(35) Mir geht's gut
Astrid
„HATSCHI!"
Was soll ich dazu sagen? Ich war ziemlich schnell wach.
„'Tschuldigung...", kam es von links neben mir.
Moira saß mit dem Rücken an Nachtblitz gelehnt da und rieb sich die Augen. Komisch. Das hatte sie noch nie zuvor gemacht.
„Gesundheit!", gähnte Fischbein.
„Ein neuer Hinweis wäre mir lieber."
Damit stand Moira auf und packte ihre wenigen Sachen zusammen.
Verwirrt sah ich zu Hicks, der direkt neben mir geschlafen hatte.
Er zuckte nur mit den Schultern.
Nachdem wir aufgebrochen waren, verlief eigentlich alles so wie immer.
Wir orientierten uns am Sternbild, führten Gespräche und versuchten, aus den Rätseln schlau zu werden. Letzteres leider vergeblich.
Fischbein hatte die Idee, mal zu gucken, ob da vielleicht doch noch etwas auf der Rückseite stand, aber da war nichts.
Also mussten wir uns damit begnügen, weiterzufliegen und zu hoffen, dass uns der Zufall wie in der Eishöhle in die Hände spielte.
„Der Polarstern den Norden zeigt, doch euer Weg vielleicht nach Süden weißt.
Ost und West ist nah zusammen, der Kompass ist verloren gegangen."
Rotzbakke laß das Rätsel mit verschiedenen Betonungen vor. Seit klar war, dass keiner außer Moira die Originaltexte lesen konnte, hatten sie und Fischbein die Rätsel sozusagen in die uns bekannte Runenschreibweise übersetzt und aufgeschrieben.
„Der Polaarsteern deen Noorden zeigt, doooch eueeeer-"
„Ich glaube, das bringt nichts."
„Blöde Rätsel..."
Der schwarzhaarige Junge gab Hicks das Pergament zurück.
„Vielleicht sollten wir uns nochmal das erste Rätsel angucken. Da könnte irgendwo noch ein Hinweis sein."
Auf Hicks' Vorschlag hin holte Moira das Blatt mit dem ersten und zweiten Rätsel aus ihrer Tasche.
Dann lenkte sie Nachtblitz dichter an Sturmpfeil heran und reichte mir das Schriftstück.
Etwas stimmte nicht.
Ich konnte nicht sagen, was es war, aber etwas war gerade alles andere als okay.
Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, dass es sich dabei um Moira handelte.
Ihre Hand zitterte, als sie mir das Pergament gab. Außerdem war sie unnatürlich blass geworden.
„Ist alles in Ordnung?"
„Was sollte denn nicht in Ordnung sein?"
„Du wirkst nicht so ganz gesu-"
„Mir geht's gut."
Damit war das Thema für sie beendet.
Auch in den ersten beiden Rätseln fanden wir keine weiteren Hinweise. Dafür wurde immer deutlicher, dass es Moira definitiv nicht gut ging.
Erst nieste sie immer häufiger, dann wurde aus dem Niesen ein Husten.
Sie gab sich zwar alle Mühe, es zu verbergen, aber auch das Zittern war stärker geworden. Von ihrer kaum noch vorhanden Hautfarbe mal ganz abgesehen.
„Moira?"
„Hm?"
„Wollen wir vielleicht lieber landen?"
„Nein, wieso?"
„Weil du-"
„Wie oft denn noch? Es. Geht. Mir. Gut!", wies sie Hicks' Vorschlag ab.
Der Hustenanfall, den sie gleich darauf bekam, ließ ihre Aussage jedoch fraglich werden.
Wir versuchten weiterhin, sie zum Landen zu überreden, doch Moira weigerte sich partout.
Schließlich hatte auch Nachtblitz die Nase voll und flog, die Proteste ihrer Reiterin ignorierend, auf die nächstbeste Insel zu.
Kaum gelandet, stieg die Brünette auch schon von Nachtblitz' Rücken.
„Was ist bitte an ‚Mir geht es gut' nicht zu verstehen?"
„Ein ‚Mir geht's gut' verliert an Bedeutung, wenn man aussieht wie ein Schneemann mit Dauerhusten!"
„Wow, dass wir das mal von Astrid hören würden..."
„Raff, Taff, das ist nicht gerade hilfreich...", nuschelte Rotzbakke.
„Hör zu, Moira; schön und gut, wenn du der Meinung bist, dass bei dir alles in Ordnung ist. Wir fliegen trotzdem erst weiter, wenn's allen wirklich gut geht."
Ich hoffte einfach, dass Moira nicht so reagieren würde wie ich an ihrer Stelle und Hicks Aussage einfach hinnahm.
Glücklicherweise gab sie tatsächlich nach.
„Okay, ja, es ging mir schonmal bess-"
Mehr konnte sie nicht sagen, da ihre Beine nachgaben und sie im Sand gelandet wäre, hätte Nachtblitz sie nicht rechtzeitig aufgefangen.
„Fischbein! Ich weiß, du bist nicht Gothi, aber von uns allen hier hast du am meisten Wissen über Krankheiten. Kannst du ihr vielleicht irgendwie helfen?"
Der Ingermann nickte mir kurz zu und lief zu Moira.
Wir anderen bereiteten derweil unser Lager vor. Diese Nacht würden wir bestimmt nicht mehr weiterfliegen.
„Hast du schon etwas herausgefunden?"
Ich stellte mich neben Fischbein hin und sah zu Moira. Wach war sie, aber aufstehen konnte sie nicht, dazu fehlte ihr einfach die Kraft.
„Ja... und nein. Ich hätte etwas, das vielleicht stimmen könnte, aber das ist vollkommen ausgeschlossen."
„Warum?", wollte jetzt auch Hicks wissen.
„Weil es sich dabei um etwas handelt, das eigentlich nur Drachen bekommen können. Außerdem wüsste ich nicht, wie sie sich damit infiziert haben könnte, da Menschen das Zeug schon essen oder auf eine offene Wunde-"
„Sag uns einfach, was es sein könnte!"
„Schon gut..."
Er hob beschwichtigend die Hände.
„Aber wie gesagt, das kann eigentlich gar nicht-"
„Fischbein!"
„Die Symptome stimmen mit denen überein, die blauer Oleander bei Drachen auslöst."
Keine Ahnung, was ich erwartet hatte.
Aber das ganz bestimmt nicht.
Nachtblitz landete auf den Blumen und Moira wurde krank? Wie ging das denn Bitteschön?
Ich wollte meine Fragen gerade laut aussprechen, da beantwortete Moira
sie mir auch schon.
„Schön, ich bin auf blauen Oleander allergisch. Zufrieden?"
Im ersten Moment starrten wir sie alle verblüfft an.
„Allergisch?"
„Ja." Sie verdrehte genervt die Augen.
„Habe ich doch gerade gesagt."
„Das ist eine ganz schön heftige Reaktion..."
Hicks hatte zu sich selbst gesprochen, doch wir hatten es trotzdem gehört.
„Ist nicht weiter schlimm. Irgendwann lässt es nach."
„Versuch' gar nicht erst, das in ein schöneres Licht zu rücken. Du kannst nichtmal aufstehen und siehst so aus, als würdest du auch im Sitzen gleich zusammenklappen."
Wie auf Kommando überkam sie der nächste Hustenanfall.
„So, das Lager wäre dann fertig- oh oh, Moira sieht ja überhaupt nicht gut aus."
Raff hatte recht. In den paar Sekunden ihres Hustenanfalls hatte ihre Haut wirklich sämtliche Farbe verloren und auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißperlen.
„Ich hab' schon Schlimmeres überlebt."
Hicks und ich wechselten einen Blick.
Das war gerade so ziemlich meine Standardantwort gewesen.
„Fällt dir irgendwas ein, womit wir ihr helfen könnten?"
Unser Anführer wandte sich an Fischbein.
„Fischbein?"
Der Angesprochene zuckte merklich zusammen und sah Hicks überrascht an.
„Ja?"
„Hast du eine Idee, was wir machen könnten?", versuchte Hicks es erneut.
„Ich... nein."
Der Gronkelreiter runzelte nachdenklich die Stirn. Er wirkte etwas zerstreut.
„Ist alles in Ordnung?"
„Mit mir?" Er sah überrascht zu mir.
„Ja. Ich verstehe bloß nicht, wie Moira auf die Blumen reagieren kann. Sie hat sie doch überhaupt nicht berührt."
Innerlich schlug ich mir gegen meine Stirn. Fischbein und die Anderen waren ja nicht dabei gewesen, also wussten sie gar nicht, was genau passiert war. Bis auf die Sache mit dem ›Widersetzen‹, das eigentlich nur eine spezielle Auslegung eines Befehls gewesen war.
„Ich bin gelandet."
Moiras Stimme war so leise, dass man sie fast nicht hörte.
„Du... du bist was?"
Alle, die nicht mit dabei gewesen waren, sahen die Schwarze Kriegerin entsetzt an.
„Auf dem Zeug gelandet. Es war die einzige Möglichkeit, noch irgendwie zu helfen."
„Aber dann... dann..."
Rotzbakkes Blick wanderte von Moira zu Nachtblitz.
„Ihr geht's gut." Sehr viel leiser fügte sie noch ein „Dafür habe ich gesorgt." hinzu. Aber außer mir schien das keiner gehört zu haben.
„Hattest du sowas schonmal?"
Moira nickte leicht. Man konnte richtig zusehen, wie ihre Kräfte nach und nach schwanden. Ich wusste zwar nicht, ob auch Menschen an blauem Oleander sterben können, ausprobieren wollte ich es allerdings nicht unbedingt. Und Moira sah jetzt schon mehr tot als lebendig aus.
„Weißt du, was hilft?"
Sie lächelte schwach.
„Es gibt nur ein Mittel gegen blauen Oleander."
Obwohl ich es die ganze Zeit über vermutet hatte, es aus Moiras Mund zu hören war ein wenig erschreckend.
„Und was passiert, wenn..."
„Tja, das werden wir dann herausfinden."
„Nein, werden wir nicht. Rotzbakke, Astrid, ihr kommt mit mir. Wir suchen einen Glutkessel. Fischbein, Raff und Taff, ihr bleibt hier und kümmert euch so gut es geht um Moira." Hicks' Ton duldete keinen Widerspruch.
„Hey, ich möchte auch mitkommen! Schon vergessen, dass ich gut mit Glutkesseln umgehen kann?"
Raff verschränkte provozierend ihre Arme.
Mein Verlobter seufzte leise.
„Lass sie ruhig mitfliegen. Ich schaff das hier auch allein. Nicht, dass die Zwillinge mir eine große Hilfe gewesen wären..."
„Also gut. Dann sollten wir jetzt los."
Das nächste Mal würde ich da bleiben, schwor ich mir, als wir wieder auf der Insel landeten.
Mit einer Portion Glutkesselgift im Gepäck und noch immer tropfnassen Klamotten trafen wir auf einen verzweifelten Fischbein.
„Sag nichts."
Rotzbakke hob abwehrend eine Hand.
Der junge Glutkessel hatte es vorhin ganz besonders auf den Jorgenson abgesehen. Nur Dank Hicks' Drachenkenntnissen, unseren Ablenkungsmanövern und Hakenzahns Bemühungen beim Ausweichen war er nicht gekocht worden.
Dafür war er auch derjenige gewesen, der uns in diese Lage gebracht hatte.
Wie oft hatten wir ihm gesagt, er solle den Glutkessel schlafen lassen?
Aber nein, kaum hatten wir das Gift, musste er mit seinem Gegröle sämtliche Tiere der Insel aufwecken. Und dabei hatten wir schon das Glück, dass der Drache sich zum Schlafen halb auf den Strand gelegt hatte.
Er ließ seine Hand wieder sinken.
„Du hast kurz nicht hingesehen und Zack- Moira ist weg."
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Natürlich wieder ein Bild aus dem Internet.
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