🏈 Kapitel 3 🏈
Ich werde von einem unnachgiebigen, nervtötenden Klingeln geweckt. Brummend strecke ich die Hand aus und taste mit geschlossenen Augen über meinen Nachttisch nach meinem Wecker, um ihn auszuschalten. Aber ich bin noch so müde, dass ich den verdammten Ausschaltknopf nicht finde, weshalb ich ihn kurzerhand blind zu Boden schleudere. Es poltert kurz, dann ist es still.
Zufrieden ziehe ich mir die weiche Bettdecke über den Kopf und drehe mich auf die andere Seite. Es ist gerade so kuschelig und warm.
Leider schlafe ich wieder ein. Erst ein lautes Autohupen von draußen reißt mich erneut aus dem Schlaf. Kurze Zeit später läutet die Hausklingel Sturm.
Ich schlage die Augen auf. Ist Braden schon da? Verschlafen greife ich nach meinem Handy, das auf dem Nachttisch liegt. Mit einem Blick auf die Uhr bleibt mein Herz fast stehen. Es ist halb acht! In einer halben Stunde fängt die Schule an und Braden wartet draußen auf mich.
»Verdammt!«
Ich reiße die Bettdecke weg und springe so schnell aus dem Bett, dass ich beinahe über den kaputten Wecker und ein paar achtlos auf den Boden geworfene Klamotten gestolpert wäre. Fluchend fange ich mich wieder und sehe mich hektisch nach meinen Anziehsachen um.
Im selben Moment klopft jemand an die Tür und meine Mom steckt ihren Kopf ins Zimmer. Ihre Haare stehen zu allen Seiten ab und sie hat einen verschlafenen Ausdruck im Gesicht. Bestimmt hat sie das Läuten geweckt. Schuldgefühle überkommen mich, weil sie wegen mir aus dem Schlaf gerissen wurde.
»Avery? Braden steht vor der Tür.« Sie runzelt die Stirn, als sie meine Schlafshorts, das kurze Top und meine zerzausten Haare bemerkt. »Wieso bist du noch nicht fertig?«
»Ich habe verschlafen!«, rufe ich aufgelöst, während ich blindlings nach meiner Jeans greife, die über dem Schreibtischstuhl neben meinem Bett hängt.
»Ich gebe Braden Bescheid«, gibt meine Mutter zurück und verschwindet wieder. Die Tür lässt sie offen.
Fluchend schlüpfe ich in meine Jeans und ein T-Shirt, das in nächster Nähe liegt. In Windeseile putze ich meine Zähne. Da es dem strahlend blauen Himmel nach zu urteilen warm draußen ist, ziehe ich mir nur eine dünne Lederjacke über, ehe ich meine Tasche schultere und ohne Frühstück das Haus verlasse.
Ich stürme die Einfahrt zu Braden hinunter, der ungeduldig am Steuer sitzt. Das Haus hat er nicht betreten wollen, obwohl meine Mom es ihm angeboten hat. Er will meinem Dad nicht begegnen. Ein Stich bohrt sich in mein Herz, den ich jedoch schnell verdränge.
»Da bist du ja endlich«, begrüßt er mich.
Nachdem ich eingestiegen bin, küssen wir uns kurz, ehe er den Zündschlüssel herumdreht und losfährt.
»Sorry, hab schon wieder verschlafen«, murmle ich und lächle entschuldigend. »Du hättest nicht auf mich warten müssen. Wegen mir kommst du jetzt vielleicht zu spät.«
Er wirft mir nur einen kurzen Blick zu, ehe er sich wieder der Straße zuwendet. »Ist halb so wild. Ich habe Training mit den Jungs. Wenn ich ein paar Minuten zu spät komme, werden sie das schon verkraften.« Er zwinkert mir zu. »Außerdem habe ich dir versprochen dich jeden Tag abzuholen und ich halte meine Versprechen.«
Ich nicke nur dankbar, da ich viel zu müde für ein Gespräch bin. Schläfrig lege ich den Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Vielleicht kann ich ein wenig schlummern, bis wir an der Schule sind.
»Du verschläfst in letzter Zeit oft«, bemerkt Braden.
Ich zucke mit den Achseln, ehe ich mich mit vor der Brust verschränkten Armen tiefer in den Sitz sinken lasse.
Wenn ich ihm sage, dass es mich verletzt hat, wie er mich gestern stehen gelassen hat, ist er wieder beleidigt und ein beleidigter Braden ist schlimmer als ein wütender.
»So kenne ich dich gar nicht«, fährt er fort. »Ich habe es gestern schon einmal erwähnt; du veränderst dich und ich weiß nicht, ob mir das gefällt.«
Ich öffne die Augen wieder und setze mich aufrechter hin. »Was meinst du damit?«
»Dass ich mir Sorgen um dich mache«, erklärt er ernst. »Du lachst nicht mehr so wie früher, findest mich nicht mehr lustig. Wenn ich dir näherkommen will, blockst du ab. In letzter Zeit bist du sehr wortkarg, gleichgültig und verschläfst andauernd. Das passt nicht zu dir. Der Vorfall mit deinem Dad ist jetzt mehr als ein Dreivierteljahr her. Du darfst nicht in der Vergangenheit leben, Avery. Du musst nach vorne schauen.«
»Du hast keine Ahnung ...«, fange ich an.
Doch er unterbricht mich.
»Ja, habe ich nicht. Trotzdem finde ich, du solltest jetzt endlich mal einen Schlussstrich ziehen und wieder die alte Avery werden, statt dich selbst zu bemitleiden«, meint er.
Ich schnaube. Als ob das so einfach wäre. Mein Leben hat sich verändert. Ich habe mich verändert. Und mich mit der Situation abgefunden, das bedeutet jedoch nicht, dass ich mich schon daran gewöhnt habe oder es leichter geworden ist.
Mein Freund setzt den Blinker und rast auf den Parkplatz der Schule. Vor dem Gebäude sind kaum Schüler zu sehen, da in wenigen Minuten der Unterricht beginnt. Braden brettert mit höherer Geschwindigkeit als erlaubt über den Parkplatz. Dabei überfährt er beinahe den Jungen auf dem Fahrrad, der von rechts kommt und Vorfahrt hat.
»Braden, pass auf!«, rufe ich im selben Moment, als er scharf bremst und ich nach vorn geschleudert werde. Der Sicherheitsgurt schneidet unangenehm in meinen Bauch. Ich halte mich am Türgriff fest und schaue erschrocken nach vorn. Der Fahrradfahrer hat ebenfalls gebremst und steht jetzt quer vor dem Cabrio. Nur wenige Zentimeter und die Stoßstange von Bradens Auto hätte ihn erwischt. Aber er scheint unversehrt. Erleichtert atme ich aus. Zum Glück ist nichts passiert. Dennoch sitzt der Schock tief in meinen Gliedern. Mein Herz rast und meine Hände zittern.
Braden fängt sich schneller. »Pass doch auf! Hast du keine Augen im Kopf?!«, brüllt er den Fahrradfahrer an und schlägt mit der flachen Hand auf sein Lenkrad.
»Eigentlich hättest du aufpassen müssen«, beginne ich, verstumme jedoch, als Braden mir einen wütenden Blick zuwirft.
»Ach, jetzt kannst du auf einmal reden?«, fährt er mich an.
Seine Worte treffen mich. Ich öffne den Mund, um mich zu verteidigen, schließe ihn jedoch wieder.
Der Fahrradfahrer nimmt den Helm von seinem Kopf. Dunkelbraune, zerzauste Haare kommen zum Vorschein. Mein Herz bleibt stehen. Es ist Devyn, den Braden beinahe überfahren hätte!
Er mustert meinen Freund mit hochgezogenen Brauen. »Ich habe keine Augen im Kopf? Falls du es noch nicht bemerkt hast, steht da ein Vorfahrt-beachten-Schild. Demnach hätte ich Vorfahrt gehabt. Außerdem herrscht auf Parkplätzen Schrittgeschwindigkeit. Das hätte böse ausgehen können. Bist du sicher, dass du dir den Führerschein nicht erkauft hast?«, meint er und zwinkert uns zu, wenngleich seine Stimme leicht bebt und sein Gesicht aschfahl geworden ist.
Das bringt Braden erst recht in Rage. Er greift nach dem Türgriff, doch ich halte ihn zurück.
»Braden, nicht«, warne ich ihn und drücke seinen Arm.
Mein Freund fixiert Devyn zwischen zusammengekniffenen Augen. »Ich würde ihm am liebsten sein vorlautes, besserwisserisches Mundwerk polieren. Er hält sich für etwas Besseres! Man sollte ihn in seine Schranken weisen!«
Ich seufze und nehme meine Hand von seinem Arm, um sie auf die seine zu legen. Unsere Finger verschränken sich miteinander. »Lass dich von ihm nicht provozieren. Willst du eine Verwarnung kassieren und damit die Möglichkeit auf ein Stipendium verlieren? Das ist Devyn nicht wert.«
Meine Worte scheinen Braden zu beruhigen. Er atmet tief durch. Ein grimmiges Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Du hast recht. Er ist es nicht wert«, sagt er so laut, dass Devyn ihn hören kann. »Fahr jetzt endlich von meinem Auto weg oder du wirst noch dein blaues Wunder erleben!«
»Hast du nicht gerade gesagt, ich wäre es nicht wert? Du solltest dich mal entscheiden, Kumpel«, meint Devyn provozierend, woraufhin Braden seine freie Hand zur Faust ballt. »Und auf ein Wunder warte ich schon lange, aber ich fürchte, dass nie eins kommen wird«, fügt er noch hinzu.
Er grinst breit, aber der Tonfall seiner Stimme lässt mich aufhorchen. Die beiden sehen sich lange an. Etwas verändert sich in Bradens Miene. Er wirkt kurz traurig, doch dann setzt er eine arrogante kalte Maske auf, mit der er Devyn anblitzt. Dessen Augen huschen kurz zu mir, ehe er sich umdreht und sein Fahrrad zu den Fahrradständern neben dem Schuleingang schiebt.
»Er legt es darauf an!«, schimpft Braden fassungslos, lässt meine Hand los und fährt mit Schrittgeschwindigkeit in eine freie Parklücke.
»Pass einfach das nächste Mal besser auf«, gebe ich zurück. »Lieber zu spät als nie ankommen. Unachtsamkeit kann böse ausgehen. Devyn hätte schwer verletzt werden können, hättet ihr beide nicht rechtzeitig abgebremst.«
Braden senkt schuldbewusst den Kopf. »Es tut mir leid. Du hast recht. Ich bin so abgelenkt gewesen, dass ich ihn nicht habe kommen sehen. Ich habe mich total erschrocken.« Er macht eine Pause. »Ich muss andauernd über die Meinungsverschiedenheiten nachdenken, die wir in letzter Zeit immer häufiger haben.« Er grinst mich schräg an. »Wie wäre es, wenn wir nach der Schule was machen? Nur du und ich. Wir könnten zu mir fahren, meine Eltern kommen erst abends zurück. Wir wären ungestört. Wie klingt das?«
Ehe ich antworten kann, ertönt der Schulgong. Hektisch greife ich nach meiner Tasche. »Ich muss los, sonst verpasse ich Mathe!« Ich gebe ihm einen flüchtigen Kuss und springe aus dem Auto.
»Wir sehen uns dann nach dem Unterricht«, rufe ich und schwinge meine Tasche über die Schulter, während ich mich mit einem unguten Gefühl frage, was genau er vorhat. Für mich klingt es nämlich so, als würde er gern den nächsten Schritt gehen, obwohl er gestern noch meinte, er würde so lange warten, bis ich bereit dafür sei. Vielleicht interpretiere ich aber auch zu viel in seine Worte hinein.
»Ich liebe dich, Babe!«, ruft mir Braden nach.
Ich warte auf das wohlbekannte Magenkribbeln, das ich normalerweise verspüre, wenn er diese Worte zu mir sagt. Doch es bleibt aus. Ich fühle nichts. Nur eine beängstigende Leere in mir, die ich zu ignorieren versuche.
»Ich liebe dich auch«, gebe ich etwas verspätet zurück.
Frustriert haste ich an den Fahrradständern vorbei zum Eingang. Ich stoße die verglasten Türen auf und stürme durch den leeren Gang an den blauen Spinden vorbei. Fluchend schlittere ich ums nächste Eck, wo ich geradewegs gegen Devyns Rücken pralle. Nach Gleichgewicht suchend halte ich mich an seinen Schultern fest. Durch die Erschütterung fallen ihm seine Bücher aus der Hand und landen polternd auf dem Boden.
Als ich ihn loslasse, dreht sich Devyn vorsichtig zu mir um und ist mir plötzlich sehr nah. Zu nah. Ich spüre seinen warmen Atem auf meinem Gesicht. Sein Blick fängt den meinen auf. Ich kann wieder die braunen Sprenkel um die Pupillen seiner blaugrauen Augen erkennen. Wie bei unserem ersten Zusammenstoß damals in der Sporthalle steigt mir ein angenehmer Geruch nach Aftershave und einem Schuss Zitrus in die Nase. Wer hat bloß das Gerücht in die Welt gesetzt, dass er stinkt? Denn er riecht wirklich gut. Fast hätte ich mir die Hand an die Stirn geschlagen. Was denke ich denn da? Es kann mir egal sein, wie er riecht! Ich sollte wirklich früher ins Bett gehen.
»Avery?« Er hebt fragend die Brauen.
»Tut ... tut mir leid«, stottere ich überrumpelt. Ob von der Situation, die sich wie ein Déjà-vu anfühlt oder der plötzlichen Nähe zu ihm, weiß ich nicht. Und ich will es auch gar nicht herausfinden.
Schnell gehe ich in die Hocke, um seine Bücher aufzuheben. Devyn hatte wohl dasselbe vor, denn im selben Moment stoßen unsere Köpfe aneinander.
»Au!«, rufe ich und schwanke mir die pochende Stirn haltend zurück. Dabei lande ich unsanft auf dem Hintern.
Devyn ist sofort bei mir. Er kniet sich vor mich und hebt seine Hand, als würde er mein Gesicht berühren wollen. Doch er zögert. Schließlich lässt er sie wieder sinken. Stattdessen wandert sein Blick konzentriert über meine Stirn.
»Alles in Ordnung?«, hakt er unsicher nach.
Erst da wird mir klar, dass ich ihn anstarre. »Oh.« Ich schüttle den Kopf. »Tut mir leid.« Ich krabble auf allen vieren an ihm vorbei und greife nach seinen Büchern. Dann rapple ich mich auf. Devyn tut es mir nach.
Schweigend stehen wir voreinander und sehen uns an. Bevor die Situation noch unangenehmer werden kann, strecke ich meine Arme aus und drücke ihm seine Bücher in die Hand.
»Tut mir leid, dass ich in dich hineingelaufen bin. Und dass Braden dich beinahe überfahren hätte«, schiebe ich hinterher, weil ich es ernst meine und Braden sich bei ihm nicht entschuldigen wird. Das lässt sein Stolz nicht zu.
Devyn sieht mich überrascht an. »Du entschuldigst dich dafür, dass dein Freund mich fast überfahren hätte?«
»Ich ... Du hast doch jetzt auch Mathe bei Mrs Campbell, oder?«, wechsle ich das Thema, weil ich nicht weiß, wie ich Devyns Frage beantworten soll.
Verwirrt nickt er.
»Gut. Ehm ... Wir sollten los, bevor wir Ärger bekommen«, meine ich, weil mir nichts Besseres einfällt.
Devyn nickt nur. Schweigend laufen wir zu unserem Klassenzimmer. Es ist komisch, neben ihm herzugehen, da wir bis auf Partnerarbeiten in einem Kurs und dem Gespräch, als er noch Kapitän war, nie viel miteinander geredet haben. Vor der Klassenzimmertür bleibe ich zögernd stehen. Wir sind zu spät dran. Der Unterricht hat schon begonnen. Alle Aufmerksamkeit wird auf uns gerichtet sein, sobald wir eintreten. Was werden die anderen denken, wenn ich gemeinsam mit Devyn hereinkomme?
»Du solltest zuerst reingehen und ich warte noch ein paar Minuten«, meint er mit merkwürdig belegter Stimme.
Ertappt sehe ich ihn an. »Warum?«
»Liegt das nicht auf der Hand?« Er hebt die Brauen. »Du willst doch nicht mit Grusel-Devyn gesehen werden.«
»Woher ...«, stottere ich und werde rot.
»Ich weiß, was über mich geredet wird. Und bekomme ich es einmal nicht mit, sorgen deine Freunde dafür, dass ich es erfahre.« Er versucht locker zu klingen, doch ich höre die Verbitterung in seiner Stimme heraus. »Geh einfach vor mir rein. Du bekommst weniger Ärger, wenn ich derjenige bin, der noch später kommt.«
Verwirrt sehe ich ihn an. Obwohl er weiß, dass wir über ihn herziehen, will er mir helfen? Oder hat er dabei einen Hintergedanken?
»Außerdem kursieren an dieser Schule schnell Gerüchte«, fährt er mit erhobenen Brauen fort und schenkt mir ein zweideutiges Lächeln. »Sie könnten denken, wir hätten heimlich etwas miteinander, weil wir gemeinsam zu spät kommen. Das würde deinem tollen Ruf schaden und dein Herrchen nicht gerade sehr freuen.«
Meine Kinnlade klappt immer weiter herunter, während sich meine Wangen noch dunkler färben.
»Mein Herrchen?«, wiederhole ich ungläubig.
Devyn legt den Kopf schief, sodass ihm ein paar Strähnen seines dunklen Haars in die Stirn fallen. »So wie er dich manchmal behandelt, kommt es mir eher so vor, als wärst du sein Besitz. Fehlt nur noch, dass er dich an die Leine nimmt oder markiert.«
Wow. Er hat es wirklich geschafft, mich sprachlos zu machen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Vor allem, weil er in Bezug auf Braden recht hat. Er hat mit seinen Worten direkt ins Schwarze getroffen, doch die Genugtuung gönne ich ihm nicht.
Also hebe ich das Kinn, schließe den Mund wieder und erwidere seinen Blick. »Ich finde es sehr rücksichtsvoll von dir, dass du dir solche Sorgen um meinen Ruf machst«, wiederhole ich seinen Satz von gestern ein wenig verändert. »Aber ich bin mit Braden zusammen. Ich würde nie fremdgehen. Außerdem bist du nicht mein Typ und das wissen sie.«
»Autsch, das tut weh«, scherzt Devyn und fasst sich spielerisch ans Herz. »Wenigstens bin ich kein heiß begehrter Star-Footballkapitän mit XL-Kondomen, der andere fertig macht, um sich cooler zu fühlen, und dafür auch noch seine eigene Freundin benutzt.«
Damit hat er mich wirklich getroffen. Ich stolpere zurück, weil es wie ein Schlag ins Gesicht für mich ist. Wut kocht in mir hoch. Nicht nur auf Devyn, sondern wieder auf Braden und sein demütigendes Verhalten an der Kasse.
»Du denkst, du würdest mich kennen, aber das tust du nicht«, fahre ich ihn an. Meine Stimme bebt und meine Unterlippe zittert, doch das ist mir egal. Rasend vor Zorn will ich Devyn beweisen, dass er im Unrecht ist, obwohl er recht hat.
Also öffne ich die Klassenzimmertür. Mrs Campbell, unsere schmächtige Mathelehrerin mit einer Hornbrille auf der Nase und zu einem strengen Zopf gebundenen Haaren, bricht mitten im Satz ab. Sie steht vor der Tafel und hat sich der Klasse zugewandt. Als wir das Klassenzimmer betreten, stemmt sie die Hände in die Hüften und schürzt die Lippen. Die Klasse ist mucksmäuschenstill.
»Guten Morgen, Mrs Campbell. Entschuldigung für die Verspätung, aber es hat einen kleinen ... Zwischenfall gegeben. Das wird nie wieder vorkommen. Zumindest bei mir nicht«, beginne ich sofort.
Meine Wangen brennen, weil alle Blicke auf Devyn und mich gerichtet sind. Einige Schüler tuscheln bereits hinter vorgehaltenen Händen. Ich will gar nicht wissen, was sie sich jetzt wohl denken oder welche Gerüchte sie über Devyn und mich verbreiten. Ich hätte seinen Vorschlag einfach annehmen und zuerst eintreten sollen. Doch ich kann meinen Entschluss jetzt nicht mehr rückgängig machen, deshalb setze ich eine unbewegte Miene auf, als wäre alles ganz normal.
»Haben Sie denn keinen Wecker oder können Sie die Uhr nicht lesen? Sie sind sieben Minuten zu spät!«, schimpft Mrs Campbell, ohne auf meine Entschuldigung einzugehen.
Während ich gefolgt von Devyn zu den wenigen unbesetzten Tischen in der hintersten Reihe gehe, werfe ich einen Blick über die Schulter auf die Uhr über der Klassenzimmertür und tatsächlich: Wir sind genau sieben Minuten zu spät. Ich war noch nie zu spät!
Mrs Campbell funkelt uns böse an, als wir uns auf den freien Plätzen niederlassen. Dabei ignoriere ich weiterhin die neugierigen Blicke meiner Mitschüler und Sofia, die mir schräg gegenübersitzt.
»Es wird kein weiteres Mal vorkommen«, beteure ich, obwohl Devyn sich bestimmt wieder verspäten wird.
Automatisch setze ich mein einnehmendes Lächeln auf, mit dem ich die Lehrer bisher immer davon überzeugen konnte, ein Auge zuzudrücken oder mich wegen Cheerleaderangelegenheiten zu entschuldigen. Zumindest bis jetzt. Denn ich habe die Rechnung ohne meine Mathelehrerin gemacht.
»Ich mache keine Ausnahmen. Nachsitzen. Heute. Alle beide!«, donnert Mrs Campbell.
»Aber ...«, protestieren wir sofort, doch unsere Lehrerin lässt uns nicht zu Wort kommen.
»Es ist mir egal, ob Sie die Kapitänin des Cheer Squads sind«, wendet sie sich an mich. »Sie können so nett lächeln, wie Sie wollen.« Meine Mundwinkel fallen nach unten, Hitze steigt in meine Wangen. »Für alle Schüler gelten dieselben Regeln. Sie beide werden nachsitzen. Keine Diskussion! Sonst lege ich eine weitere Stunde drauf!«
»Das geht aber nicht!« Devyn lässt nicht locker. Er springt auf und stützt die Hände auf seinem Tisch ab. Flehend blickt er Mrs Campbell an. »Bitte.«
Ich beiße die Zähne zusammen. Es passt mir überhaupt nicht, dass sie uns wegen ein paar Minuten Zuspätkommen nachsitzen lässt, aber es wäre klüger, jetzt nichts mehr zu sagen. Warum fordert er sein Glück nur so heraus?
Mrs Campbell verschränkt die Arme vor der Brust und sieht ihn abwartend an. »Ach ja? Und warum geht das nicht? Klären Sie uns bitte auf, Mr Coleman.«
Niemand rührt sich. Alle starren Devyn an. Mrs Campbell hebt eine Braue und schürzt siegessicher die Lippen, als er den Mund öffnet und schließt. Frustriert lässt er sich auf seinen Stuhl fallen und starrt mit zusammengepressten Lippen auf seinen Tisch.
»Gut.« Mrs Campbell wendet sich wieder der Klasse zu. »Da das nun geklärt ist, können wir uns endlich den wichtigen Dingen widmen. Heute beginnen wir mit Statistik. Die Formeln werden euch später in manchen Berufen oder Studiengängen verfolgen, deshalb rate ich euch aufzupassen.«
Leichter gesagt als getan. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann mich nicht auf den Unterricht konzentrieren. Wie von selbst wandert mein Blick zu Devyn, der niedergeschlagen auf seinem Stuhl neben meinem hockt.
Plötzlich hebt er den Kopf und erwidert meinen Blick. Hitze kriecht in meinen Nacken und breitet sich in meinem ganzen Körper aus. Er macht mich ganz unruhig, aber ich will nicht die Erste sein, die den Blickkontakt abbricht. Als es mir dann doch unangenehm wird und ich mich wegdrehe, fällt ein zusammengeknickter Zettel von Sofia auf meinen Tisch. Stirnrunzelnd falte ich ihn auseinander.
Was tauschst du denn für komische Blicke mit Grusel-Devyn aus? Warum seid ihr beide zu spät gekommen? Zusammen???!
Am liebsten hätte ich sie einfach ignoriert. Doch weil ich weiß, dass sie nicht lockerlassen wird, und weil ich nicht will, dass sie mehr hineininterpretiert, antworte ich ihr:
Das Zuspätkommen ist ein einmaliger, zufälliger Ausrutscher gewesen. Lass uns diese Sache einfach vergessen. Ich will mit diesem Typen nichts zu tun haben.
Die restliche Stunde wage ich es nicht, Devyn anzuschauen. Dennoch spüre ich seine Blicke, die sich tief unter meine Haut brennen.
***
Nach der letzten Unterrichtsstunde finden wir uns in dem Raum ein, wo wir nachsitzen müssen. Wir sind zu fünft und sollen Matheaufgaben erledigen, die Mrs Campbell dem Aufsichtslehrer Mr Darson gegeben hat.
Dieser hängt mittlerweile halb in seinem Stuhl, den Kopf in den Nacken gelegt, den Mund halb geöffnet und schläft tief und fest.
Ungeduldig starre ich die Uhr an der Wand an. Warum können sich die Sekundenzeiger nicht schneller bewegen? Mein Blick fällt auf Devyn, der in Türnähe sitzt und den schnarchenden Lehrer mit zusammengekniffenen Augen anstarrt. Seine verletzenden Worte beschäftigen mich noch immer. Er glaubt, ich wäre oberflächlich. Und das war ich auch. Doch ich habe mich verändert. Es ärgert mich, dass er so schlecht von mir denkt, obwohl er mich nicht kennt. Dabei kann es mir egal sein!
Die drei anderen Nachsitzer – eine Mitschülerin und zwei Mitschüler, die ich nur vom Sehen her kenne – arbeiten schweigend vor sich hin. Nur das Ticken der Wanduhr, das gelegentliche Räuspern eines Mitschülers oder Rascheln eines Blattes, wenn es umgedreht wird, durchbrechen die Stille.
Devyn wiederum beobachtet weiterhin aufmerksam Mr Darson. Dieser rührt sich immer noch nicht. Lediglich sein großer Bierbauch hebt und senkt sich begleitend zu seinem leisen Schnarchen.
Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf Devyns Lippen und er schiebt seine Blätter, auf denen er nur herumgekritzelt hat, in seine Tasche.
»Was machst du da?«, frage ich ihn alarmiert.
Devyn dreht sich mit erhobenen Brauen zu mir um. »Nach was sieht es denn aus? Ich verschwinde.«
»Aber ... Wir müssen noch eine halbe Stunde nachsitzen?!«, protestiere ich.
Er schnaubt. »Ich musste schon öfter nachsitzen. Mr Darson hat einen tiefen Schlaf. Der checkt das sowieso nicht, wenn ich früher abhaue. Außerdem habe ich Besseres zu tun.« Wieder blickt er zur Uhr und sein Blick verfinstert sich, wird beinahe panisch. »Ich muss los.«
Er steht auf. Kurzerhand stopfe ich meine Unterlagen ebenfalls in meine Tasche und folge Devyn hinaus auf den Flur. »Du kannst doch nicht einfach abhauen!«
»Wie du siehst, kann ich. Und du, wie ich sehe, auch«, bemerkt er. »Unsere Vorbild-Cheerleaderkapitänin schwänzt das Nachsitzen? Du solltest dir lieber deinen Kopf untersuchen lassen. Nicht dass du ihn dir heute Morgen zu hart gestoßen hast.«
»Bei deinem Hohlkopf kann ich mir nicht viel gestoßen haben«, kontere ich. »Außerdem habe ich mich selbst dafür entschieden«, füge ich hinzu. »Eigentlich wollte ich dich wieder zurückholen.«
»Und dafür nimmst du deine Tasche mit?«, bemerkt er und nickt zu besagter Tasche, die ich mir über die Schulter geworfen habe.
»Ich ...«, beginne ich und breche ab. Mist. Er hat mich erwischt. »Es gibt eben Wichtigeres im Leben als Nachsitzen«, erkläre ich.
»Natürlich«, antwortet er und bleibt vor dem Ausgang zum Parkplatz stehen. »Dein edler Ritter XL-Romeo wartet in seinem blauen Bonzenross auf dich«, bemerkt er.
Mir klappt bei seinen unverschämten Worten der Mund auf. Vor allem, weil ich den unverkennbaren Spott in seinem Ton heraushöre. »Er ist nicht mein Romeo! Hör auf ihn so zu nennen! Und hör auf mit deinen Anspielungen! Lass uns diesen Vorfall im Supermarkt gestern einfach vergessen.«
Seine Lippen verziehen sich zu einem süffisanten Lächeln. »Uns? Ich habe gar nicht gewusst, dass es ein uns gibt.«
Ich stöhne auf. »Du bringst mich heute an meine Grenzen. Ich bin gerade so kurz davor zu platzen, ist dir das klar?«
Devyn grinst. »Ich habe dich nicht darum gebeten, mir nachzulaufen.«
»Ich laufe dir nicht hinterher!«
»Doch, das tust du gerade. Und heute Morgen bist du mir auch nachgelaufen«, gibt er grinsend zurück.
»Heute Morgen bin ich in dich hineingelaufen, das ist ein großer Unterschied«, korrigiere ich ihn wütend.
»So groß wie die XL-Gummis von deinem Freund?«, kontert Devyn herausfordernd.
Ich stöhne auf. Diesem Jungen ist nicht mehr zu helfen. Kopfschüttelnd ziehe ich den Riemen meiner Tasche, der von meiner Schulter zu rutschen droht, wieder zurück.
»Du bist unausstehlich!«, fluche ich, weil mir nichts Besseres einfällt.
»Und du überraschst mich«, antwortet er plötzlich ernst und mustert mich eingehend. Dann lächelt er wieder. »Ich habe schon gedacht, du sagst nur das, was die Leute hören wollen.«
Ich runzle die Stirn. Normalerweise bin ich immer vorsichtig mit dem, was ich von mir gebe. Doch Devyn hat mich heute zweimal dazu gebracht, geradeheraus zu sagen, was ich denke. Weil mir im Gegensatz zu meinen Freundinnen oder meinem Freund egal ist, was er von mir denkt. Weil ich nicht Angst haben muss, dass er mich danach nicht mehr mag oder mich auslacht, wenn ich ihm meine Meinung sage.
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