XI. Ein Mann und sein Scotch
Jacob schloss die Tür auf und betrat sein Appartement, ein unglaubliches Gewicht war von seinen Schultern gefallen, als er Maisie wohlbehalten vorgefunden hatte. Sie hatte friedlich geschlafen und eine Krankenschwester saß neben ihrem Bett.
Lillian würde er morgen treffen, denn er war sich sicher, sie um diese Zeit-
Er blieb wie angewurzelt stehen, hob eine Hand und drehte sich um, dann wieder zurück zu der Gestalt, die an seinem Schreibtisch saß und bei Kerzenschein vertieft einen Brief verfasste.
»Wie bist du hier reingekommen?« er ließ seine Hand sinken und betrachtete ihren Rücken.
Sie hielt inne, legte den Füller beiseite und drehte ihren Kopf zu ihm. Schulterzuckend antwortete sie ihm: »Ich hab Türen noch nie sonderlich leiden können.«
Er seufzte auf. Natürlich. Was hatte er anderes erwartet?
Lillian erhob sich, überflog noch ein letztes Mal die Zeilen, bevor sie den Brief in einen Umschlag steckte und adressierte. »Wem schreibst du?«
»Deiner Schwester.« er hielt inne.
»Wieso das? Wir beiden haben die Situation doch völlig unter Kontrolle?«
Sie warf ihm einen Blick zu, der mehr sagte als Worte es jemals könnten. »Jacob, sei ehrlich; haben wir nicht. Auch wenn es deinen Stolz untergräbt. Ich werde ihn Maisie geben, sie wird ihn für mich abschicken lassen, da der Ripper mich jetzt wahrscheinlich mit Adleraugen stalken wird.«
Er zog belustigt eine Braue in die Höhe. »Stalken? Wirklich?«
Sie ließ sich auf das Sofa sinken. »Wie würdest du es nennen, wenn ein Irrer von dir besessen ist und dich verfolgt und beobachtet so weit es ihm nur möglich ist?«
Er setzte sich neben sie und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Punkt für dich. Hat er dich hier her-«
Sie verneinte. Darauf hatte sie penibel geachtet; niemand war ihr gefolgt.
Danach wurde es still. Beide saßen einfach nur stillschweigend nebeneinander und wussten nicht so recht, über was sie sprechen sollten, noch wie sie anfangen konnten, obwohl beiden exakt das Selbe durch den Kopf ging. Eine unausgesprochene Sache.
»Wenn... wenn Evie sich entscheidet hier aufzutauchen, wird sie uns zwingen darüber zu reden wie zwei vernünftige Erwachsene das eben tun«, sagte Lillian leise und imitierte Evie Frye's Art zu sprechen an einer ganz bestimmten Stelle.
Er sagte zuerst nichts, sah dann aber mit einem bestimmten Blick zu ihr.
»Und wir wissen beide, dass das dann grauenvoll enden wird.«
Sie nickte und spannte sich merklich an. »Du warst eben nie gut darin Entscheidungen zu treffen.«
»Was?«, er war aufgesprungen, »Du hast doch nie irgendwas gegen meine Entscheidungen entgegenzusetzten gehabt; du hast mir vertraut und mich dennoch verraten!«
Sie lachte tonlos auf und kam auf ihn zu, funkelte ihn wütend an. »Ach, jetzt bin ich wieder schuld? Dir war doch schon immer alles andere wichtiger als Verantwortung und Vertrauen!« ihre Stimme war laut geworden und sie spürte wie Wut durch ihre Adern schoss. Jetzt war es zu spät, das erkannte sie in dem Moment, als sie sah wie wütend Jacob ebenfalls war.
»Du hast die Bruderschaft hintergangen! Du hast Evie hintergangen! Du hast mich verraten! Du hast alles verraten für was du standest und die Menschen hintergangen für die du so verdammt wichtig warst indem du deinen Tod vorgetäuscht hast!«
»Du hast mich in Stich gelassen!«, zischte sie und wischte die einzelne Träne achtlos weg. Sie wollte ihm nicht zeigen wie sehr sie ihre Vergangenheit noch mitnahm. Aber als sein Gesichtsausdruck weicher wurde, ahnte sie, dass ihr Ziel fehlgeschlagen war. Denn sie hatte ihn unterschätzt. Jacob kannte sie schon immer in und auswendig, besser als sie sich selbst und dieses Detail verfluchte sie nun zutiefst. »Du hast mich in dem Moment verraten als du mich damals losgelassen hast.«
»Lillian, ich... ich habe dich nicht losgelassen, ich-«
»Ach nein? Was dann?!«
»«
Die Sonne schien mild vom Himmel, als die beiden Assassinen auf einem Dach standen, die Houses of Parliament ragten vor ihnen in den Himmel auf, als würden sie über ihn hinauswachsen wollen. »Wo ist das Dynamit? Ihre Majestät ist nicht sicher solang es nicht vernichtet ist«, sagte Lillian und sah auf Jacob's Taschenuhr. »Und in genau zehn Minuten explodiert es.«
»Ich kümmere mich um die Attentäter, das verschafft die Zeit die Sprengsätze ausfindig zu machen.« sie nickte mit einem renitenten Lächeln und gab Jacob einen Kuss, doch bevor er diesen weiter ausdehnen konnte, zwinkerte sie ihm einmal zu und war bereit vom Dach in einen Blätterhaufen zu springen. »Stirb nicht Frye.«
Es dauerte nicht lang bis Lillian einen der Templer-Attentäter ausfindig gemacht hatte, der mit den richtigen Mitteln redselig wurde. Die Dynamitladungen waren auf den beiden Towern der Houses of Parliament deponiert und Lillian hatte gerade -wortwörtlich- alle Hände damit zu tun, den ersten Sprengsatz unschädlich zu machen. »Komm schon!«, fluchte sie gereizt und zerrte an der letzten Zündschnur, die dann sogar tatsächlich den Geist aufgab, was sie erfreut feststellte.
Doch der Zeitdruck war zu groß. Sie hatte nur noch weniger als vier Minuten, um auf den Big Ben zu klettern und die Zweite Ladung zu entschärfen.
»Sehe ich hier etwa eine Lady in Nöten?«
Sie drehte sich gehetzt zu ihm. »Ich muss auf den Big Ben, oder ihre Majestät wird unter genau diesem begraben!«
Er hielt ihr mit einem schiefen Grinsen seine Halenklinge unter die Augen. »Ich denke das lässt sich arrangieren.«
»Lass mich ja nicht fallen«, murmelte sie, als sich die beiden Assassinen kurz Zeit später weit über dem Boden in schwindelerregender Höhe befanden und vom einen Tower zum anderen rutschten; Lillian sah nach unten, einzig und allein Jacob's Arm der um ihre Taille geschlungen war, hielt sie davon ab, in ihren sicheren Tod zu stürzen. Aber sie vertraute ihm. Er würde sie nicht fallen lassen.
Sie hatten noch etwa eine Minute.
»Jacob!« doch ihr Ruf kam zu spät. Der Scharfschütze hatte bereits geschossen und Lillian spürte nur noch wie sie Jacob's Griff entglitt. »Ich hab dich!«
Mit rasendem Herzen sah sie nach unten. Er hatte gerade noch so ihre Hand packen können, bevor sie in den Abgrund gefallen wäre, doch das machte nichts besser. »Das Dynamit!«, hörte er ihre panische Stimme.
Er musste eine Entscheidung treffen. Die Mission, oder seine große Liebe.
Lasse niemals zu, dass persönliche Gefühle die Mission gefährdenden.
Doch er konnte es nicht.
Ein weiterer Schuss. »Lillian!« Und dann spürte er nur noch wie ihre Hand seiner entglitt und ihren Schrei, als sie fiel.
»«
»Ich hätte dich niemals fallen gelassen«, sagte er leise. »Niemals.«
Er hätte das Kredo für sie gebrochen, die Assassinen hintergangen und er sagte die Wahrheit - und genau das machte sie wütend, denn sie wusste, dass er die Wahrheit sagte.
Sie drehte ihm den Rücken zu, damit er nicht sah wie kurz sie vor einem emotionalen Zusammenbruch stand. Auch wenn es nicht seine Schuld gewesen war, Lilly war ein Mensch, die sich so etwas nicht gut eingestehen konnten; für sie gab es nur schuldig und unschuldig.
»Es hat mich nie losgelassen. Bis heute nicht. Ich habe immer noch Alpträume.«
»Sei still.« ihre Stimme war kaum zu hören.
»Ich dachte jahrelang dass du tot sein musstest, ich gab mir die Schuld; es war eine Mischung aus Selbsthass und Hoffnung. Selbsthass, weil ich mir für alles die Schuld gab und mich verantwortlich fühlte und trotzdem war immer dieser winzige Funken Hoffnung präsent, dass du irgendwie überlebt haben könntest - aber wenn, würdest du mich auf ewig für das hassen, was passiert war. Aber ein Sturz aus dieser Höhe, das war unmöglich zu überleben.«
Sie zog ihre Hände zu Fäusten zusammen. »Sei still.« diesmal war ihre Stimme lauter, aber er hörte nicht auf sie. Sie konnte es nicht hören, weil Lilly genau wusste, dass er Recht hatte und sie sich nicht eingestehen wollte, dass ihr all das näher ging, als es sollte.
»Und dann hat sich der Selbsthass sogar ganz gut angefühlt, denn -egal wie es ausgegangen wäre- du wärst entweder tot gewesen, oder hättest mir nie verziehen.«
»Sei still!«, schrie sie plötzlich und fuhr herum, nur um Jacob dann direkt gegenüber zu stehen. »Sei verdammt noch mal still.« und dann schlang sie ihre Arme um seine Schultern, vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Sofort legte er seine Arme um sie, drückte sie so eng an sich wie es nur ging.
»Liebst du mich noch?«, fragte sie und -obwohl sie die Antwort schon wusste- wollte sie es von ihm hören. Sie musste.
»Ja«, sagte er leise.
»«
Jonathan McCroy saß in seinem einsamen erste Klasse Abteil im Expresszug nach Glasgow, vor sich ein fast fertiger Brief und ein Kerzenständer, der bei jeder Kurve, die der Zug nahm, bedrohlich wackelte.
Er sah mit einem leisen Seufzen aus dem Fenster zu seiner Rechten und überlegte, wie er den Brief an Lillian möglichst so abschließen konnte, dass sie sich keine Sorgen machen würde.
»Das ist ja schlimmer als Skalpelle polieren«, murmelte er und legte seine Stirn gegen seine Hand, die er auf dem Tisch abgestützt hatte. Ihm fiel nichts ein, wie er Lilly beruhigen könnte - und genau deswegen, ließ er es einfach bleiben. Sie würde die Wahrheit sowieso irgendwie ausgraben.
Er stand auf, verließ sein Abteil und begab sich in den angrenzenden Wagon, in dem einige andere Zuggäste an der Bar standen, in Sesseln saßen oder einfach nur in kleinen Gruppen beieinander standen und sich angeregt unterhielten.
Er lehnte sich etwas abseits der anderen Menschen, die allesamt zur reichen Oberschicht der Gesellschaft gehören mussten, an die Bar, bestellte sich einen Scotch und sah auf seine Taschenuhr. Ihm war schrecklich langweilig.
Er nahm einen großen Schluck und stellte überrascht fest, dass der Scotch sogar recht gut schmeckte.
»Sie reisen allein, nicht wahr?« eine Frau in einem hellblauen Kleid mit cremefarbenen Blumenranken lehnte sich neben ihm an den Tresen und warf ihm ein leichtes Lächeln zu. Ihre blonden Haare waren geflochten und ihre Augen strahlten Lebensfreude aus und sie schien sich wie ein bunter Punkt in einem monochromen Bild vom Rest der Passagiere abzuheben; sie war unglaublich schön. Aber dennoch nicht so schön wie Lillian.
Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Es muss sehr offensichtlich sein«, erwiderte er, woraufhin die Beiden leicht lachten.
Sie zuckte ihre Schultern. »Nun ja, ein Mann allein mit seinem Scotch an der Bar... mein Name ist Liza Leicester.«
»Ein Mann und sein Scotch sind sehr erfreut; Jonathan McCroy.« er gab ihr einen förmlichen Handkuss. Sie wirkte, als hätte sie auf etwas gewartet und in ihren Augen blitzte eine gewisse Enttäuschung auf, als was auch immer sie sich erhofft hatte, nicht eintrat. Doch sie überspielte dies gekonnt mit einem charmanten Lächeln.
Die Beiden unterhielten sich noch eine Weile, bis Jonathan sich schließlich entschuldigte und wieder in sein Abteil verschwand. Es war dunkel und der Zug rauschte durch die nächtliche Landschaft. Die Flure wurden durch Lampen erhellt und John saß bei Kerzenschein vor dem unvollendeten Brief und überlegte fieberhaft, wie zur Hölle er ihn beenden sollte.
Doch dann klopfte es an der Tür und er erhob sich schwerfällig; viel zu viele Gedanken kreisten in seinem Kopf umher. Doch einer gefiel ihm ganz und gar nicht - zerfraß ihn innerlich schon beinahe. Dennoch, wenn jetzt diese Liza vor seiner Tür stehen würde, wäre Jonathan mehr als nur genervt. Ja, sie war eine schöne Frau. Ja, er reiste allein. Aber nein, er war nicht diese Sorte Mann. Er hatte bereits die Frau seines Lebens gefunden.
Er öffnete die Tür mit einem Ruck - und erstarrte bevor er sie wieder zuwerfen konnte.
Der Zug rauschte weiter.
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Okay... jetzt ist bekannt was Lillian & Jacob damals erlebt haben -keine Sorge, es ist noch lang nicht vorbei mit den Beiden- und Jonathan hat jetzt auch... ziemliche Probleme am Hals, was glaubt ihr, ist passiert?
~May&Bae
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