, was wir für die Gefallenen hatten tun können. Die See hatte sich ihrer bereits angenommen, hatte sie verschlungen, über Nacht die schaurigsten Spuren der Schlacht getilgt. Die wenigen, die ihr noch nicht anheim gefallen waren, hatten wir auf die halb versunkenen Schlachtschiffe gebracht und den Flammen übergeben.
Und den Götterahnen.
Bis auf Selma. Moira hatte den Kopf geschüttelt und nur ein Wort gesagt: „Später."

Dann waren wir ihr hierher gefolgt und erneut stand eine Gruppe Drachenreiter um das Auge verteilt, versuchte, seinem allwissend-blinden Blick etwas zu entlocken und eine Antwort zu erhalten, für die sie keine Frage hatte.

„Wo ist es?"

Moira kratzte energischer über die jetzt mit Schorfkrümeln gesprenkelte Fläche.

„Wo ist was?", fragte Astrid, doch Moira überließ dem Aschewind das Antworten.

„Moira, wenn wir wüssten, wonach du suchst, könnten wir dir-"

„Hab's.", unterbrach sie mich.
Natürlich. Die Schwarze Kriegerin brauchte keine Hilfe, was hatte ich mir nur dabei gedacht?

Ihre Fingerspitzen umrahmten einen kleinen Teil des Schnitzmusters, abgekratzte Schorfschollen hafteten an den spiegelglatten Flächen.

„Aha. Du hast es, wie schön. Machst du dir die Mühe, uns zu erklären, was 'es' ist und wieso du uns überhaupt wieder hierher geschleppt hast?!"
Rotzbakke verschränkte die Arme.
„Oder hast du dir beim Sturz so stark den Kopf angeschlagen, dass du wieder alles vergessen hast, was gestern besprochen wurde?"
Sein Blick galt der stattlichen Beule auf ihrer Stirn, die der Wind soeben aus dem Schatten der wohlplatzierten Haare befreit hatte.

Astrid schluckte. Nicht, dass Moiras Blessuren über Nacht verschwunden wären, aber diese Schwellung war frischer als der Rest. Moira hatte diese Nacht mehr einstecken müssen als 'ein paar Kratzer'.
Ich drückte Astrids Hand. Kurz, aber auch danach ließ ich nicht los.

„Wenn es anders gekommen wäre, hätte sie die Seelenbindung nicht zurück.", flüsterte ich. Astrid sah auf unsere Hände, stumm, doch ich hörte ihre Zweifel.
„Hätte sie vorher gewusst, dass sie sie jetzt wieder hat, hätte sie sich mit voller Absicht kopfüber diesen Hang hinab gestürzt. Es ist Moira. Sie hätte noch Anlauf genommen."
Jetzt musste Astrid doch lächeln.

„Meinem Gedächtnis geht's blendend.", gab Moira Rotzbakke zu verstehen.

„Was ist dann los? Du hast wieder eine Seelenbindung und brauchst niemanden mehr? Sind wir jetzt wieder abgeschrieben?"

„Das ist Schwachsinn."

„Bei Thor, so blind kannst du doch gar nicht sein!"

„Ich hatte keine Zeit, um euch-"

„Wir standen gute zehn Minuten schweigend um diesen dämlichen Felsen herum! Das sollte genug Zeit sein!"

„Ich hatte zu tun!", feuerte Moira und fuhr zu ihm herum. „Meinst du, ich mache das hier zum Spaß?"

„Ich habe absolut keine Ahnung, warum du das machst! Niemand hier hat die! Darum geht es doch! Ich sag ja gar nicht, dass ich es verstehen würde, wenn du es erklärst, aber du versuchst es noch nichtmal!"

„Wir hatten wieder eine Vision.", knurrte Moira.

Mir klappte die Kinnlade herunter.
„Wieder?"

„Vision?", fragte Heidrun im selben Moment.

„Wir?", platzte es aus Rotzbakke.

„Hatten? Eine?"
Taff sah uns herausfordernd an.
„Was? Die Worte hat sie auch gesagt!"

„Ehrlich, hört doch mal besser zu!", entrüstete sich Raff.

Kopfschütteln. Fokus auf die wichtigen Dinge.
„Ihr hattet Visionen?"

„Lange Geschichte.", winkte Moira ab.

Aber Rotzbakke hatte es sich zur persönlichen Aufgabe gemacht, nicht locker zu lassen.
„Aha", sagte er, setzte sich, stützte das Kinn auf die Hände und sah Moira aufmerksam an.
Hätte er sich zu Zeiten der Drachenakademie nur halb so konzentriert...

Moiras Blick war unbeschreiblich. Zumindest, bis Nachtblitz den Kopf von Rotzbakke zu ihrer Reiterin drehte und damit auch deren Blickfeld änderte. Erwartungsvoll stellte die Drachin die Ohren auf.
Moira seufzte.

„Die Beule ist wirklich auffällig geworden.", murmelte sie, strich sich über die Stirn und wurde prompt von Heidrun an das eigentliche Thema erinnert:
„Visionen."

„Visionen.", echote Moira. Damit lehnte sie sich gegen die Kante des Auges. Schien, als würde das tatsächlich eine längere Geschichte werden.

Ein letztes tiefes Durchatmen.
„Nachtblitz und ich haben welche, seit wir... bei Wilfriede und Wilfried waren. Sie sind abstrakt und oft verstehe ich nicht, was sie mir sagen sollen. Manchmal ist es nur das Auge, manchmal sind sie länger und wir selbst sind mitten in ihnen, als hätte es uns an einen anderen Ort versetzt. Und dann wieder..."
Sie verstummte. Es dauerte einige Sekunden, bis mir auffiel, wie Nachtblitz den Vulkan anstarrte- Nachtblitz, und damit auch Moira, selbst wenn ihre Augen in den Himmel gerichtet waren.
„Als ich in den Vulkan gestürzt bin, waren es viele, eine ganze Flut an ihnen. Wie Bruchstücke einer größeren Handlung. Aber sie waren anders, nicht so abstrakt, nicht symbolisch. Sie wirkten greifbarer, unperfekt, eindringlicher. Es ging um ein Ritual, vielleicht auch um mehrere. Ein Himmelsfluch wurde getötet, der Mond stand vor der Sonne und dort war dieser- Es gab eine Frau mit braunen Augen und dunklen Haaren. Wahrscheinlich eine Priesterin. Ich glaube, sie hat den Dolch geführt."

Braune Augen? Braune... da war etwas, irgendwas, ich bekam es nicht zu fassen. Braune Augen. Was sagte mir das?

Moira zögerte sichtlich. Es blieb still, sie diskutierte etwas mit Nachtblitz, beide Gesichter unterstrichen Argumente, die nur die beide kannten.

Schließlich: „Das wird euch nicht viel sagen und wahrscheinlich hat es sowieso keine tiefere Bedeutung, doch die Visionen, die nur ich erhalte, unterscheiden sich von denen, die wir beide haben. Wie auch imm-"

„Und die, die nur Nachtblitz hat?"

Moira erstarrte. Stieß hervor:
„Hat sie nicht."

„Höchst verdächtigt."
Taff legte sich den Zeigefinger ans Kinn, ignorierte Rotzbakkes „Halt die Klappe!" geflissentlich und sah prüfend zu Nachtblitz.
„Welch ungleichmäßige Verteilung. Hat jemand von euch eine Wette mit Walhalla verloren?"

„Glaubst du wirklich, Moira hier würde sich mit dem allmächtigen Thor..."
Raff unterbrach sich, um besagte Kriegerin eingehend zu mustern.
„Wenn, dann hat sie eine Wette mit Hel verloren. Oder gewonnen, das eher. Immerhin hat sie ihr gestern ein Schnippchen geschlagen. Es sei denn..."
Sie wurde blass.
„Hat Selma nicht jemanden Baldur genannt?"

„Wie den Lichtgott höchstpersönlich, ganz richtig, Schwesterchen. Der, der einer weiteren brillanten List des Loki zum Opfer gefallen- Willst du mir damit sagen, was ich denke, was du mir sagen willst?"

„Denkst du, dass ich dir sagen will, wovon ich denke, dass du denkst, dass ich es dir sagen will?"

„Oh je, du willst damit tatsächlich sagen, was ich befürchte, was du denkst, was ich denke, was du mir sagen willst."

„Wie können wir nur so viel denken?"

Sie starrten sich an, die Augen weit aufgerissen, bleich vor Schreck.

„Uuund jetzt geht das Theater los."
Rotzbakke schnaubte abfällig.

„Er hat sich von uns abgewandt! Deshalb denken wir so viel! Moira, was hast du getan?!", schluchzten die Zwillinge synchron und warfen sich anklagend zu Moiras Füßen in den Dreck.

„Dich mit Baldur zu verschwestern!", heulte Raff.
„Dabei weiß doch jeder, dass das Lokis Erzfeind ist!", ergänzte Taff noch eine Spur weinerlicher.
„Und deshalb hat er uns verlassen! Wie konntest du nur?!"

Moira und Nachtblitz starrten die beiden gleichermaßen entsetzt an. Und dann ließ Moiras verstörte, aber bestimmte Stimme die Situation noch weiter eskalieren:

„Baldur ist kein Gott."

„Aaaaaaahhhh...", rief Taff, griff sich an die Brust und kippte hintenüber, als hätte sie ihm einen Dolch ins Herz gerammt.
Seine Schwester warf ihr einen verzweifelten Blick zu, gefolgt von einem: „Wie kannst du nur?", ehe sie sich zu ihrem Bruder beugte.

„Dann hätte- Woher kennt ihr ihn überhaupt?"

Keine Götter.
Was ging hier vor sich?

„Er war einer der Götter, bis Loki ihn durch eine List umbrachte. Der Lichtgott, der durch nichts verwundet werden konnte, außer durch eine Mistel. Loki erfuhr davon, schnitzte einen Pfeil aus dieser Pflanze und gab ihn Baldurs blindem Bruder, der ihn damit erschoss."
Grobian hatte mir die Geschichte so oft erzählt, dass sie beinahe von selbst über meine Lippen kam.

„Eine Mistel?", ungläubig zog Moira das hoch, was von ihren Augenbrauen übrig war. „Ihr glaubt, Baldur wäre von einer Mistel getötet worden?"

Mich beschlich ein seltsames Gefühl, nicht schlecht, aber befremdlich. Denn mit jedem ihrer Worte rückten die Götter, an die ich mein Leben lang glaubte, weiter in die Ränge von Fantasiegespinsten.
Und dennoch musste ich wissen:
„Wer ist Baldur für dich?"

Sie stolperte über die kurze Stille.
„Kein Gott, jedenfalls. Ich habe bei solchen Themen selten zugehört. Frag am besten Nira, sie interessiert sich für diesen Kram."
Die Luft trug ihre Wort an ihre eigenen Ohren, ließ sie erstarren, die Zähne zusammenpressen.
„Vielleicht hat sie selbst diesen dämlichen Pfeil geschnitzt und vergiftet."

Dann wurde auch sie blass, sprang auf, wirbelte zu Nachtblitz.
„Baldur ist wer?!"

Die Drachin schnaubte resigniert.

„Aber-", setzte Moira an.

Heidrun unterdrückte Husten.
„Was hat sie gesagt?"

„Baldur ist das Geschwisterkind."

„Ja, er hatte sowas wie einen Bruder. Der hat den Pfeil abgeschossen.", erklärte Rotzbakke.

„Nein. Baldur wurde nicht vom Bruder getötet, sondern gerettet. Jemand anderes ist gestorben, freiwillig. Aber das ist doch-"

„Freiwillig? Jemand hat sich geopfert, meinst du?"
Wir waren so dicht dran. Es fehlte nur noch-

„Die Geschichte mit den Brüdern. Der Ursprung der Seelenbindung.", setzte Astrid das letzte Teil an seinen Platz. „Er hieß anscheinend auch Baldur. Daher kennt ihr ihn."

Moira nickte, die Stirn in Falten.

„Hey, dann ist euer Baldur gar nicht unser Baldur. Und wenn das stimmt, dann hat Loki keinen Grund, sich von uns abzuwenden!"

„Grandios kombiniert, Schwesterchen. Und jetzt steh auf, du machst uns noch beide lächerlich."

„Pfff."

„Bei Thor, diese Geschichte ist wirklich lang."
Mürrisch verlagerte Rotzbakke sein Gewicht.
„Warum sind wir jetzt hier?"

„Oh ja, Philosophie!" Taff warf sich in Pose.
„Hat das Dasein einen Sinn oder ist es der Sinn des Daseins, ihm einen zu geben? Schafft der Mensch oder wird er erschaffen? Hat ein Pflaumenbrot mehr Berechtigung zur Existenz als der Mensch? Mehr als Raff auf jeden Fall, immerhin riecht es gut und schmeckt himmlisch."

„Ich stopf dir gleich dein Maul mit Pflaumenbrot!"

„Hast du welches hier?! Oh, herrliches Pflaumenbrot, befreie dich aus den Fängen dieser- Uff."

„Hat dein blöder Kuchen auch so einen sauberen Schlag? Amateur."

„Okay, Raff, Taff, meint ihr, ihr könntet..."
Für fünf Minuten einfach mal die Klappe halten? Wenig diplomatisch.
„...Moira ausreden lassen?"

„Wir ziehen es in Erwägung, wenn der Anreiz stimmt."
Taff stand schon wieder, seine Worte wurden von der Hand verzerrt, mit der er seine Zahnreihen abtastete.

„Wenn wir essen, sind wir still."
Siegessicher grinste Raff in die Runde, rollte bei unseren zweifelnden Blicken die Augen und schlug einen ihrer Zöpfe zurück.
„Wenn wir Pflaumenbrot essen, sind wir still. Diesmal."

„Eine Hymne der Stille für ein Pflaumenbrot!", trompetete Taff, der irgendwie hinter Rotzbakke gelangt war und euphorisch in die Höhe sprang. Seine Faust krachte gegen Hakenzahns Kinn, der Alptraum spie erschrocken eine Feuersalve auf Kotz und Würg, die in verschiedene Richtungen ausweichen wollten, gegen Schnüffler und Windfang krachten, die ihrerseits verteidigend die Stacheln spreizten, was der Todsinger als Bedrohung auffasste und mit einem panischen Schuss quittierte. Alle sprangen reflexartig beiseite, Kotz und Würg traten fast auf Ohnezahns Schwanzflosse, er zog sie weg und direkt über Nachtblitz Kopf, die nicht mit solcher Wucht gerechnet hatte und das Gleichgewicht verlor. Moira knallte vor Schreck rücklings auf den Kristall, krallte die Hände vor die Augen und zog den Kopf ein. Astrid bemühte sich nach Kräften, den Todsinger zu beruhigen, Ohnezahn wies Schnüffler zurecht, der über Fleischklops gestürzt war und sie kurzzeitig für eine Gefahr hielt, jeder rief beschwichtigende Worte, die sich zu einem einzigen lauten Grölen verknoteten. Bernstein spritzte, klatschte, etwas traf mich am Rücken, umfloss und-

„KLAPPE HALTEN, ALLE ZUSAMMEN!"

-erstarrte zu einem festen Kokon.

„Ich wünschte echt, ich hätte noch was von dem Harz übrig...", wisperte Moira. Der Wind nahm die feinen Worte wie Atem auf und zerfächerte sie zu seinem eigenen Säuseln.
„Genau deshalb habe ich euch nichts erzählt. Wir wären schon dreimal fertig, wenn ich dir nicht alles haargenau aufzählen müsste, Rotzbakke. Ist dir klar, dass du Sungird in die Hände spielst?"

„Klar, jetzt ist es wieder meine Schuld. Wie lange hast du diese Visionen schon? Und dir ist nicht in den Sinn gekommen, mal einen Ton darüber zu verlieren?"

„Weil sie uns so ungemein im Kampf geholfen hätten? Noch mehr Rätsel?"

„Du musst das nicht allein tragen, Moira.", stellte Astrid klar. „Wir sind ein Team. Du hilfst uns und wir helfen dir."

„Ich helfe niemandem. Frag Fischbein."

Selbst der Wind verstummte.

„Dafür kannst du nichts."
Sie würdigte Heidrun keines Blickes, wandte sich nur „Wer's glaubt." flüsternd ab, griff an ihren Hals, das dünne Lederband schob sich geübt über den Kopf, eine einzige flüssige Bewegung. Sonnenlicht glitzerte im Medaillon.

Ein Schritt, eine Handbewegung, wie einstudiert. Klackend rastete der Anhänger im Auge ein, war ein weiteres Mal zum Schlüssel geworden.
Unheilvolles Knacken, Nachtblitz sprang vor, sah für sie beide den Ursprung.
„Nein.", hauchte Moira, aufgerissene Augen, stolperte rückwärts.

Knack.

Weiß, klar, rein. Der Sprung zeichnete sich für alle sichtbar unter der kristallenen Oberfläche ab.

Knack. Weiterer Streifen, breit.

Knack. Knack. Knack. Die Sprünge schlugen verwinkelte Wurzeln, weiße Blitze durchzogen das Auge, wurden zu Rissen. Nachtblitz und Moira stolperten rückwärts, ich strampelte mich so gut es ging vom Auge weg. Das Knacken wurde lauter, vielfältiger, hohler, knirschend. Eine Frage von Sekunden, ehe es zu scharfen Scherben zerspringen würde.

Knack! und es splitterte, stob, hagelte singende Kristallklingen. Die Trümmer klimperten hell gegeneinander, dumpf auf Erde, klar auf Stein.
Glitzern, Funkeln, Licht brach und zersplitterte seinerseits, fing sich im glasigen Weiß, warf leuchtende Punkte durch den gesamten Talkessel, die Steinstufen hinauf, verzauberte die Ascheflocken.
Zerstört.

„Argh!"
Wütend trat Moira den Haufen, Scherbenglitzer zerschnitt die Luft, zerbarst an Steinkanten.
„Was soll das?! WAS SOLL DAS?!", brüllte sie dem Himmel entgegen.
Aber die Ahnen schwiegen.

„Moira-", begann Astrid, doch die Angesprochene wühlte bereits mit bloßen Händen durch die scharfen Kanten. Suchte ihr Amulett. Stutzte.

Ich schaffte es irgendwie aus der Rückenlage in einen aufrechten Sitz. Schwerer als erwartet, wenn Arme und Rumpf in hartem Bernstein steckten. Ohnezahns Plasmastrahl traf den Knotenpunkt just in dem Moment, als Moira etwas Großes ans Licht zog. Splitter aus Bernstein und Kristall regneten nieder, offenbarten...

„Ein Stein?"
Ungläubig schüttelte Heidrun den Kopf.
„Wofür benutzt man den?"

„Kein Stein.", berichtigte Moira, während sie Scherbenstaub abstrich. Funkelnde Oberfläche.
„Ein schlafender Stern."

„Ein-"

„Ich brauche die Karte, Hicks.", unterbrach sie Rotzbakke, ehe er richtig begonnen hatte und setzte nochmal fordernder hinterher:
„Die Karte!"

„Ich bin dabei- hab sie."

Was für ein Glück, dass Nira sie übersehen hatte. Ich hatte Moira noch nicht ganz erreicht, da rupfte sie mir das Schriftstück schon aus der Hand, fegte mit den Füßen achtlos ein Stück Boden frei und schon kniete sie, den beinahe kopfgroßen Gegenstand neben sich, die Karte vor den Beinen aufgerollt- verkehrt herum, sodass Nachtblitz sie lesen konnte. Könnte.

„In der Bruthöhle der Himmelsflüche gab es solche Sterne. Sie werden in Brand gesteckt, um die nötige Energie für die Entwicklung bereitzustellen, sonst schlüpft nichts. Dafür können Himmelsflucheier Jahre überdauern, Jahrhunderte, wenn man Gerüchten glaubt. Eben so lange, bis die nötigen Bedingungen erfüllt sind."
Sie strich über die Karte, koordinierte ihre Bewegungen mit dem, was sie durch Nachtblitz sah.
„Früher gab es mehrere wilde Brutstätten, doch die Drachenjäger nahmen sie nach und nach aus. Nur der Stamm hinderte sie daran- daher waren irgendwann alle Brutstätten entweder zerstört oder im Hoheitsgebiet des Stammes. Und damit heute ebenfalls verwüstet."

Wollte sie darauf hinaus, dass...?
„Soweit wir wissen.", ergänzte ich.

Moira nickte, ihre Finger fuhren die Inseln ab.
„Soweit wir wissen. Hier, die Flammenhöhle. Das ist eine Brutstätte gewesen."

Zögernd näherte sich Heidrun der Karte.
„Und wenn wir uns irren und es keine mehr gibt? Wenn dieser Stein nur zufällig hier liegt?"

Moira schwieg einen Moment zu lang.
„Dann haben wir uns mit Blut eine Galgenfrist erkauft."

„Galgenfrist.", kostete Taff das Wort aus,„Klingt düster."

„Es ist düster."
Astrid warf Taff einen warnenden Blick zu.
„Nachtblitz wäre die letzte ihrer Art. Wie Ohnezahn. Mit ihr endet die Ära der Himmelsflüche."

Und Heidrun brachte auf den Punkt, was uns allen grausam bewusst war:
„Keine Himmelsflüche, kein Drachenfeuer."

„Dann", Rotzbakke verschränkte die Arme, „sollte es dieses Nest besser geben."

„Hier. Hier liegt es."

Dort? War sie sich sicher?
„Du... du zeigst da mitten auf einen Fleck Wasser."

„Oh." Moira schloss die Augen, konzentrierte sich, ihre Hand wanderte erneut, landete auf der Flammenhöhle.
„Hier."

Stille.

Das war es also, das Ende unserer Reise. Wir hatten nach Hoffnung gesucht und ihr Grab gefunden.

„Das ergibt keinen Sinn."
Moira drehte die Karte, schloss die Augen und platzierte die Fingerspitze doch wieder auf demselben Fleck. Sie wiederholte es mehrfach, klappte gar die Rückseite nach oben. Was auch immer ihr ihr Ziel verriet, es führte sie stets zur gleichen Insel.
Sie ließ vom Pergament ab, starrte in die Luft.
„Warum dort? Was gibt es denn noch da?"

Da fiel er Groschen.

„Sie müssen etwas übersehen haben.", hauchte Moira, strich ehrfürchtig über die Karte. „Sie waren sich ihrer Sache zu sicher und haben etwas übersehen. Niemand wusste davon. Niemandem ist es aufgefallen."

„Müssen sie?"
Nur widerwillig lösten sich die Worte von Heidruns Lippen.

„Ja."
Es war weniger ein Wort als Laut gewordene Bestimmtheit. Der Schall trug sie durch den Kessel, in die Welt, zu den Sternen, löschte meine Zweifel und würde das Blatt des Schicksals umschreiben, sollte es nötig werden.

„Und das wissen wir jetzt weshalb?"

Dumme Frage, war das nicht eindeutig? Es...
ergab eigentlich gar keinen Sinn.
Konnte ich das noch auf den Schlafmangel schieben?

„Warum sollten die Visionen es sonst zeigen?"

Raff schlich sich näher zu ihrem Bruder, hielt sich möglichst auffällig die Hand vor den Mund und fragte schlecht gedämpft: „Ist das eine Fangfrage?"

„Ich muss es versuchen." Moira klopfte halbherzig Staub von ihren Knien.

„Wir. Wir müssen es versuchen."

„Nein. Ihr müsst nach Berk. Bevor Sungird euch zuvorkommt. Er weiß nichts von der Brutstätte und wird davon ausgehen, dass Nachtblitz und ich euch begleiten. Und davon abgesehen... Es muss einen Grund geben, dass etwas übersehen wurde. Diese Prophezeiung", ihre Stimme triefte vor Verachtung, „baut nicht auf Zufall auf. Sie muss aus den Anfängen des Krieges stammen, bevor die Nester zerstört wurden."

„Aber-"

„Wenn alles erledigt ist, komme ich nach Berk. Versprochen."

Das Meer rauschte eine Spur zu laut, der Wind pfiff eine Spur stärker, Licht und Schatten wurden eine Spur zu präsent, als hätten sie den Schwur absorbiert, unumgänglich gemacht.
Großartig. Meine Sinne spielten mir einen Streich, hatten zu viel Unerklärliches wahrnehmen müssen und überinterpretierten jetzt.














Wir hatten beschlossen, im Schutz der Dunkelheit aufzubrechen. Bis dahin musste die Sonne noch die Hälfte ihres gewaltigen roten Körpers im Meer versenken.

Moira stand an der Klippe, die Toven beinahe das Leben gekostet hatte, die Augen auf den verblassenden Horizont gerichtet, den Sonnenuntergang im Rücken.
Für sie machte es keinen Unterschied, Nachtblitz trollte mit Ohnezahn und Windfang über den Vulkanhang.

„Ob du es glaubst oder nicht, ich würde gern mit euch fliegen."

„Woher-"

Sie drehte sich nicht um. Natürlich nicht, was hätte es ihr gebracht?

„Deine Schritte sind unverkennbar."

Sofort schielte ich zu meiner Prothese. Ach ja.

„Es fühlt sich seltsam an. Als braue sich bereits wieder etwas zusammen."

Moira straffte den Rücken, korrigierte die Kopfhaltung, als würde sie weiter in die Ferne sehen.
„Immer noch.", korrigierte sie mich. „Es hat nicht aufgehört."

Ich hatte tausend Fragen, tausend Gedanken, doch alles, was ich hervorbringen konnte, waren vier Worte.
„Wird es das je?"

Moira schwieg.

„Dieser Krieg kann nicht ewig gehen, Moira. Keiner kann das."

„Und was sagen deine Götter dazu?"

Jetzt blieb ich ihr die Antwort schuldig.
Dafür drängte sich bereits das nächste Thema an die Oberfläche. Ein verbotenes Thema, aber es entfachte meine Neugier und zusammen brannten sie die Selbstbeherrschung nieder:

„Wie... wie war es, als du..."

„Ehrlich gesagt wundert es mich, dass die Frage erst jetzt kommt."
War das ein Lächeln?
Nicht ganz und schon wieder verschwunden.
„Wie fühlt sich Leben an? Es war anders, so viel weiß ich. Einfach anders und rückblickend ist es unheimlich. Aber der Weg war schmerzhaft."
Ich hatte ihre Schreie im Ohr.
„Die Antwort, die du hören willst, kann ich dir nicht geben. Ich kann es nicht bewerten."

Nur noch ein kleiner Bogen hielt die Sonne in der Luft. Wir sollten wirklich zu den anderen. Nur deshalb war ich überhaupt hergekommen.

„Selma war dabei, nicht wahr?", kam Moira mir zuvor.

„Ja."

„Wie ging es ihr?"

Ich sah sie vor mir, ihr Lächeln, das weiche Licht, die sanfte Sorge in den Augen. Wie alle Last von ihr zu fallen schien, als der Himmelsfluch an ihrer Seite stand.
„Sie wirkte glücklich."

Moira nickte leicht, hielt die Stille ein paar Sekunden fest, sammelte Atem für die nächsten Worte.
„Die Sonne ist gleich versunken."

„Ich wollte dich holen."

Sie atmete nochmal tief durch, wappnete sich für das, was kommen würde.
Wir konnten nicht abheben, ehe wir nicht einer letzte Person die letzte Ehre erwiesen hatten. Moira würde das Ritual durchführen, wie es früher in ihrem Stamm üblich gewesen war.

Niemand hatte hinterfragt, wie Selmas weißes Boot wieder zur Insel gelangt war. Wir hatten es präpariert, Pfeile geschnitzt und unsere Sachen zusammengepackt. Ein letzter Abschied.

„Wir führen es von hier aus durch.", erklärte Moira, drehte sich um und ließ mich allein zurück.

Der Horizont war schwarz geworden, schwarz mit hundert silbernen Leuchtfeuern. Selma war nun eines davon. Mutter auch. In Midgard verloschen, um am Himmel zu strahlen. Ihre Reise war zu Ende.

Unsere nicht.

„Unerledigtes eben.", flüsterte ich der Unendlichkeit entgegen.






—————————-

Wörter: 6504

Hallo :)

Es ist mir beim Korrekturlesen aufgefallen, daher möchte ich ausnahmsweise direkt nach eurer Meinung fragen:

Wie findet ihr es, dass Rotzbakke Moiras Verhalten verstärkt hinterfragt und kritisiert?

Sind die Handlungen der einzelnen Personen für euch nachvollziehbar oder ergeben sie keinen Sinn?

Ich würde mich sehr über Antworten freuen!

Hektorianja

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro