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(13) Umdenken für Fortgeschrittene

Hicks

Ich musste mit ihr reden. Bald. Wahrscheinlich würde Astrid die Augen verdrehen und sich sträuben, ohne Frage. Aber hier konnten wir nicht bleiben, so sehr es mir auch widerstrebte, Moira nach dem gestrigen Tag zuzustimmen. Dieses Mädchen war nicht auf den Kopf gefallen, das sah jeder Blinde. Dass Wilfried und Wilfriede uns auf Dauer nichts Gutes wollten, war genauso klar. Rein der Logik wegen war der Fall also eindeutig, doch ich war es leid, abgerichtet wie ein Schrecklicher Schrecken durch die Gegend gescheucht zu werden. Seit ich Moira das erste Mal in der schummrigen Schiffszelle getroffen hatte, bombardierte sie uns ohne Unterlass mit distanzierenden und umständlichen, knapp gehaltenen Antworten, gemischt mit Anweisungen und einem Verhalten, das unzählige neue Fragen aufwarf. Und egal, wie gut ihre Gründe waren, das Fass war übervoll. Es gab keinen Tropfen, der es zum Überlaufen gebracht hatte; es war ein schäumender Wasserfall gewesen. Gestern war das Fass gesprengt worden, und nachdem ich es bereits in den letzten Wochen immer wieder aufs Neue verbissen erweitert und geflickt hatte, wollte ich es Astrid einfach nur noch gleichtun und die Splitter nach Moira werfen. Solange, bis sie uns nicht länger wie kleine Kinder abspeiste, sondern brauchbare Informationen von sich gab.

Ich hatte es satt, mir immer und immer wieder die gleichen Fragen zu stellen, die selben Gedanken durchzuspielen, das Ergebnis weiterhin nur aus der Ferne zu sehen. Was sollte das? Es war bereits viel zu viel passiert, als dass wir die unbeteiligten Beobachter spielen konnten. Zu viele Tage waren vergangen, zu viele Rätsel gelöst, zu viele Kämpfe ausgetragen worden. Aber vor allem hatte es zu große Verluste gegeben. Was auch immer Moira vor uns verbergen wollte, wir waren schon lange ein Teil davon. Als solcher verdienten wir es, die Wahrheit zu hören. Die ganze, nicht nur von ihr ausgewählte Teile. Dafür steckten wir zu tief in diesem verworrenen Netz aus zweischneidigen Offensichtlichkeiten drin.

Und doch musste ich den Trotz und die Wut vorerst wieder in den Hintergrund drängen. Andere Dinge hatten Vorrang, zum Beispiel unsere Freiheit. Es blieb dabei, ich musste mit meiner Verlobten reden und obgleich ich sie mehr liebte als alles andere auf dieser Welt, fielen mir spontan tausend Dinge ein, die ich lieber machen würde. Bei dem Blick, den sie Moira schenkte, stieß ich ohnehin bloß auf taube Ohren. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, stand sie Schädelbrecher in nichts nach- und Moira ebensowenig. Das war das nächste Problem; keine würde nachgeben, obwohl sie beide die kommende Katastrophe gesichtet hatten.
Erschöpft seufzte ich. Nichtmal beabsichtigt, der Laut verließ ungefragt meine Kehle, ich konnte nichts dagegen tun. Doch ich war nicht allein; Heidrun musterte Astrid auf eine Art und Weise, die alles aussagte, was ich dachte. Die grünen Augen reflektierten stumpf ihre eigene Resignation. Wahrscheinlich hatte sie der Blondine soeben genau das gesagt, was ich noch mit ihr besprechen wollte.
Ach, es war aussichtslos.

Das Essen machte die Situation auch nicht besser. Es duftete verführerisch, am liebsten hätte ich den dampfenden Brei in der Schüssel vor mir sofort verdrückt. Mein Magen stimmte dieser Idee mit einem euphorischen und definitiv alles andere als zurückhaltenden Grummeln zu. Wann hatte ich zum letzten Mal etwas gegessen? Gestern Abend jedenfalls nicht mehr. Hatte Toven uns nicht auf seinem Schiff einiges angeboten? Oder hatte es sich dabei bloß um Wasser gehandelt? Ich wusste es nicht mehr, doch für meinen Bauch lag die letzte Mahlzeit utopisch weit zurück. Mehr als mit wachsendem Unmut in der Schale herumzurühren konnte ich guten Gewissens jedoch nicht tun. Bei den Geräten dort hinten handelte es sich mit großer Gewissheit um schwere Geschütze, die sicherlich anderen Zwecken als der Dekoration dienten. Bedenkenlos konnte ich hier daher gar nichts hinnehmen. Mal ganz davon abgesehen, dass kein noch so gutes Essen bei dem flauen Gefühl in meiner Magengegend lange in meinem Körper verweilen würde.
Worauf hatten wir uns da nur eingelassen?

Wobei, was hatte ich denn erwartet? Dass Moira uns in einem Anfall von Wiedersehensfreude überschwänglich um den Hals fiel und widerstandslos alles erzählte? Wohl kaum.
Ich hätte ihr keine Wahl lassen dürfen. Ich hätte sie dazu bringen müssen, dazu zwingen müssen. Irgendwie. Mich durchsetzen. Also genau das, was jedes halbwegs taugliche Oberhaupt mit links beherrschte und was ich jedes Mal aufs Neue vergeigte. Wäre Moira ein Drache, hätte Ohnezahn das Problem in wenigen Sekunden gelöst. Vater hätte ein paar Minuten und Gegenstände zum Zerrstören gebraucht. Und ich? Ich hatte Ohnezahn und Inferno an meiner Seite, war wütend, aufgewühlt und traurig und brachte sie nichtmal dazu, kurz innezuhalten. Ts, sie fuhr mich nur barsch an. Und ich hatte es mir mehr oder weniger gefallen lassen, weil sich sofort alle die Seele aus dem Leibe geschrien hatten. Ich hatte es Heidrun überlassen, mich zu verteidigen. Ganz großartige Leistung.
Dazu gab es noch die unzähligen Gefahren, in die ich meine Freunde sehenden und hoffnungslos naiven Auges geführt hatte, man sehe sich nur den blonden Drachenjäger an. Ich hatte doch tatsächlich geglaubt, in ihm mal eine Art Freund zu finden! Selbst die, die mir nahe standen, konnte ich nicht schützen. Wie sollte das dann bei einem ganzen Dorf funktionieren? Ein tolles Oberhaupt gab ich ab.

Der Löffel fuhr zu schwungvoll durch den Brei, etwas schwappte auf meine Hand und verdammt, das Zeug war noch brühend heiß.
Leise fluchend ließ ich die Schüssel Schüssel sein, es brachte ja doch nichts. Außerdem streckte Ohnezahn sich gerade wie eine müde Katze, ein Anblick, der jedes Klischee über Nachtschatten ins Wanken brachte. Als er anschließend mit eingezogenen Zähnen gähnte, verzogen sich meine Lippen zu einem leichten Lächeln. Ich würde eine Lösung finden, so viel stand fest. Nach dem Frühstück würden wir abfliegen, zusammen mit Moira. Wenn sie nicht freiwillig mitkam, dann nahm mein Freund sie eben wieder an den Schultern hoch. Dagegen war sie machtlos. Was sollte sie schon tun? Als nutzlos hatte sie uns vorhin bereits beschimpft, schlimmer konnte es nicht mehr werden. Was hatte sie sich dabei eigentlich gedacht?! Astrid hatte zurzeit genug mit sich selbst zu kämpfen, da brauchte sie nicht noch jemanden, der auf ihr rumtrampelte! Es reichte, ich musste darunter endlich einen Schlussstrich ziehen. Wir hatten uns genug gefallen lassen, die ganze Geschichte mit der Rächerin hätte mir das eigentlich schon verdeutlichen sollen. Sie hatte uns zurückgelassen und schwieg uns ununterbrochen an, dazu hätte sie sich äußern müssen!
Jetzt war es an der Zeit, das Blatt zu wenden. Es war an mir, endlich wie das Oberhaupt zu handeln, das mein Vater in mir gesehen hatte. Das alle in mir sahen. Der Mensch zu sein, der die unerschöpfliche Treue eines Nachtschattens verdiente. Wenn wir gingen, kam Moira mit, freiwillig oder nicht. Und wir gingen bald.

„Du da!"
Ich fuhr zusammen. Was war los? Hatte ich etwas Wichtiges verpasst?
„Ja, du da."
Oh, es war Wilfriede gewesen. Das Mädchen hatte sich über den halben Tisch gelehnt und schnipste ein letztes Mal vor meiner Nase herum, bevor sie sich wieder aufrichtete und ihren endlosen Monolog fortführte.
Kaum vorstellbar, dass sie und ihr Bruder diese mächtigen Gerätschaften gebaut hatten, bei ihrem kindlichen Blick. Die enorme Größe war irreführend, sie musste mindestens vier Jahre jünger als wir sein. Vielleicht sogar fünf oder sechs. Demnach war ihr Bruder ebenfalls jünger als wir, viel zu jung, um sich allein um seine Schwester zu kümmern. Was war mit ihren Eltern geschehen? Wer hatte sie versorgt? Vorhin hatte er gemeint, seit Jahren keine anderen Menschen mehr getroffen zu haben. Wie hatten sie solange allein überlebt? Wie kamen sie an so viel Werkzeug? Um ein Katapult zu bauen, benötigte es einiges an Material und Wissen. Schwer vorstellbar, dass die beiden... ach wo, ich hatte Ohnezahn auch vor Jahren mit einer selbstgebauten Maschine getroffen. Das bedeutet jedoch, dass sie sehr gerissen waren- und wir uns umso mehr vorsehen mussten.

„Sag mal, hast du mir überhaupt zugehört?"

Ertappt versuchte ich mich an einem Lächeln. Bloß nichts Falsches sagen, die Situation war schon heikel genug.
Oh oh, sie verengte argwöhnisch ihre Augen. Gleich sprang sie auf, ein Hebel wurde betätigt, der Höhleneingang versperrt, wir saßen in der Falle. Verflucht, das hätte ich vorhersehen müssen! Dann würde das heimlich ins Essen gemischte Mittel seine Wirkung entfalten, die Drachen wurden mit Pfeilen außer Gefecht gesetzt und-

„Wilfriede, bei deinem Redefluss kann nunmal nicht jeder folgen. Spiel dich nicht so auf, er meint es doch nicht böse."

Willkommen zurück in der Realität.
Das war doch nicht mehr normal, demnächst erschrak ich noch vor meinem eigenen Schatten. Ganz davon abgesehen, dass in dem Essen überhaupt nichts Ungewolltes sein konnte, da der Brei aus einem großen Topf stammte und die beiden ebenfalls davon aßen.

Wilfriede verdrehte an ihren Bruder gewandt die Augen, dann deutete sie auf meine fast unangerührte Schüssel.
„Wenn dir die von meinem Bruder gemixte Matschepampe nicht schmeckt, kannst du sie mir geben. Mein Magen ist da schon abgehärtet."
„Wilfriede!"
„Was? Bei deinem Gebräu bleibt halt nicht jeder gesund. Spiel dich nicht so auf, ich bin so hungrig, da bleibt selbst das Zeug drin.", imitierte sie seine Stimme. Schalk funkelte in ihren Augen und als ich ihr zögernd die Schale reichte, streckte sie ihrem Bruder grinsend die Zunge raus.
Es wirkte so echt, so natürlich. Aber das hatte es bei Toven auch.

„Übrigens"
Nur die Götter wussten, wie sie mit so vollgestopftem Mund noch verständlich sprechen konnte.
„schuldest du mir jetzt eine Geschichte."
Ich- was?
„Nicht das schon wieder..."
Der graublonde Junge verbarg entnervt sein Gesicht hinter seinen Händen. Wow, die Apparate hatte definitiv er geschaffen. Seine gegerbte Haut schimmerte an einigen Stellen, wo sie einst zu nah ans Feuer geraten sein musste, halb verheilte und jüngere Kratzer durchkreuzten einander, die Sehnen spannten sich deutlich sichtbar über den Handrücken. So ähnlich sah auch Grobians Hand aus- nach Jahrzehnten als Schmied.
„Wie bitte?"
Sofort verschwanden seine Hände wieder unterm Tisch.
„Ach, nichts. Ich glaube nur, dass er..."
Hilfesuchend sah er zu mir. Keine gute Idee, ich wusste nichtmal, worum es überhaupt ging.
„Ja?"
Oha, das war er, der pass-bloß-auf-was-du-sagst-Blick.
„Weißt du, ich glaube, sie haben viel zu tun und..."
„Und meine Geschichten rauben nur Zeit und interessieren sie nicht und sind außerdem nicht für sie bestimmt und blablabla. Schon verstanden."
Beleidigt schnaubend verschränkte sie die Arme.
„Du bist ein doofer Bruder."
„Wilfriede, das habe ich doch gar nicht-"
„Immer verbietest du mir alles, das ist gemein! Tu dies nicht, mach das nicht, Finger weg von diesem Hebel, lass den Schalter da in Ruhe, leg die Schraube zurück, klettere nicht auf der Schleuder herum, immer! Immer, immer, immer! Spiel dich nicht so auf, lass die Fremden in Frieden, tra, la, la! Ein lieber Bruder macht sowas nicht!"
Damit sprang sie auf und rannte schniefend zwischen den Gebilden hindurch in den tiefen Schatten.

Keiner wagte es, auch nur zu schlucken. Überfordert starrten wir ihr nach, Raff und Taff aßen nicht länger allein aus Prinzip aus der Schüssel des Anderen, sogar das Blickduell zwischen Moira und Astrid war eingestellt worden. Meine Gedanken verstummten.
Dann polterte es, man hörte Wilfriede gedämpft fluchen. Weiteres Poltern, Klirren.
„Wil-"
Der hochgewachsene Junge brach ab und raufte sich verzweifelt die Haare.
„Ich hätte den Mund halten sollen. Sie wollte nur eine Geschichte erzählen."
Er atmete langgezogen aus.
„Eine Geschichte."
Sie? Hatte sie nicht gesagt, dass ich...?
Warum hatte sie das überhaupt gesagt? Oh Thor, Verwirrung stiften konnte sie mindestens genauso gut wie die Thorstons.
Als es wieder schepperte, wandte Wilfried sich an uns.
„Es ist unhöflich, Besucher allein zu lassen, aber macht es euch etwas aus, wenn ich-"
Eine vielsagende Geste erklärte den Rest.
Sofort nickte ich, noch ehe mir klar wurde, dass das den Geschwistern eine hervorragende Möglichkeit gab, sich ohne unser Beisein abzusprechen und anschließend unerwartet anzugreifen. Argh, erst denken, dann handeln!
Zu spät, Wilfrieds Stuhl kratzte bereits schrill über den Boden, er erhob sich. Und wenn wir einfach verschwanden?
Einfach losflogen, sobald er außer Sichtweite war?

Wow, die Idee war gar nicht so schlecht, fast schon richtig gut. Primitiv, aber wirksam. Und darüber hinaus verdammt egoistisch, wenn es sich bei unseren Gastgebern nicht um potenzielle Feinde handeln würde. Juchu, endlich wieder ein akzeptabler Plan! Aber halt, nicht zu früh freuen. Spontane Pläne enthielten Lücken, Ungereimtheiten, Fehler. Ehe ich diese nicht gefunden und behoben hatte, war das Ganze ein einziges Risiko.
Doch Ohnezahn und die anderen Drachen schienen sich soweit erholt zu haben, um einen vorzugsweise nicht allzu langen Flug zu überstehen. Andere Schwachstellen sah ich nicht, denn bis zum Höhlenausgang war es nicht weit und dann waren wir außer Reichweite, bevor die Geschwister die Geräte überhaupt ins Freie gebracht hatten. Uns trennten also nur noch wenige von Wilfrieds Schritten von dem Morgenhimmel und den Antworten, die Moira anschließend wohl oder übel geben musste.

Als bloß ein letzter Meter Wilfried vor den lauernden Schatten und trägen Schleiern schützte, fiel mir schlagartig doch noch ein Fehler des Plans auf. Nicht nur irgendeiner, nein.
Der vernichtende Fehler.

„Ja!"

Raff sprang auf und stellte sich mit in die Hüfte gestemmten Armen vor den überraschten Jungen. Herausfordernd starrte sie zu ihm hoch.
„Ja... was?"
„Ja, es macht mir etwas aus!"
Ich hätte mir ein Glas nehmen und seine Verwirrung darin einfangen können, so greifbar war sie. Das Glas mit dem Plan dagegen konnte ich gegen die Wand werfen, sein Inhalt hatte sich soeben verflüchtigt. Das war er gewesen, der Fehler. Ich hätte die Zwillinge einweihen müssen, damit sie eben nicht ungewollt alles ruinierten.
Also gut, fürs nächste Mal: Denken, die Zwillinge einweihen, Astrid am besten gleich noch mit, handeln.
Hoffentlich gab es nach heute noch ein nächstes Mal.
„Oh, äh... also... Soll ich nicht zu meiner Schwester gehen?"
„Erfasst."
„Aber sie braucht-"
„Hm-hm, und genau deshalb wirst du nicht gehen."
Nein, im Vergleich zu Raffnuss war Wilfriede wirklich eindeutig. Allmählich dämmerte mir auch, dass sie vorhin weniger meinte, dass ich ihr eine Geschichte erzählen, sondern eher, dass ich ihr eine Geschichte lang zuhören sollte. Bei ihrer Freude am Reden und der heftigen Reaktion auf den Versuch, sie zum Schweigen zu bringen, ergab das jedenfalls ziemlich viel Sinn.
„Das verstehe ich nicht."
„Hatte ich auch nicht erwartet, du bist ja nicht ich. Oder Wilfriede. Deshalb kannst du das auch gar nicht verstehen. Stimmt's, Heidrun?"

Puh, ich hatte befürchtet, das Zwillingsmädchen hätte mich angesehen. Arme Heidrun, das war jetzt schwierig.
„Äh..."
Sorgfältig schob sie ihre Schale zwei Fingerbreit weiter nach rechts, sodass sie mittig vor ihr stand. In Ermangelung anderer Ausweichmanöver ließ sie einmal den Blick kreisen, stieß auf nicht minder ahnungslose Gesichter und sah schließlich wieder zur Urheberin der Frage.
„Ja."
„Genau."
Sobald Raff sich wieder zu Wilfried drehte, sank die Berserkerin erleichtert in sich zusammen. Ich konnte es ihr nicht verdenken.
„Also, die Sachlage ist ganz eindeutig einfach. Wilfriede ist deine kleine Schwester und sie ist sauer auf dich, also braucht sie eine andere kleine Schwester, mit der sie sich über große Brüder aufregen kann, bis es ihr besser geht. Bei mir hat das immer funktioniert. Oder ich habe Taff mit Gegenständen beworfen, aber so viele Dinge zum Werfen gibt's hier nicht."
Das klang unerwartet logisch und gleichzeitig typisch nach Raffnuss.
„Du willst also Heidrun mit ihr reden lassen? Tja, Schwesterchen, ich glaube, dieses Boot ist abgefahren. Vor zwei Jahren hätte sie bestimmt eine Menge zu lästern gehabt, aber wenn ich sie mir jetzt so ansehe... Ne, ein erstklassiges Vorzeigeverhältnis. Das funktioniert nicht."
Unüberzeugt schüttelte Taffnuss den Kopf. Ein klares Zeichen, dass wir uns auf der Zielgeraden zu einer Diskussion der Thorstonspezialklasse befanden. Odin, für diesen Tag hatte ich eindeutig zu wenig Schlaf gehabt.
„Wer redet denn von Heidrun? Ich meinte mich, du Flundergesicht!"
„Das ist absolut unmöglich, ich habe nämlich keine kleine Schwester. Wenn, dann bin ich das jüngere Geschwisterkind. Das jüngere und das kreativere. Ernsthaft, Flundergesicht?"
Er schnaubte und warf seiner Schwester einen enttäuschten Blick zu.
„Deshalb kann das Unterwasser-Atmungs-Kugelrund gar nicht deine Idee gewesen sein. Dir fehlt die nötige Imaginationskraft."
„Siehst du, genau das meine ich. Wenn mein dämlicher Bruder mich jetzt auch noch in der Wildschweingrube stören würde, müsste er die nächste Woche in Dauerbehandlung bei Gothi verbringen."
Und als wäre damit alles geklärt, schlüpfte sie an dem heillos überforderten Wilfried vorbei.
„Ts, Schwestern.", war Taffs einziger Kommentar, während er wie selbstverständlich den Inhalt ihrer beiden Schüsseln zusammenkippte.
„Hicks, es war wirklich eine Schande, dass du dein Frühstück abgegeben hast. Das Zeug ist himmlisch! Und ehrlich, nach so vielen gemeinsamen Jahren hatte ich erwartet, dass du wenigstens den ältesten aller Streiche erkennst. Aber keine Sorge, als guter Lehrer und Spezialist in diesem Gebiet weiß ich das zu ändern."
Oh super, da stieg meine Vorfreude auf den Lokitag sofort ins Unendliche. Ob Astrid etwas einzuwenden hatte, wenn wir spontan Heidrun und Dagur besuchten?





„WILFRIED!"
Mein Herz stolperte im Gleichtakt mit Wilfriedes hallenden Schritten, als sie ohne jede Vorwarnung aus den Schatten schoss.
Bei Thor, wie konnte sich ein Mensch nur so lautlos bewegen? Bei ihrem Laufstil hätte man sie kilometerweit hören müssen!
„Ich... habe... puh... Seitenstechen..."
Auf meiner Höhe kam die Jugendliche zum Stehen, ihre Hände fest auf die Seite gepresst und die wilden Haare noch verwuschelter als ohnehin. Und selbst so kam sie mir wie ein Riese vor. Ihr Kopf schien an der Höhlendecke zu schleifen und ich spürte den Drang, aufzustehen, um dem unbestreitbaren Größenunterschied wenigstens ein klitzekleines bisschen entgegenzuwirken.

Just in dem Augenblick, da mein Herzschlag sich beruhigt hatte, platzte Raffnuss in den Raum und ich sprang vor Schreck fast wie ein Kaninchen in die Luft.
„Ich... zu... zu...", japste sie und ließ sich auf den Boden plumpsen. Geräuschvoll atmete sie ein, vergewisserte sich unserer ungeteilten Aufmerksamkeit und lehnte sich schwungvoll mit einem: „Ich mache nie wieder Sport." an den schnarchenden Eruptodon.
„Nie wieder, Hicks, nie wieder. N. I. W. I. D. Ä. R. Nie."
„‚Nie' buchstabiert man anders."
„Nein, das schreibt man genau so, wie ich das- Isst du gerade mein Frühstück?!"
Schon war alle Anstrengung vergessen und mit einem Satz riss sie Taffnuss die Schale aus der Hand. Dass ihre Zöpfe sowohl Fischbein als auch Rotzbakke dabei saftige Backpfeifen verpassten, interessierte sie nicht im Geringsten. Und dass Fischbein daraufhin seinen Kopf zur Seite drehte und zur Salzsäule erstarrte, als sein Blick auf den der besorgten Heidrun traf, auch nicht. Unsere dunkelhaarige Freundin fixierte sofort wieder den Tisch, als wäre nichts gewesen, aber allein dieses für Heidrun absolut untypische Verhalten sprach Bände. Fischbeins schlecht verborgene Unsicherheit verriet sowieso den Rest. Das Interesse an Raffnuss war wohl doch nicht so groß gewesen.
Aber nein, ganz richtig konnte ich nicht liegen. Etwas störte das Bild zweier Verliebter.
Ihre Gesichtsausdrücke. Statt geröteter Wangen oder leuchtender Augen wirkten sie fahl und traurig, die Lider gesenkt, als wollten sie die Hoffnungslosigkeit in ihnen verbergen. Irgendetwas stimmte da nicht, ganz und gar nicht. Was war zwischen ihnen vorgefallen? Als Heidrun das letzte Mal bei uns gewesen war, hatten die Funken zwischen ihr und dem Ingerman nur so gesprüht. Aber das lag schon eine ganze Weile zurück. Ich hatte angenommen, dass das daran lag, dass sie ihrem Bruder wo immer möglich zur Hand gehen wollte, doch offenbar hatte ich mich geirrt. Der wahre Grund hatte irgendwas mit Fischbein zu tun, definitiv. Die Frage war nur, was.

Jegliche weitere Spekulationen wurden prompt durch Wilfriede unterbunden, deren Anwesenheit ich fast vollständig verdrängt hatte. Daher zuckte ich ordentlich zusammen, als sie plötzlich neben mir triumphierend die Arme in die Luft warf.
„Ich darf sie doch erzählen!"
Ihr Freudenschrei war nach dieser Aussage sicherlich nicht beendet, aber hören tat ich ihn nicht mehr. Stattdessen piepte es durchgehend und ich hatte das Gefühl, jemand hätte mir eine Stricknadel ins Ohr gerammt. Glücklicherweise blieb es bei einem Gefühl und als das Piepen eine unsagbar lange Zeit später nachließ, traute ich mich, meine Hände von den Ohren zu nehmen. Sich ins Ohr schreien zu lassen war deutlich unangenehmer, als man es sich vorstellte.
„... und dann hat sie gesagt, dass ich total recht hatte und sie die Geschichte sehr wohl hören wollen."
Sie hatte überhaupt nicht bemerkt, dass ich kurzzeitig ertaubt war. Vielleicht war das ganz gut so.
Das Mädchen verschränkte mit fest entschlossenen Gesichtsausdruck die Arme.
„Und deshalb werde ich sie ihnen auch erzählen."
Es fehlte nur noch, dass sie zur Untermauerung ihres Beschlusses aufstampfte. Und selbst dann hätte ihr Bruder wohl nur erleichtert in sich hinein gelächelt und Raffnuss, deren volle Konzentration auf ihr Essen gerichtet war, einen dankbaren Blick zugeworfen.
„Und du wirst mich nicht unterbrechen, hörst du? Ich erzähle ihnen die ganze Geschichte bis zum Ende und du redest nicht dazwischen! Sonst... sonst..."
Fragend flog ihr Blick zu Taffs Schwester, die so tat, als würde sie ihrem Bruder eine Backpfeife verpassen. Die Schüssel kullerte unterdessen leer über den Tisch. Allmählich begann ich zu erahnen, was Raffnuss mit ihr besprochen hatte.
„Sonst... äh... sonst... hm... verscheuchst du gerade unsichtbare Fliegen oder tust du so, als würdest du seinen Helm polieren?"
„Sie tut so, als würde sie mich schlagen."
Verschwörerisch lehnte Taffnuss sich ein Stück zu Wilfriede vor, musterte misstrauisch seine Umgebung und raunte: „Als ob das was bringen würde. Da oben ist eh schon alles durcheinander, wenn ich schnell genug den Kopf schüttle, klappert es manchmal."
„Aber nur, wenn er vorher was gegessen hat."
„Exakt, Schwesterchen. Sonst ist ja gar nichts da, was klappern könnte."
Es folgte der typische Thorstonhandschlag mit anschließender Kopfnuss und ich fragte mich, wie zum Geier die einst angespannte Situation sich so hatte entwickeln können.

„Also, äh, ich werde sie erzählen und du wirst mich nicht unterbrechen!"
Egal wie sehr sie versuchte, seriös und unbeugsam zu wirken, es wurde und wurde einfach nicht besser. Als sie auch noch entschlossen das Kinn in die Luft reckte, sah sie mehr denn je wie ein bockiges Kind aus. Und wahrscheinlich war sie genau das, selbst wenn sie es nicht wahrhaben wollte.
„Natürlich."
Für den Ernst in seiner Stimme verdiente Wilfried einen Orden.
„Echt? Oh, danke! Danke, danke, danke, daaaaaaanke! Du bist der tollste Bruder der W-"
Dann fiel ihr der entgeisterte Blick beider Zwillinge auf und sie brach hastig ab. Ich musste stark an mich halten, um nicht loszulachen oder mit der Stirn voran auf den Tisch zu fallen. Wirklich, heute war einfach nicht mein Tag. Für dieses ständige Auf und Ab war ich nicht zu haben, außer beim Fliegen. Bei Thor, diese zwei Menschen dort konnten uns innerhalb eines Sekundenbruchteils zum Verhängnis werden und trotzdem blieb jeglicher Ernst nicht länger als wenige Minuten präsent. Verdammt, hatte Toven uns denn gar nichts gelehrt? Ich konnte nicht still sitzen bleiben und die Lage beobachten, ich sollte endlich etwas tun, so wie ich es vorgehabt hatte!

Dumm nur, dass das Schicksal andere Pläne hatte. Pläne, die darauf ausgelegt waren, meine zunichte zu machen.

„Ok, also, das ist meine absolute Lieblingsgeschichte. Wilfried hat sie mir früher immer vorgelesen, bevor ich eingeschla- Egal, das ist laaaaaaaaaaaaaaaaange her. Naja, jedenfalls erzähle ich sie euch jetzt.
Also, vor unzähligen Zeitaltern, damals, als der Boden noch karg war und die Drachen sich nachts und über den Winter in weitläufigen Höhlen zusammenkauerten, um nicht zu erfrieren, lag ein Drachennest im Mondschein, in ihm ein kaltes, dunkles Ei. Die Drachenmutter hatte es nicht in die schützende Wärme der Höhlen schieben können, da sie sich bei der Jagd den Flügel verletzt hatte und nicht mehr auf den Vorsprung zu ihrem Ei gelangen konnte. Zu dieser Zeit war der Mond noch ganz allein auf dem düsteren Nachthimmel unterwegs und fühlte sich einsam. Als sein Licht also das Ei erfasste, erkannte er sich selbst in ihm wieder und-"
„Beschloss, die ferne Sonne zu bitten, dem Ei genug Wärme zu spenden, dass es nicht völlig allein erfriert. Entschuldige, Wilfriede, doch wir kennen die Geschichte nur zu gut."
Taten wir nicht. Und das wusste Moira ganz genau.
„Aber-"
„Wir kennen sie wirklich. Du brauchst sie uns nicht erzählen. Außerdem müssen die sieben dringend los, der Heimflug dauert lang."
Die Kriegerin wollte eindeutig nicht, dass wir jemals den Inhalt dieser Geschichte erfuhren. Demzufolge musste das in irgendeiner Weise mit Sungird zu tun haben. Und mal ganz davon abgesehen, dass sie mit allen Mitteln versuchte, uns unwissend zu halten, hatte sie hier gerade am wenigsten Mitspracherecht.
„Wann wir los fliegen, entscheiden immer noch wir!"
„Ach, ehrlich? Und was macht dich da so sicher?"
Eine ganze Menge, aber bei diesem Tonfall schrillten sämtliche Alarmglocken. Da war etwas, was unsere Niederlage garantierte. Moira hatte noch einen genialen Zug im tiefen Schatten ihrer Maske versteckt.

„Aber das ist gegen die Regeln!", platzte es aus Wilfriede.
„Er ist auf mich hereingefallen, also muss er sich auch die Geschichte anhören!"
„Nein."
Sämtliche geheuchelte Höflichkeit und all das gespielte Bedauern wichen so plötzlich, dass ich befürchtete, Wilfriede würde von dem harten Klang erschlagen werden. Mir zumindest verpasste er eine saftige verbale Ohrfeige und am liebsten hätte ich es Moiras Pseudonym, der Rächerin, gleich getan und es ihr mit gleicher Münze zurückgezahlt. Alternativ hätte ich auch gegen eine wortlose Backpfeife nichts einzuwenden.
„Abe-"
„Nein."
„A-"
„Nei-"
„DOCH!"
Von der enormen Lautstärke schreckte der Eruptodon hoch und brachte die ganze Höhle zum Beben. Geschockt sauste mein Blick zu dem eigentlich eher besonnenen Wilfried. So hatte ich den Jungen bisher jedenfalls eingeschätzt. Weit gefehlt.

Eigentlich hätte ich mir denken müssen, dass er nicht nur gerade so in Zimmerlautstärke sprechen konnte, der Ruf nach seiner Schwester vorhin war schließlich deutlich zu hören gewesen, aber mit solcher Kraft hätte ich nie und nimmer gerechnet. Das kratzte stark an Donnertrommlerrekorden. Und ich hatte gedacht, Wilfriede wäre laut.

„Wenn meine Schwester sagt, dass ihr euch die Geschichte anhören werdet, dann werdet ihr sie euch-"
„Wenn ich sage, dass sie gehen, dann-"
„BIS ZUM ENDE-"
„IST DER REST-"
„ANHÖREN!"
„EGAL!"
Die letzten Worte konnte man gar nicht mehr als Worte bezeichnen, so derbe wurden sie in die Luft gepeitscht. Sogar Astrid sah abwartend von Einem zum Anderen, trotz ihrer harten Mimik erkannte ich, wie sie innerlich mit sich rang. Jede Sekunde, die wir blieben, wuchs das Risiko, bäumte sich wie eine Giftschlange auf, bereit, urplötzlich zuzuschlagen, aber diese Geschichte mochte das entscheidende Detail sein, der Schlüsselkern, durch den man sich den Rest erschließen konnte.

„WIR WERDEN UNS GARANTIERT NICHTS-"
„OH, UND WIE IHR WERDET!"
„NIEMALS!"
„ABER SOWAS VON!"
„WENN ICH NEIN SAGE, MEINE ICH AUCH NEIN! WIR WERDEN UNSERE ZEIT NICHT MIT SINNLOSEN HIRNGESPINNSTEN VERGEUDEN!"
Augenblick, wir? Hatte sie da eben ‚wir' gesagt? Unmöglich, dann hätte sie uns als Einheit betrachtet- sich eingeschlossen. Und doch, ich hatte eindeutig mehrmals dieses kleine, bedeutungsschwere Wort gehört.
Sah ganz so aus, als hätte sich der Konflikt in andere Regionen verschoben. Wirklich beruhigend war diese Tatsache allerdings nicht.

Neben mir zuckte Wilfriede getroffen zusammen. Sofort überkam mich Mitleid. Ihr schien diese Geschichte unvorstellbar viel zu bedeuten. Zudem konnte sie mit ihren kugelrunden Augen so unfassbar verletzt gucken. Ohne Frage, Moira hatte sich rapide im Ton vergriffen.
Ach verdammt, Hicks, was sollte das denn werden? Jetzt hatten wir wirklich keine Zeit für emotionale Ausschweifungen!
Aber die grünen Augen füllten sich zusehends mit dicken Tränen. Pff, zum Höhlenbrecher mit dem Risiko. Diese Verzweiflung war real, Hintergedanken hin oder her. Nachtblitz' Reiterin war -mal wieder- zu weit gegangen. Grund Nummer zwei, weshalb wir uns die Geschichte doch anhören sollten.

„DAS NIMMST DU ZURÜCK!"
Wilfried schlug auf den Tisch. Unbeeindruckt kreiste die schwarze Kriegerin mit der Hand. Vermutlich zog sie unter dem Helm eine Augenbraue hoch.
„Ich nehme nie etwas zurück."
„Diesmal schon."
„Diesmal erst recht nicht."
„Du nimmst es zurück!"
„Dazu habe ich mich bereits geäußert, falls du dich daran noch erinnern kannst."
Trügerisch gelassen drehte sich das Maskengesicht zu mir.
„Braucht ihr es schriftlich? Wir haben zu tun!"

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4568 Wörter

Ich bin zu spät, ich weiß. Das Kapitel wollte einfach nicht fertig werden und der ganze Weihnachts- und Schulstress hat sich ungefragt einquartiert. Ich gebe mir Mühe, das nächste pünktlich zu veröffentlichen.
Mit dem Titel bin ich auch nicht hundertprozentig einverstanden, vielleicht fällt mir noch ein besserer ein.

Liebe Grüße, Hektorianja

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