8. Abschaum
„Dein Sinn für Humor ist zum Kotzen."
„Mir ist kalt."
„Dann mach deinen Overall vernünftig zu. Und halt endlich die Klappe."
Lemeska seufzte dramatisch. „Horotai-Klamotten halten nicht warm. Sie halten nur... bekleidet."
Az wälzte sich in seiner Koje herum, um sie besser sehen zu können, und bettete den Kopf auf die vier Vorderbeine. „War es nie kalt im Gefängnis?"
Sie kicherte. „Du siehst aus wie ein braver, treuer Hund."
Er fletschte halbherzig die Zähne. „Besser?" Er wusste nicht, wie oft er sie verflucht hatte, während den Stunden, die sie bereits durch den Schattenraum glitten. Nach mehreren hundert Malen hatte er aufgehört zu zählen.
Sie zuckte mit den Schultern. „Ein wenig vielleicht. Nun, es war schon öfters kalt, vor allem, wenn sie uns das Leben noch schwerer machen wollten, als es ohnehin schon war. Aber auch dann habe ich festgestellt: Horotai-Overalls halten nicht warm. Deswegen, nimm mir die Handschellen ab und lass mich die Jacke anziehen."
Az atmete tief durch. „Nein."
„Was soll schon passieren? Du nimmst alle Waffen und setzt dich da hin, wo du jetzt bist. Du kannst gerne alle entsichern und auf mich richten, wenn es dir besser gefällt. Meinetwegen kannst du mir die Handschellen danach auch wieder anlegen, falls du dich dann sicherer fühlst." Lemeska lächelte gewinnend.
Az rührte sich nicht.
„Heiliges Empire, du hast genug Misstrauen für einen gesamten Planeten. Warum sollte ich dir etwas antun? Damit mein Vater wütend ist, dass ich einen seiner Gefolgsleute umgebracht habe? Ich habe schon einmal einen seiner Männer getötet, und glaub mir, ich lege es nicht darauf an, seine Bestrafung erneut zu erleben." Sie schauderte, und Az konnte nicht sagen, ob es wegen der Kälte war oder wegen ihrer Erinnerungen. „Außerdem kann ich nicht einmal dein Schiff steuern. Ich habe auch keine Ahnung von extraterrestrischen Fahrzeugen."
„Du kannst kein Raumschiff fliegen? Was hat dein Vater dir denn beigebracht?"
Sie verdrehte die Augen. „Natürlich kann ich es fliegen. Die Hälfte davon ist so oder so intuitiv. Aber glaub mir, ich schieße besser, als dass ich fliege."
Az starrte sie an.
Ihr Blick wanderte betreten zu Boden. „Das hätte ich wohl besser nicht gesagt. Baut Vertrauen so schön ab. Aber", sie atmete tief durch und warf die gefesselten Hände in die Luft, „ich werde dich nicht angreifen. Ich habe nichts davon, warum also sollte ich es tun? Du hast mich befreit. Wenn ich auf dich zustürzen sollte, dann, um dich zu umarmen und dir für deine Dienste zu danken."
Az schloss träge die Augen. Sie hatte recht. Behagen tat ihm die Vorstellung, sie könnte frei auf seinem Schiff herumlaufen, jedoch nicht. „Na gut. Warte." Er erhob sich, trat zu der Kiste mit der Reserveuniform und zog Jacke und Hemd heraus. Beides warf er ihr vor die Füße. „Hier. Als du geschlafen hast, habe ich das Reducergewehr und meine Blaster versteckt und das Versteck abgeschlossen, es dürfte also keine Gefahr mehr darstellen." Er betrachtete aufmerksam ihr Gesicht, doch er erkannte keinen Funken der Enttäuschung oder der Berechnung. Nur ihre übliche übertriebene Unschuld. „Ich werde dir gleich die Handschellen abnehmen. Versuch gar nicht erst, mich anzugreifen, denn ich kann dir sagen, dass diese Krallen", er winkte ihr zu, „eine Menge Scheiße mit deiner Alabasterhaut anstellen können."
Sie zuckte mit den dürren Schultern. „Verstanden." In ihrer Stimme schimmerte ein Funken Respekt, erkannte Az erstaunt.
Er nahm ihr die Handschellen ab und trat langsam zurück. Sprungbereit kauerte er ihr gegenüber neben seiner Koje, während sie aus dem oberen Teil ihres Overalls schlüpfte und die Ärmel umständlich um die Hüften zusammenknotete. Sie zog das Hemd an, das ihr einige Nummern zu groß war, und zog die ebenso riesige Jacke darüber. Ihre bleichen, schmalen Finger flogen über den dunkelgrauen Stoff, als sie sie zuknöpfte. Die Schöße der Jacke gingen ihr beinahe bis zur Mitte der Unterschenkel und streiften die Ränder ihrer Stiefel, die sie immer noch offen trug. Sie schlug die Ärmel um, bis sie ihr beinahe passten, dann breitete sie die Arme aus. „Sehe ich nicht herrlich aus?"
„Grauenvoll. Du siehst genau nach dem aus, was du wirklich bist: ein entkommener Horotai-Häftling, der sich die Uniform von einem Soldaten des Empire unter den Nagel gerissen hat." Az machte einen Schritt auf sie zu und hielt ihr die Handschellen hin. „Also, wenn ich bitten darf."
Sie ließ die Arme sinken. „Muss das wirklich sein? Ich hatte die Idee, dass du sie mir wieder anlegst, eigentlich als Scherz gemeint."
Er packte ihre Hände und legte sie in die Fesseln. Mit einem leisen Surren schlossen sie sich. Blaues Licht glühte auf. „Mach besser keine Witze, die ich ernst nehmen könnte."
Sie sah ihm mürrisch in die Augen und riss ihre Hände weg. „Das habe ich auch gemerkt. Verdammtes Biest."
Az ließ sich auf seiner Koje nieder und schlug träge mit dem Schwanz. „Wer von uns beiden ist denn wirklich das Biest? Sicher nicht ich."
Sie verdrehte die Augen und ließ sich auf ihre Koje fallen. „Dein Sinn für Humor ist zum Kotzen."
„Natürlich. Dafür bin ich bekannt." Der Autopilot gab einen Signalton von sich, und Az erhob sich erneut. Nie hatte man auch nur eine Minute der Ruhe.
Die schwarzen Schlieren des Schattenraumes wichen, und Scurm schälte sich aus der Dunkelheit. Eingeklemmt zwischen zwei Sonnen, kaum heller als gigantische, verglühende Fackeln, hatte er den Anschein eines Sandklumpens in einem pechschwarzen Ozean. Ein einzelnes, gigantisches Schiff schwebte seelenruhig über dem Planeten, ein glänzender Fleck über brodelndem Gelbbraun. Bereits im Anflug konnte Az die gigantischen Stürme erkennen, die über den Planeten tobten. „Ich rate dir, dich anzuschnallen. Könnte passieren, dass Scurm nicht ganz so einladend ist wie Belicha."
Lemeska hob die Augenbrauen, doch setzte sich folgsam. „Noch boshafter als Belicha?"
Ein Ruck ging durch das Schiff, der Antrieb fauchte empört auf, und der Autopilot versagte mit einem letzten leisen Grollen. Die Systeme zeigten keine Signale mehr an. Az nickte und lenkte den Fighter in den Sinkflug, auf den Schmutzplaneten zu. „Sieht so aus."
„Ich bin begeistert."
Az ignorierte sie. Sein Schiff ruckte und stotterte. Er hatte die Gerüchte, dass Scurms Strahlung stark genug war, um nicht nur die Software, sondern auch andere Teile eines Schiffes stören zu können, nie geglaubt. Doch wie so oft hatte Coary recht behalten.
Der Sand schlug ihnen entgegen, kaum dass sie die Atmosphäre erreichthatten. Knirschend prasselte er auf die Scheibe, laut wie Schüsse. Az ließ ihn weiter sinken, die bläulichen Scheinwerfer des Fighters schnitten eine kaum fünf Meter weite Schneise in den tosenden Staub. Manchmal, wenn die Schwaden für Sekunden etwas dünner wurden, konnte Az die Silhouetten von Häusern ausmachen, von Schiffen und Felsen, doch nach einem Moment verschwanden sie wieder in diesem brüllenden Meer aus Sand. Geflügelte Wesen stoben vor ihnen aus dem Weg, kaum den Bruchteil einer Sekunde sichtbar, bevor der Dreck sie verschlang.
Lemeska sah ihnen beunruhigt hinterher. „Was ist das hier für ein Ort?"
Az wich einem Felsen aus, der wie aus dem Nichts aus dem Sturm auftauchte, und schwenkte hart nach rechts. Etwas schrammte laut über den Stahl, und er lenkte das Schiff wieder zurück. „Scurm war einmal ein Ort mit einer blühenden Industrie. Ich weiß nicht einmal, was sie hergestellt haben, aber sie haben eine Schutzatmosphäre errichtet, die das Chaos, das die beiden Sonnen anrichten", er wies ausladend auf den Sturm, „abgehalten hat. Aber dann ist irgendetwas in die Luft geflogen, und die Atmosphäre mit ihm. Seitdem lebt hier nicht mehr viel. Und das, was hier lebt, ist mindestens genauso einladend und freundlich wie der Planet selbst."
„Nette Gegend."
„Ja. Aber wir müssen es ja nicht nett finden. Es darf uns nur niemand von Bedeutung finden." Az flog eine Schleife und hielt auf eine Ansammlung schäbiger Hütten zu, um die herum einige schrottreife Schiffe und Terraires standen. Etwas davon entfernt glühte etwas bunt durch den Sandnebel. Az mied die bunten Lichter und landete vor den Hütten. Hoffentlich verfing sich nicht allzu viel Sand in den Triebwerken. Sonst würde es viel zu lange dauern, um das Schiff zu starten. Falls auch hier jemand ihnen jemand auf den Fersen war.
Wenn auch hier jemand ihnen auf den Fersen war. Az zweifelte nicht daran.
„An deiner Stelle würde ich eine Gasmaske anlegen, wenn du nicht unbedingt an einer mit radioaktivem Sand verseuchten Lunge sterben willst", riet Az Lemeska beiläufig, während er den Fighter sicherte und die Selbstreparatur programmierte.
Lemeska zuckte zusammen. „Radioaktiver Sand? Was haben die hier angestellt?"
Az öffnete das verborgene Fach, in dem er die Waffen aufbewahrte, und nahm seine Blaster heraus. Der Reducer war viel zu auffällig. Zwar war ihm klar, dass gerade auf Planeten, auf denen niemand die Kontrolle hatte, mehr Waffen besser waren als weniger, doch ein Reducer des Empire war ein wenig zu viel. „Eine Fabrik ist in die Luft geflogen, löste eine Kettenreaktion aus und alles, was auf diesem Planeten je existierte, explodierte mit ihr. Ob der Sand wirklich radioaktiv ist, weiß ich nicht einmal. Ich wollte dir nur Angst machen." Er steckte die Laserpistolen in die Holster und lächelte sie falsch an. „Sinn für Humor beweisen."
Sie verdrehte die Augen und trat zu der Kiste mit Ausrüstung. „Ha, Ha, Shahakazam." Mit der Gasmaske auf dem Gesicht drehte sie sich um und schlug den Kragen hoch. „Und du? Erstickst du da draußen am giftigen Staub oder komme ich tatsächlich eines Tages von diesem Planeten wieder weg?"
„Ich komme von einem Wüstenplaneten, und das da draußen", er wies auf den Sand, der immer noch beängstigend laut gegen die Scheibe schlug, „ist höchstens ein wenig frischer Wind für mich." In Wahrheit hatte Az noch nie zuvor einen so heftigen Sandsturm gesehen, selbst wenn er von schon wesentlich schlimmeren gehört hatte. Sechs Jahre seines Lebens hatte er auf Venri V gelebt, bevor er verschleppt worden war, und in dieser kurzen Zeit hatte er noch nie einen derartigen Sturm gesehen. Dennoch öffnete er unbeirrt die Luke des Fighters und trat hinaus.
Wie Millionen von Nadelstichen peitschte der Sand auf ihn ein, und er hörte Lemeskas wütendes Knurren unter ihrer Gasmaske, als sie ihm folgte. Ihre weißen Haare wurden aus ihrem Knoten gerissen und flatterten lose im Wind. Gemeinsam kämpften sie sich auf eine der Hütten zu, in der ein Mann verschwand, ohne auch nur zu klopfen. Eine Bar, vermutete Az.
Er hatte gehofft, mit Lemeska keine öffentlichen Orte betreten zumüssen, bis sie auf Vetorius waren. Zu groß war die Gefahr, dass sie sich befreite und bei einem anderen Piloten mitflog, oder dass sie gar vom Empire gefangen genommen wurden. Doch Az war ebenso wenig gewillt, mehrere Stunden oder gar Tage in seinem Schiff auszuharren. So gern er es mochte, irgendwann war einfach genug von den eigenen vier stählernen Wänden und der erstickenden Enge.
Vor allem, wenn eine zickige Unionistentochter hinter ihm saß.
Zielstrebig hielt er auf die Bar zu. Vor der Tür packte er Lemeskas Arm. „Zwei Dinge. Erstens, du überlässt mir das Reden. Zweitens, wir verhalten uns so unauffällig wie möglich." Er spuckte den bitteren Sand aus, der ihm zwischen die Zähne geflogen war. „Verstanden?"
Sie nickte gebannt, die Augen hinter den Gläsern groß und hellblau.
„Gut." Er riss die Tür auf, der Sand peitschte hinein und ließ die Vorhänge flattern. „Rein mit dir."
Folgsam betrat sie die Bar, die gefesselten Hände sorgfältig in den Falten ihres Mantels verborgen. Er folgte ihr, eine Hand an der Pistole. Nun humpelte er leicht, und hoffte, es überspielen zu können, doch mit einem schnellen Blick in den Raum erkannte er, dass es nicht nötig war.
Die Bar war ein kleines, dunkles Zimmer, nur von schummrigen Licht zweier altmodischer Laternen erhellt. Es stank nach billigem Alkohol, dem schweren Qualm der Wasserpfeifenraucher und den billigen schwarzen Zigaretten, die außerhalb des Empire so beliebt waren. Der Barmann, ein älterer Mann mit einem schmierigen dünnen Schnurrbart, beäugte die Neunankömmlinge skeptisch.
Az sah sich um. Kleine Gruppen von Männern der verschiedensten Rassen saßen auf kaputten Kissen und hölzernen Kisten, die Wände waren mit schmutzigem gelben Stoff verdeckt. Ein paar Männer streuten ein schwarzes Pulver auf den Tisch, formten mithilfe von Spielkarten Linien daraus und sogen sie gierig durch eine Strohhalm auf. Einer von ihnen legte den Kopf auf den Tisch, Blut lief ihm aus der Nase und er zuckte krampfhaft, aber seine Kameraden kümmerten sich nicht um den Sterbenden. Sie saßen mit leeren Blicken und seligen, abwesenden Mienen im Kreis und genossen die Droge. Ein dürrer Rubier, der hektisch mit sich selbst redete, schlich auf sie zu und riss einem der Süchtigen den Geldbeutel aus der Tasche, ohne, dass er von seinem Opfer bemerkt wurde. Az ließ den Blick über die Anwesenden wandern, in der vagen Hoffnung, jemanden zu finden, der nicht zugedröhnt war, doch er gab rasch auf.
Lemeska riss sich die Gasmaske vom Gesicht und rutschte auf einen der Barstühle. „Einen Roten Whiskey", verlangte sie.
„Nein", fuhr Az im Flüsterton dazwischen.
Der Barmann sah ihn scharf an. „Die Lady will einen Roten", grollte er heiser. „Den soll sie kriegen, und du hast ihr nichts zu sagen, Vraguar."
Ruhig ließ Az die Mündung des Blasters über die Tresen lugen. Sie zeigte direkt auf die Stirn des Barmannes. „Nein. Sie kriegt nichts. Haben wir uns verstanden?"
Der Barkeeper nickte, strich sich nervös über den Schnurrbart und stellte die Flasche mit dem Roten Whiskey zurück unter die Theke. „Aye."
Az nickte bedächtig und ließ die Pistole wieder verschwinden.
„Was machen wir hier, wenn ich nichts trinken darf?", zischte Lemeska.
„Wir sind auf Scurm, dem Planeten des Abschaums. Der Alkohol ist vergiftet und gepanscht, die Bewohner ebenfalls, und von der Luft wollen wir nicht anfangen. Wenn du unbedingt sterben willst, bitte. Trink deinen verdammten Roten Whiskey. Aber ich werde dich aus der Hölle zurück hierher zerren, und du kannst deinem elenden Vater erklären, warum du verreckt bist."
Lemeska wandte den Blick ab und schwieg. Ihre Finger zuckten nach oben, als wollte sie ihre Haare richten, doch sie ließ sie wieder sinken, bevor ihre gefesselten Hände über dem Rand der Theke sichtbar wurden. „Wie lange bleiben wir hier?", fragte sie schließlich.
„Solange, wie nötig ist. So kurz wie möglich. Die Jäger müssen unsere Spur verloren haben, sodass sie uns so bald nicht wiederfinden. Wahrscheinlich ein paar Tage."
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen, krachend schlug sie gegen einen Stuhl und schleuderte den darauf sitzenden Scurmer zu Boden. Heulend fuhr der Wind hinein, wirbelte Papier, Spielkarten, Dreck, Sand und Drogenstaub auf und ließ Kleidungsstücke und die Stoffe an der Wand flattern.
„Mach die verfluchte Tür zu, du verdammter Hurensohn, oder ich schieße dir die Eier weg!", brüllte jemand mit erstaunlich nüchternklingender Stimme.
„Mit größten Freuden", grunzte der Neuling undeutlich und trat die Tür hinter sich zu. Sofort erstarb der Wind, die Stoffe legten sich wieder und Az konnte den Mann erkennen. Er war schlank und athletisch, selbst wenn seine Figur von schweren Hosen und einem unförmigen Mantel verborgen wurde. Seine schweren Stiefel waren mit Metallteilen versehen, die bei jedem Schritt klimperten, und als er seine Gasmaske löste und sich die struppigen dunklen Haare ausschüttelte, erkannte Az, wie jung er war. Vielleicht zwanzig Jahre, vermutete er. Gelangweilt schlenderte der Mann an der Bar vorbei, das Reducergewehr locker in der Hand. Az erkannte weitere Waffen, eine Pistole und diverse Messer.
Messer. Niemand, der nicht entweder angeben wollte oder wahnsinnig war, benutzte noch ein Messer zum Töten. Und Wahnsinnige und Angeber starben schnell eines grässlichen Todes.
Als sich im hinteren Teil der Bar ein Mann erhob, war Az sich sicher, dass er den gleichen Gedanken gehabt hatte. „Du." Er war groß, größer als der Neue, mit langen, verfilzten Haarsträhnen, die ihm bis zum Rücken reichten. An seinem Kinn wuchs, wie aufgeklebt, ein Bart, mit einem Stück Schnur zu einem Büschel zusammengebunden.
Der Junge grinste frech und wog den Reducer in der Hand, doch legte nicht an. „Ja, ich. Wo ist Croons?"
Der Andere verschränkte die Arme. „Warum willst du das wissen?"
„Weil ich ihn schon lange suche. Er gibt eine recht stattliche Summe, wenn man ihn an die Richtigen verkauft." Er wechselte das Gewehr in die linke Hand. „Du bist Anatoly Karakis, stimmt's?"
„Und du bist Danja Lexington." Karakis spielte nervös mit dem Ende seines Bartbüschels. „Den sie den Tod der Unsterblichen nennen."
Azurian beobachtete unwohl die Szene. Natürlich, es war genau sein Glück, dass in der Bar, in der er und eine der meistgesuchten Frauen des Universums Zuflucht suchten, sich zwei Männer gegenseitig abschlachteten. Und der Name des Jungen... Don Lexys Name kam ihm in den Sinn, und er versuchte, den General und den jungen Kopfgeldjäger zu verbinden. Vater und Sohn waren plausibel, doch Az glaubte nicht, dass der Sohn des mächtigen General Don Maveric Lexington sich in einer Taverne am anderen Ende des Universums herumtrieb. Er müsste an seiner Seite sein, und seine Nachfolge antreten.
Doch was kümmerte es ihn? Er hatte andere Probleme als Don Lexys verlorenen Sohn.
Der Barmann regte sich unwohl. „Die Herren, wäre es wohl möglich, die Unstimmigkeiten draußen auszutragen?", fragte er zaghaft.
Danja Lexington hob den Reducer in seine Richtung, ohne den Blick von Karakis abzuwenden. „Nein, es ist nicht möglich. Sonst entkommt er mir wieder. Noch einmal, Karakis: wo ist Adalbast Croons?"
Karakis biss die Zähne zusammen.
Danja riss den Reducer herum und feuerte zweimal auf ihn. Karakis brüllte auf und stolperte rückwärts, doch die riesige Wunde an seinem Bauch begann bereits, sich zu schließen.
Lemeska starrte ihn an. „Er ist einer dieser Unsterblichen, nicht wahr? Ein Meriego", flüsterte sie.
Az nickte und starrte eingehend auf die Theke. „Ja. Sonst wäre er jetzt mehr als nur tot."
„Ich frage dich noch einmal", sagte Danja ruhig. „Wo ist Croons?"
Karakis spuckte Blut. „Nicht hier. Er hat einen Auftrag, und auch du wirst ihn nicht davon abbringen."
Danja zog ein Messer aus seinem Mantel, mit schlanker, gebogener Klinge, so lang wie ein Unterarm. Karakis' Augen weiteten sich. „Selbst, wenn ich dir das hier zeige, wirst du es mir dann sagen?"
Karakis lachte hustend, doch Az sah selbst aus der Entfernung die Angst in seinen dunklen Augen. „Er ist hier. Mehr sage ich dir nicht."
Danja biss die Zähne zusammen und stach zu. Karakis schrie. Das Messer schien in der Wunde zu zischen, und die Wunde blieb, wie sie war. Keine sich annähernden Wundränder. Kein heilendes Fleisch. Danja Lexington hatte sein Messer wohl gewählt. „Wo ist Croons?"
Karakis' Blut floss über seine Kleidung. „Fick dich seitwärts, Lexington", spuckte er.
„Dich ficke ich mit Vergnügen seitwärts, Karakis", fauchte Danja und rammte ihm das Messer in den Bauch.
Karakis riss die Augen auf, als er das Messer nach oben riss. Er zuckte ein letztes Mal, dann blieb er reglos liegen.
Lexington erhob sich und spuckte auf die Leiche. „Verdammte Scheiße", flüsterte er und blickte aufmerksam durch den Raum. Er trat auf einen Mann zu, dessen Kapuze sein Gesicht verdeckte, und zog sie herunter. Der Mann starrte ihm entgegen, und Lexington trat einen vorsichtigen Schritt zurück. Plötzlich konnte Az sehr gut sehen, wie jung Danja Lexington tatsächlich war.
Als er auf ihn und Lemeska zutrat, zu zielstrebig, um zufällig zu wirken, widerstand Az dem heftigen Drang, zurückzuweichen. Blut klebte an Danjas Ledermantel, Messer klirrten darin. „Einen Roten Whiskey", verlangte er, und der Barmann folgte sichtlich unbehaglich seinen Befehlen.
Az versuchte nach Kräften, Lemeskas biestigen Blick neben sich zuignorieren.
Gerade, als er sich an die eisige Stille zu gewöhnen begann, brach Lemeska sie. „Wie verkaufst du deine toten Unsterblichen? Du wirst sie wohl kaum im Ganzen zu deinem Auftraggeber schleppen, oder?", fragte sie.
Az biss die Zähne zusammen. Was hatte er noch zum Thema Reden gesagt...
Danja Lexington fuhr so schnell herum, dass Az seine Waffe fester packte. „Es reicht, wenn ich das Messer abgebe. Wenn sich herausstellt,dass der Betreffende noch lebt, nun, dann werde auch ich gejagt. Wenn ich erfolgreich war", er grinste verwegen, „dann schwimme ich schon bald in Geld."
„Lohnt es sich?"
Danjanickte. „Oh ja."
Sie hob zu einer weiteren Frage an, doch Az stieß ihr den Ellenbogen in die Seite und warf ihr einen warnenden Blick zu. Unschuldig erwiderte sie ihn.
Danja bemerkte es. Belustigt nippte er an seinem Getränk und verzog angewidert das Gesicht. „Was treibt euch auf diesen verfluchten Planeten?"
Az sprach, bevor Lemeska es tun konnte. „Das geht dich beim besten Willen nichts an. Nichts für ungut."
„Spielverderber", wisperte Lemeska.
„Und was willst du hier?", fragte Az herausfordernd.
Danja zuckte mit den Schultern. Entgegen Az' Erwartungen schien er ehrlich zu sein. „Ich suche Adalbast Croons." Er musterte sie beide und lehnte sich näher zu Az. „Und ich kann mir denken, was ihr hier sucht."
Az sah ihn zweifelnd an. „Was denkst du denn?"
„Dass ihr, oder besser gesagt sie, aus dem Horotai entkommen ist. Du wirst ihr wohl geholfen haben, und nicht ganz freiwillig, wenn ich mir ihre Handschellen ansehe. Du traust ihr nicht."
„Das ist wohl wahr. Völlig unangebracht", murmelte Lemeska.
„Und", fuhr Danja fort, „ihr sucht hier Schutz. Scurm hat eine Menge schlechter Seiten, aber die Strahlung hat auch seine gute."
„Es könnte natürlich auch sein, dass du ganz und gar falsch liegst, und ich die Reste von meinem Horotai-Overall trage, weil ich es hübsch finde." Lemeska zuckte mit den Schultern und schüttelte sich etwas Dreck aus den Haaren.
Danja schnaubte. „Niemand, der noch ganz bei Trost ist, findet diese Farbe hübsch."
Sie warf die Haare zurück. „Ich bin nicht ganz bei Trost."
„Lass das Flirten, Mädchen, wir haben auch schon so genug Probleme", mischte Az sich ein.
„Wenn meine Idee stimmt, ja, dann habt ihr wirklich eine Menge Probleme." Danja zog einen Handschuh aus und streckte ihnen die Hand entgegen. „Ich bin Danja Lexington."
Az ergriff sie nicht, und Lemeska hob entschuldigend ihre gefesseltenHände. „Ich weiß", sagte Az einsilbig.
Danja ließ die Hand wieder sinken. „Ich habe eine Menge Freunde auf diesem Planeten. Einige können euch sicher ein paar Tage lang verstecken. Und wenn ihr wirklich vom Horotai kommt, dann braucht ihr einen sicheren Ort."
Er hatte recht, das war Az klar. Doch er konnte ihm nicht trauen. Ob er nun Don Lexys Sohn war oder nicht, es würde wohl einen Grund geben, warum er Unsterbliche jagte, statt Jahrgangsbester der Akademie zu sein, und es war sicherlich nicht der, dass er zu bescheiden war und diesen Ruhm jemandem anders überlassen wollte. Danja Lexington war kein ehrenwerter Mann. Dessen war er sich sicher.
Doch wer war zu diesen Zeiten noch von Ehre? Er selbst, der Vraguar mit der geteilten Loyalität? Lemeska, die Frau, deren Vater einer der bekanntesten Mörder des Universums war?
Dennoch. Az kannte nur eine Organisation, die Unsterbliche töten ließ. Das Syndikat. Und wer für das Syndikat tötete und verkaufte, tat das Gleiche auch für andere Auftraggeber. Nur das Geld musste stimmen.
Innerlich fluchte er. Sie brauchten den Schutz vor dem Empire. Mehr als alles andere.
Prüfend betrachtete er Danja. Zur Not würde er ihn überwältigen können. Wenn er Lemeska eine Waffe gab, sogar mit größter Sicherheit.
Sein Blick wanderte von seiner Waffe zu Lemeskas bleichen, schmalen Händen, die langen Finger ineinander geschlungen. Er hoffte, der Tag, an dem er erlauben würde, dass diese Finger sich um einen Abzug krümmten, würde niemals kommen.
Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.
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