2. Kapitel
Das Klimpern von Eiswürfeln, welche in ein Glas gefüllt werden, reißt mich zurück in die Realität.
Verwirrt runzle ich meine Stirn und höre angestrengter, was in meiner Umgebung geschieht. Jemand hantiert in meiner Küche herum.
Vorsichtig versuche ich, mich anders hinzusetzen und ziehe scharf die Luft ein, als ich realisiere, dass ich mich nicht bewegen kann. Meine Arme sind auf meinem Rücken hinter der Stuhllehne zusammengebunden, meine Beine an die jeweiligen Stuhlbeine gefesselt.
Mein Puls beginnt sich zu beschleunigen, als mir wieder einfällt, was geschehen ist. Der Blumenstrauß auf meinem Tisch, mein Stalker, der es geschafft hat, mich zu überwältigen.
Hasserfüllt öffne ich meine Augen und blicke geradewegs in Richtung Küche. Dort stehen auf der Theke zwei Gläser, in denen sich die Eiswürfel befinden, die ich gehört habe. Ich bin selbst darüber erstaunt, dieses Geräusch so sicher identifiziert zu haben. Traurigerweise verdeutlicht es mir nur, wie oft ich in den letzten Wochen zu Alkohol gegriffen habe.
Der schwarzhaarige Mann fischt sich eine Flasche Whiskey aus meinem Kühlschrank und kippt eine beachtliche Menge davon in sein Glas. Dann stellt er die Flasche wieder zurück und legt auch den Eispickel zielsicher in die richtige Schublade zurück. Schwungvoll fegt er das zersplitterte, kleine Eis mit den Händen zusammen und wirft es in die Spüle. Er bewegt sich in meiner Küche, als würde er hier wohnen.
Er kennt sich aus, er weiß, wo etwas steht. Es ist nicht das erste Mal, dass er hier ist.
Diese Erkenntnis raubt mir den Atem und ich kneife meine Augen zusammen. Wieso ist mir vorher nie aufgefallen, dass ein Einbrecher in meiner Wohnung war? Habe ich es nicht wahrnehmen wollen? Oder war ich zu abgelenkt von meinen eigenen Problemen gewesen, sodass ich blind durchs Leben gelaufen bin? Ich weiß es nicht. Aber ändern kann ich es jetzt auch nicht mehr. Denn jetzt ist es zu spät.
"So", seufzt der Kerl als er merkt, dass ich wach bin und ihn anstarre. Er nimmt sich sein Glas und geht damit in der Hand zu mir herüber. Mit einem leisen Klacken stellt er es auf den Esstisch direkt vor mir. Er setzt sich schräg neben mich an den Tisch und mustert mich. Kurz bleibt sein Blick an der pochenden Stelle an meiner Schläfe hängen, mit welcher ich Bekanntschaft mit der Tischplatte gemacht habe. "Tut es weh?", fragt er und trinkt gelassen einen Schluck seines Getränks. Dabei lässt er mich keine einzige Sekunde aus den Augen.
Schnaubend wende ich meinen Blick von ihm ab. "Was willst du von mir?", antworte ich mit einer Gegenfrage. Aber anstatt einer Antwort, bekomme ich nur ein amüsiertes Lachen zu hören.
Der Kioskbesitzer stellt in einer langsamen, aber fließenden Bewegung sein Glas wieder auf dem Tisch ab. Wären meine Hände nicht so fest zusammengebunden, dass die Kabelbinder in meine Haut schneiden, hätte ich das Glas wütend vom Tisch gefegt. Aber so muss ich ihm regungslos wie eine Puppe dabei zusehen, wie er aufsteht und sich in meiner Wohnung bewegt, als wäre es seine eigene.
"Die Frage werde ich dir später beantworten", meint er langsam, während er sich eine Fotografie ansieht, welche auf meiner Kommode steht. Es ist ein Bild von mir und meinem alten Hund. Leider musste ich ihn vor einem Jahr plötzlich einschläfern lassen. Er war alt, aber immer mein treuer Begleiter gewesen. Bis heute treten mir Tränen in die Augen, wenn ich an ihn zurückdenke. An diese Nacht, in der ich ihn gehen lassen musste.
Und es zerreißt mir das Herz, wie er jetzt auf dem Bild von diesem Wahnsinnigen gemustert wird. "Gut, dass er anscheinend schon tot ist. Sonst hätte er mir im Weg gestanden. Dann hätte ich dafür gesorgt, dass er aus dem Fenster fliegt", überlegt er. Krampfhaft versuche ich, meine Tränen zurückzuhalten. Fest beiße ich mir auf meine zitternde Unterlippe.
Ich hasse diesen Kerl. Er hat kein Recht dazu, so über meinen Hund zu reden, welcher bis jetzt zu den wichtigsten Lebewesen in meinem Leben gehörte. Aber er sagt die Wahrheit. Mein Hund hätte mich vor diesem kranken Schwein versucht zu beschützen.
Nun bin ich ihm alleine ausgeliefert und verdammt nochmal, mir fällt nichts ein, wie ich ihn wieder loswerde. Er gräbt sich wie ein Parasit immer weiter in mein Leben ein, in meine Privatsphäre und zerstört alles, was mir etwas bedeutet mit seinen Worten und seiner reinen Anwesenheit.
"Was willst du von mir?", wiederhole ich flüsternd meine Frage. Ich gehe davon aus, wieder keine Antwort zu erhalten, aber es ist das Einzige, was mir einfällt, um ihn von dem Bild abzulenken. Es gelingt mir sogar.
Der Kerl fährt zu mir herüber, ist mit ein paar großen Schritten bei mir und hat mein Kinn gepackt. Grob drückt er meinen Kopf nach hinten, sodass ich gezwungen bin, zu ihm hochzusehen.
"Ich sagte, dass beantworte ich dir später", zischt er und mustert mich eiskalt. Mein Herz überschlägt sich vor Schreck in meiner Brust, aber ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Stattdessen blicke ich trotzig zu ihm hoch und öffne meinen Mund, um etwas zu sagen. Er hindert mich daran, indem er mit seinem Daumen über meine Unterlippe fährt. Ganz sanft spüre ich seine Berührung und weiche mit dem Kopf ein Stück nach hinten aus.
"Ich kann dir aber schon mal sagen, dass es etwas mit deinem Lippenstift zu tun hat", raunt er leise und ich schließe meine Augen. Na klasse. Also habe ich ihn durch mein äußeres Erscheinungsbild auf mich aufmerksam gemacht. Weil ich mich leicht geschminkt habe. Nur weil man eine rote Farbe auf den Lippen trägt, heißt es doch noch lange nicht, dass man zum Freiwild von anderen Menschen wird. Aber er hat es scheinbar so interpretiert. Was mir nur wieder verdeutlicht, wie dumm er ist.
"Der steht im Bad. Kannst du dir gerne mitnehmen. Weißt doch bestimmt eh schon, wo er ist", platzt es aus mir heraus und ich stocke über mich selbst erschrocken. Es ist wirklich keine gute Idee, ihn zu provozieren. Um ehrlich zu sein weiß ich auch nicht, wieso ich es getan habe. Aber es hat sich gut angefühlt.
Bis zu dem Augenblick, in dem er mir eine Ohrfeige verpasst. Mein Kopf wird zur Seite geworfen und meine Wange fängt an, wie Feuer zu brennen. Ich presse meine Lippen zusammen und halte meinen Kopf weiterhin seitlich. Ich will ihm nicht hasserfüllt in die Augen blicken und ihn damit motivieren, erneut zuzuschlagen. Deswegen halte ich meinen Blick gesenkt und drehe probehalber meine Handgelenke. Scharf schneidet der Kabelbinder tiefer in meine Haut.
Ich spüre, wie mir eine dünne Linie meines warmen Blutes über den Handrücken läuft. Ganz langsam bahnt es sich einen Weg über meine Haut, erreicht meine Finger und tropft schließlich von meinen Fingerkuppen. Das leise platschende Geräusch, als es auf dem Boden landet, hört sich ungewöhnlich laut an, so still ist es zwischen uns beiden.
Ganz langsam drehe ich meinen Kopf zurück und blicke ihn geradewegs an. "Wie heißt du?", stelle ich die erstbeste Frage, welche mir einfällt.
"Nathan", antwortet er und setzt sich wieder auf seinen Stuhl. Erstaunt darüber, tatsächlich einen Namen genannt bekommen zu haben, schießen meine Augenbrauen ein Stück nach oben. "Du kennst mich", fügt er hinzu. Hastig nicke ich.
"Ich hätte dir den Schirm noch wieder zurückgegeben." Schneller als ich es verhindern kann, sprudeln diese Worte über meine Lippen. Belustigt lacht Nathan auf und winkt ab. "Der Schirm interessiert mich nicht. Du kennst mich aus den Zeitungen", korrigiert er mich, was dazu führt, dass ich meine Stirn runzle. Wieso soll ich ihn aus den Zeitungen kennen?
Nathan merkt an meinem ratlosen Blick, dass ich absolut keine Ahnung habe, wovon er redet. Seufzend zieht er einen dunkelblauen Rucksack zu sich heran, den er unter dem Tisch stehen hatte. Während er suchend darin herumwühlt, frage ich mich, wie blind ich gewesen bin, als ich heute nach Hause kam. Die Blumen auf dem Tisch haben mich so stark abgelenkt, dass ich den Rucksack gar nicht wahrgenommen habe, der direkt darunter stand. Die dunkelblaue Farbe ist unauffällig, aber mir hätte dennoch auffallen müssen, dass dort etwas steht, was nicht an diese Stelle gehört.
In mir breitet sich immer weiter der Gedanke aus, dass ich dieses ganze Geschehen bestimmt hätte verhindern können. Ich hätte nur ein bisschen aufmerksamer sein müssen, meine Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließen, sondern meine Umgebung richtig wahrnehmen. Dann wären mir die ganzen Kleinigkeiten aufgefallen.
Habe ich mich nicht schon öfter gefragt, warum ein Fenster geöffnet war, als ich nach Hause kam? Oder warum eine Packung Taschentücher im Mülleimer lag? Ich habe mir nie etwas dabei gedacht. Es war wie mit den Haargummis, die man immer verliert. Man kauft sich eine ganze Packung und spätestens nach zwei Wochen, hat man nur noch ein einziges, was dann aber meistens ein paar Monate hält.
Genauso unkonzentriert gehe ich mit dem Rest meiner Einrichtungsgegenstände um, weswegen ich mir nie etwas dabei gedacht habe. Dabei waren diese ganzen Kleinigkeiten im Nachhinein sehr deutliche Hinweise darauf, dass jemand in meine Wohnung eingedrungen war. Ich bin so dumm gewesen.
Nathan ist anscheinend fündig geworden, da er einen Haufen Zeitungsartikel vor mir ausgebreitet hat. Mit seinem Zeigefinger tippt er auf die Titel und mir verschlägt der Atem.
Selbstverständlich kenne ich ihn. Oder besser gesagt, seine Taten. Alle Artikel berichten von dem Fund verstümmelter Leichen und der erfolglosen Suche nach dem Täter. Als Massenmörder wird er bezeichnet. Und dieser sitzt genau vor mir und grinst mich breit an.
"Herzlichen Glückwunsch", gratuliert er mir und legt bedrohlich seine Hand auf meinen Oberschenkel.
"Du bist mein Opfer Nummer 7."
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