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Licht und Schatten

Skygate, 452 nach der Eroberung

Das Klopfen riss Vauraza aus dem Schlaf, als die Sonne noch hell durch die Ritzen zwischen den Läden schien. Staub tanzte in dem Lichtstrahl, und sie kniff die Augen zusammen, um sich vor der gleißenden Helligkeit zu schützen. Wie spät ist es? Mittag?  Genauso gut konnte es auch früher Abend sein. Sie hatte tagsüber keinerlei Zeitgefühl.

Auf der anderen Seite ihres Bettes wälzte sich Ash herum und vergrub das Gesicht in den Decken. „Du gehst", murmelte er verschlafen. „Sie haben nach dem Captain gerufen." Er war wieder eingeschlafen, kaum dass er diese Worte hervorgebracht hatte.

Schicksals ergebenerhob Vauraza sich von ihrem Lager und tappte zur Tür, vorbei an dem Vorhang, hinter dem Muria, Ravi und Kabir schliefen. Nachlässig nahm sie Ashs Seidenmantel und schnürte ihn mehr schlecht als recht über ihrem nackten Körper zu. Niemand weckt mich vor Sonnenuntergang. Farr darf es, aber es ist nicht Farr, der vor der Tür steht und nach mir ruft. Sie nickte Rina zu, ihrer Haushälterin, einer jungen Faroun mit sandfarbenem Gefieder und dunklen Augen. Die Spitzen ihrer schlanken Flügel schimmerten beinahe weiß, und trotz ihres Falkenkopfes und ihrer krallenbewehrten Hände und Füße schien sie erstaunlich friedlich.

„Ich habe gefragt, was sie wollen, doch sie lassen sich nicht wegschicken. Es ist wohl von äußerster Wichtigkeit", berichtete sie, ihre Krallen scharrten auf den hölzernen Planken unter ihren Füßen.

Vauraza nickte benommen und drängte sich an ihr vorbei zur Tür. „Was ist, Dammer?", bellte sie dem Dracon entgegen, der in der sengenden Sonne von Skygate stand. Die mit Stoffbahnen überspannte Gasse hinter ihm war beinahe leer, nur ein paar wenige andere Faroun huschten vorbei. Einige wandten sich ein wenig verwundert zu ihr um. Selten traf man einen Shacani bei Tageslicht an. Warum auch. Ich könnte mich übergeben, wenn ich das Licht nur sehe.

Dammerstal trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Captain, ich würde Euch nicht wecken, wenn es nicht etwas Wichtiges wäre...", begann er hastig.

Vauraza schnitt ihm das Wort ab. „Komm zu Sache. Mir geht es scheußlich bei diesem Licht. Wenn es wichtig ist, sag es mir!"

Der Dracon nickte, seine schwarzen Schuppen schimmerten bläulich in einem verirrten Sonnenstrahl. „Es ist Captain Varaqna."

Sein ängstlicher Tonfall dämpfte ihren Unbill und jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Was könnte mit Farr sein, dass es Aurus Dammerstal von Tyr solche Angst einjagt? Dammer ist ein adeliger Dracon, und er behauptet stets, nichts und niemanden zu fürchten. „Was ist los?", knurrte sie misstrauisch.

Dammer sah sie nicht an. „Er ist verletzt. Schwer verletzt."

„Wie schwer? Ich hätte gerne eine genauere Angabe", grollte sie. Sag mir, was das Problem ist, oder ich vergesse mich.

„Er hat ihm die Hälfte seines Schnabels weggerissen, mit einem einzigen Schwerthieb. Einen Teil seines Gesichts", berichtete er. „Er ist nicht tot, doch er liegt im Delirium. Wir haben ihn zu den Stummen gebracht, und er wird nun von ihnen behandelt."

Zorn wallte in Vauraza auf, und sie bleckte die Zähne in ihren Schakalkiefern zu einem lautlosen Knurren. „Wer war es?"

„Der Captain der Stolz der Sonne. Al-Massarah. Er hat begonnen, dich und unser Schiff zu beleidigen, in einer Taverne, und ein paar Männer unserer Crew haben uns natürlich verteidigt. Varaqna ist eingeschritten, bevor sie alle handgreiflich werden konnten. Al-Massarah ist wütend geworden. Sehr wütend." Dammerstal straffte die Schultern. „Sie haben zu den Schwertern gegriffen, und nun, du weißt, wie gut Al-Massarah kämpfen kann."

Der Meister der Farouni-Fechtwettkämpfe der letzten Jahre, seit er der Luftflotte beigetreten ist. Kein Faroun führt sein Schwert mit mehr Brutalität als er. Vauraza war ihm selten begegnet, ein paar wenige Male waren sie einander über den Weg gelaufen, und er hatte sie und ihr Schiff stets mit dem abfälligen Blick gestreift, den Adelige jenen von niedriger Geburt zuwarfen. Er war ihr stets unsympathisch gewesen, auch Farr hatte wenig gutes über ihn zu berichten gehabt.

Und nun hatte er Farr verletzt. So schwer, dass er bei den Stummen behandelt werden musste. „Wo ist Al-Massarah jetzt?", fuhr sie Dammer an, während der Zorn durch ihre Glieder peitschte.

Der Dracon zuckte mit den Schultern. „Zuletzt habe ich ihn in der Taverne gesehen. Nachdem er Varaqna das halbe Gesicht weggerissen hatte, haben wir ihn nur noch in Sicherheit gebracht. Ich wurde losgeschickt, um Euch von dem Vorfall zu unterrichten."

Vauraza sah an Dammer vorbei in die Lichtstrahlen, die durch die Lücken zwischen die Stoffbahnen über der Gasse fielen. Übelkeit wallte in ihr auf, wie jedes Mal, wenn sie ins Licht der Sonne sah, und sie richtete ihren Blick fest auf Dammers schwarze Schulter. „Ich finde diesen Sohn einer flügellosen Hure", knurrte sie. „Ich finde ihn, und ich bringe ihn um!" Ich lasse mir nichts gefallen, am wenigsten von diesem verfluchten, aufgeblasenen Emporkömmling von Massarah. Er hat Farr verletzt, und das ist eine größere Beleidigung für mich und ihn, als dass ich diesen elenden Massarah nun entkommen lasse.

Hinter ihr erklang das Geräusch von Shacani-Tatzen auf Holz, und kurz darauf spürte sie, wie Ash ihr eine Hand auf die Taille legte. „Sei leise, du weckst die Kinder", ermahnte er sie. „Was ist?"

„Massarah hat Farr angegriffen", berichtete sie und drängte sich an ihm vorbei zurück zu ihrem Bett, neben dem in einem unordentlichen Haufen ihre Kleidung lag, dazwischen ihre Waffen. Noch im Laufen löste sie die Schnüre des Mantels. „Ich werde ihn finden und ihn zur Rede stellen."

Ash hielt sie fest, als sie nach ihrem Harnisch greifen wollte. „Warte. Er bringt dich um, wenn du ihn jetzt, am helllichten Tag, angreifst."

Sie riss sich los und schlüpfte in das harte Leder. „Nicht, wenn ich ihn zuerst töte. Ich lasse es nicht zu, wenn jemand mich oder meine Crew so demütigt, Ash. Niemals."

„Raza. Du hast keine Chance gegen ihn. Du bist gut, vielleicht sogar besser als viele andere unserer Rassen, aber Massarah trägt nicht umsonst den Titel des Schwertmeisters. Er steht unter dem Schutz der Lichtlady, bei allen Schatten!" Er ergriff ihre Hände und sah ihr in die Augen. „Denk nach. Was könntest du tun? Ohne dich in Gefahr zu bringen?"

Ihr erster Impuls war, sich erneut loszumachen und hinauszustürmen, mit Schwert und Pistole, und Massarah sein gerechtes Schicksal zuteil werden zu lassen. Doch Ash hatte recht. Sie konnte nichts tun. Ermattet ließ sie zu, dass er sie fest in den Arm nahm und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. Ihr schwarzes, samtiges Fell strich über seines, und sie atmete seinen Duft ein, nach Sand und dunklem Holz, nach Ash. Nichts auf der Welt liebte sie so wie ihn. „Ich könnte... Lady Faridjah bitten, mit der Lichtlady zu sprechen", murmelte sie in seine Schulter. „Sie könnte versuchen, Massarah zu einer Entschuldigung zu bringen. Oder zumindest zu einem Duell der Ehre. Ich könnte gegen seinen Schattencaptain kämpfen, oder Farr gegen ihn selbst, wenn es ihm wieder gut geht."

Ash schauderte. „Ich hoffe, es kommt nicht zu einem Duell."

„Glaubst du nicht, ich könnte gegen seinen Schatten bestehen? Al-Duesh ist ein miserabler Kämpfer."

„Trotzdem." Ash drückte seine Nase an ihr Ohr und sog leicht Luft ein, und sie schlug sanft gegen seine Seite. „Ich habe immer Angst um dich, wenn du mit dem Schwert in der Hand gegen jemanden ins Feld ziehst. Duesh hat diese Äxte, und mit denen kann er umgehen."

Eine Entschuldigung von Massarah ist kaum ein gerechter Ausgleich für Farrs Verletzungen. Ein Duell schon eher... Duesh kann ich besiegen, sogar Ravi könnte es, und Ravi ist neun Jahre alt. Doch wenn Farr gegen Massarah kämpfen muss... Es hat einmal beinahe in Farrs Tod geendet, und es kann auch ein zweites Mal so enden. Einen Kampf zwischen ihr und Massarah selbst, das war etwas, dessen Ergebnis kaum zu erahnen war. Es würde wohl auf die Zeit ankommen. Bei Nacht hätte ich die Oberhand. Bei Tag dagegen... Vorsichtig löste sie sich von ihm. „Dann werde ich nun zu Faridjah gehen", beschloss sie.

„Lass Dammerstal gehen", bat er sie. „Die Lady wird zu dieser Zeit auch ihn akzeptieren. Du bringst dich nur um bei diesem Licht."

„Nein, ich...", begann sie, doch die Übelkeit in ihrem Magen brachte sie zur Vernunft. „Du hast schlagende Argumente", knurrte sie missmutig.

Er streifte ihr den Harnisch von den Schultern und reichte ihr seinen Mantel. „Sag Dammerstal, was er zu tun hat. Und dann komm zurück. Wenn die Sonne untergegangen ist, kannst du dich um alles kümmern."

Sie nickte, plötzlich erschöpft. Die Sorge um Farr kratzte beständig an ihrem Kopf, und ihre Machtlosigkeit ließ erneut den Zorn in ihr aufwallen. „Bei allen Schatten", murmelte sie und zog sich den Mantel über. Der weiche Stoff umspielte ihren Körper, und sie sah aus dem Augenwinkel, wie Ash sie anlächelte. Seine Zähne leuchteten weiß im Halbdunkel. „Ich bin gleich wieder da."

Dammerstal wartete immer noch vor der Tür. Rina wechselte ein paar Worte mit ihm, doch sie zog sich unauffällig zurück, als Vauraza auf den Dracon zuschritt. „Dammer, geh zu Faridjah und bitte sie, mit der Lichtlady zu sprechen. Vielleicht kann sie Massarah dazu bringen, sich bei mir und Farr zu entschuldigen." Eine Entschuldigung, wie hilfreich sie bei seiner Verletzung sein wird. „Oder wir können um ein Duell der Ehre bitten. Zumindest bin ich nicht willens, mir Massarahs Demütigung einfach gefallen zu lassen, oder es gar zu vergessen."

Der Dracon nickte.

„Wenn die Nacht anbricht, werde ich zum Tempel der Stummen gehen und mich nach Farr erkundigen. Sobald ich von dort zum Schiff zurückkehre, hätte ich gerne eine Antwort. Ob von Faridjah, der Lichtlady oder Massarah, ist mir egal. Nur eine Nachricht, was sie mir bieten." Sie atmete tief durch. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, doch selbst direkt zur Lichtlady zu gehen, ihre Wachen beiseite zu schleudern und ihr ins Gesicht zu brüllen, was ihr geliebter Captain al-Massarah getan hatte, doch Ash hatte recht. Am Tag war sie stets im Nachteil. Natürlich hatte sie im Zuge ihrer Ausbildung gelernt, den Tag zu ertragen, doch es fühlte sich stets falsch und entsetzlich unangenehm an, zu dieser Zeit wach zu sein. Als würde die Sonne alles dafür tun, um sie wieder auf ihr Lager zu schicken. Der Tag den Faroun, die Nacht den Shacani. So wollen es die Gesetze von Licht und Dunkel. „Viel Glück, Dammer."

Dammerstal nickte ihr zu. „Captain." Elegant wandte er sich um und nahm Anlauf, und mit wenigen Flügelschlägen erhob sich der Drachenkrieger in die Lüfte, umkurvte geschickt die Stoffbahnen und verschwand im Himmel über Skygate.

Vauraza schloss die Tür, kehrte zurück zu ihrem Bett und ließ sich von Ash festhalten. Obwohl allein seine Anwesenheit beruhigend war, konnte sie nicht schlafen. Die Sorge um Farr hielt sie wach, und selbst als sie schließlich wieder aufstand und die Kinder beobachtete, wie Muria ihre Decke von sich geworfen hatte, wie sie es immer tat, wie Ravi bis zu den Spitzen seiner Ohren unter seiner eigenen Decke verschwunden war und Kabir zu einer Kugel zusammengerollt dalag, mit einem stümperhaft zusammengenähten Drachen in den dünnen Armen, konnte sie der Anblick immer noch nicht zur Ruhe bringen.

Sie erwachte, als eine kleine Hand sie in den Arm kniff.

„Kabir, du darfst ihr nicht weh tun!", hörte sie Murias Stimme.

Ein kleiner Junge lachte aufgedreht. „Ich tu ihr nicht weh. Sie ist schon groß, und wenn man groß ist, kann einem niemand mehr wehtun."

Kabir, mein Schatz, wenn es doch so einfach wäre. Vauraza öffnete die Augen und blickte in das Gesicht ihres jüngsten Sohnes. Muria stand neben ihm und versuchte, ernsthaft auszusehen. Meine Älteste. Versucht immer, die Oberhand zu behalten. Sie kommt ganz nach ihrer Mutter. Stellt sich nur die Frage, ob das gut oder schlecht ist.

Kabir grinste und zeigte seine kleinen, spitzen Zähne. „Sie ist wach!", verkündete er laut, stieg über ihre ausgestreckten Beine hinweg aus dem Zimmer und verschwand in der Küche.

Vauraza erhob sich, streckte sich und verzog schmerzerfüllt das Gesicht. Ich bin zu alt für Nächte im Türrahmen. Da sind die Kinder einmal alt genug, um ohne Angst vor Monstern unterm Bett zu schlafen, und schon muss man selbst vor Monstern beschützt werden.

Muria beobachtete sie. „Ich habe dich am Tag gehört", sagte sie.

Vauraza lächelte. „Du hörst auch alles, oder?"

Ihre Tocher lächelte verlegen. „Hast du Streit mit jemandem auf dem Schiff?"

„Mit jemandem, der Farr verletzt hat, und leider liegt dein Bruder falsch. Farr ist groß, und man hat ihm trotzdem weh getan."

Muria starrte sie an, die dunklen Augen weit aufgerissen. „Und was wirst du jetzt tun?"

Vauraza spürte, wie sich ihre Lippen zu einem Lächeln kräuselten. Obwohl ihr der Tag noch in den Knochen saß, kitzelte sie Muria, und das Mädchen wand sich kichernd in ihrem Griff. „Ich werde das tun, was ich mit jedem mache, der jemandem weh tut, den ich gern habe."

Muria sah sie an. „Was denn?"

Vauraza verzog das Gesicht zu einer finsteren, übertriebenen Grimasse. „Ich werde mit ihm schimpfen, sodass er es nie wieder wagen wird!"

Muria lachte laut. „Der wird sich nie wieder trauen, Farr böse anzusehen", behauptete sie.

Vauraza lächelte sie an und schickte sie ihrem Bruder hinterher. Wenn ich wirklich mit Massarah fertig bin, wird er nicht mehr imstande sein, überhaupt jemanden anzusehen. Statt ihr in die Küche zu folgen, trat sie in ihr Zimmer und kleidete sich an. Eine weite, knöchellange Hose, der Harnisch, der ihren Oberkörper von den Brüsten abwärts umschloss, darüber eine knielange Weste aus schwerem Brokat, und zuletzt der Schmuck, den Ash ihr geschenkt hatte. Sie schnallte sich ihre Waffen um, Pistole, der gekrümmte Dolch, den sie von ihrem Vater geerbt hatte, und das lange, schmale Schwert. Ihre Lieblingswaffe.

Ash sah auf, als sie durch den Wohnraum zur Tür schritt. „Du willst schon weg?", fragte er. Die Kinder sahen sich um. Ravi nutzte die Gelegenheit, um etwas von Kabirs Teller zu stehlen.

„Ravi, gib es zurück", wies Vauraza ihn an. „Aye, ich gehe schon. Ich muss nach Farr sehen, sonst fresse ich mich selbst auf."

Ravi machte ein angeekeltes Geräusch, doch gab sein Diebesgut brav zurück.

„Pass auf dich auf", sagte Ash.

Sie nickte. „Immer doch."

Kaum hatte sie das Haus verlassen, beschleunigte sie ihren Schritt. Sobald ich aus der Tür trete, bin ich nicht mehr Vauraza, sondern Captain Bekanash. Faszinierend, wie man mehrere Personen in einem Körper sein kann. Der Nachtwind strich ihr lauwarm und nach Sand duftend übers Fell, und der Rachedurst überfiel sie plötzlich mit aller Macht. Jetzt, nach dem Untergang der Sonne, fühlte sie sich so lebendig, als könnte sie es mit der ganzen Welt aufnehmen. Wenn Massarah mir jetzt über den Weg läuft, kann keine Entschuldigung der Welt mich aufhalten.

Die dunklen Straßen auf dem linken Ufer des Kerr waren laut und belebt. Händler und Marktschreier erfüllten die Luft mit ihren Rufen, Shacani, Krieger und einige wenige Menschen bevölkerten die Gassen. Sie sah einen einzigen Faroun, schlafend und betrunken vor einer Taverne, aus der die Musik der Spielleute drang. Obwohl der Grund ihres Ganges durch die Straßen derart finster war, wagte sie einen kleinen, übermütigen Sprung im Takt, und wünschte sich Ash an ihre Seite.

Sie erreichte die Brücke, eine von acht über den Kerr, und blickte hinüber auf die spärlich beleuchteten Straßen des rechten Ufers. Schlanke weiße Türme erhoben sich über dem Meer aus Häusern aus hellem Stein, weißblau glühend im Licht des Mondes, ein Ebenbild der schwarzen Türme und dunklen Gebäude auf dem linken Ufer. Shacani-Wachen durchstreiften die Gassen, so wie es die Faroun am Tag auch auf der linken Seite taten, doch bis auf sie waren die Straßen leer und hallten bei jedem noch so leisen Schritt. Das leise Klirren ihrer Waffen und der goldenen Ketten, die sie trug, das Knirschen von Leder und ihr eigener Atem schien plötzlich unangenehm laut.

Der Tempel der Lichts war ein Monument aus weißem Marmor. Reliefs zeigten die Mythen der Herrschaft und Licht und Dunkel, Sonne und Mond, Faroun und Shacani. Vauraza vollführte eine schnelle Verbeugung und murmelte eine Bitte an Licht und Dunkel, überquerte den Vorplatz und klopfte an die kleine Pforte neben dem Tor, das in den Tempel hinein führte.

Ein vernarbter Shacani starrte ihr entgegen. „So früh in der Nacht, und schon die ersten Besucher. Was braucht Ihr?"

„Farr Varaqna wurde heute zu euch gebracht. Ich will nach ihm sehen." Vauraza hakte ungeduldig die Daumen in den Gürtel.

„Und Euer Name?"

„Captain Vauraza Bekanash. Von der Lady Yasifa."

Ein Schlüssel klirrte, und das Schloss öffnete sich knirschend. „Er", der Shacani wies auf einen jungen Faroun, kaum älter als Muria, in einer langen, wallenden Robe, „wird Euch führen."

So oft Vauraza schon im Tempel des Lichts und dem Hospital der Stummen gewesen war, es war ihr immer noch ein wenig unheimlich. Es herrschte beinahe Totenstille, nur unterbrochen von den Atemzügen der Kranken auf ihren Lagern. Faroun standen in Gruppen zusammen und unterhielten sich durch komplizierte Gesten, ohne einen einzigen Ton von sich zu geben. Laternen und Fackeln warfen flackernde Schatten auf die kahlen Sandsteinwände.

Der Novize führte sie zu einem Lager, eines von hunderten Identischen. „Dort ist Master Varaqna."

Vauraza nickte stumm, ihre Eingeweide schienen sich zusammenzuballen. „Bei allen Schatten." Wenn ich Massarah erwische, reiße ich ihm seine Flügel einzeln ab.

Farr Varaqnas Gesicht war beinahe vollständig verborgen unter weißen Stoffbahnen, befleckt mit rotem Blut. Die Spitze seines Schnabels fehlte, die linke Hälfte war durch einen gezielten Hieb abgetrennt worden. Er bewegte sich nicht, und für einen panischen Moment lang dachte sie, er sei tot. Doch dann sah sie, wie seine Brust sich hob und senkte, so leicht, dass sie es kaum erkennen konnte.

Sie sah den Novizen an. „Wie sieht er... darunter aus?"

„Ich werde es nicht entfernen können", sagte er. „Doch sein Gesicht ist stark beschädigt. Die Haut und Teile des Fleisches darunter wurden abgetrennt, bis kurz vor seinem Auge." Er wies auf die beschriebene Fläche. „Der Heiler hat ihm ein Mittel eingeflößt, das die Schmerzen lindert und die Heilung erleichtert. Er wird schlafen, vermutlich für mehrere Tage."

„Wird er sprechen können?"

Der Novize nickte. „Es wird anfangs schmerzen, doch sobald die Heilung besser fortgeschritten ist, wird es sich legen. Ebenso ist es mit dem Essen. Doch zunächst braucht er Ruhe." Er bedachte sie mit einem milde missbilligenden Blick.

Vauraza überging ihn. Farr war ihr wichtiger als die Meinung eines grünen Jungen, der sich der Heilkunde und der Herrschaft von Licht und Dunkel verschrieben hatte. Farr wird schnell genesen, selbst wenn sie ihn entlassen. Seine Ausbildung bei den Stummen hat ihn einiges gelehrt, was ihm noch sehr nutzen wird. Schweigend sah sie auf ihn hinab, doch wagte es nicht, ihn zu berühren. Schließlich sah sie auf. „Wenn er aufwacht, sagt ihm, ich wäre hier gewesen. Wer ihm das angetan hat, der wird es bereuen."

Der Novize nickte zweifelnd, doch beließ es dabei.

Vauraza warf einen letzten Blick auf den schlafenden Faroun. Beinahe hoffte sie, dass Massarah sich nicht auf eine diplomatische Lösung einigen wollte. Zu sehr kratzte die Mordlust in ihren Händen.

Sie ließ sich von dem Novizen zur Pforte zurück bringen, und verschwand mit einem letzten Gruß in der warmen Wüstennacht. Nun, zum Schiff.

Zielstrebig lief sie durch die weißen Gassen, vorbei an verschlossenen Türen, einer einzigen, geöffneten Taverne, spärlich besucht und dennoch hell erleuchtet, und an Shacani-Wachen in schwerer Rüstung, die Schakalköpfe unter silbernen Masken verborgen. Hellebarden glänzten im Mondlicht. Sie nickte ihnen freundlich zu. Einige von ihnen kannte sie, manche leider durch ihr eigenes Zutun. Nun, nicht nur einmal musste Ash ein paar Kreuzer dafür ausgeben, um mich aus den Zellen der Festung zu befreien. Aber diese Zeiten sind vorbei. Seit es Kabir gibt.

Sie überquerte eine weitere Brücke, und betrat die Insel der Schiffe, eine flache, mit steinernen Bodenplatten bedeckte Fläche, die sich aus den schlammigen Fluten des Kerr erhob. Niedrige Steingebäude säumten den Platz in der Mitte, an den Ufern standen Lagerhäuser und nahmen die Ströme von Waren auf, die die Schiffe, Karawanen und Luftschiffe nach Skygate brachten. Weitere Arbeiter brachten Kisten, Stoffballen und Fässer zu den Schiffen, die sich auf ihre langen Reisen in alle Richtungen machten, hinein in die Wüste, nach Norden zu den Vereinigten Königreichen, und in den fernen Süden, wo die Wolfsbruderschaft regierte.

Zu jeder Tages- und Nachtzeit herrschte augenscheinliches Chaos auf dem Platz. Kapitäne und Arbeiter gingen ihren Tätigkeiten nach, Soldaten und Händler beobachteten das Treiben, Diebe und Huren schlenderten durch die Menge und suchten nach Beute. Vauraza bahnte sich ein Weg durch die Menge, vorbei an Luftschiffen, fest an Ringen im Boden vertäut, an Kolonnen von Wagen, die Handelsgüter von der Insel fortbrachten, auf ein schlankes Luftschiff zu. Die Lady Yasifa ähnelte einer Fregatte, ein kleiner, flinker, jedoch schwer bewaffneter Dreimaster, eingeklemmt zwischen einem gigantischen, bauchigen Handelsschiff und einer Galeone, über der die schwarze Flagge des Schattenlords flatterte. Etwas weiter entfernt konnte sie die Stolz der Sonne erkennen, die dem dunklen Schiff in nichts nachstand. Wenn Massarah tot wäre, könnte ich sicher sein Schiff übernehmen, sinnierte Vauraza. Die Galeone war das, was ihrem Traum von einem Schiff am nächsten kam. Ich und Farr sind ohne adelige Herkunft, und wir wären die Herren über eine verfluchte Galeone. Was wäre das für ein Bild.

Sie betrat ihr eigenes Schiff, die Planken klangen dumpf unter ihren Tatzen. Ein paar der Männer grüßten sie, eine Gruppe Krieger ließ hastig ein Würfelspiel und ein paar Münzen verschwinden, doch Vauraza beließ es bei einem warnenden Blick. Sie würde sich ihrer später annehmen.

Dammerstal trat ihr entgegen, als sie vor der Tür ihrer Kajüte stand. „Captain."

Sie sah ihn prüfend an. „Ich hoffe, du bringst mir bessere Nachrichten als die Stummen."

Der Dracon riss die Augen auf. „Geht es dem Captain schlechter?"

„Er schläft wie ein Stein, vollgestopft mit Drogen." Sie betrat ihre Kajüte und winkte Dammerstal hinter sich her. Schwer ließ sie sich in den Stuhl hinter ihrem Tisch nieder, griff nach der Flasche Wein unter ihren Tisch und einem verbeulten Becher und schenkte sich ein. „Was hast du zu berichten?"

Dammer starrte sehnsüchtig auf den Becher. „Faridjah hat mit der Lady gesprochen."

„Heute schon?", hakte sie überrascht nach.

„Aye. Faridjah hat ihr Anliegen vorgetragen, die Lady zeigte sich empört, Massarah hat davon erfahren, und alles, was er getan hat", Dammerstal verzog das Gesicht, „war, zu lachen. Er hat behauptet, sein Handeln erfordere keine Entschuldigung, und schon gar kein Duell der Ehre. Im Gegenteil, er würde sich selbst beschmutzen, wenn er gegen solche wie Euch und Varaqna kämpft. Er weigert sich, einzusehen, warum unserem Captain das Gesicht wegzuschlagen ein Verbrechen darstellt." Angewidert verzog er das Gesicht.

Oh, die Arroganz der Adeligen. Wie ich sie liebe. Zu Zeiten der Kadetten, dort waren wir alle gleich, ein paar Shacani und ein paar Faroun, die versuchten, auf einem Luftschiff zu überleben, während um uns herum ein Gewittersturm tobt und die Ausbilder uns anschreien. Aber kaum haben sie eine hohe Position eingenommen, werden sie so arrogant, dass sie den Boden unter ihren Füßen nicht mehr sehen können. „Und die Lichtlady? Sieht sie es ebenso?"

„Sie behauptet anscheinend, wir sollten es unter uns regeln." Dammerstal klang zufrieden.

Vauraza sah ihn scharf an.

Er zuckte mit den Schultern. „Bei allem Respekt, Captain, wir sind alt genug, um unsere Probleme selbst aufklären zu können. Sie hat nicht unrecht."

Sagst du, Dammer, zu mir, die fast zehn Jahre älter ist als du. Sie schnaubte verächtlich. „Du hast recht. Allerdings reden wir hier von einem Mann, der sich wie ein Kind weigert, eine einfache Entschuldigung auszusprechen." Wenn eines von meinen Kindern sich weigert, muss ich nur ein warnendes Wort sagen, und sie benehmen sich wieder. Wenn es mit Massarah doch genauso einfach wäre.

„Ich glaube jedoch nicht, dass die Angelegenheit mit einer einzigen Entschuldigung getilgt wäre", warf Dammer ein. „Und ich denke auch, dass Massarah es auch weiß."

Vauraza verdrehte die Augen. Er hatte recht. Selbst nach einer Entschuldigung würde sie kaum ruhen. Gewissermaßen kommt mir seine Weigerung gerade recht.

„Nun." Dammerstal sah sie erwartungsvoll an. „Was werdet Ihr tun?"

„Massarah muss sterben." Möglichst schmerzvoll. „Da weder ich noch Farr stark genug sind, um ihn zu bezwingen, müssen wir jemanden hinzu ziehen, der sich in seinem Fach auskennt."

Dammer starrte sie skeptisch an. „Meinst du das ernst?"

Sie zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Was spricht schon dagegen? Du weißt, was wir noch vor ein paar Jahren getan haben."

„Und wenn die Lady es herausfindet?"

„Selbst wenn, sie weiß, wer wir sind. Wer wir waren. Und selbst Faridjah kann es nicht zulassen, dass Massarah Farr etwas antut und nicht zur Verantwortung gezogen wird."

„Und die Lichtlady? Sie ist Massarahs Protektorin, sein Tod wird ihr nicht gefallen."

Vauraza knurrte leise. „Sie sagt, wir sollen es unter uns lösen. Das werden wir tun."

„Ich glaube kaum, dass sie es so gemeint hat."

„Aber wir können es so verstehen und sind aus dem Schneider." Sie grinste diabolisch.

„Captain..." Dammer schien nicht überzeugt.

„Genug, Dammerstal. Ich will Massarah tot sehen." Vauraza leerte ihren Becher und blickte ihn eindringlich an.

Schicksalsergeben senkte er den Blick. „Nun, Captain. Dann werdet Ihr Euch umsehen müssen. Gab es nicht einst... einen Orden von Assassinen in Skygate?"

Sie schnaubte amüsiert. „Das war einmal. Heute sind sie Ärzte, Dämonenbeschwörer, so wie Farr und sein Lieutenant es ist, und Alchemisten. Du bist ein Adelsspross der Kriegerstaaten, Dammer, so etwas solltest du wissen!"

Der Dracon schnaubte. „Ich habe mich nie für die Gelehrtenfächer interessiert. Die Assassinen sind also längst nicht mehr das, was sie einst waren?"

„Aus einer sicheren Quelle weiß ich, dass die Stummen zwar all das erforschen, was sie einst so berühmt gemacht hat, aber es nicht mehr dafür nutzen, um zu schaden. Nur in... Fällen, in denen das Wohle Meracons davon abhängt, lassen sie sich noch zu einem Auftragsmord herab, und unsere kleine Fehde ist kaum eine Angelegenheit des Reiches."

„Das erschwert unseren Plan natürlich. Und nein, Captain, auch ich als Adeliger Subats kenne niemanden, der für uns jemanden des meraconischen Adels umbringt, nur weil wir es wollen. Noch dazu jemanden, der unter dem Schutz der Lichtlady steht."

Vauraza seufzte. „Welche Schande. Ich könnte Massarah natürlich herausfordern."

„Dann wäre es an ihm, Ort, Zeit und Waffen zu wählen, und er würde die Mittagssonne wählen. Ihr hättet verloren, bevor er auch nur sein Schwert zieht."

Sie knurrte wütend. Er hatte recht. Wie so oft.

„Captain, eine Möglichkeit gibt es jedoch."

Sie sah ihn an.

„In Alpha Centauri gibt es eine mächtige Handelsunion, erinnert Ihr euch? Die Rhymer Corporation. Wir haben einst Waren von ihnen an Bord gehabt."

„Aye. Und, was sollen sie uns bringen?"

„Es heißt, die Rhymers haben für jegliches Problem eine Lösung. Vielleicht auch für das unsere."

„Als ich ihn zuletzt sah, erschien Mr Rhymer mir nicht als jemand, der für Gold tötet."

„Er nicht. Aber er hat Geld, und es heißt, seine Augen seien überall. Vielleicht kennt er jemanden, der Massarah für uns umbringt." Dammer verzog das Gesicht. „Bei allen Flammen, ich kann kaum glauben, dass ich Euch dabei helfe."

„Du bist ein guter Erster Offizier, es ist nur deine Pflicht, den Captain bei allen Dummheiten zu unterstützen." Sie grinste aufreizend. „Und du denkst, man kann Rhymer vertrauen."

Er lächelte schief. „Vertraue niemals einem Zentauren. Doch was sollen wir sonst tun? Egal, was wir haben, Massarah hat mehr. Ein größeres Schiff, eine größere Crew, die mächtige Gönnerin."

Ich könnte versuchen, über lange Sicht dafür zu sorgen, dass Massarah bezahlt. Doch sie wusste, dass es zu unsicher war. Und ich bin zu ungeduldig fürs Warten. Er soll sterben. Das ist es, was ich will. „Mach meinen Drachen bereit. Ich fliege nach Alpha Centauri." Er nickte und erhob sich. „Ich werde Ash sagen, was ich vorhabe, und ein paar Sachen zusammen suchen. Und, Dammer?"

„Aye?"

„Draußen waren ein paar Glücksspieler, die Gruppe, die um Hamilton unter dem Großmast saß."

„Ich habe sie gesehen."

„Lass sie den Laderaum aufräumen, schrubben und von Ratten befreien."

Er schnaubte amüsiert. „Aye, Captain."

Ash schien nicht im Geringsten begeistert, als sie ihm von ihren Plänen berichtete, doch er versuchte nicht, sie aufzuhalten. „Wenigstens endet es nicht damit, dass du kämpfen musst", meinte er nur.

Zu gerne hätte ich selbst für Massarahs Tod gesorgt. Aber Dammer und Ash haben recht. Es ist sicherer so. Selbst wenn es mir ein wenig widerstrebt, jemanden hinzuzuziehen, der mit der Sache nichts zu tun hat. „Pass gut auf die Kinder auf, ja? Ich bin in spätestens in drei Nächten wieder da."

Wortlos zog er sie zu sich heran um schlang seine Arme so fest um sie, dass ihre Rippen protestierten. Sie erwiderte die Umarmung. „Komm bald zurück. Und lass diesen Drachen dich nicht schon wieder beißen."

Sie schnaubte gegen seine Schulter. „Als er es zuletzt gewagt hatte, mich zu beißen, habe ich ihm danach ein paar Zähne ausgeschlagen. Er hat gelernt, was er darf und was nicht."

Kurz verharrten sie, und für einen Moment war Vauraza versucht, nicht doch Dammer nach Alpha Centauri zu schicken. Aber nein. Das ist von zu großer Bedeutung, als dass ich meinen Ersten Offizier vorschicke, und wenn ich ihm noch so sehr vertraue. Sie löste sich von Ash und ließ sich von ihm den schweren, dunklen Mantel reichen, den sie tragen würde, sobald die Sonne aufging. „Ich werde mich beeilen", versprach sie und trat hinaus in die Nacht, wo Dammerstal bereits mit dem Drachen wartete. Die Kinder starrten beeindruckt auf das Tier, eine schwarz und gelblich gescheckte Kreatur mit langem Hals und zwei Flügelpaaren. Ketten, Lederriemen und ins Fleisch getriebene Ringe formten ein festes Geschirr um Kopf und Körper des Drachen.

Als sie näher kam, hob er zischend den Kopf und riss an den Ketten, eine bläuliche Flamme schoss aus seinen leicht geöffneten Kiefern. Schwarze Zähne glänzten im Mondlicht. „Ich habe dich auch vermisst", murmelte Vauraza, stieg in den Sattel am Halsansatz und ließ sich von Dammerstal die Zügel reichen.

„Einen guten Flug, Captain", wünschte er ihr.

Sie zog die Zügel straff und drückte dem Drachen die Hacken in die Seiten. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Kabir winkte, und sie hob eine Hand, dann zog sie die kurze Harpune aus der Halterung am Sattel und klopfte dem Drachen leicht auf die Schultern. Über ihr wichen die Stoffbahnen über der Gasse dem freien Himmel, und als sie einen kleinen Platz erreichte, der dem Drachen erlaubte, die Flügel auszustrecken, nutzte sie die Gelegenheit. Mit einem kräftigen Sprung schwang der Drache sich in den Himmel, Skygate schrumpfte zu einer scheinbar winzigen Ansammlung aus Häusern und Hütten zusammen. Die Türme stachen wie Speere in den Nachthimmel, die Fackeln leuchteten wie tausende Sonnen. Um die Stadt herum erstreckte sich ein schier endloses Meer aus Sand, Dünen, ein paar felsige Hügel in der Ferne, durchschnitten vom Kerr, ein silbern schimmerndes Band, gesäumt von Büschen und Bäumen.

Entschlossen trieb sie den Drachen an und lenkte ihn nach Norden.

Als sie landete, kroch die Sonne bereits über die Wipfel des Waldes von Hiron. Schiffe schaukelten sanft auf dem Wasser des Meeres, die Docks erwachten zum Leben, Zentaurenhufe klapperten laut über die Erde. Vauraza fühlte sich wund und erschöpft von ihrem Ritt, und auch ihr Drache machte keinerlei Anstalten, den misstrauischen Zentauren nachzujagen. Ihre Beine gaben beinahe unter ihr nach, als sie vom Rücken des Drachen rutschte. Bei allen Schatten, ich bin viel zu lange nicht mehr geritten. Die Geschäfte liefen stets gut genug, als dass ich einen Abstecher machen musste. Sie fesselte seine Flügel und kettete seine Kiefer so fest aneinander, dass er ihn nicht mehr bewegen konnte, und führte ihn zu einer mit Ringen versehenen Wand. Weitere Drachen und Greife, sogar ein paar Halbeinhörner, standen bereits davor, dösend in den ersten Strahlen der Sonne. Die Luft war frisch und roch nach Meersalz, totem Fisch und nach den Tieren.

Trotzdem sehnte Vauraza sich nach der Dunkelheit der Nacht zurück. Selbst die Morgensonne schmerzte in ihren Augen, und sie zog sich die Kapuze ihres Mantels tief in die Stirn.

Sie warf dem Zentauren, der die Tiere bewachte, eine Münze zu und machte sich auf den Weg. Sie wusste, dass die Rhymers im Villenviertel leben mussten. Wo auch sonst. Sie sind reich, sie haben Einfluss, und sie sind entsetzlich arrogant. Doch Mr Rhymer war damals zu dem großen Platz gekommen, auf dem ihr Luftschiff entladen worden war, und sie hatte nie den genauen Ort seines Hauses bekommen.

Sie ließ sich von einem Soldaten den Weg erklären und schlug sich in das Gewirr der Gassen von Alpha Centauri, vorbei an dem aus Holz gebauten Viertel auf dem Meer, durchzogen von Kanälen. Krieger aller Arten lungerten in den Straßen herum, Zentauren schleppten sich mit schweren Schritten über die polternden Stege. Niemand sprach sie an, selbst die abgerissenen Gestalten vor einem Bordell hatten anscheinend Respekt vor ihren Waffen. Niemand greift eine gut bewaffnete Shacani an, gehüllt in einen dunklen Mantel. Selbst, wenn helllichter Tag ist. Nur jene, die zu mutig oder zu dumm sind, um den Tod zu fürchten.

Bald wichen Hütten und eng beieinander stehende Kaufmannshäuser Anwesen und Herrenhäusern. Die Straßen wurden breiter und sauberer, und schließlich erreichte sie das Haus der Rhymers, ein mehrstöckiger, strahlend weißer Marmorbau mit kannelierten Säulen, die einen gewaltigen Balkon stützten. Hohe Fenster ließen die Umrisse von wuchtigem Mobiliar erahnen. Etwas bewegte sich dahinter. Ein Garten umgab das Haus, Vögel sangen. Erste Lichtstrahlen zauberten orangefarbenes Licht und bläuliche Schatten auf die Fassade. Irgendwo schrie ein Pfau. Eine hohe Mauer schloss das Anwesen ein, durchbrochen nur von einem hohen Tor aus ziseliertem Eisen. Ein Schild neben dem Tor verkündete in goldenen Lettern den Namen der Besitzer.

Vauraza straffte die Schultern. Auf in den Kampf. Sie streifte sich die Kapuze vom Kopf, obwohl ihr sofort schlecht von dem Licht wurde, öffnete das Tor und durchquerte den Garten. Ohne zu zögern, erreichte sie die Tür und klopfte.

Kurz herrschte Stille, dann waren erste Hufschritte zu hören, und eine fuchsfarbene Zentaurin öffnete. Ihre roten Haare hatte sie zu einem strengen Knoten zusammengebunden. „Guten Tag, Miss. Wie kann ich Euch helfen?"

„Ich muss die Herren Rhymer in einer... persönlichen Angelegenheit konsultieren", sagte Vauraza förmlich.

„Persönlich und äußerst dringend. So sind alle Angelegenheiten, die die Kunden der Rhymers zu ihnen führen. Wen darf ich melden?"

„Captain Vauraza Bekanash", stellte sie sich vor.

Die Zentaurin machte einen eleganten Schritt zur Seite und ließ Vauraza eintreten. „Folgt mir."

Sie führte sie in einen Salon. Bücherregale und Vitrinen mit Antiquitäten, Schränke mit Glastüren, in denen Flaschen, gefüllt mit zweifellos kostbarem Alkohol, Spalier standen, bedeckten die Wände, unterbrochen von den hohen Fenstern, die sie schon von außen gesehen hatte. Eine beinahe unbenutzt erscheinende Gruppe von Polstermöbeln stand vor dem Kamin.

„Wartet hier. Ich werde sehen, ob ich den Herren auftreiben kann", sagte die Zentaurin reserviert, wandte sich um und verschwand im dunklen Flur des Herrenhauses. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss, ein Donnern, das Vauraza zusammenzucken ließ.

Stille kehrte ein, unterbrochen nur von dem gedämpften Rufen des Pfaus im Garten. Vauraza trat langsam zum Fenster. Regungslos lag der Garten vor ihr, durch das Tor konnte sie weitere Mauern und Herrenhäuser erkennen. Ein paar Zentauren in den Uniformen des Königs trabte vorbei, gefolgt von flanierenden Zentaurinnen in prächtigen, bunten Gewändern, eine weitere Gruppe Soldaten bewachte sie in gebührendem Abstand. Eine von Greifen gezogene Kutsche mit einem Wappen, das sie einst in Abisyala gesehen hatte, passierte sie ebenfalls, Bruchstücke von jenen, die die Villenviertel bewohnten.

Das Knirschen der Türklinke ließ sie herumfahren. Erneut trat die Zentaurin ein. Ihr hinterher stolperte ein brauner Zentaur mit zerzausten Haaren, gekleidet in ein zerknittertes Hemd und einen Morgenmantel aus rosafarbener Seide, bestickt mit Blumenranken und bunten Vögeln. Bartstoppeln bedeckten seine untere Gesichtshälfte, um sein linkes Auge schimmerte es bläulich. Er murmelte etwas, und die Zentaurin antwortete so leise, dass Vauraza es nicht hören konnte. Mit einem biestigen Lächeln stellte sie eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit und ein kristallenes Glas auf einen Beistelltisch, dann wandte sie sich um, trat aus dem Salon und schloss die Tür hinter sich.

Der Zentaur setzte ein schiefes Lächeln auf. „Verzeiht meine Manieren, Miss, nein, Captain Bekanash. Ihr habt einen weiten Weg hinter Euch, nicht wahr?"

Sie nickte. „Ihr seid Mr Rhymer?" Soweit ich mich erinnern konnte, war der Mr Rhymer, den ich bei meinen Handelsreisen hier traf, wesentlich... disziplinierter. Und strenger.

Der Zentaur verzog das Gesicht. „Aye, das bin ich. Avory Rhymer", er vollführte eine miserable Verbeugung, „zu Euren Diensten."

„Ich war schon einmal hier. Auch dort erwartete mich ein Mr Rhymer, und er hatte keine große Ähnlichkeiten mit Euch." Und er stank nicht so sehr nach Huren und Alkohol, wie Ihr es tut. Sie versuchte ein freundliches Lächeln. „Verzeiht mir für meine Offenheit."

„Oh, es gibt nichts, was ich verzeihen müsste. Ihr seid lange geflogen, und der Tag bekommt Euch nicht. Nein, den Mann, den Ihr damals traft, war mein Bruder. John Rhymer. Der wahre Mr Rhymer. Ich bin nur Avory."

„Wo ist Euer Bruder nun?"

Avory überlegte. „Ich weiß es nicht. Er verließ das Haus so früh, dass die Sonne noch nicht einmal schien, und seitdem ist er nicht zurückgekehrt. Aber obwohl Ihr der Kapitän eines Handelsschiffs seid, wollt ihr kein normales Geschäft abwickeln, nicht wahr?"

Vauraza nickte. „Farr Varaqna, der zweite Captain meines Schiffes, wurde von einem gegnerischen Captain angegriffen und schwer verletzt."

„Und nun wollt Ihr für Gerechtigkeit sorgen. Durch, wie nennt mein Bruder es immer... Selbstjustiz." Entgegen seiner Worte wirkte Avory nicht im Geringsten angewidert. Eher vergnügt.

Vauraza starrte ihn an. So viel Offenheit hätte ich nicht erwartet. Aber nun, er ist nicht sein Bruder. Sie betrachtete die Schwellung um sein Auge, die langsam violett anlief. Nicht ein Stück weit. Schließlich nickte sie.

„Also nun." Avory goss sich etwas der klaren Flüssigkeit in den Kelch und stürzte es in einem Zug herunter. Der stechende Geruch von Hochprozentigem breitete sich im Salon aus. „Was sucht Ihr?"

Sie sah den Zentauren fest an, während er sich unbekümmert ein weiteres Glas einschenkte. „Ich suche jemanden, der Rostam al-Massarah tötet. Er soll sterben, gedemütigt und voller Schmerzen, und ich möchte keinen Stümper für diesen Auftrag. Er soll dafür bezahlen, dass er Farr beinahe umgebracht hat." Ihr Zorn und ihre Angst um Farr waren ein eiskalter Klumpen in ihren Eingeweiden.

Unbeeindruckt wandte Avory sich um. „Ihr wisst, dass ich für derlei Auskünfte eine Bezahlung erwarte." Er kicherte. „Offen gestanden, ich hätte es beinahe vergessen, doch ich dachte gerade an John, und er verlangt immer Geld."

Das war zu erwarten. Händler tun nichts umsonst. Schon gar nicht, wenn sie ein solches Herrenhaus besitzen wie die Rhymers. „Wie viel?"

Avory hob überrascht eine Braue. „Ihr seid eine der wenigen, die bereit sind, einen Preis zu zahlen, ohne zu zucken. Aber es geht schließlich um denjenigen, der Euch am wichtigsten ist. Nein, nicht am wichtigsten. Er steht wohl eher an fünfter Stelle." Er grinste schelmisch. „Und dennoch ist er der, den Ihr als Euren besten Freund bezeichnen würdet."

An fünfter Stelle. Nach Ash, Kabir, Ravi und Muria. Sie liebte ihre Familie als eine Einheit, doch wenn man sie einzeln zählte, hatte er recht. Ich habe nicht ein Wort über meine Familie verloren, seit ich hier bin. Sowohl Dammerstal als auch ich haben die Rhymers gehörig unterschätzt.

„Ist Arish, oder Ash, wie Ihr ihn nennt, niemals eifersüchtig?", erkundigte Avory sich beiläufig.

Sie beschloss, ihr Unwohlsein nicht zu zeigen, selbst, wenn es ihr unheimlich war. Sie müssen alles über Spione wissen, und die müssen überall sein. Überall. „Früher war er es manchmal. Aber schon lange nicht mehr." Sie hielt einen goldenen Kreuzer hoch. „Reicht das?"

Avory kniff die Augen zusammen. „Ihr sagtet, Ihr wollt keinen Stümper. Also wollt Ihr jemanden, der weder Fragen stellt und über den Gedanken des Verrats ganz und gar erhaben ist, dessen Loyalität in jenem Moment nur Euch gehört." Er schlürfte affektiert an seinem Getränk. „Und uns natürlich. Da müsst Ihr ein wenig mehr springen lassen."

Sie hob eine Augenbraue. „Diese Münze ist der Wochenlohn eines niederen Arbeiters."

„Deswegen suchen auch nur Reiche uns auf, denn auch wir sind Geschäftsleute, und alles hat seinen Preis", parierte Avory.

Sie griff in ihren Geldbeutel und förderte zwei weitere Kreuzer zutage. „Das ist mehr, als die meisten verdienen. Seid Ihr nun zufrieden?"

Er schob die Münzen auf dem Tisch umher. „Fürs erste akzeptabel", befand er, ließ das Gold in seiner Tasche verschwinden und wandte ihr seinen listigen Blick zu, das eine Auge grün, das andere von einem stechenden Blau. „Aus lauter Übermut werden wir Euch unseren Besten schicken. Aber", er hob einen Zeigefinger und leerte sein Glas erneut, „es wird Euch eine Menge Gold kosten."

„Wie viel?"

„Vierhundert Kreuzer, und einen Gefallen."

Misstrauisch umklammerte Vauraza den Geldbeutel. Ich habe noch etwas Geld. Dammer wird ebenfalls etwas beisteuern, und wenn ich Faridjah die Angelegenheit so verkaufen kann, dass es nicht wie ein Auftragsmord aussieht, sind die Kosten ein Kinderspiel. „Worin besteht der Gefallen?"

„Eines Tages wird die Rhymer Corporation Euch um etwas bitten. Wie diese Bitte aussehen wird, ist unklar. Es kann etwas ganz Gewöhnliches sein, etwas Unerhörtes oder auch etwas, das so gefährlich ist, dass nur La Corsaire es schaffen kann." Avory lächelte hinterhältig.

Vauraza lief ein Schauder über den Rücken. La Corsaire. So nennen mich jene, die die Kanonen meines Schiffes zu spüren bekommen haben. So flüstert man meinen Namen in Tavernen und Gasthäusern in den Gesetzlosen Landen. „Diese Zeiten sind längst vorbei."

„Sechs Jahre, um genau zu sein. Ihr gingt auf einen Raubzug, traft Euch in Felipe da Cunha mit Arish, und einige Monate später habt Ihr die finsteren Geschäfte an den Nagel gehängt, weil ein Kind unter Eurem Fell heranwuchs. Euer Gönner starb, und seine Tochter trat an seine Stelle, die seine Handelsbeziehungen kappte." Avory leerte sein Glas. „Vermisst Ihr die Zeiten manchmal?"

Sie seufzte. „Nur zu oft." Ash war nie begeistert über das, was ich getan habe. Doch um damit aufzuhören, brauchte es endlose Nächte voll des Streits, einen toten Lord al-Nivozar und Kabir unter meinem Herzen. Und trotzdem wünsche ich mir, wieder einmal mit dem Tod im Nacken durch den Himmel über den Racheinseln zu preschen.

Er lächelte, als hätte er ihre Antwort genau erahnt. „Akzeptiert Ihr den Preis?"

Oh, wenn ich es Ash erzähle, wird er nicht begeistert sein. Aber nun. „Aye,das tue ich." Entschlossen legte sie den Beutel auf den Tisch.

Avory nahm ihn und schüttelte ihn prüfend, das Gold klimperte laut. „Eine Anzahlung also. Den Rest werdet Ihr dem Mann geben, den ich Euch schicke. Er wird bald bei Euch eintreffen, und Ihr werdet es erfahren, wann es so weit ist. Erklärt ihm die Lage, und wie Ihr Massarahs Tod wünscht. Eine entsetzliche Tat dieses Captains, wahrlich." Er schauderte übertrieben.

„Wie werde ich wissen, dass es der ist, den Ihr mir geschickt habt?", wollte sie wissen.

„Ihr werdet ihn erkennen, Captain Bekanash. Er ist ein Ipotame, das Fell so schwarz wie das Eure, seine Kleidung und seine Seele ebenso. Jedes seiner Ziele hat den Tod gefunden, und jeder, der ihn beauftragte, weiß nur Gutes über seine Fähigkeiten zu berichten. Er trägt eine Maske, die Euch wohl an das Gesicht Eures verletzten Freundes erinnern wird. Und er hat einen Hang zum Dramatischen, den weder ich noch mein geschätzter Bruder", Avory schenkte sich theatralisch erneut ein, nahm einen Schluck und stellte das Glas mit ausladender Geste auf einem Tisch ab, „nicht im Geringsten nachvollziehen können."

„Und sein Name?", wollte Vauraza wissen. Langsam wurde sie ungeduldig.

„Sein Name", sagte Avory mit geheimnisvoller Stimme, „ist Solofar Darke."

~ ~ ~

Die unwahrscheinlichen Erlebnisse des Solofar Darke. COMING SOON.

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