III. Fänge der Schatten
»Ich kann nicht glauben dass du das gerade wirklich tust.« Jacob schüttelte mit einem leichten Lächeln seinen Kopf, als er Lillian beobachtete, die sich an der Leiche zu schaffen machte. Diese zuckte aber lediglich ihre Schultern. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
Jacob biss sich auf die Unterlippe, denn er wusste, dass sie recht hatte.
»Hier stimmt was nicht...«, murmelte Lillian und die Falten auf ihrer Stirn ließen sie ernster wirken, als sie eigentlich war.
»Du steckst mit beiden Händen im offenen Bauch einer Leiche und sagst da stimmt was nicht? Wie kommst du drauf Lilly...« sie beachtete seinen sarkastischen Kommentar nicht, sondern konzentrierte sich darauf, was John ihr beigebracht hatte.
»Die Gebärmutter fehlt«, stellte sie überrascht fest und beachtete ihre blutverschmierten Hände nicht, von denen die rote Flüssigkeit tropfte als wäre es Wasser. »Hm... interessant. Augen blutunterlaufen, geschwollen - sie hatte große Schmerzen vor dem Tod. Ihr Bauch aufgeschnitten... nein, aufgeschlitzt. Und zwar mit einem einzigen Schnitt, und das -oh Gott, arme Annie- während sie noch am Leben war.« Lillian schluckte und warf der Toten einen mitleidigen Blick zu, obwohl sie wusste, dass es ihr nichts mehr brachte.
»Woher weißt du das Alles?« Jacob stand neben ihr und hielt einen kleinen Gegenstand in seiner Hand, der im Licht metallisch aufblitzte. Lilly erkannte was es war; der Siegelring der Assassinen. »Jonathan ist Arzt, daher weiß ich so was«, antwortete sie ihm schlicht, zog sich die Handschuhe aus und stand wieder auf. Jacob nickte nur knapp.
Wer zur Hölle war dieser Jonathan von dem sie da sprach?
Hastig zog Lillian Jacob hinter eine Ecke und damit aus dem Blickfeld eines misstrauischen Polizisten. »Zuerst sollten wir von hier verschwinden, dann sehen wir weiter.«
Jacob hielt sie wieder eng bei sich, als sich die Widerhaken der Hakenklinge im Backstein verankerten. »Gute Idee.«
»«
Die Hufe des Rappen klackten entspannt über das Kopfsteinplaster, das so langsam in feste Erde überging, als Jacob den Growler durch die Außenbezirke von London lenkte. Das Pferd wieherte und richtete seinen Ohren nach vorn, als Lillian, die neben Jacob saß, anfing zu sprechen und etwas in ein kleines Buch zu schreiben.
»Also, Todeszeitpunkt ungefähr fünf bis sechs Uhr früh. Das Opfer ist weiblich, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, verdiente ihr Geld durch gelegentliche Prostitution und war Informantin der Bruderschaft... reizend, findest du nicht auch?« Jacob brummte nur etwas, was Lillian jedoch nicht als Zeichen auffasste, aufzuhören, sondern weitersprach. »Sie wurde gequält bevor sie starb, fast schon gefoltert. Und es war definitiv kein Gelegenheitsmord, nein, dafür war es zu... leidenschaftlich, zu professionell, verstehst du?«, Jacob nickte. »Wir haben es hier mit Jack the Ripper zu tun, einem passionierten Serienmörder...« nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe herum, etwas, das sie immer tat wenn sie angestrengt nachdachte, wie Jacob wusste.
»Und was stört dich dann noch daran?«, wollte er wissen, nachdem er ihren Gesichtsausdruck erfolgreich gedeutet hatte.
»Wieso hat der Ripper ihr ein Organ entnommen? War es wahllos? Oder gezielt? Hat das eine Bedeutung?« Lillian war in ihrem Element. Es hatte sich ein Rätsel aufgetan, ein dunkles Geheimnis, welches sie Stück für Stück ins Licht ziehen musste, sonst würde es sie in die Dunkelheit zerren. Und dann würde sie niemand mehr retten können. »Du bist ehrgeiziger als die Leichenbeschauer, das muss man dir lassen Lil'«, murmelte Jacob in Gedanken versunken.
»Welche Leichenbeschauer? Was hat das denn jetzt hiermit zutun?«
»Die, die Mary Ann Nichols Leiche biopsiert haben, das erste Opfer des Ripper's«, sagte Jacob und lenkte die Kutsche in eine schattige Allee. Lillian blieb still. Sie schwieg. »Halt an.« die Worte kamen so plötzlich, dass Jacob ohne Widerspruch tat was sie sagte, bevor er sich zu ihr drehte und sie fragend ansah. »Was ist?« Lillian strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. Bevor sie Jacob antwortete. »Mary Ann Nichols ist der Schlüssel, ich muss mir sofort ihre Leiche ansehen, Jacob. Jetzt sofort. Wenn die Verwesung schon eingetreten ist, dürfte bald nichts mehr von ihr übrig sein.«
»Du willst zur Leichenhalle?!« geschockt starrte Jacob sie an. Diese Frau war unfassbar, die meisten Frauen rannten schon beim Klang des Wortes »Leichenhalle« schreiend davon, doch Lillian... unglaublich. Sie stöhnte auf. »Ich will nicht zur Leichenhalle, ich will in die Leichenhalle.«
Jacob stand der Mund offen. »D-du... willst was?« noch während er sie fassungslos anstarrte, nahm sie ihm die Zügel aus der Hand. »Ich denke du weißt ganz genau was ich will, Jacob«, sie machte ein klickendes Geräusch mit ihrer Zunge und das Pferd lief weiter. »Gut so Mädchen.«
»«
»Das darf doch jetzt nicht wahr sein«, stöhnte Lillian und sah fassungslos auf den Eingang des großen Gebäudes und die davorstehenden Polizisten. Es waren mindestens zehn. »Wie kommen wir jetzt in die verdammte Leichenhalle?«
»Ahm, ich lenke sie ab und du schleichst rein? Mit so vielen werde ich locker fertig«, schlug Jacob fast schon etwas selbstgefällig vor, doch Lillian machte nur eine abfällige Handbewegung. »Nein, so wie ich dich kenne wirst du sie niederschlagen und wenn das dann jemand sieht, sind wir beide geliefert - und mit diesem Kleid will ich nicht in einer Zelle hocken, dafür war es dezent zu teuer.«
Er rollte seine Augen, sah aber ein, dass Lillian recht behielt; einfach würde es nicht werden, sie brauchten einen besseren Plan. Einen wesentlich Besseren. »Gib mir bis Morgen Abend Zeit, dann treffen wir uns wieder hier.« Lillian reckte ihr Kinn ein wenig höher in die Luft und wollte sich schon unauffällig von Jacob entfernen, als dieser sie am Handgelenk festhielt. »Was hast du jetzt schon wieder vor? Und ich dachte du wolltest so dringend in die Leichenhalle?«
Jetzt lächelte sie besonnen und löste Jacob's Hand von ihrem Handgelenk. »Ich werde uns eine Gelegenheit verschaffen, aber das braucht Zeit bis morgen. Und so wie die Halle bewacht wird, ist die Leiche, an die wir wollen, noch da drin, also vertrau mir einfach Jacob. Miss Nichols läuft uns ja nicht weg...« und damit blieb Lillian am Rand des Gehweg's stehen und hob die Hand, um eine Kutsche anzuhalten.
Jacob sah ihr nach als sie in den Growler einstieg und wenig später über das Straßenplaster davon rumpelte.
Wie ironisch.
Ihm war klar, dass es ihm um einiges leichter fiel ihr zu vertrauen, als sie ihm. Wenn sie ihm überhaupt noch traute, was nicht unbedingt gewährleistet war, denn obwohl Lillian mit nur einem Blick einen Menschen durchschauen und -wie ein offenes Buch- lesen konnte, war es so gut wie unmöglich, etwas von ihr zu erfahren, wenn sie es nicht wollte.
»«
Frederick Abberline saß an seinem Schreibtisch im Londoner Police Department und brütete über einer Fallakte, deren lausig beschriebene Seiten er immer wieder umblätterte, als würde er ein langweiliges Buch lesen. Die Glühlampe an der Decke spendete nur spärlich Licht und der Mond, der durch das Fenster hinter ihm hereinschien, war von dunklen Wolken verhangen. Das perfekte Szenario für einen neuen Mord.
Nachdenklich strich sich der Inspektor über seinen Bart und trommelte mit der Rückseite seines Füller's auf die Holzplatte des Tisches. Es bestand kein Zweifel, dass die beiden ermordeten Frauen, Mary Ann Nichols und Annie Chapman, Opfer von Jack the Ripper waren. Und auch das plötzlich aufkommende Interesse der Assassinen und Miss Flores, bestätigte dies. Miss Flores... seit wann arbeitete sie mit den Assassinen zusammen? Sonst achtete sie doch immer penibel darauf, immer allein zu arbeiten. Und jetzt das?
»Frederick, sie müssen mir einen Gefallen tun.« Abberline zuckte heftig zusammen, ließ einen spitzen Schrei los und seinen Füller Fallen, beinahe wäre er von seinem Stuhl aufgesprungen. »Jetzt.«
»Herr Gott nochmal, Miss Flores!«, Abberline atmete tief durch, hob seinen Füller vom Boden auf und verschränkte seine Hände vor sich auf der Tischplatte. »Was wollen sie denn nun schon wieder?«
Gespielt verletzt hielt sich Lillian eine Hand auf die Brust. »Oh Frederick, nicht gleich so unhöflich werden mein Bester, ich bin immer noch eine Lady.«
Abberline sah sie ausdruckslos an, was ihr so viel sagen sollte, wie »eine Lady? Sie? Das muss eine Verwechslung sein«.
»Sagen Sie mir bitte einfach was ich für Sie tun kann und dann lassen Sie mich bitte wieder allein mit meinem Fall.«
Entzückt kicherte Lillian und stützte sich auf die andere Seite des Schreibtisches auf. »Ach, was für ein Fall denn?«
»Was für ein Fall?«, wiederholte Abberline Lillian's Worte ungläubig, da ihn diese offenherzige Unverschämtheit, einfach so nach geheimen Dingen zu fragen, schockierte. »Na ja wie dem auch sei«, Lillian winkte ab. »Ich brauche jegliche Information zu Jack the Ripper, die Sie hier auftreiben können.«
»Jegliche Information?« Abberline musste dringend damit aufhören, die Worte von Lillian andauernd zu wiederholen. Sie nickte. »Alle. Jetzt sofort.«
»Alle?!« ach, verdammt.
Sie nickte. »Das verlange ich von Ihnen, Frederick. Das tun Sie doch für mich, oder?« sie sah ihn mit großen Augen an, was den Charme eines unwiderstehlichen kleinen Mädchen's hatte, dem sich Abberline noch nie hatte entziehen können. Er erhob sich seufzend. »Habe ich eine Wahl, Miss Flores?«
Sie lächelte lieblich. »Natürlich nicht.«
»Doch«, Abberline hielt inne und hob warnend einen Zeigefinger. »ich verlange im Gegenzug auch etwas von Ihnen.«
Lillian knirschte widerwillig mit den Zähnen und verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Na gut.«
»«
»Und das ist alles was Sie wissen?!« enttäuscht schloss Lillian die Akte, die sie eben noch in ihren Händen gehalten hatte und warf sie zu den anderen auf Abberline's Tisch zurück, zu drei anderen, die sie ebenfalls schon eingesehen hatte. Verlegen trat der Inspektor von einem Fuß auf den Anderen. »Nun ja, Sie müssen verstehen; Jack the Ripper ist kein gewöhnlicher Krimmineller...«
Unruhig fuhr sie sich durch die Haare. Es konnte doch nicht sein, dass die Polizei so wenig über den Ripper herausgefunden hatte... »Das reicht mir nicht, Frederick. Ich brauche deutlich mehr.«
»Wir haben aber nicht mehr, Miss Flores«, versuchte er ihr unmissverständlich deutlich zu machen, schlug eine Akte auf und zeigte sie ihr. »Denken Sie nicht, wir versuchen ebenfalls herauszufinden wer hinter diesen Morden steckt?«
Lillian legte den Kopf leicht schief und zog ihre Augenbrauen zusammen. »Wer ist Patricia Lorraine Thatcher?« sie deutete auf einen unscheinbaren Namen, der ganz unten auf dem Blatt Papier in winzigen Buchstaben notiert worden war. Abberline legte die Stirn in Falten. »Miss Thatcher? Oh, sie wurde am Tatort des ersten Mordes gesehen und sollte als Zeugin aussagen, doch sie hat sich vor Wochen in ihrer Wohnung verbarrikadiert und weigert sich, mit uns zu sprechen.«
Lillian nahm ein Tintenfass von Abberline's Schreibtisch und kippte, ehe der Inspektor etwas einwenden konnte, ein wenig der dunkelblauen Flüssigkeit über die kleine Randnotitz. Fassungslos starrte Frederick Abberline sie an. »Was haben Sie da getan?! Hinweise zu Manipulieren gilt als verbrechen, Miss Flores!«
»Ich manipuliere sie nicht, ich verwische sie. Sorgen Sie dafür, dass der Name Patricia Lorraine Thatcher aus den Akten von Jack the Ripper verschwindet«, sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte mysteriös. »Sie wissen gar nicht wie sehr Sie mir gerade eben geholfen haben Frederick...«
Verdutzt schaute Abberline zu, wie sie zur Tür ging, doch dann besann er sich schnell und rief sie zurück, weshalb sie tatsächlich stehen blieb. »Verraten Sie mir, in welcher Verbindung stehen Sie mit Jacob Frye? Ich dachte Sie arbeiten lieber allein?«
Sie hielt inne. Was sie jetzt sagen würde, könnte sich verheeren für sie auswirekn. Sie sah über ihre Schulter zu Abberline. »In keiner guten, Mister Abberline. Und ja, Sie haben Recht; seit dem arbeite ich allein.«
»«
Die Straßenlaternen leuchteten hell, als sie den Gehweg entlang lief. Der Klang ihrer Schritte war das Einzige, was in der tiefen Nacht zu hören war, die über London hing und alles halbwegs friedlich schlafen ließ. Die Straße war wie ausgestorben, doch die Fenster, der hohen Häuser leuchteten warm und hell. Wer konnte es den Menschen verdenken, sich jetzt -in der bedrohlichen Dunkelheit- in die Geborgenheit ihrer Wohnungen zu flüchten?
Whitechapel war nicht immer ein Ort von blutrünstiger Grausamkeit, manchmal, da war es fast schon angenehm normal. Er wich in die Schatten einer Häuserecke zurück, als Lillian Flores stehen blieb und sich zu einem Bettler hinunterbeugte. Sie wühlte etwas in den Taschen ihres Kleides und beförderte ein paar schimmernde Münzen zu Tage. Mit einem Lächeln erhob sie sich wieder, als der Bettler ihr hinterher haspelte, dass er für sie beten würde und sie gesegnet sei. Doch Lillian war keine gläubige Frau.
Er hätte fast verträumt aufgeseufzt, als er ihr weiter hinterhersah. Doch er schüttelte den Gedanken schnell ab und folgte ihr weiter, übersah jedoch eine am Boden liegende Glasflasche, die er infolgedessen mit seinem Fuß zur Seite stieß, so vertieft war er in seine Gedanken, die sich diesmal einzig und allein um die schöne junge Frau drehten, die allein in der tiefen Nacht durch die Straßen Whitechapel's lief. Doch plötzlich blieb sie stehen. Sie hatte das Geräusch gehört.
Gerade noch rechtzeitig versteckte er sich in einer schmalen Seitengasse , bevor sie sich umdrehte.
Einige Sekunden lang passierte nichts. Er hielt gespannt den Atem an. Was würde sie tun? Sie faszinierte ihn auf eine... leidenschaftliche Art. Er spähte um die Ecke und sah gerade noch, wie sie ihren hübschen Kopf schüttelte und leise »Ratten« murmelte.
Oh kleines, hübsches Ding, wenn du nur wüsstest...
Sie lief weiter, er folgte ihr. Wie ein treuer Hund in den Schatten Whitechapel's. Doch plötzlich fiel sein Blick auf eine dreckige Gestalt am Boden, die zusammengekauert auf den Stufen vor einem Geschäft saß und zitternd zu ihm aufblickte.
Er sah zurück, legte spielerisch den Kopf schief. In den Augen des Mannes erkannte er die Angst; Angst um sein Leben. Und es war immer noch eines der schönsten Dinge, die er jemals gesehen hatte.
Das Hallen von nackten Füßen, die das Kopfsteinpflaster entlang rannten, zog Lillian's Aufmerksamkeit auf sich. Sie drehte sich um und ließ ihren Blick durch die Gegend schweifen. Sie schluckte. Der Bettler stolperte die Straße in die entgegengesetzte Richtung so schnell hinunter, als wäre der Teufel hinter ihm her. Ihre Hände begannen zu zittern, weswegen sie sie in den Taschen vergrub und weiterlief, sich nichts anmerken ließ was sie gesehen hatte. Und was sie ahnte.
Lillian verfluchte sich selbst, wieso war sie auch mitten in der Nacht auf die Idee gekommen allein nach hause zu laufen? War sie von Sinnen?! Sie kannte sich gut in London aus, noch besser in den Fängen der Schatten, doch heute war sie im Licht. Sie verfluchte Jacob, dass er sie in diese ganze Sache mit hineingezogen hatte und hoffte, dass sie es bis zu ihrer Wohnung schaffen würde.
Möglichst lebend. Und in einem Stück - was bei Jack the Ripper eigentlich unmöglich war.
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Hallihallohallöchen :D oh Mann, das macht so Spaß das zu schreiben (nein, ich ticke noch richtig)
Sagt mal, wen shippt ihr den/ würdet shippen? Interessiert mich wahnsinnig, weil in dieser Ac Story so gar keine Grenzen gesetzt sind...
Bis dann Leute,
~May&Bae
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