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(25) Wiedersehen

Selma

Der Wind begrüßte mich feierlich, Gischtfontänen schaumsprühten um den Bug, flüssiges Mondglühen füllte sie mit Sternenkraft.
Die Planken knarzten ihre Gebete, das Segel bauschte und rüschte, umschleierte den schlanken Mast.
Jeder Splitter funkelte tausendfach im Lächeln der Nacht, das silberne Öl hatte noch immer die gleiche Wirkung wie kurz nach seinem Anstrich. Blankweiße Taue, blitzendes Holz und ein von Meisterhand gebleichtes Segeltuch, alles getränkt in dem unendlichen See der Mondscheibe. Ein Geisterschiff, rein genug, um eine gelöste Seele angemessen zu ihrem rechtmäßigen Platz im Sternenmeer zu tragen.

Normalerweise fuhren keine lebenden Personen auf ihnen in die Schlacht. Gebräuchlicherweise verließen Krieger den Kampfplatz mit ihnen.
Und doch hatte dieses vierzig Jahre ausgeharrt, hatte sich verborgen geduldet. Ich war jeden Morgen erwacht, hatte jede Sekunde Luft geschmeckt und vergeblich auf die Rufe der Ahnen gewartet.
Immer, wenn ich dachte, mein Herz müsse vor Pein zerreißen, hatte es sich kräftiger zusammengezogen, meine Venen nachdrücklicher gespeist. Lyanna war jeden Morgen mit sorgenvoller Mine in das Lager getreten, hatte es jeden Abend mit größerer Angst verlassen. Ich wünschte, ich hätte ihr ihre bitteren Tränen ersparen, hätte ihre Sorge besänftigen können, hätte ihr einen Abschluss gegeben. Aber ich hatte nicht aufhören können. Ich hatte nicht sterben können.

Und so war es an mir gewesen, ihr Feuer zu zünden, nicht umgekehrt. Für ihre Tochter blieb nur ein wirbelndes Kleid und eine Bürde, mit der ich mich übernommen hatte.

Windfinger flochten um den Haarknoten in meinem Nacken. So vertraut, wie sie kleine Knötchen fädelten und einzelne Enden hervorzupften. Vertraut wie das Dümpeln, das Segeln in tiefster Nacht, der süße Duft der Kräuterbündel. Pfefferminz, Salbei, Melisse, Rosenblüten, Kamille, Thymian. Besonders Thymian. Durch sie färbte der Dunst zu Teedampf.

Moira hatte es nie verstanden.
„Tee. Immer Tee. Gibt es keine Salben oder so?"
Natürlich gab es solche. Es gab noch viele Mittel mehr. Ich kannte sie, vielleicht nicht alle, aber doch genügend, um jede mir bekannte Wunde auf vier verschiedene Weisen zu behandeln.
Doch Tee wirkte auf mehreren Ebenen.

Seelenschwinge hatte den Geruch der durchgetrockneten Kräuter und Blüten geliebt. Ich dagegen hatte stets mit dem Husten gerungen, war beinah an dem staubigen Klebduft erstickt.
Für sie hatte ich dennoch in jeder Sekunde einen löchrigen Lederbeutel voll parat gehabt. Lyanna hatte gelacht, wenn ich ihr naserümpfend schilderte, dass die ganze Hütte danach stank und ich nichts mehr schmeckte.
Bis sich innerhalb einer Nacht alles änderte.

Hoffentlich würde Moira es nie verstehen.

Der Wind frischte auf. Das Boot taumelte.
Sofort huschte ich über das Deck, überprüfte Knoten, korrigierte. Das Schlittern endete.
Ich hatte fast ein halbes Jahrhundert nicht mehr auf solchem Gefährt gestanden, geschweige denn es selbst gesteuert.
Es nun wieder zu tun fühlte sich natürlich an, wie atmen. Gewohnt fragil und völlig normal.

Der Bug spreizte einen Wellenberg. Einen Moment hoben wir uns zum Himmel hinauf, wurden zu glühenden Mamorfiguren gegossen, Mondlicht bildete die Formschalen.
Die Sterne beobachten mich. Von ihrer Fülle interessierten mich zwei, zwei, deren Namen ich bis ins Ewige nicht missen würde. Irgendwann waren die Zahlen zu Bedeutungslosigkeit zerflossen, irgendwann hatten die Entschuldigungen die Grenze der Zählbarkeit geschwemmt.

Lyanna und Seelenschwinge, strahlende Lichter an der Tafel der Nacht.
Und die Verantwortliche wehte auf einem Totenschiff in die Neuverfassung der Vergangenheit.

Blieb zu wünschen, dass ich das Schicksal nicht erneut herausgefordert hatte.

Das Boot tauchte ins Wellental.




















Ich roch die Schiffe und Menschen, ehe der Horizont ihre Silhouetten lüftete. In meiner Bauchhöhle kribbelte es, im Nu waren all die Jahre von meinem Körper abgefallen. Ich maß wieder zweiundzwanzig Sommer, der Bogen schmiegte sich haltgebend an meinen Rücken.
Nein, noch nicht. Derweil lag er in Wolltücher geschlagen auf einer Taurolle.

Es wurde Zeit, ihn zu erwecken.

Das Tuch war schwer, vollgesogen mit Geheimnissen. Es hatte Jahrzehnte über die absorbierende Schicht gebildet, Sorge dafür getragen, dass nicht ein Tröpfchen der übertriefenden Geschichten die Truhenwände durchdringen würde.
Es hatte dicht gehalten. Wer der weiße Gerechtigkeitsgeist war, wusste ich bereits, ehe die erste Rüstung unter Leinenhemden versteckt worden war. Womöglich wusste ich es gar, ehe sie selbst es ahnte. Ich hatte das Glühen in ihren Augen gesehen, als Kjells Streiche die Verbindungen der Insel zerbrachen. Jedes Wort war mir bekannt, das sie und Nira des Nachts heimlich geschmiedet hatten, jede Facette ihres Plans hatte ich verfolgt. Ich hatte die Kälte in ihrem Blick erkannt, als sie feststellte, dass es zu spät war, um die Menschen der Insel vor ihrem eigenen Egoismus zu retten, die Entschlossenheit ihrer Worte gespürt, als sie Nira versprach, den Kontakt zu halten.
Und doch, die Geburtsstunde der Rächerin hatte  in der Sekunde geschlagen, in der sie sah, wie ihr Freund Schmuck unter seine Weste schmuggelte, während Nira gebannt den unendlichen Geschichten ihres späteren Lehrers lauschte.

Sie hatte nie gewusst, dass ich über diese Dinge unterrichtet war. Makaber selbsterklärend; Manche ihrer Geheimnisse kannte sie heute noch nicht.
Doch was Nira gesponnen hatte, um die Reiter von mir fernzuhalten, war nicht gänzlich falsch. Ich besaß manchen doppelten Boden, und der in Moiras Kleidertruhe hatte das tödlichste Schweigen verwahrt.

Der wollene Stoff rutschte ins Meer. Möge es sein Wissen in die Welt verteilen. Die Enthüllung war lang genug herangereift.

Es fühlte sich nach Heimat an, das geschmirgelte Holz zu sehen, den lederriemenumwundenen Griff zu berühren, die Sehne im Wind vibrieren zu hören. Leises Summen, ein erfreuter Gruß. In den metallverstärkten Enden fächerten Lichtschlieren zu schlängelnden Ornamenten. Der Himmel flüsterte Schutzzauber durch sie.

Sein letzter Schuss hatte verfehlt. Ich hatte ihn aufheben sollen, bis zum Feuertod aufsparen. Wenn ich ihn zum zweiten Mal auf Sungird richtete, würde er treffen.

Das Segel schwenkte, bauschte locker, flatterte wallend.
Gut. Ich würde mich vorerst aus ihrem Blickwinkel fern halten, würde hier warten.
Solange das Schicksal es forderte. Es würde mich genau dann genau dort absetzen, wo ich sein sollte.

Im Wellenrauschen hörte ich Moiras ungläubiges Schnauben.
„Das Schicksal? Warum? Ich kann doch selbst handeln und denken."
Sechs war sie gewesen, an der Schwelle ihres siebten Jahres. Nira hatte ihr verärgert in die Seite geknufft. Ihr hatte der Gedanke gefallen, dass nichts passieren konnte, wenn ihre erste Segelstunde nicht glückte.
Ich lächelte.
Ja, das Schicksal, zwinkerte ich gen Kronenschaum.
Sonst wäre ich nicht hier.

Totenboote besaßen weder Ruder noch Steuer.

Und die dunkelgraue Rauchwolke hinter mir hatte nicht ich mobilisiert.

Ein bleiches Fähnchen löste sich aus ihr, schwebte fedrig zu mir herab. Spinnweben flatterten am Rand der gewebten Schwingen. Qualmsträhnen hafteten an ihnen, zahme Sturmsprösslinge. Moiras Ziehschwester setzte dort aufs Deck, wo andere Schiffe ein Steuerrad aufwiesen. In den blauen Schuppen fing sich Silberlicht, die weißen Augen funkelten. Vier matte Monde, umkränzt von Stachelpfeilen, die glitzernde Fäden hielten wie Bergspitzen Schneewolken.
Ein Geisterdrache.

Sie zirpte, gespenstische Töne im Meermurmeln. Fremd und vertraut, unsagend und weltergreifend.
Mein Herz stolperte. Fehlschritt, Unstimmigkeit. Es hoffte noch immer, auf das ihm nötige Gegenstück zu treffen, sobald die Enden meiner Seele angezupft wurden. Seelenbindungen lösten sich nicht automatisch mit dem Leben, sie blieben. Geteilt, unvollständig, unmöglich. Als würde es gelingen, einen Magneten so zu teilen, dass das eine Stück nur Nordpol und das andere nur Südpol war. Die Anziehung zwischen den Einzelstücken war so überwältigend, dass sie nicht lang getrennt blieben. Im Allgemeinfall schafften sie es auf zwei, sehr selten auf bis zu rekordhafte fünf Jahre, fünf Sommer quälende Stille, fünf Winter langsames aus der Welt Gleiten. Wenn das gebliebene Stück gesund war.

Ich war nicht gesund gewesen. Gebrochene Rippen, verkeimte Wunden, löchrige Lungen.
Allerhöchstens eine Nacht. Und diese war Lyanna mir nicht von der Seite gewichen.
Mein Schmerz trug mich durch die Tage, ihre Tränen durch die Wochen. Ein Mond. Ich konnte wieder aufstehen. Zum letzten Mal für eine Ewigkeit spürte ich das Gewicht des Bogens. Ein Jahr. Ich kannte die heimischen Kräuter der Insel. Meine Handelsstränge wuchsen, meine Füße verließen den Landfleck kein einziges Mal. Zehn Jahre. Zwanzig. Ich bewachte Lyannas Schwangerschaft, während die Schlachtfelder vor Brutalität schmorten, das Lichternetz am Himmel wuchs.
Ihre Hoffnung hatte in Berk gelegen.
Ich hatte ihr Schiff ohne Körper verbrennen müssen.

In der Zeit hatte ich gelernt, dass auch halbe Magneten sich mit anderen verbinden konnten. Bruchstückhaft und widerstrebend, es fühlte sich an wie das Trinken von Sand. Demzutrotz möglich. Überragend empfänglich waren Nachtschatten als nächste Verwandte der Himmelsflüche. Nachtschatten und Nachtschattenseelen. Der Blick des jungen Anführers würde meine Erinnerung an ihn für immer prägen. Oh ja, das war keinesfalls einfach zu verstehen, noch schwieriger war der Versuch des Erklärens. Womöglich würde er die Antwort nie erfahren. Womöglich war das gar nicht von Bedeutung. Er hatte eine ausgesprochen tiefe Bindung zu Ohnezahn, derart innig, wie ich sie nur ein weiteres Mal erlebt hatte.
Manche Dinge schienen Familiensache zu bleiben.

Spinndrachen waren mir lieber. Weniger Ähnlichkeit, weniger Vergleich. Das kompensierte die gröbere Kommunikation.

Sie zirpte wieder. Die Drachen konnten nicht warten. Ihre Flügel würden müde, die Netze spröde werden. Sie mussten landen.
Schnurrendes Pfeifen.
Wenn es möglich war, warteten sie dort, wenn nicht, bereuten sie nichts.
Heiseres Quietschkrächzen.
Ich sollte sie grüßen und mehr Wunden öffnen, als ich je geschlossen hatte.

Fauchend öffnete das Spinnengespenst seine sechs Klauen, dreißig Pfeile klapperten über die Planken.
Das Geräusch musste als Signal gedient haben, schon eilten zwei Wolkentüpfelchen näher, lösten sich ihrerseits von prallen Köchern. Von selbst schlangen sich die Tragriemen um meine Arme, schmiegten über meine Schultern. Einhundert Pfeile, siebzig in meinem Rücken, dreißig zu meinen Füßen.
Ich strich über meinen Gürtel. Das einzige, was von meiner alten Kriegstracht an mir hing. Versehen mit Lederschlaufen, gerade groß genug, um einen Pfeilschaft zu halten.

Zum ersten Mal seit vierzig Jahren knüpfte ich mein gefürchtetstes Kleid, einen Rock aus Federn, Holz und Schärfe. Der Lendenschutz des leisen Todes. Alles, was ich an Rüstung brauchen würde.
Ich war nicht hier, um mich zu verteidigen. Diesmal gab es nur ein Ziel, nur eine Richtung, nur eine Technik.

Hundert Pfeile.
Einhundert Momente Kriegerin.
Einhundert Sehnenzüge Rache.
Einhundert Schüsse Bestimmung.
Einhundert Treffer Erfüllung.
Einhundert letzte Herzschläge.










Die Nacht blieb ruhig, keine Drachenschreie zündeten Qualventile. Sie mussten einen geeigneten Schlupfwinkel gefunden haben.

Windrauschen um mich, Wellengesang und Meeresfächern. Schaumflügel stoben empor, Stromverwirbelungen um den silbrigen Rumpf sogen Mondlicht ein. Das Segel wallte mild, drehte und tanzte um die Böen herum.
Geduld nur. Die Nacht war jung, das Grauen alt.
Sie mussten noch zusammenfinden.

Die Köcher lehnten schläfrig am Mast, weiße Federn tränkten sich in Eislicht.
Ich wusste nicht, wo die Qualmklauen sie her hatten, doch ich erinnerte mich genau, wie ich sie anfertigte. Den Rücken an Seelenschwinges Flanke, die Ohren bei Lyannas Fantasien, die Beine vom Fels baumelnd.
„Ich brauche keine Waffe.", hatte sie erklärt. „Ich kläre das mit Worten. So wie du es versuchst, bevor ihr kämpft. Diplomatisch."
Unter der frisch geschliffenen Klinge waren Späne auf meine Schürze gesegelt. Ich hatte das Messer ein Stück weiter oben erneut angesetzt und verharrt, während ich eine Antwort wob.
„Die wenigsten Jäger reden mit ihrer Beute."
Lyanna wäre für sie nichts sonst gewesen. Zehn Sommer jünger als ich, liebenswürdige Lebensfreude, sanfte Entschlossenheit. In ihrem Alter hatte ich mich bereits mitten in der Ausbildung befunden. Ein einziger Fehler, der mich seit Jahren jede Sekunde verfolgte. Die Hoffnung der Stammesreste.
„Dann beweise ich ihnen eben, dass ich Recht habe."
„Wenn du ihnen Drachen bringst, vereiteln ihre Vorurteile jede Vernunft."
„Hmpf."
Mit grübelnder Miene hatte sie den Möwenflug begutachtet. Es war nicht allzu lang her, dass ähnliche Züge sich über ähnlich unlösbaren Rätseln verzogen hatten.
Dann stahl sich ein spitzes Lächeln auf ihre Lippen.
„Es braucht nur einen, der zuhört. Einen, den sie kennen und als einen von sich akzeptieren."
Sie hatte seufzend die Augen geschlossen.
„Valka wird mir glauben."
Das Messer war vom Holz gesprungen und hatte stattdessen in meinen Finger geschlagen.

Ich schnitt mich äußerst selten, sechsmal insgesamt. Sechs blasse Narben an meinen Händen. Sechsmal, so oft hatte Lyanna diesen Namen in ihrem Leben erwähnt. Doch ihre Narben mussten tiefer sein.

Jetzt überzog kühler Glanz die flachen Wulste. Drei am Zeigefinger, zwei winzige am Daumen, eine am Fingerknöchel.

Valka hatte ihr nie zuhören können.

Die Brise wurde jählings frischer, die Nacht prickelte, die See sang eine aufschwallende Melodie. Das Holz glimmte auf, eine kehlige Ruhe spülte durch mich. Ein Bote des ewigen Friedens.
Ich hob den Blick, fand sofort Lyannas Stern. So einsam in der unendlichen Weite, bis es unmittelbar neben ihr flimmerte und flackerte, während sich ein neues Leuchten formte, sich strahlend aus der Leere schälte.
Ein formloses Licht, dessen Körper noch folgen musste.

Die Nacht summte beständig fort ein weiteres letztes Ruhelied.

Ich lächelte in den Himmel, lächelte, während ich weinte, weinte, weil nichts sonst erfasste, was geschah. Geschehen war.
So wie diese Seele die Nacht erhellte, war ihr Leben erloschen. Und zugleich waren die verlorenen Zwillinge endlich vereint, funkelten für immer Seite an Seite zu mir herab.
Sie hatten sich viel zu erzählen.

Ja, Valka würde ihr glauben. Säumig, aber gewiss.









Der Himmel blieb klar, als das Nachtsamt ausblasste, in Brand geriet und schließlich eine riesige Rubinscheibe gebar. Das Meer brodelte, glühende Strahlen hedderten in dem Spiegelstrich der Planken. Alles loderte auf, explodierte in Funkenregen und Intension.
Wir hatten das Warten abgeschlossen.

Gluckernd schob sich der Bug nach vorn. Das Segel packte die Winde am Schopf, sogleich fegte der Kiel über die glitzernden Salzwogen, dass die Spritzer im Morgenlicht verglühten.
Ich schnallte die Köcher fest, hielt den ersten Pfeil an die Sehne. Und die Schiffe am Horizont wuchsen zu einer Armada auf.

Die Wellen erbebten, das Holz unter meinen Sohlen knirschte gequält. Sonnenröte zerrüttete auf der kräuselnden Oberfläche. Ein Seebeben. Weit unter diesem Kiel war etwas Großes in Bewegung geraten, die Zahnräder des Schicksals bissen in Land. Das finale Ticken und Pochen nahm seinen Lauf.

Grummelnde Stimmen ersetzten diesen Morgen den Vogelgesang, dumpfer Wasserpuls das Knacken des Teefeuers.
So ungewöhnlich erschien es, jemals den Sonnenaufgang nicht auf See erblickt, die Nacht nicht nebeltrunken gewacht zu haben. Inselalltag verschwamm zu einem Mythos, der Friede fand sich im Antlitz der Gefahr. Die schweren Geschosse auf den Decken schenkten mir Ruhe, die kampffiebrige Hektik gab mir Halt. Alles so, wie es zu sein geschaffen war. Einmalige Routine.
Ich stand bloß auf einem Sternenschiff, umgeben von hundert kleinen Gefährten, den Bogen halb gespannt nach unten gerichtet, beobachtete still, wie sich noch hinter den Holzleibern eine Insel in die Morgenröte schraubte.

Der Sitz des Auges. Seit Dekaden, seit Zentennien hatte niemand ihn mehr betreten. Man hatte nie Beschreibungen gefunden, keine einzige Karte entdeckt. Alle Anfertigungsversuche waren zu gnadenlosem Scheitern verurteilt gewesen.

Sie wären fehl erschienen, gar überflüssig, ging mir auf. Wer dieses Land sah, wusste, was es barg.

Sungird wusste es von allen am besten. Er hätte den Weg niemals finden sollen und hatte ihn doch als erster beschritten.

Jedem Strategen wäre ein saures Lachen entrückt, hätte er die Würflung der Schiffsanordnung erblickt. Kreuz und quer verteilten sie sich, ein breiter Gürtel um das Ufer. Eine Katastrophe, ungeeignet für jede Aktion. Die Insel konnte weder effektiv verteidigt noch attackiert werden. Ein verlorener Kampf.
Das war der Grund gewesen, aus dem halbgescheite Strategen ihm scharenweise zu Opfer gefallen waren. Wer seine Handschrift nicht lesen konnte, unterschätzte ihn- der letzte Fehler seiner Feinde.

Sungird wusste, wie man kämpfte. Er hatte den Krieg gezüchtet, ihn vereinnahmt, bis er jeden seiner Züge geleitete. Er kalkulierte nicht mit Verlusten, er plante sie, wies sie zu, formte aus ihnen Waffen.
Denn es braucht nicht viel, um Ordnung in Unordnung zu tarnen. Einige notdürftig besetzte Schiffe schräg stellen, großgestellte Waffenattrappen verstreut montieren, mit unterschiedlich gehissten Segeln die Augen verwirren. Die rechte Organisation offenbart sich nicht, ehe die ersten Treffer fallen. Natürlich würden sie zerstört werden, die Blendwerke. Diesen Preis zahlte er im Voraus, damit fütterte er den Sieg.

Das war eine Säule seines Triumphes. Der Erfolg wurde ebenso von der Überzahl tausender Elitekrieger und bestausgerüsteter Kriegsflotten getragen, stützte sich auf die Geflechte aus blauem Blütenwerk, baute auf grausamer Gerissenheit. Er hatte Seelenbindungen studiert, kannte jeden Kniff, der sie zu seinem Vorteil drehte.

Zwischen den Segeln schrie ein Drache auf, laut und verzweifelt, jagte seine letzten Hoffnungsperlen zu Schall, zu fahlem Wasserdunst in einer blutenden Welt.
Er schrie und brüllte, klagte, kreischte, greinte, jaulte derart wehklagend, dass es beinah mein Herz zerriss. Dann schmolz die Qual aus den Tönen, der Schmerz reihte sich in wohlklingendes Pfeifen, eine idyllische Melodie brauste um die Mäste, schmeichelte meine Wangen, liebkoste die Ohren, wunderheilte jede Herzensnarbe, füllte die Seele, bis sie wieder vollkommen war, in ganzer Pracht zu strahlen begann.

Mehr, man brauchte mehr, musste sich im Urquell dieses Wunders baden, in ihm auflösen, eins werden. Der Weg war nur für einen selbst erschienen, nun folgte man, weil das alles war, was noch existierte, alles, was man jemals benötigt hatte, jemals benötigen würde, jemals-

Plötzlich stremmte die Fülle der Vollkommenheit, die Narben platzten schneidend auf, das Strahlen durchbohrte die Seele, bis sie genauso wund war wie zuvor, nur frischer. Ich rang nach Atem, der Gesang stach in meinem Kopf, ätzte in meinen Ohren. Er peitschte durch die Luft, schrill, untönend, haarsträubend.

Es war eine abscheuliche Begebenheit, dass der Tod so manche Schwächen der Seelenbindung bis auf klägliche Überreste abmilderte. Selbst die Verlockungen eines Bernsteinklangs kamen nicht gegen die Einsamkeit an.
Ich straffte meinen Rücken. Das konnte Sungird nicht wissen. Er wusste fürwahr nicht das Geringste von mir. Nicht mehr. Für ihn war ich eine Tote, seit Jahrzehnten abgeschrieben. Unrelevant.
Er hätte es besser wissen müssen.

Mein Boot beschrieb einen engen Bogen. Erste Menschen zeichneten sich auf den eisengespickten Decks ab. Nun lag es an ihnen, wie lange ich noch Geist blieb.

Zwischen den gemarkten Segelleinen klirrten Ketten. Goldorange glitzerte eine Reling hervor. Blaue Schwingen schlugen wild, gelbe und violette Akzente flammten unter der höhersteigenden Sonne. Die Farben waren mir zu vertraut, nur die Körperform verklärte das Bild. Einen Nadder dieser Zeichnung hatte ich Feuer und Meer übergeben müssen.

Nichts war je Zufall.

Ich hatte mein Ziel gefunden. Dieser Drache würde seine Freiheit zurückerhalten.
Und jemand anderes womöglich sein Lächeln.

Sofort drehte das schneefarbene Segel, lenkte den kleinen Kahn zielgenau zu dem einzeln liegenden Schiff, schnitt den Rand einer überbreiten Lücke zwischen den Reihen der Armada.

Dann fiel ich in Schwärze, tauchte tief ins Meer hinein, verlor mich in Stille.

Etwas klapperte, kurz umriss mich ein schwammiger Farbennebel, ich erahnte meine Hand, die sich zum Greifen öffnete.
Schon verpuffte das Bild, wieder schwamm ich in Regungslosigkeit. Um mich herum bewegte sich etwas, wie eine Hülle, die mich barg. Sie war vertraut, bot Sicherheit, und ich ließ los, ließ es einfach geschehen, ließ mich treiben, einen Augenblick länger nur...

Die Verantwortung zog sich sanft davon, ich brauchte für nichts zu sorgen. Brauchte mich nur im Sein auflösen. Keine Pflichten, die noch auf mich drückten.
Nein, das tat Unrecht. Meine Verantwortung hatte niemand zu übernehmen, ich allein händelte sie.
Sofort zappelte sie panisch los, versuchte fiebrig, meinem Griff zu entschlüpfen.
Brotloses Unterfangen. Ich hielt sie, ließ nicht zu, dass sie sich entriss.

Es gab einen gewaltigen Ruck, als eine zweite Kraft zulangte. Sollte sie es nur wagen, hier herrschte ich. Unangefochten.
Die Farben tanzten zurück, ein unstetes Reigen. Die Hülle stand bewegungslos. Um sie flatterte etwas, an ähnlicher Stelle drückte es stetig. Gugel und Trageriemen.
Das war keine Hülle, hier handelte es sich um meinen Körper.

Damit war die Grenze überschritten.
Die fremde Macht schleuderte aus meinem Kopf, die Farben flossen zu festen Formen. Empört drückte die Kontrollwut sich gegen ihren Niedergang. Anders als vorhin fand sie keinen Halt, keine passende Stelle. Reumütig schwebte sie von dannen. Nur ein blasser Nachhall schwamm im Plätschern mit, sank tief ins Meer, wo es seinen nächsten Opfern auflauerte.

Ich stürzte zur Reling. Das Wasser blubberte aufgebracht. Da drunten kauerte etwas Gewaltiges, etwas Mächtiges. Was immer Sungird dort lungern ließ, war pures Gift für Moira. Die Wirkung richtete sich völlig ausgeschlossen gegen gewöhnliche Menschen, in dem Fall hätte der Kriegsherr sich selbst ins Bein geschlagen. Eine Variante, die die Erfahrung unmöglich gemacht hatte. Er schnitt seit jeher seine Methoden speziell auf Seelenbindungen zu, so präzise, dass kein Makel Platz fand.
Doch selbst für ihn war ein gedankenlenkendes Wesen von neuem Kaliber.

Was war das, im Namen Notts?
Natürlich, eine Wassergestalt. Von geraumen Ausmaßen, wenn die Wellenunruhen als Hinweis taugten. Das war nicht abwegig, der Ozean beherbergte zahlreiche Giganten. Nur konzentrierten diese sich lieber auf ihre eigenen Wesen.

Dann erst fiel mir die Stille auf. Jedoch bezog sie sich nicht auf Geräusche, das wäre eine grobe Unwahrheit. Das Meer blubberte, schäumte nach wie vor, Schritte klopften, Winde rauschten, Stimmen schlackerten, Holz ächzte, Metall quietschte, mein Waffenrock klapperte in einem fort.
Diese Stille gab sich als Gefühl preis. Sie war ein Fehlen, dessen Maß deutlichst um mich spukte; Der Schmerz war aus der Luft verschwunden.

Die ausladenden Schmetterlingsschwingen heischten nicht länger der Freiheit nach, sie lagen brav gefaltet an, die Spitzen stupsten im Wellentakt auf die Planken. Das majestätische Geschöpf hielt sinnend den Kopf in die Höhe, als wäre es selbst in einen himmlisch mutenden Bann geraten, als wartete es der Zeit hinterdrein.

Schon war es geschehen, schon hatte ich die Früchte Sungirds Ehrgeizes unterschätzt.
Weshalb sollte er sich mit der Kontrolle über Nachtblitz' und Moiras Gedanken begnügen? Wieso sollte er nicht die ganze Truppe auf einen Schlag entwaffnen?
Wenn die Nacht ihre Legenden mit Leben füllte, warum sollte er ihr nicht ein fleischgewordenes Erdenmysterium entgegenstellen?

Der König der Drachen, Stoff der Rätsel der Tiefen. Geschaffen aus der Kraft des Eises, eine Wunderwirkung, die die Urzeit überdauert hatte.

Ich hätte es schwanen können. Er ließ die Elemente sich gegenseitig vernichten, kümmerte sich nur um das, was ihre Wut übrig ließ.

Das Meer zischte drohend, die Erde bebte, Rauch fraß sich in die Luft, schoss aus den Poren der Insel empor. Wind jaulte, zerschrammte die Wellenspiegel, noch während die Sonne jeden Schatten entflammte.

Schreie polternden und meine Wangen. Männergrölen.
Die Lücke lag hinter mir. Silberholz schob sich zwischen Schlachtrümpfe.

Der Geist war auferstanden, Dämon geworden.

Ich hob den Bogen auf, das Metall gleißte im Licht. Das Grölen erstarb, darbte zu stockendem Keuchen. Sie sprangen von der Reling zurück, über die sie sich wissensgierig gebeugt hatten.
Ich konnte ihre Gesichter erkennen, die ungläubigen Augen, die irritierten Blicke. Ihre Angst spann meine Flügel, zierte mein Lächeln.

Schritte schlugen auf das dunkle Holz, knallend schlug die Tür zum Unterdeck auf. Der erste rannte, seinen Kapitän zu warnen.
Damit war der Anfang getan. Nun hetzten sie alle los, trampelten, zerrten die Planer aus ihren Kajüten.

Ganze fünf Atemzüge brauchten sie, um an Deck zu stürzen, mich fassungslos anzustarren, als versteinerte Figuren meinen Weg zu säumen.
Wer ich war, was ich wollte, wie ich hergekommen war? Lähmende Fragen, die jeden ihrer Züge erklommen hatten.

Dann öffnete sich eine weiter entfernte Luke. Oranges Licht peitschte die rotblonden Strähnen zu beißender Farbkraft. Doch auch ihm schwirrten Altersmarken um die Augen.
Sungirds Zopf pendelte in der Brise, seine Rüstung blitzte, der Köcher schwang düster an seinem Schenkel. Sein Bogen riss eine tiefe Furche in das Morgenglühen, die bestialischen Messer an seinem Gürtel fletschten die Klingen.
Schließlich fand sein Blick das blanke Segel, strich über den Mast, glitt am Bug entlang, setzte sich bei mir.

Er trat in meine Richtung, ganz bedächtig. Schritt für Schritt, allenthalben achtsam.

Ich erwiderte seinen Blick, mein Lächeln schwamm durch Jahre aus Trotz. Seine Augen funkelten vor Begreifen. Sein Mund kräuselte zu einem diabolischen Grienen.
Er breitete die Arme aus, offenbarte die Panzerplatten auf seiner Brust. Andenken seiner Erfolge, einstige Teile seiner Beute. Knochen, Krallen und Schuppen besiegter Himmelsflüche. Sternentrümmer.
Dann setzte er zu einer Verbeugung an.

Auf halber Höhe hob er den Kopf, fing die Unbeugsamkeit aus meinem soeben neu keimenden Kampfgeist auf, las die wiedererwachte Stärke, erkannte die frisch sprießende Angriffslust.
Hochspannung pumpte durch mich, Inbrunst pulsierte auf meiner Haut, explodierte zu überschwingender Erwartung, kribbelte ungeduldig. Meine Brust schwoll, meine Instinkte witterten nach ihrem Startsignal.
Ich spürte die Härte in meinen Augen, die Genugtuung auf meinen Lippen.
Noch immer stand er gebeugt, betrachtete mich, sanftes Staunen umglomm seinen Ausdruck. Jede Schrunde meiner Erscheinung musterte er, glich sie mit dem Erinnerungsphantom ab.
Sodann nickte er mir zu, halb im Spott, halb in Bewunderung, beinah ehrfürchtig.

Ein ordentliches Maß an Anstand besaß er. Genügend, um vor dem Krieg im Angesicht all seiner Untergebenen einen Fehler zuzugeben und demjenigen offen Respekt zu zollen, den er unterschätzt hatte.
Seine Höflichkeit hatte mich seit jeher fasziniert. Seine Ehrlichkeit ebenso, noch nie war er sich zu schade gewesen, offen seine Gedanken zu verlauten.
Er betrachtete es als Ehre, mir erneut gegenüber zu treten, bedauerte zugleich zutiefst, je an meinen Worten gezweifelt zu haben.
Eine würdige Begrüßung zum letzten Wiedersehen.

Grimmig legte ich den Pfeil an die Sehne.
Ich hatte es geschworen. Und ich hatte gelebt, beständig fort, immer weiter.

Selbst die Gram der Einsamkeit konnte dem nichts entgegenrichten. Schwur blieb Schwur, wurde zu Wahrheit, sobald der Wind ihn in sich aufnahm. An ihm führte kein Weg vorbei.

Ein Mast zwängte sich in die Blickbahn, verzerrte den Augenkontakt. Als er überwunden war, hatte Sungird sich aufgerichtet, doch den Kopf von mir abgewandt.
Ich brauchte seiner neuen Sichtrichtung nicht zu folgen. Ich spürte bereits, dass Moira und Nachtblitz die Unsichtbarkeitsgenze überwunden hatten, fühlte die Anwesenheit des Nachtschatten und seines Freundes, die Ausstrahlung der jungen Astrid, die Entschlossenheit der ganzen Gruppe.
Sie waren angekommen.

Ich spannte den Bogen. Die Pfeilspitze kor ihr Opfer von selbst aus.

Eine letzte kleine Kurve. Ich hatte freie Schussbahn auf das bernsteinverkleisterte Deck.

Hundert letzte Herzschläge.
Hunderte Stimmen folgten dem Angriffsschrei ihres Befehlshabers.
Hundert Pfeile.
Hunderte Drachen, die sich aus Kluften der Insel erhoben, als die Welt erneut bebte.

Die Zeit des Sterbens war gekommen.

Und die Sehne sirrte los, während die ersten brennenden Geschosse den Horizont mit Ascherauch bepinselten.

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4242 Wörter

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