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.°Wiedervereint°.

[4:05 Uhr; irgendwo abseits des Wanderwegs]

Es dauerte einige Minuten. Einige Minuten in kompletter Ruhe; einige Minuten im kompletten Nichts, bis Feliciano wieder zu sich kam und mit schmerzverzerrter, pulsierender Sicht die kleinen, zierlich blauen Blüten um ihn herum erkannte. Eigentlich hätte er erwartet im feuchten, grausigen Morast zu landen, anstatt einer kleinen, bewachsenen Lichtung voller Vergissmeinnicht und Gänseblümchen, die im spärlichen Mondlicht eine mystisch erscheinende Schattierung annahmen.

Felicianos Puls blieb leicht erhöht, sein brummender Schädel wurde nur stufenweise besser und sein Körper blieb schlaff und kraftlos liegen, als hätte man ihm alle Sehnen auf einmal durchgeschnitten. Seine linke Hand war zu einer Faust gebildet; die Finger waren allesamt steif und kaum zu bewegen. Salzige Tränen quollen allmählich aus den bernsteinfarbigen Augen heraus und brannten an seinen Schürfwunden wie loderndes Feuer. Und die Verbindung....dieses unsichtbare Band, welches Feliciano die ganze Zeit bis ans Limit angetrieben hatte...war nichts weiter als ein schwaches Flämmchen in seiner Seele, das man mit einem Atemzug hätte erlöschen können. Feliciano stockte.
War es hier zuende?
Hatte er den Weg zu ihm endgültig verloren?
War alles nur mehr in abertausenden, messerscharfen Scherben aufzufinden?

Der Siebzehnjährige schluchzte kurz auf und presste verzweifelt die Augen zusammen.
Es konnte nicht sein. Er war doch so kurz davor gewesen; er war nicht bereit noch einmal zu verlieren. Hätte er doch nur die nötige Kraft dazu...er würde um die ganze Welt laufen, nur um ihn endlich wiederzusehen. Nur ein Mal. Nur ein einziges Mal wünschte er sich, die Zähne zusammenbeißen zu können; einmal nicht aufzugeben.
Jedoch unterlag sein Körper immer noch einer lähmenden Paralyse, die es ihm verwehrte, sofort wieder aufzuspringen und weiterzulaufen.

Felicianos Herz zog sich zusammen und er bemühte sich, die Augen offen zu halten und sein Schwindelgefühl unter Kontrolle zu bringen. Er spürte den seichten Wind und die Blütenblätter auf seiner Wange kitzeln und ein angenehmes, warmes Kribbeln überfiel seine Hand, die er nun langsam wieder bewegen konnte.

Zögerlich öffnete seine geballte Faust, seine versteifen Finger kämpften mit der plötzlichen Bewegung. Und doch machte er weiter...bis ihm im silbrig-blauen Mondschein das rubinrote Band an seinem Ringfinger entgegenlachte.

Ein seliges Lächeln schlich sich auf seine Lippen; immer mehr Tränen kullerten glitzernd wie Edelsteine seine Wangen herab und versiegten schließlich als dunkle Flecken im Boden. Eine immense Welle von nostalgischen Gefühlen und alten Erinnerungen wurde freigesetzt, die auf ihn einpreschte und und ihm jede Unsicherheit und Vergessenheit wegschwemmte. Sein Herz machte einen sekundenschnellen Freudensprung; es schien auf einmal wieder voller Energie, Hoffnung und Stärke zu sein. Vorsichtig begann Feliciano mit angeschlagener Stimme zu flüstern und sein Lächeln wurde immer bitterer.
"Dieses Band, das hast du mir doch einmal geschenkt, nicht wahr...?"

Feliciano kicherte leise. "Damals, als ich krank war und du bei mir warst. Ob du deines vielleicht auch noch hast?"
Schleppend zog er sich auf die Beine und lehnte sich an einen morschen Baumstamm.
"Ob du dich überhaupt an mich erinnern kannst?" Felicianos Lachen verschwand und seine Kehle schnürte sich zusammen. Aber der Italiener schüttelte den Kopf. Er musste sich an ihn erinnern. Er musste es einfach. Er hatte es ihm versprochen und selbst wenn dem nicht so sein sollte, würde Feliciano alles tun, um seinen Gesuchten von Neuem für sich zu gewinnen, immer und immer wieder.

Schniefend wischte er sich die überschüssigen Tränen aus dem Gesicht und setzte langsam aber sicher seine Suche in diesem bildschönen und doch gefährlichen Wald fort. Sein Handy, welches nach dem Sturz eher unbrauchbar geworden war, steckte er geschwind in seine Hosentasche und das einzige Licht, das ihn jetzt noch durch die letzten Minuten der Nacht begleitete, war das von Mond und Sterne. Seine Schritte wurden schneller, als er sich wieder auf dem Wanderweg befand und sein Herz raste schneller als je zuvor als würde es ihm voller Motivation den Weg weisen wollen.

Denn er wusste jetzt, wohin sein Weg ihn all die Zeit hinführte.
Er wusste, nach wem er suchte.
Er wusste, wie diese Person einst zu ihm stand.
Und mit diesem Wissen, das ihn vorantrieb rannte er weiter und weiter, bis die Sonne am Horizont hervorlugen würde und das ganze Land in einem goldenen Schein erleuchten würde.

***

[4:46 Uhr, südlich des Sees]

Der Mond und die Sterne verblassten immer mehr; die Dunkelheit der Nacht wurde nach und nach vom Tageslicht ersetzt und Feliciano sprintete keuchend und ächzend die hügelige, verwachsene Landschaft auf und ab. Jeder dieser Abbiegungen, jeder Strauch und jeder Baum kam ihm so unglaublich bekannt vor und lösten ein angenehmes und doch schmerzvolles Brennen in seiner Brust aus. Sein Herzschlag war schnell und wild; es tanzte feurig umher, es sehnte sich immer mehr nach dem Gefühl der Vollkommenheit, der Liebe. Feliciano selbst stieß an seine Grenzen. Mit den zahlreichen blauen Flecken, die seine Bewegungen behinderten, verlor er immer mehr an Kraft und doch dachte er nicht eine Sekunde daran, stehen zu bleiben.
Nur noch ein kleines bisschen, dachte er, nur noch ein klitzekleines bisschen und es wäre geschafft.

Er rannte so gut es ging bergauf und gerade aus; die kalte Morgenluft brannte grausig in seiner Lunge. Die wenigen, jedoch bereits Wärme ausstrahlenden ersten Sonnenstrahlen, die durch Blätterdach und an zahlreichen Baumstämmen vorbei geworfen wurden, zeichneten Muster ähnlich einer Fensterrosette auf den erdigen Boden und Feliciano selbst. Feliciano spürte die kitzelnde Wärme und hieß sie nach dieser kalten Nacht herzlichst willkommen.
Ein rascher Blick nach rechts offenbarte ihm einen märchenhaften Ausblick auf einen weiter unten liegenden, glitzernden See, umringt von zahlreichen Tannen und kleinen Sträuchern.

Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Es sah alles noch genau so aus wie früher...
Früher, was für ein eigenartiges Wort um Erinnerungen an das vorherige Leben zu beschreiben, das einem so nah ging wie das aktuelle selbst.

Feliciano folgte einem schmalen Trampelpfad und sprang über eine kleine Bodenritze.

Feliciano selbst hatte bereits viele Leben in unterschiedlichen Zeitepochen gelebt, jedes einzelne trug unvergessliche Momente in sich. Unvergessliche Momente, die es wert gewesen wären, aufzuschreiben, um diese mit der Nachwelt zu teilen. Unvergessliche Momente, die er mit einer Person machen durfte, deren Seele gemeinsam mit der seinen immer neu beginnen durfte.

Feliciano strich sich einige Strähnen aus dem Gesicht.

Am liebsten hätte er erfahren, weswegen genau sie immer und immer wieder dem seltenen, eigentlich sogar unmöglichen Phänomen der Reinkarnation unterzogen wurden. Warum gerade sie andauernd eine neue Chance auf ein Happy End bekamen, wenn sie es nur knapp verpassten. Aber manchmal konnte man diese Dinge nicht beschreiben. Manche Mysterien blieben Mysterien, das machte sie doch auch so geheimnisvoll, magisch und anziehend für den einfachen Menschen, auch wenn es für die Betroffenen Fluch und Segen zugleich war.
Manche Dinge bedurften einfach keiner Erklärung, sie benötigten keine Antwort.
Sie waren einfach da, um angenommen, akzeptiert und erfahren zu werden. Sie waren manchmal einfach nur Wunder.

Hitze sammelte sich um Felicianos Nase herum, die seine Haut augenblicklich rosarot färbte, als er einen Blick auf das rote Bändchen um seinen Finger warf und er fühlte sich sofort beflügelt.

Er kannte denjenigen, der es ihm einst schenkte, schon seit so langer Zeit...So lange, dass es es an ein Wunder grenzte, dass sie jedes einzelne Mal zueinander fanden...Dass sie unter diesen Milliarden Menschen, diesen vielen Möglichkeiten, immer wieder ihren Weg zueinander zurückfanden, sich ineinander verliebten und einander verloren...
Sei es während der Kriegszeit, die sie unter den damit verbundenen Strapazen leiden ließ, bis einer von ihnen frühzeitig den letzten Atemzug vollzog....
Sei es die glorreiche Renaissance, die neben den vielen neuartigen Wunderwerken und der immer heller werdenden Weltansicht, doch noch so manche böse Überraschung mit sich trug und sie aufgrund einer Fehltat auseinander driftete....
Sei es sogar die nur mehr vage erscheinende Zeit des Römischen Reiches, die sie aufgrund der Sprachdifferenzen und Konflikte zwischen Römern und Germanen voneinander trennen sollten...
Sie fänden zueinander. Immer und immer wieder. Und manchmal...mussten sie nicht einmal die Sprache des anderen verstehen, um zu sehen, um zu fühlen.
Denn Liebe brauchte keine Sprache; sie war die Sprache. Die, die jeder verstand, egal welche Herkunft, Hautfarbe, Sexualität, Religion oder welches Geschlecht man hatte. Und wenn Worte nicht reichten, dann waren es die alltäglichen, kleinen lieben Gesten, die für einen sprachen. Und das machte das Leben auch so kostbar, nicht wahr?

Plötzlich ertönte ein helles Klingeln, ähnlich das einer kleinen Silberglocke, und Feliciano blieb wie angewurzelt stehen. Sein Herz raste so schnell wie nie zuvor. Das davon ausgehende Rufen eines Namens wurde klarer und verständlicher, fast so, als würde es endlich aus seinem ewigen Schlaf erwachen. Es zerrte den Siebzehnjährigen immer weiter Richtung See, dort, wo die Sonne hinter den Bergen und Tannenbäumen langsam hervorblitzte und alles in ein atemberaubendes Rotgold tauchte. Feliciano schluckte und seine Beine drohten bereits, nachzugeben. Ein Windzug der Erleichterung wehte ihm jegliche Last von den Schultern, er hatte sich noch nie so leicht gefühlt. Das letzte Mal, als er sich dergleichen fühlte, war vor einigen Stunden gewesen, als ihm die geheimnisvolle Silhouette ein letztes Mal begegnet war...als er hierher gerufen wurde. Aber das hieße doch...
Es war gleich geschafft. Nur noch wenige Schritte und er war an seinem Ziel!
Feliciano spürte wie sich seine Brust vor Freude aufwallte, wie er den Freudentränen nahe langsam wieder voran schritt und schließlich wieder schneller wurde.

"Nur noch ein kleines Stückchen...", wisperte sich Feliciano mutig zu und lächelte, während er den letzten Teil seiner Reise anstimmte, der ihn stückchenweise weiter nach unten, an zahlreichen Fichten, Tannen und Heidelbeersträuchern vorbei, den immer mehr verwitterten Pfad hinableitete.
"Und egal ob Antike, Renaissance oder Krieg, ich habe dich immer wieder gefunden, mich immer wieder neu in dich verliebt...und ich werde es wieder tun. Also bitte, warte auf mich!"

***

[4:46 Uhr; nördlich des Sees]

Seit einer guten Dreiviertelstunde durchquerte Ludwig nun den tiefen, verwirrenden Wald. Er war zunächst komplett orientierungslos herumgeirrt, hatte jeden Schritt mit Bedenken und Widerwille gemacht und die ständige Konfrontation mit dem aufkommenden Zweifel, ob er das Richtige tat oder doch nur einer Laune der Fantasie folgte, nagte an seinem Gewissen...Er war zwiegespalten.
Als jedoch der Moment gekommen war, an dem Ludwig umkehren wollte, leuchtete in seinem Herzen plötzlich wieder diese unerklärliche Verbundenheit auf, die an seinen Herzsträngen zerrte, ihn weiter voran trieb und leitete. Es war zu dem Zeitpunkt so überraschend geschehen, das Ludwig dachte, es wäre nichts weiter als ein kleines Wimpernzucken nötig gewesen, um ihn wieder auf die rechte Bahn zu führen. Vielleicht - jedenfalls vermutete es Ludwig - war dem Jungen, nach dem er suchte, etwas zugestoßen, weswegen er für einige Minuten nicht mehr wusste, wohin. Demnach dürfte es ihm nun besser gehen, denn das Gefühl, in Kürze jemanden zu erreichen, entfachte jedes Mal aufs Neue.

Ludwig spürte die sanfte Wärme der hervorblitzenden Morgensonne auf seinem Rücken, als er den immer pflanzenärmeren Teil des Waldes erreichte. Viele Bäume hatten möglicherweise aufgrund von Insekten ihre Nadeln oder Blätter verloren; für die meisten Büsche wurde es hier zu kahl und kalkig und der Blonde musste aufpassen, nicht auf den aufgelockerten Kiesböden auszurutschen.

Es war doch alles wie damals...als...

Ludwig stockte und seine Bewegungen wurden zunehmend langsamer. Damals...
Was bedeutete damals für ihn eigentlich? Für ihn gab es viele facettenreiche Erlebnisse früherer Zeiten, die sich ihm erst in dieser Nacht offenbarten und Sinn ergaben. Es waren Erlebnisse von schöner Gestalt, deren Lebensdauer nur für eine begrenzte Zeit andauerte...Es waren Erlebnisse, klein und süß, die er gemeinsam mit dem Italiener teilte, der ihm so oft auf grausamste Art und Weise entrissen wurde. Würde es dieses Mal genau so enden, wenn er ihn endlich fand? Würde er erneut Hoffnungen in etwas setzen, das keine Zukunft hatte? Würde er sich ein weiteres Mal dieser Flut an Verlusten ergeben, die ihn seelisch entzwei rissen? Erneut diese Höllenqualen über sich ergeben lassen?
Vielleicht.
Vielleicht würde er es wieder tun.
Vielleicht setzte er damit erneut gefährlich nah das Messer an eine alte, tiefe Narbe an.
Aber vielleicht...war der Schmerz ihm einfach die ganze Sache wert.

Vielleicht waren manche Dinge einfach das Risiko wert.

Denn für die kurzen, süßen Momente, die sie teilen konnten; für die begrenzte unendliche Freude und Zufriedenheit; für ihre Nähe...dafür würde Ludwig immer und immer wieder die Qualen in Kauf nehmen.
Und auch, wenn alles letztendlich ins Meer stürzte...wenn es nur sie zwei gäbe, für wenige Augenblicke, wäre es schlussendlich doch der Mühe wert gewesen.

Auf einmal erstarrte Ludwig. Ein zurückhaltendes, helles Klingeln erschallte von weiter weg; aus der Richtung eines, im dämmrigen Sonnenlicht glitzernden, Sees. Augenblicklich begann sich seine Brust eng zusammenzuziehen, seine Gedanken wurden mit einem Mal weggefegt und der Blonde verspürte nichts mehr, außer das überraschende Begehren, kurzerhand zum See hinabzusteigen, ungeachtet der steiler abfallenden Hänge. Wortlos und mit nur einem Ziel vor Augen rannte Ludwig quer über die schmalen Waldflächen zwischen den eingedrückten Pfaden, die in Schlangenlinien zu einer etwas breiteren Ebene vor dem Gewässer führten, deren Gräser bereits halb im Wasser eintauchten.

Ludwigs Mundwinkel zuckten kaum sichtbar nach oben, als er endlich verstand, was diese plötzliche Sinneswandlung bedeutete und vor Freude das Adrenalin wie verrückt durch seine Adern schoss.
Er war zum Greifen nahe.
Er war auf dem Weg.
Er war hier.

"Falls wir uns nun endlich wiedersehen, versprich mir, mich nie wieder allein zurück zu lassen...", Ludwig lächelte schief, "Lass uns von nun an gemeinsam alle Probleme bewältigen. Niemand von uns sollte alleine kämpfen."

***
Die Zeit stand abermals still,
Herzen schrien in ew'gem E-Moll so schrill.
Der Weg hatte sie zusammengeführt,
Bis ihnen, hier und jetzt, die letzte Ehre gebührt.
Ein Katzensprung, ein Blinzeln allein,
Ein kurzer Augenblick und sie würden zusammen sein.

***

Sie rannten.
Ihr Leben lang waren sie ahnungslos im Dunkeln geirrt, hatten sich verlaufen und verloren gefühlt. Sie waren ein leeres Buch, eine Sammlung unbeschriebener Seiten, deren Geschichte erst gefunden und auf Papier gebracht werden musste.
Eine Geschichte, die tiefer reichte als vermutet.
Eine Geschichte, die sich kreuz und quer durch die Jahrhunderte gesponnen hatte.
Eine Geschichte, die einzigartig und bedeutsam war wie die Protagonisten eines jeden Romans - sie selbst.

Doch nun hatte sich für sie eine Tür geöffnet.
Ein Licht war aufgegangen, das sie aus ihrem dunklen, leeren Nichts befreite, sie aus ihrem tiefen Schlummer des Vergessens erwachen ließ und ihnen lehrte, was es hieß, wirklich am Leben zu sein. Es war wie ein Funke, ein heller Stern, der ihre Herzen mit Emotionen überschwemmte und ihren Weg hell erleuchtete. Und ein fiktives, jedoch unglaublich real anfühlendes Band zog sie immer enger zusammen...näher und näher.

Sie rannten weiter, nicht darauf achtend, wie ihr müder Körper langsam schlapp machte. Sie atmeten schwer, keuchten und schwitzten. Der Kleinere wurde von seinen leichten Verletzungen und Prellungen zurückgeworfen und kämpfte sich zäh voran. Der Größere biss die Zähne zusammen und nutzte das letzte bisschen Ausdauer, das ihm noch übrig blieb, ehe auch seine schnellen Schritte - ebenso wie die des Italieners - langsam, schwerer und andächtig wurden und er sich verbissen suchend zurechtfinden musste. Sie hörten nur ihre eigenen Schritte, ihr Herzschlag rauschte und pulsierte in ihren Ohren wie der Ozean, dessen Wellen von einem Sturm immer riesiger und wilder wurden. Wieder erklang ein seltsames Klingeln, das ihrer Aufmerksamkeit voll und ganz zuteil wurde und sie für einen Moment komplett ruhig werden ließ. Sie sahen sich um, schielten an den vielen Sträuchern vorbei und hielten Ausschau, ob es nicht doch noch einen anderen Zugang zu diesem See gab, durch den der jeweils andere ankommen konnte.
Vergebens.

Mit Schritten so schwer wie Blei setzten sie zögerlich fort.
Sie spürten es, derjenige, den sie suchten, war hier, trotzdem fanden sie einander nicht.
Sie suchten immer weiter. Sie hofften immer weiter. Sie liebten immer weiter.
Doch ihre Suche führte sie abermals ins Leere.

Es nagte an ihren Nerven, sie hatten den unstillbaren Drang zu schreien, zu weinen und geschlaucht auf die Knie zu fallen. Sie grenzten an das körperliche Versagen, an das Ende ihrer aufgebrauchten Kräfte.
War es also schlussendlich soweit aufzugeben?
Keineswegs.

Denn sie würden suchen.
Suchen, bis in die Unendlichkeit, bis dass der Tod sie einhole....bis ihre Herzen endlich wieder vereint waren, bis ihre gebrochenen Seelen das befreiende Licht der Freude und Vollkommenheit willkommen heißen konnten und die Finsternis jeglicher Zweifel, Angst und Leere vertrieben wurde.

***

[4:58 Uhr; See]

Endlich war Feliciano aus dem verworrenen Waldstück entflohen und hatte die schmale Lichtung vor den riesigen Wassermassen erreicht. Mittlerweile war die Sonne hinter den Bergen und Bäumen hervorgeblitzt und warf ihr grelles Licht auf den See, dessen ruhige Wellen freudig glitzerten, als wären sie mit einer langen Kette winziger Diamanten bestückt. Feliciano war im ersten Moment völlig baff, als er den bildschönen Ort erblickte. Noch nie hatte er einen ähnlichen Ort gesehen, der ihn mehr zuhause ausstrahlte als jeder andere, vor Menschen triefende, Platz seines Heimatlandes. Vielleicht lag es an der möglichen Vertrautheit, diesen Weg bereits einmal beschritten zu haben oder es lag an der Sicherheit, die ihm die Anwesenheit eines Anderen bescherte, den er noch nicht gefunden hatte. Aber er spürte es. Er spürte, dass er hier war.
Er musste ihm lediglich entgegenlaufen und finden.
Und wie sehr er ihn endlich finden wollte! Wie sehr wollte er ihn wiedersehen; seine Nähe spüren, seine Stimme hören und erfahren, was Glücklichsein für ihn bedeutete...Feliciano konnte es gar nicht mehr in Worte fassen wie sehr er sich danach sehnte.

Und er war nur noch einen Schritt davon entfernt. Ein kleiner Schritt...Eine kleine Bewegung...

Sein Herz schlug nur mehr langsam und kräftig, flüsterte den einen Namen wie ein süßes Geheimnis in sich hinein, den es zuvor noch aus voller Kehle rief. Der Siebzehnjährige sah und staunte, wie seine Konturen immer mehr im strahlenden Morgenlicht verwischten und seine Sicht nach und nach aufgrund des strahlenden Lichts beeinträchtigt wurde. Er erkannte gerade noch wie die Wellen des kristallklaren Sees das Licht reflektierten und seine Haut wie eine Leinwand mit kleinen gespiegelten Fragmenten vorsichtig bemalten; wie die einzelnen Strähnen seiner durcheinander gebrachten Haare immer markanter heraus stachen. Er spürte die kribbelnde Wärme in seinem Bauch aufkommen und lächelte.

Und für einen Moment...war er mehr als zufrieden...beinahe vervollständigt und durch und durch glücklich.

"Sonnenaufgang..."

Felicianos Herz blieb abrupt stehen.
Seine Augen weiteten sich.
Zwei Stimmen.
Das waren zwei Stimmen.
Das....das konnte nicht sein...es sei denn..?

Vor Aufregung zitternd drehte er sich auf die Seite...
Ein schwacher Windzug rauschte vorbei, plusterte sanft seine Haare auf...
Die Sonne blinzelte hinter den Bergen und Bäumen hervor, blendete ihn und tauchte alles in ein überbelichtetes Paradies. Dennoch streckte er seine Hand vorsichtig aus, als er erkannte, das sich etwas oder jemand vor ihm befand. Er sah lediglich eine Silhouette, das Gesicht vom gleißenden Licht dieses Winkels unerkennbar gemacht. Feliciano wagte es nicht mehr zu atmen, sein Kopf war völlig leer und schien in den Wolken zu stecken. Das Einzige, was zählte, waren die Emotionen, Gefühle und Sinne, die sich an diesem ewig andauernden Augenblick beteiligten.

Die Wärme der Sonne.
Das Rauschen der Wellen und Blätter.
Der vertraute Geruch.
Das pochende Herz.
Und unter all diesen Dingen war ihm die schüchterne Berührung seiner Fingerspitzen, die ihn elektrisierte und augenblicklich mit einer Flut von Empfindungen überschwemmte, das liebste.

Feliciano fühlte sich komplett. Die Leere in seinem Herzen schwand mit derselben Grazie von Pinseln, deren farbige Partikel sich wie ein Sturm im Wasser lösten und wie Seidentücher Muster schlugen. Genau wie jenes Wasser füllte sich auch Felicianos farblose, fade Welt plötzlich mit den strahlendsten, lebendigsten Farben. Es war, als hätte man ihm die Augen geöffnet, als wäre er endlich aus einem langen Schlummer erwacht, den er seit dem Beginn seines Lebens mit sich trug.

Wolken schoben sich vor die Sonne, das Licht flackerte nur stückchenweise hervor...
Und dann...
Und dann...nahm das sperrende Licht endlich ab.
Und Feliciano konnte sehen.
Er konnte endlich sehen...

Tränen schossen ihm in die Augen, sein Herz machte einen Sprung und er hielt vollkommen überrumpelt den Atem an, als er endlich sah, wer vor ihm stand; wer seine Hand sachte gegen die seine gedrückt hielt. So sehr von Emotion und Gefühl geleitet, schritt er langsam auf seinen Gegenüber zu, bewegte seine Arme zitternd nach oben und wollte das Gesicht, das ihm überrascht mit glasigen Augen, geröteten Wangen und einem warmen, jedoch eindeutig unterdrückten Schmunzeln entgegenlachte, vorsichtig mit den Fingerspitzen liebkosen. Er wollte sich versichern, dass er echt war. Dass es dieses Mal kein Traum war, der ihn in wenigen Minuten in die traurige Realität riss.

"L...Ludwig..."

Felicianos Stimme brach ab, haufenweise Tränen rollten seine Wangen herab und doch setzte sich ein breites Lächeln auf sein Gesicht. Er brachte kaum etwas Anderes als ein leises Wimmern heraus und es schien, als hätten ihn alle Wörter, die er jemals kannte, hoffnungslos zurückgelassen.
Aber er war da.
Ludwig war wirklich da.
Er war hier bei ihm und Felicianos Herz drohte vor Freude zu zerreißen.

Diese ganzen Gefühle, diese Leere, die es nicht mehr gab. Feliciano hätte es sich vor wenigen Tagen nicht einmal im Traum vorstellen können, jemals einen Moment wie diesen zu haben. Dieser magische Moment, in dem die ganze Welt unwichtig erschien.
Dieser magische Moment, der allein für sie eine neue Welt schuf.
Dieser magische Moment, bei dem es nur sie beide gab. Nur sie und niemand anderen auf dieser großen weiten Welt.

"Ludwig...", Felicianos Stimme zitterte und erneut kullerten Bäche aus Freudentränen aus seinen Augen, "Du bist hier, Luddy. Ich habe dich gefunden."

Das niedliche, herzzerreißende Lächeln des Italieners brannte sich binnen Sekunden in das heftig schlagende Herz des Deutschen ein. Er selbst konnte es nicht fassen, dass er hier war...dass er diesen kleinen Italiener mit der ungebändigten Locke vor sich stehen hatte und dieser ihm vorsichtig mit den Fingerspitzen über die Wangen strich.
Jede Berührung war eine Reihe von sachten Elektrostößen, die Ludwigs Haut zum Kribbeln brachte. Jedes noch so kleine Wort war wie ein Geschenk, dass ihm kochend heißes Blut in den Kopf pumpte und ihm starkes Herzklopfen bescherte. Und diese bernsteinfarbigen Augen, die in der Sonne wie Gold schimmerten...Ludwig war wie gebannt. Sie waren schöner und eindrucksvoller als sie es in seinen Träumen je gewesen waren, doch auch Tränen quollen aus ihnen heraus, die Ludwig innerlich zerbrachen.

"Feliciano...." Ludwig versuchte sich, mit den Worten, die ihm übrig blieben und dem nervigen Kloß im Hals, zu helfen. Feliciano hielt angespannt die Luft an, als Ludwig seinen Namen vorsichtig aussprach und ihm die fallenden Tränen aus dem Gesicht wischte. Es fühlte sich so richtig an, wenn er mit seiner tiefen, rauen Stimme seinen Namen aussprach...Es wirkte so besonders und einzigartig.

"Hör auf zu weinen, Feli" Ludwig sprach sehr abgehackt, womöglich aufgrund der Nervosität, die ihn von Kopf bis Fuß in den Wahnsinn trieb und ihm eine glücklicherweise kaum sichtbare Röte ins Gesicht zauberte. Doch Feliciano bemerkte das eigenwillige Verhalten des Deutschen sofort und kicherte; die zuvor vergossenen Tränen waren völlig in Vergessenheit geraten. Ludwigs törichter Gesichtsausdruck war einfach zu komisch.

Irritiert beobachtete Ludwig wie der Italiener unter seinen plötzlichen Stimmungsschwankungen die gesamte Atmosphäre aufhellte, ja sogar neu gestaltete und er hob verwundert eine Augenbraue. So viele Leben und Epochen und Ludwig konnte immer noch nicht aus ihm schlau werden. Aber genau das machte Feliciano für ihn so besonders. Es waren nicht nur die eindrucksvollen warmen Augen, die schmalen Lippen, das unordentliche Haar und das Lächeln, das er stets bei sich trug, nein, sein Gefallen an ihm ging viel tiefer als allein diese Oberflächlichkeiten, die jedem Menschen zugänglich waren. Es waren die kleinen Details, die simplen, vielleicht sogar nervigen Angewohnheiten, die den Braunäugigen zu dem machten, der er war, Feliciano. Einfach nur Feliciano.

Feliciano, dessen Seele seit Jahrtausenden mit der seinen Verbunden war und ihn nicht los ließ.
Feliciano, der in seinen Träumen wieder lebendig wurde und ihn hierher führte.
Feliciano, der mit seiner imperfekten Perfektion, mit all seinen Fehlern und Stärken, diese gähnende, schier unendliche Leere verschwinden ließ und seine gebrochene Seele wieder vervollständigte.

Nicht wissend, wie er auf seinen Gegenüber reagieren sollte, kratzte sich Ludwig nervös am Hinterkopf und suchte verzweifelt nach irgendwelchen Antworten, die ihm in einer solchen Situation behilflich sein konnten. Vergebens.
Feliciano hingegen wurde augenblicklich leiser, fast schon zu leise. Staunend und mit einem freudigen Funken Neugier und Bewegtheit in den Augen fokussierte dieser sich auf Ludwigs angehobene Hand, mit der er sich gerade eben noch gekratzt hat.
Felicianos Augen weiteten sich.

"Dieses Band...", Feliciano lächelte selig und schnappte sich, ohne vorher zu fragen, Ludwigs Handgelenk, "...du hast es immer noch. Wie damals..." Ludwig beobachtete wie die Wangen des Kleineren einen zarten Rotton annahmen und seine Augen abermals glasig wurden. Er musste wohl an früher zurückdenken.
Ludwig lächelte mild. "Du aber auch."

Behutsam strich der Blonde über das rubinrote Stoffband an Felicianos Ringfinger und ehe sie sich versahen, ruhten ihre beiden Hände in denen des jeweils anderen; die Finger miteinander verschränkt.
So nah...und doch so fern.

"Stimmt", säuselte Feliciano als er verträumt ihre beiden Bänder betrachtete.
Stille.
Süße, angenehme Stille.
Stille, die sie einfach genossen. Zu zweit. Mit all der Emotion, die sie im Moment empfanden.
Sie sahen einander einfach nur an und verstanden ohne Worte zu nennen.

Feliciano bemühte sich, sich jedes einzelne Detail einzuprägen. Er merkte sich die morgendliche Kälte, die ihn zum Frösteln brachte. Er merkte die Wärme, die von Ludwigs Körper ausströmte. Er merkte sich den Lichteinfall, das Glitzern der Wellen und sogar die Vögel, die an ihren Ästen herumhopsten und ihren Morgengesang anstimmten. Aber Ludwig wollte er besonders in Erinnerung halten. Seine im Sonnenlicht gold getränkten Strähnen, seine Haut, die einige Nuancen heller war als die seine, seine Körpersprache, seine Lippen und seine klaren, kalt wirkenden blauen Augen, all das wollte Feliciano nie mehr vergessen, aus Angst, jemand könnte ihm diesen perfekten Moment wegnehmen. Der Moment, der ihn glücklicher machte als alles Zuvorige. Der Moment, der niemals enden sollte.

Doch dann...lachte Ludwig. Ludwig lachte und Feliciano verstummte gänzlich vor Überraschung, bevor er nach einigen verwirrten Augenklimpern ebenfalls angesteckt wurde, nicht wissend weshalb sie beide in Gelächter ausgebrochen waren. Schließlich war es Ludwig selbst, der der herzigen Atmosphäre den letzten Schliff gab. "Weißt du, wir beide kommen von so weit her, sprechen eigentlich zwei komplett andere Sprachen, sind so verschieden und trotzdem verstehen wir uns. Komisch, nicht?", er machte eine Pause und betrachtete gemeinsam mit Feliciano für einen Moment das schöne Morgenrot und die Wassermassen, die die lebendigen, fröhlichen Farben des Himmels spiegelten, "Dass wir uns gerade hier treffen und, womöglich unbewusst, sofort wissen, was zu tun ist, als hätten wir uns vor Jahrtausenden eine eigene Sprache gelegt, die nur wir verstehen und nutzen könnten, wenn es soweit ist. Es ist alles einfach so verdammt surreal und einfach unmöglich."

Feliciano lächelte ihn daraufhin an und drückte die warme Hand des Deutschen etwas fester.
"Surreal stimmt, aber wie du siehst, ist es überhaupt nicht unmöglich. Ansonsten wäre ich nicht hier bei dir. Das Surreale und Unmögliche hat uns doch zusammengeführt. Und manchmal...manchmal bedarf es dieser kleinen Wunder. Kleine Wunder, die keine wissenschaftlichen Erklärungen benötigen...sie einfach zu spüren und zu erleben ist weitaus schöner..."

"Da hast du vielleicht recht..." "Und wie ich recht habe!", der Kleinere ballte eine Hand zur Faust und blies empört die Backen auf, "Luddy, du denkst wieder zu viel. Du hast schon immer zu viel gedacht und genau das macht dich so pessimistisch! Schalte doch einmal deinen Kopf aus und genieße nur. Das ist wie beim Pasta Kochen. Manchmal steht das Rezept ganz anders in einem Kochbuch, aber du änderst die Soße nach deinem Geschmack, damit du es am Ende voll und ganz genießen kannst!"

Ludwig blinzelte zunächst irritiert und sah Feliciano verwirrt an, ehe ihm die passenden Worte ins Gedächtnis gerufen wurden.
"Und du bist nach all der Zeit immer noch der, der kopflos in der Gegend herumläuft und Pasta liebt." "Ich bin Italiener, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest. Deine letzte Behauptung ist also mehr als irrelevant." Feliciano stemmte die Arme in die Hüfte, wandte seinen Blick gezielt von Ludwig ab und tat so, als wäre er beleidigt. Jedoch hielt auch diese Fassade nicht sonderlich lange, da ihm aufgrund dieses ganzen Chaos und der Komik der Situation ein kleines Lachen rausrutschte. Ludwig schüttelte nur amüsiert den Kopf. Feliciano war eben Feliciano und daran konnte und wollte er nichts ändern.

Plötzlich spürte er einen Ruck, der ihn fast zum Zurückstolpern verleitete. Zwei Arme schlangen sich willkürlich um seinen Brustkorb, ein kupferfarbener Haarschopf verschwand in seiner Halsbeuge und Ludwig stieg die altbekannte Hitze zu Kopf, als Felicianos Wimpern, Nase und Lippen seine ursprünglich fröstelnde Haut streiften. Er hätte schwören können, dass Feliciano sein rasendes Herz nur allzu gut aus seiner Position hören konnte.
Nichtsdestotrotz erwiderte der Deutsche die Umarmung, wenn auch etwas ungewohnt und eigenartig, aber es war der gute Wille, der zählte und für Feliciano war gerade diese Imperfektion, diese Unsicherheiten in manchen Gebieten, etwas, das Ludwig absolut menschlich machte. Und Feliciano liebte es. Er liebte Ludwigs Stärken, er liebte seine Schwächen, er liebte ihn mitsamt seiner Macken und Fehler und müsste er hunderte weitere Gründe aufzählen, gäbe es genau eine Antwort, die er immer und immer wieder sagen würde. Egal, ob scheu flüsternd oder enthusiastisch schreiend, denn die Antwort bliebe für alle Zeit dieselbe.

"Ich hab dich lieb, Luddy."

Ludwig erstarrte, hielt die Luft an, drückte den Kleineren aber immer fester an sich, als müsste er befürchten, dass ihm jemand Feliciano jeden Moment wieder entreißen könnte...so wie es der Tod die letzten Male immer und immer wieder getan hatte.
Dieses Mal durfte sie nichts mehr trennen.
Dieses Mal würde sich der grausame Kreislauf des Lebens nicht zwischen sie drängen; sie entzweien.
Dieses Mal würde alles gut werden.
Dieses Mal...würde Ludwig seine Versprechen halten.

"Ich dich auch...Feli", surrte der Größere leise in Felicianos Ohr und strich ihm zärtlich durch das durcheinander gebrachte Haar. Feliciano genoss diese liebe Geste, murmelte knappe italienische Wortfetzen in Ludwigs Schulter und lächelte.
So lange...So lange hatte er gewartet...
So lange hatte er nach ihm gesucht; hatte sich nach seiner Nähe gesehnt...
Und endlich waren all diese bedrückenden Bedürfnisse gestillt.
Feliciano fühlte sich freier, als er es jemals sein hätte können.
Feliciano fühlte sich beschützt und geborgen.
Feliciano fühlte sich geliebt.

Doch dann stoppte Ludwig abrupt in seiner Handbewegung und der Italiener hob mit verdutztem Ausdruck den Kopf. Ludwig hatte einige winzige blassblaue Blüten in der Hand und beäugte sie skeptisch.
"Vergissmeinnicht....", dann dämmerte es ihm, aber Feliciano schien immer noch nicht ganz zu verstehen, "...wie die die du mir damals...", er sah die Verwirrung in den karamellfarbenen Augen aufblitzen, "Feliciano, deine Haare sind voller Vergissmeinnicht." Da verstand der Italiener plötzlich und ein roter Schleier legte sich auf seine Wangen. Bestimmt hatten die sich in seinen Haaren verfangen, als er abgestürzt war! Rasch entfernte er jede einzelne Blüte, richtete sich seine bestimmt katastrophal aussehenden Haare zurecht und hoffte inständig, damit nicht die Atmosphäre zerstört zu haben, als Ludwig sich dazu entschloss, ihm aus der Situation heraus eine Frage zu stellen.

"Erinnerst du dich noch an mein Versprechen?"
Feliciano hielt inne, dachte nach und schaute ihn unwissentlich an. Ludwig hatte viele Sachen versprochen; viele hatte er gehalten, manche wurden gebrochen. Obwohl noch keine Antwort gefallen war, fuhr der Deutsche fort.
"Damals, kurz bevor wir uns das letzte Mal trennen mussten, hattest du Angst, dass ich dich vergesse..."
"...Und du versprachst mir, mich niemals zu vergessen..." Felicianos Augen leuchteten auf.
Ludwig nickte. "Ich dachte, ich hätte mein Versprechen gebrochen, da ich nicht wusste, nach was oder wem ich all die Jahre suchte...." Der Italiener unterbrach ihn. "Aber das hast du nicht, Ludwig, hättest du mich vergessen, hättest du mich nicht gesucht! Du wärst gar nicht hier...", Feliciano griff nach seinen Händen, drückte sie leicht und lächelte, "...hier bei mir."

Ludwig sagte nichts, sondern raunte nur ein knappes 'Mhm'. Seine gesamte Aufmerksamkeit oblag nur noch Feliciano.
Wie er ihn anlächelte.
Wie er jeglichen Zweifel mit den richtigen Worten aus der Welt schaffen konnte.
Wie er einfach er selbst war...und nach all den Jahren, nach all den Leben sein Licht nie verloren hatte.

Der Blauäugige sah, wie sein Gegenüber verträumt auf das rubinrote Band starrte und in Gedanken versank, ehe er ihm mit ruhiger Stimme wiederbegegnete. "Würdest du mir...das wieder sagen?", Feliciano suchte Blickkontakt, "...Dass du bei mir bleiben willst? Ein Leben lang?" "Nein...", Felicianos Blick senkte sich schlagartig und die anbahnende Unsicherheit lag ihm wie ein Stein im Magen, "...nicht nur ein Leben lang, Feli, sondern auch darüber hinaus."
Felicianos Kopf schoss wieder nach oben, eine entgeisterte Miene tragend, die Ludwig amüsierte.
"Boah, Ludwig, erschreck mich doch nicht so! Das war gemein, ich dachte, du willst mich nicht mehr!" "Sorry, ich wollte dich einfach ein wenig aufziehen."

Feliciano schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Hüften. "Also echt..." Diese Aktion brachte Ludwig wieder zum Lachen und ehe sie sich versahen, brachen sie beide in ein herzhaftes Gelächter aus, dessen Echo noch lange von den Bergen in diesen frühen Morgenstunden umher geworfen werden würde. Sie waren so glücklich und zufrieden, dass es ihnen so vorkam, als wären sie in einer fiktiven Märchenwelt gefangen, die sie mit den prächtigsten und zauberhaftesten Geschenken berieselte, um ihnen ein Happy End wie dieses ermöglichen zu können.

Feliciano war der erste, der sich wieder beruhigen konnte. Atemlos strich er sich einige Strähnen aus dem Gesicht und fühlte seine eiskalten und doch heißen Wangen. Er hatte sich schon lange nicht mehr so lebendig gefühlt; so voller Energie und Lebenslust. Es war wie eine Heimkehr nach einer langen beschwerlichen Reise und dem Gefühl, endlich zuhause angekommen zu sein. Denn sein Zuhause war bei Ludwig und Ludwigs befand sich bei Feliciano.

Das vorerst leise Vogelgezwitscher wurde immer lauter, das Rauschen der Wellen rutschte immer mehr in den Hintergrund und Feliciano bemerkte, wie die Natur von Sekunde zu Sekunde erwachte.
Erwachen. Das Wissen, dass etwas Neues begann und Altes verblasste.
Feliciano wollte auch neu beginnen, abseits von den schmerzhaften Erinnerungen alter Zeiten. Er wollte eine neue Geschichte schreiben, gemeinsam mit Ludwig.
Eine Geschichte, deren Ende so schön war wie ihr Beginn. Eine Geschichte, die nicht auf der Vergangenheit, sondern auf der Gegenwart beruhte.

Deshalb streckte er seine rechte Hand aus, sah seinem Geliebten tief in die schönen blauen Seelenspiegel und fragte: "Ludwig, lass uns von Neuem beginnen. Lass uns in die Zukunft schauen, anstatt unsere Köpfe in der Vergangenheit zu vergessen."
Ludwig reichte ihm die Hand, nicht wissend, auf welche Spielereien Feliciano nun zurückgreifen würde.
"Lass uns dieses Mal bis zum Schluss glücklich werden!", Feliciano machte eine Pause und grinste, "Also, ich stelle mich zuerst offiziell vor: Ich bin Feliciano Vargas aus Bella Italia!"
Augen rollend, aber mit einem unscheinbaren Schmunzeln ließ sich auch der Blonde darauf ein.
"Ludwig Beilschmidt. Aus Deutschland." Der Kleinere grinste den Größeren lieb an und ein beflügeltes Lachen entfloh aus seinem Mund, während eine kühle Brise an ihnen vorbei pfiff und die ein oder anderen blühenden Löwenzahnblüten mit in die Lüfte riss und sie wie Schneeflocken herum trug.

~♡~

Und ihre Herzen schlugen denselben Takt, dieselbe Melodie, dieselbe Geschichte wie das immer wiederkehrende Lied einer Spieluhr, das einen durch die sinnlichsten Momente der Kindheit führte und einem selbst als Erwachsener noch aufgeregtes Herzklopfen bescherte.
Denn ihre Geschichte war einzigartig.
Denn ihre Geschichte war anders.
Denn ihre Geschichte existierte nur ein einziges Mal auf der Welt.

Sie hatten gesucht. Sie hatten gefunden. Sie hatten erlebt. Sie hatten verloren...und schließlich doch gewonnen.
Dinge wie diese passierten nur den wenigsten Menschen und wenn sie geschahen, wurden sie meist als irrelevante Märchen und Hirngespinster abgestempelt. Das Phänomen von Reinkarnationen und die damit verbundenen bleibenden Erinnerungen nach dem Tod in einem neuen Leben galt für viele alt Humbug, als eigenartige Gruselgeschichte, die einen bis auf den letzten gesunden Nerv in den blanken Wahnsinn trieb...doch wer hatte dies festgelegt? Vielleicht hatte auch diese Paranormalität ihre Vorteile...so bizarr es auch klingen mochte.
Und...waren diese Dinge nicht auch einem herkömmlichen Déjà-vu ähnlich?

Immerhin hatten diese kleinen unerklärbaren Wunder Ludwig und Feliciano immer und immer wieder zusammengeführt; durch viele verschiedene Zeitepochen hindurch bis hierhin, ihrer hoffentlich letzten, glücklich endenden Station.

Ich habe starken Glauben an dieser Geschichte. Nicht zuletzt, da sie mir von besagten Personen mitgeteilt wurde. Mein eigener Urgroßvater selbst war Teil dieses ganzen Gestricks aus Schicksalen gewesen, wenn auch nur als Brieffreund eines jung verstorbenen Dichters. Er hatte mir seinen Teil dieser Geschichte erzählt, zeigte mir Briefe von damals, die Beweise für die Glaubwürdigkeit dieser wunderlichen Erzählung erzählten, wenn ich ihn im belebten Tokyo besuchte. Es schien mir zunächst unmöglich. Grund dafür könnte der Fakt gewesen sein, dass mein italienischer Freund sowie der aus Deutschland den Jugendlichen von vor beinahe hundert Jahren bis aufs Haar gleichten. Nicht nur von den Äußerlichkeiten her, sondern auch ihr gesamtes Verhalten schien dem Ganzen identisch zu sein. Ich habe viele Recherchen durchgeführt. Ich habe die halbe Bibliothek meines Dorfes geplündert und jedes Psychologiebuch, das mir in die Hände fiel, durchgeblättert, hoffend, eine wissenschaftliche Erklärung für dieses Wirrwarr an Zufällen zu finden. Vergebens.
Stattdessen begegnete ich nur noch mehr Hinweisen, die mich nach und nach davon überzeugten, dieser unglaublichen Geschichte Glauben zu schenken.
Also begann ich zu schreiben, um nicht zu vergessen.
Um die Geschichte meiner Freunde, die sich fanden, für die Nachwelt festzuhalten.
Um vielleicht eines Tages jemanden davon zu überzeugen, an Wunder, an Liebe zu glauben.
Und um vielleicht...selbst über mich hinauszuwachsen und mit gehobenem Kopf durch die Welt schreiten zu können...

Sayonara,
~Honda, Kiku

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Nach 3 Monaten habe ich es endlich zu Ende gebracht. Meine Schreibblockaden während dieser Zeit waren echt ätzend, sodass ich manchmal fast eine ganze Woche lang nicht schreiben konnte. (Und ich schreibe täglich mindestens ein paar Sätze.) Aber ich wollte, dass dieses mehrteilige Zusatzende das Beste wird, was ich je geschrieben habe. Ich wollte meine eigenen Leistungen damit sprengen und meinen Schreibstil bis ans Limit bringen, jedoch hapert es an einigen Stellen ziemlich stark, besonders das Ende finde ich etwas gewöhnungsbedürftig...
Nichtsdestotrotz habe ich mir wirklich viel Mühe beim Schreiben gegeben und ich hoffe, dass es euch gefällt.

Dieser gesamte Zusatz wurde von folgenden Videos inspiriert:

https://youtu.be/2-OPgfApBok

https://youtu.be/O5Y_YgzSuBM

Ich glaube, man bemerkt, dass ich mich sehr vom Film "Kimi No Na Wa. / Your Name." beeinflussen lassen habe. Aber der Film ist einfach so verdammt inspirierend!

Jedenfalls würde ich mich sehr über ein Feedback von euch freuen.^^

Hiermit ist auch diese Geschichte offiziell beendet und ich danke jedem Leser, der sich hierher verirrt hat und letztendlich geblieben ist.

Aber noch ein kleiner Funfact zum Schluss:
Der Ort mit dem See, an dem sich Feli und Luddy am Ende befanden, wurde aus der Realität entnommen und ein wenig 'aufgehübscht'. Es handelt sich hierbei um den Klausteich, der an der ober- und niederösterreichischen Grenze liegt...und joa...ich geh da im Sommer öfters baden, deshalb habe ich es gleich als Kulisse für meine Fanfiction genommen.

(Das Bild entstand im Juni 2019; App: IbisPaint X auf dem Smartphone)

Bis zur nächsten Fanfiction,
~18125 Wörter

Over and out

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