I. Mistress of the Mysteries
Leise schlich sich Lillian durch das Treppenhaus, des alten Londoner Stadthauses, dessen alte Holztreppen für gewöhnlich immer fürchterlich laut knarrten. Doch sie musste leise sein, sie kam gerade von einem geheimen Austausch mit Frederick Abberline, der ihre Dienste eher widerwillig noch einmal in Anspruch nehmen musste. Ihr erstes Treffen lag inzwischen schon fast zwei Wochen zurück.
Doch es war nicht Abberline, um den sich Lillian im Moment Sorgen machte, sondern jemand anders.
Geräuschlos öffnete sie die Tür zu ihrer Wohnung, die sie von ihren verstorbenen Eltern geerbt hatte. Trotz dessen, dass es der Wohnung an prunkvollem Luxus fehlte, war sie eines der gemütlichsten Plätze in ganz London, wie Lillian fand. Ein Feuer brannte im Kamin faul vor sich hin und ihre Teetasse und der Teller mit Keksen stand noch genau an derselben Stelle wie heute Nachmittag. Sie atmete leise aus. Das hieß Jonathan war noch nicht zuhause und das wiederum hieß, dass sie sich keine Standpauke anhören musste wie-
Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als sie zwei Hände sie von hinten packten, sie herumdrehten und keinen Atemzug später spürte sie Lippen auf ihren. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb ihr wortwörtlich die Luft weg, doch fast zeitgleich erkannte sie wer sie da so unverhohlen überfallen hatte.
»Irgendwann erwürge ich dich noch dafür Jonathan«, war das Erste, was Lillian sagte, als sie den Kuss beendete und ihr Gegenüber mit einem Ruck von sich drückte. Ein Lächeln umspielte die rauen Lippen von Jonathan, da er genau das an Lillian liebte; ihr aufbrausendes Temperament. Er lachte leise, bevor er zu ihr ans Fenster ging, sie von hinten umarmte und einen Kuss auf ihre Wange hauchte. »Ich liebe dich auch Lilly.«
Lillian konnte nicht anders als zu lächeln, denn sie war sich dessen bewusst. »Wo warst du? Ich hab mir Sorgen gemacht.«
Jetzt seufzte Lilly und lehnte ihren Kopf gegen Jonathan's Schulter. Sie kam sich vor wie ein kleines Kind, das irgendetwas angestellt hatte. »Ich hatte noch einen Auftrag zu erledigen, nichts Großes. Also, kein Grund zur Sorge John.«
»Kein Grund zur Sorge?«, die Worte verließen seinen Mund schärfer, als sie sollten. »Natürlich habe ich einen Grund zur Sorge! Und sein Name ist Jack the Ripper.« wie zur theatralischen Untermalung seiner Worte, zuckte in der Nähe ein Blitz über den Himmel, dem ein grollender Donner folgte.
Doch Lillian kannte Jonathan zu lange und zu innig, als um sich von seinen harschen Worten abschrecken zu lassen. Sie wusste was er ernst meinte und wenn er nur scherzte. Wenn er wirklich wütend war oder er sich wieder einmal einen Spaß mit ihr erlaubte. »Hör zu John«, sagte sie einfühlsam. »Niemand kennt den schmutzigen Filz in London's Unterwelt besser als ich, solange ich in den Schatten bleibe und den Kopf untenhalte, passiert mir nichts.«
John warf ihr einen säuerlichen Blick zu, als er sich auf einen der roten Sessel vor dem Kamin gleiten ließ. »Darling, du bist der schmutzige Filz.«
»Danke. Ich tu mal so als hätte ich das nicht gehört«, rief sie noch als sie in die Küche ging, heißes Wasser aufsetzte und sich einen neuen Teller mit Keksen nahm. »Auch eine Tasse?«
Jonathan seufzte niedergeschlagen und stand auf. »Nein, danke Lilly. Ich bleibe nicht lang; ich hab die Nachtschicht im Hospital übernommen - bedeutet, wir sehen uns erst morgen früh wieder.«
Am liebsten hätte Lilly mit einem Fuß aufgestampft, wie ein bockiges Kind. Sie wusste dass John seine Arbeit liebte und selbst wenn er mitten in der Nacht blutverschmiert nach Hause kam, umarmte sie ihn dennoch und scheute sich nicht vor dem bisschen Blut.
Sie gab ihm einen langen Kuss, was Jonathan schief grinsen ließ und das draufgängerische Funkeln in seinen grauen Augen machte ihn noch attraktiver, als er ohnehin schon war. Mit seinen dunkelblonden Haaren, dem gutaussehenden Gesicht, der Narbe am rechten Auge -die ihn verwegen wirken ließ- und dem breiten Kreuz, hatte Jonathan McCroy viele Verehrerinnen. Aber dennoch gab es für ihn immer nur Lillian, das überaus freche, kluge Mädchen aus Oxford, welches eigentlich eher zufällig in John's Leben gestolpert war.
Kaum hörte Lillian die Haustür zuschlagen, ließ sie sich frustriert gegen einen Küchenschrank sinken. Sie hasste es in ihrer Wohnung allein zu sein. Nicht weil sie sich fürchtete, sondern, weil es ohne Jonathan nicht dasselbe war.
»«
Es war schon spät in der Nacht, als das Gewitter über London wütete. Regen peitschte durch die Straßen, Pferde scheuten wenn es blitzte und wierten angsterfüllt beim Donnergrollen. In der Wohnung jedoch war es warm und gemütlich. Lillian saß mit einem Buch, Tee und Keksen vor dem Kamin und beachtete das Toben vor den Fenstern gar nicht wirklich. Ihr Kleid hing wieder im Schrank bei den Anderen, sie hatte sich ein Hemd von John übergezogen, ihre langen dunklen Haare fielen ihr unordentlich über die Schultern und jede andere Frau hätte sich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und wäre bei diesem ganz und gar nicht ladyliken Anblick in Ohnmacht gefallen. Doch Lillian war es egal.
In der stille des Wohnzimmer's war nur das Knacken und Knistern des Kamin's und das leise Blättern von Buchseiten zu hören. Ansonsten war es still wie in einem Grab. Gerade als sie noch einen Schluck ihres Tee's nehmen wollte, merkte sie, dass er leer war. Seufzend legte sie ihr Buch zur Seite, stand auf und lief in die Küche, um noch einmal heißes Wasser aufzufüllen.
Sie stand mit dem Rücken zur Tür, ihre Füße auf den kalten Fliesen. Doch ein Knarren, so leise, dass man es überhörte, wenn man nicht wusste dass es die eine Bodendiele im Flur war, ließ sie kaum merklich zusammenzucken und in ihrer Bewegung erstarren. Sie war nicht allein.
Doch es war nichts zu hören. Es war totenstill. Ihre Hände umschlossen kurz die Teetasse, die so heiß war, dass Lillian das Gefühl hatte ihre Hände würden verbrennen, bevor sie ihre Augen schloss, bis fünf zählte und sich dann wieder entspannte.
»Möchtest du auch eine Tasse?«
Sie hörte einen dumpfen Knall, als wäre jemand überrascht über den Stapel Bücher am Boden gestolpert und kurz danach ein paar leise Flüche. Lillian füllte eine zweite Tasse mit heißem Wasser, nahm beide und lief zurück ins Wohnzimmer.
In einer dunklen Ecke machte sie eine Gestalt aus, die noch etwas benommen auf dem Boden saß und sich den Kopf hielt. Sie blieb vor dem Unbekannten Eindringlich stehen. »Darf ich dir eine Tasse Darjeeling anbieten?«
Er hob den Kopf. »Verflucht seist du Lillian«, fluchte er leise. »Aber ja, danke.«
Wenig später saßen die Beiden in den roten Sesseln vor dem Kamin, tranken schweigend ihren Tee und mussten sich verlegen eingestehen, dass sie nicht wussten wie und wo sie anfangen sollten.
Lillian räusperte sich leise und stellte ihre Teetasse auf einen hohen Stapel Bücher. »Nun... Jacob, was machst du hier?«
Der Assassine schien einen Moment lang nicht ganz zu wissen, was sie mit dieser Frage bezweckte. »Du musst mir einen Gefallen tun, Lillian.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Einen Gefallen? Denkst du nicht das, was ich für die Assassinen Bruderschaft tue, ist Gefallen genug?« die Spannung zwischen den Beiden war fast zum zerreißen gespannt.
»Lilly bitte«, Jacob Frye spannte seinen Kiefer an und sah kurz neben sich zu Boden. »Ich weiß deine Hilfe und Informationen mehr zu schätzen als jeder Andere, aber bitte hör mir zu Lil'.«
Sie schluckte. Lilly. Lil'. So lange war es eigentlich noch nicht her.
»Du hast fünf Minuten.«
Ein dankbares Lächeln breitete sich auf Jacob's Gesicht aus. »Die Sache um die ich dich bitte, ist gefährlich, vielleicht sogar tödlich. Aber ich würde es nicht tun, wenn ich nicht dazu gezwungen wäre. Die Sache ist die«, er zögerte einen Moment. »du musst jemanden für die Assassinen aufspüren und beschatten. Seine Geheimnisse ausgraben, sein Schatten sein.«
Lillian blieb stumm und sah wie in Trance ins Feuer. Sie focht einen stummen Kampf in ihrem Inneren aus, ob sie Jacob helfen sollte oder nicht. Er musste gemerkt haben, warum sie schwieg, denn fuhr sich mit einer Hand rastlos durch die Haare. »Lilly bitte, tu es für einen alten Freund.«
Ruckartig drehte sie ihren Kopf zu ihm und sah ihn eisig an. »Alten Freund? So nennst du das, ja? Interessant.« sarkastisch rollte sie ihre Augen, die sich perplex weiteten, als sich Jacob plötzlich vor sie kniete, ihre Hände in seine nahm und zu ihr aufsah.
»Lil'«, sagte er dunkel. »Ich flehe dich an. Ich brauche deine Hilfe. Die Assassinen brauchen deine Hilfe, Mistress of the Mysteries.«
Am liebsten hätte sie ihm ihre zitternden Hände entrissen, ihm eine Ohrfeige verpasst und ihn angeschrien, dass er sie im Stich gelassen hatte und dass sie dies nun auch tun würde.
Doch er kannte sie besser. Er wusste genau, dass er ihr Ehr- und Pflichtgefühl angekratzt hatte und dies bei Lillian größer war, als bei vielen Menschen die er kannte.
»Jacob ich... wer ist es? Wen soll ich für euch beschatten?« sie fühlte sich vollkommen aus dem Konzept gebracht, sie konnte eine solche Entscheidung doch nicht einfach so mir nichts dir nichts treffen - immerhin ging es um Leben oder Tod, das hatte Jacob selbst gesagt.
Er sah ihr in die Augen. »Jack the Ripper.«
Ihr Herz geriet ins Stolpern.
»«
»Annieeee«, trällerte er und wog das Messer in seiner Hand, als er in die verlassene Straße schlenderte; wohlwissend, dass sie ihm nicht mehr entkommen könnte. Das bestätigte die Blutspur auf dem Boden, die immer größer zu werden schien. Er hatte ihr gut zugesetzt, das musste er sich eingestehen.
»Lauf nur kleine Annie, das macht mir Spaß. Kriegen werde ich dich dennoch.«
Von Todesangst beflügelt rannte sie weiter. Immer weiter. Ihre Füße taten vom Kopfsteinpflaster weh, doch solang sie noch rennen konnte, rannte sie. Ihre Lunge schmerzte, ihr Herz raste und ihr Kleid war in Blut getränkt. An einer Ecke blieb sie außer Atem und am Ende ihrer Kräfte stehen, hielt sich an einer kaputten Straßenlaterne fest und lauschte. Nichts. Hatte sie ihn abgehängt? Hatte er ihre Spur im Dunkeln verloren? Sie sah sich um. Doch sie konnte niemanden in der Dunkelheit ausmachen.
»Hinter dir.«
Annie schrie auf und rannte weiter. Dieses Monster war wie ein Bluthund, hatte er einmal die Witterung aufgenommen ließ er sich nicht mehr abschütteln und jagte sie solange, bis er ihr den Todesstoß so qualvoll langsam versetzten konnte, wie es ihm Spaß machte. »Oh Annie...«, er lachte gehässig. »When I was a boy my mother often said to me:
Get married boy and see how happy you will be.«
Sie stieß einen Schrei aus, als stünde sie unter Höllenqualen. Jack the Ripper war ein Monster, schlimmer als alles andere auf der Welt - da war sie sich sicher.
»I have looked all over, but no girlie can I find,
Who seems to be just like the little girl I have in mind,
I will have to look around until the right one I have found«, sang Jack und seufzte auf, als er Annie stolpern sah. Er hoffte, sie hatte sich nicht unnötig verletzt. Ihr Körper musste noch intakt sein, sonst hatte er sich für umsonst die Hände schmutzig gemacht.
»I want a girl, just like the girl that married dear old Dad
She was a pearl and the only girl that Daddy ever had.« Annie kroch durch den Matsch zu seinem Füßen, in letzter Hoffnung ihr erbärmliches Leben doch noch zu retten. Er schüttelte seinen Kopf, dummes Mädchen. Er schob eine Schuhspitze unter ihren Bauch und drehte sie mit einem Tritt auf den Rücken, sodass sie schmerzvoll aufschrie, mit einem Fuß auf ihrem Bauch, hielt er sie an Ort und Stelle. Diese ganzen Fluchtversuche, die sowieso fehlschlugen und nicht das Geringste brachten, hatte er so langsam satt. Ihre Tränen vermischten sich mit dem Dreck der Straßen Whitechapel's und ihr Schluchzen ging im Regen unter. »Bitte«, flehte sie. »Bitte... nicht!«
Erneut schüttelte er fast etwas enttäuscht seinen Kopf. »A good old fashioned girl with heart so true,
One who loves nobody else but you...« Wieso weinte sie denn? Sie sollte sich freuen, lachen. Sie würde Teil eines anderen Lebens werden, eines Lebens, dass so rein und lebenswert war. Was war da schon das Leben einer einzelnen?
Er warf das Messer in seiner Hand kurz hoch, sodass die Klinge im Licht eines Blitzes bedrohlich aufblitzte, als er sie zum Todestoß hob. Annie schloss schluchzend und weinend ihre Augen. »Dear God, vergib mir all meine Sünden.«
»I want a girl, just like the girl that married dear old Dad. And now, lil' Annie, you. Are. Dead!«
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A/N: I want a girl - American Quartet [Outlast Version]
Also, was haltet ihr von dem Kapitel, passt der Schreibstil? Too much, too less? Lasst es mich wissen, denn mir ist das echt wichtig😊
Also, frei heraus was denkt ihr von allem? Von Jacob und Lillian, von Lillian und Jonathan... von einfach allem.
Wir sehen uns bald wieder, und bis dahin bleibt gespannt wer der Ripper ist!
~May&Bae
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