
11 | Start
Im Dunkeln und auf Knien robbte Xander zu Hektor hinüber, dessen Umrisse er im spärlichen Licht der Kontrolllämpchen nur schwach erkennen konnte. "Hektor?", flüsterte er leise und streckte die Hand aus. "Geht es dir gut?"
Hektor brummte und bewegte sich, als versuche er, die Fesseln zu lösen. "Dieses blöde Arschloch hat mir ordentlich einen verpasst, aber wenn ich hier rauskomme, wird er das büßen, das verspreche ich!" Xander seufzte erleichtert. Wer so wütend fluchen konnte, hatte vermutlich keine lebensbedrohlichen Verletzungen. "Warte, ich mache dich los", flüsterte Xander und begann, an dem Knoten zu arbeiten, der Hektors Hände vor seinem Bauch gefesselt hielt. "Große Mühe hat sich der Kerl aber nicht gegeben", stellte Xander erleichtert fest, als er den Strick nach nur wenigen Sekunden lösen konnte. "Der Typ ist sich wohl sicher, dass wir hier nicht rauskommen."
Während Xander sich nun an die Fesseln an Hektors Füßen machte, rieb dieser seine schmerzenden Gelenke. "Der hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht", murmelte der Wachmann, immer noch beleidigt darüber, dass man ihn überwältigt hatte. "Ich hab immer ein Ass im Ärmel. Wir werden einen anderen Weg hier raus finden!"
Xander ließ das Seil fallen und blickte den großen Mann vor sich an. Seine Augen funkelten angriffslustig. "Es gibt einen Weg hier raus?"
"Natürlich! Es gibt immer einen Weg raus. Aber ich kann ihn nicht nehmen, das musst du übernehmen und mir dann die Tür aufschließen." Hektor deutete zur Decke. Obwohl Xander im Dunkeln nicht genau erkennen konnte, was sich dort befand, wusste er, was Hektor plante. Und damit war er in keiner Weise einverstanden. "Vergiss es!", protestierte er.
"Komm schon, das ist nicht so schwer! Ich hebe dich hoch, du kriechst durch den Schacht, landest in einem anderen Raum, und dann holst du mich hier raus. Easy!"
"Ich kann das nicht!" Xander blieb stur. Schon der Gedanke, sich in einen engen, dunklen Tunnel zwängen zu müssen, ließ sein Herz schneller schlagen. Auf keinen Fall würde er in einen Lüftungsschacht steigen. Niemals!
"Hast du etwa Angst?" Hektors Frage war von einem leichten Schmunzeln begleitet, als er skeptisch eine Augenbraue hob. Xander schnaubte, denn er mochte es nicht, Ziel von Spott zu sein. Etwas zu harsch antwortete er: "Nein, natürlich nicht! Ich habe diesen ängstlichen Ausdruck im Gesicht, weil ich SO - VIEL - SPAß - HABE!"*
Hektor gluckste. Obwohl er fast zwei Meter groß und halb so breit war, gluckste er wie ein kleiner Junge, der sich ungeniert über den Witz eines Erwachsenen amüsierte. Xander konnte nicht anders, als dem Riesen zu vergeben, und erklärte nun etwas ruhiger: „Ich will auch nach Hause kommen, okay? Aber es muss einen anderen Weg hier raus geben. Vielleicht, wenn wir es zurück in die Oasis schaffen und Renard finden, können wir das Rätsel um den Überfall lösen und Mr. Harold retten. Und dann erpressen wir Mr. Knüppel, indem wir seinen Komplizen gefangen halten."
„Ähm... wer sind diese Leute, von denen du redest?", fragte Hektor verwirrt. Xander erklärte in kurzen Sätzen, was sich in der Traumwelt mit seinem neuen Rekruten zugetragen hatte, und dass er glaubte, es handle sich um einen Überfall oder eine Erpressung von Mr. Harold, den man in der realen Welt nur schwer zu fassen bekommen würde. „Dieser Mann muss entweder sehr mächtig oder sehr reich sein, vielleicht auch beides", erklärte Xander wage, um nicht zu viel zu verraten, während Hektor neugierig seinen Überlegungen lauschte. "Renard hat mich benutzt, um in der Traumwelt zu bleiben, wenn alle anderen wieder in die reale Welt zurückkehren. Er hat mich gezielt ausgewählt, da bin ich mir sicher. Er muss Insiderwissen haben. Als er Mr. Harold gefunden hatte, wollte er mich loswerden. Wenn ich Renard wiederfinden und zur Rede stellen kann, könnte ich die Situation vielleicht aufklären. Vielleicht kann ich Mr. Harold retten – und uns."
„Ich verstehe, dass du deinen Job gut machen willst", gab Hektor zu, „aber ich will einfach nur hier raus. Sollen sich die Polizei und die IT-Security um Renard und seinen Komplizen kümmern. Du kannst meinetwegen allein in die Traumwelt gehen – ich breche zur Not die Tür auf."
Hektor stand auf und machte sich mit selbstsicherem Schritt auf den Weg zur Tür. Xander sprang hastig auf und spürte, wie ein unangenehmes Kribbeln in seiner Brust aufstieg. „Ich kann das nicht allein!", gestand er eilig. Hektor blieb mit dem Rücken zum Traumreiseführer stehen und schien auf eine weitere Erklärung zu warten. Xander seufzte und senkte den Kopf. „Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Der Zugang über mein Terminal ist gesperrt, und ich habe keine Berechtigung für dieses System. Außerdem scheint das Tor defekt zu sein. Ich brauche deine Hilfe!" Sein Herz klopfte schneller, als er realisierte, wie hilflos er sich in diesem Moment fühlte.
Selbst in der Dunkelheit konnte Xander das selbstzufriedene Grinsen des Wachmanns förmlich spüren. „Wenn das so ist...", murmelte Hektor amüsiert. Mit fester Entschlossenheit drehte er sich um und ging auf das Bedienpult zu. Mit fast schon überheblicher Leichtigkeit begann er Befehle auf den klackernden Tasten zu tippen. Der Computer summte leise, während er routiniert die Daten verarbeitete. Nach und nach fuhren verschiedene Systeme, die im Standby-Modus waren, wieder hoch, und Xander fühlte sich etwas erleichtert, als er Hektor dabei zusah, wie er die Kontrolle über die Situation übernahm.
„Du kennst dich mit der Technik aus?" Xander war wirklich beeindruckt. Er hatte angenommen, Hektor sei nur ein einfacher Wachmann – groß und furchteinflößend. Nun belehrte ihn dieser eines Besseren. „Das war mal mein Arbeitsplatz", erklärte Hektor mit einem schelmischen Zwinkern. „Bis ich herausfand, dass man als Wachmann besser verdient als als Traumreiseführer." Xander brachte ein gezwungenes Lächeln zustande. So war das also.
„Okay, ich verrate dir jetzt ein Geheimnis, Xander", sagte Hektor, beugte sich zu ihm hinunter und legte verschwörerisch eine Hand auf seine Schulter. Xander spürte das Gewicht und sackte ein Stück zusammen. „Es gibt mehr als einen Eingang in die Oasis. Schon mal was von einem 'Hintertürchen' gehört?" Jetzt musste Xander glucksen. Das Prinzip eines Hintertürchens war ihm durchaus geläufig, aber er hatte nicht gewusst, dass es so etwas auch im Elysium Haven gab. Woher wusste Hektor davon?
„Ich habe eine Methode gefunden, zu simulieren, dass sich ein Träumender in seinem Traum anmeldet, ohne dass er physisch anwesend ist", erklärte Hektor stolz. Xander nickte beeindruckt. Die Sicherheitsvorrichtungen, die genau das verhindern sollten, mussten hochkomplex sein. „Wie hast du das geschafft?", fragte Xander fasziniert. Hektor lachte. „Das, mein Lieber, verrate ich dir nicht. Vielleicht, wenn wir beide sicher hier rausgekommen sind. Für den Moment ist nur wichtig, dass wir dich in einen Traum bringen, damit du Renard findest. Wenn du das wirklich willst."
Xander nickte entschlossen. Er musste dieses Rätsel lösen. Sein Ehrgefühl und seine Neugier ließen es nicht zu, jetzt einfach zu verschwinden und Mr. Harold schutzlos in der Traumwelt zurückzulassen. Während Hektor bereits alles für den Einstieg vorbereitete, wurde Xander nachdenklich. Was, wenn etwas schiefging? Was, wenn er nicht zurückkehren konnte? Hektor schien sein Zögern zu bemerken und fragte fast schon sanft: „Bist du sicher, dass du bereit bist?"
„Ich hatte wirklich Schwierigkeiten beim ersten Mal", gab Xander zu. „Wenn ich jetzt wieder in die Traumwelt gehe, musst du mich da rausholen, verstanden? Ich muss mich auf dich verlassen können, Hektor!
Der Wachmann nickte ernst. „Du hast versucht, mein Leben zu retten. Auch wenn das nicht ganz so reibungslos geklappt hat," neckte er, woraufhin Xander die Augen verdrehte. „Trotzdem schulde ich dir, dass ich dir helfe, zurückzukommen und auf deinen Körper aufzupassen. Außerdem bist du meine beste Chance, hier vor Montag rauszukommen. Spätestens morgen früh haben wir nämlich ein Problem. Ich werde richtig unausstehlich, wenn ich morgens nichts zu essen bekomme."
Xander lachte. „Leg dich nicht mit mir an, wenn ich keinen Kaffee habe!", drohte er gespielt. Hektor grunzte amüsiert. „Dann stehen wir ja auf derselben Seite. Also los!", drängte der Hüne. „Ich schicke dich jetzt wieder in die Traumwelt. Sei vorsichtig."
Xander setzte den Helm auf und ließ sich auf den Stuhl sinken. Den Namen, den Hektor ihm genannt hatte, kannte er nicht. Er wusste nur, dass er in Sektion L-M gelandet war. Mit etwas Glück würde er durch einen der Träume nah genug an den Punkt in der Oasis kommen, an dem sich die Tür von Mr. Harold befand. Auf diesem Weg war Xander noch nie in die Traumwelt eingestiegen, aber es war jetzt der einzige Weg hinein, da das Tor der Reiseleiter versperrt war.
„Wünsch mir Glück, Hektor!", bat er, als er den Gurt um seinen Bauch festzog. „Und hol mich zurück, wenn irgendwas schiefgeht oder ich dich rufe."
„Das mache ich!", versprach Hektor, den Xander jetzt über das Mikrofon in seinem Helm laut und deutlich hören konnte. Zum Glück kannte sich der Wachmann mit dieser Technik aus, sodass Xander sich nicht ganz so hilflos und allein fühlte. „Viel Glück!" tönte es aus dem Lautsprecher, und Xander machte sich auf den Weg. Zurück in den Traum einer Frau, die Mrs. Marlow hieß...
*Juli Prompt von @SteffiDa (Ja, es scheint hier ein Muster zu geben 😆)
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