13 °Wandel
°Klea°
„Hallo Dorothea!" Enthusiastisch laufe ich ihr entgegen.
„Guten Abend." Sie geht schweren Schrittes ins Klassenzimmer. „Ich war hier schon häufig, aber habe nie etwas gefunden. Es gibt keine Spuren meiner Reise." Seit sie von diesem Zeitreisezeug erzählt hat, ist sie offener mit ihren Gefühlen. Wenn ich ihr 'helfe' können wir Freundinnen werden und irgendwann wird sie mit der Fantasie aufhören. Ausserdem... hat ihre Geschichte vielleicht ja einen wahren Kern. Ich drehe mich um mich selbst. Die Wände sind geschmückt mit vertrauten Postern über die Neuzeit. In einem Glaskasten hinter dem Lehrerpult steht eine Standuhr, die den Geist aufgegeben hat, aber eine museumsartige Atmosphäre schafft.
„Ich persönlich denke, es liegt daran, dass Zeitreisen nicht möglich ist. Doch jetzt erzähl ich dir erstmal von meiner Recherche. Dir zuliebe habe ich zwei theoretisch machbare Reisearten ausgewählt." Ich setze mich auf den Tisch und lasse die Beine baumeln. „Die Physik bietet verschiedene Theorien darüber, wie Raum und Zeit sich krümmen können und dadurch Zeitreisen ermöglichen würden. Ich habe versucht, einige zu verstehen, aber es ist schwierig. Für mich klingt das alles nach Quark. Eins habe ich jedoch verstanden: Es ist nichts auch nur ansatzweise bewiesen. Zudem ist die Rede von Teilchen oder Ladung, die in der Zeit reisen. Du bestehst nicht nur aus einem Teilchen, dementsprechend..."
Dorothea runzelt enttäuscht die Stirn. „Das klingt nicht so überzeugend. Ich hatte meine Hoffnung daraufgesetzt, dass die Wissenschaft weiter gekommen ist." Sie lässt sich nicht lange runterziehen. „Was ist die zweite Theorie?"
„Eigentlich ist es gar keine Theorie. Es gibt Leute, die glauben an höhere Mächte: Schicksal, Götter und so Zeug. Manche von ihnen schwärmen von Reisen in der Zeit, aber ich habe nichts Konkretes gefunden." Ich blase, ein Lachen unterdrückend, meine Backen auf. „Mal davon abgesehen, dass diese Vorstellungen noch viel weniger bewiesen sind."
Dorothea überhört mich augenrollend. „Das erinnert mich an etwas; ich hatte ein Collier mit dem Meteoritanhänger meiner Grossmutter bei mir." Sie fasst sich an den Hals: Dort hängt eine unscheinbare Kette mit einem schwarzen Steinchen. „Sie hatte den Meteoriten von einem Vorfahren, der ihn in Sibirien gefunden hat, er war ihr Beschützer. Der Stein kommt aus einer anderen Welt. Dann kann er mich auch in eine andere Welt transportieren, oder?"
„Glaubst du daran?"
„Ja... Der Meteorit hat meiner Grossmutter unzählige Male das Leben gerettet. Vielleicht hat er das bei mir auch getan, indem er mir die Zukunft gezeigt hat? Es ist die einzig vernünftige Erklärung!" Während ihrer Erläuterung überzeugt sie sich immer mehr selbst. Mich nicht. Was ist an diesem abergläubischen Gequassel vernünftig?!
Wir suchen weitere Informationen auf meinem Handy. Dorothea ist dabei leider wenig hilfreich, weil sie weder eines hat, noch irgendwas davon versteht. Ich mache mir eine gedankliche Notiz, ihr mein altes Handy mitzubringen und es ihr zu erklären.
„Gibt es in dieser Zeit denn niemand, außer dieser Internet-Bibliothek, der etwas weiss? Zuhause sind wir zum Pfarrer, wenn wir etwas nicht wussten. Nachdem ich hier angekommen bin, habe ich bei einem Rat gesucht, aber er empfahl mir, mit einem Psychologen zu sprechen!" Ich tarne mein Lachen mit einem Husten und nicke bedächtig.
„Wir sollten es in einem Geschäft versuchen, das spirituelle Gegenstände und Kurse anbietet. Du hast Recht damit, dass es simpler ist, mit jemandem zu sprechen." Dorothea ist Feuer und Flamme und ich bereue, das laut gesagt zu haben. Wenn wir einen Kasper finden, der daran glaubt, wird sie das kaum auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Warum überlege ich nicht zuerst, ob die Idee gut ist, bevor ich sie ausspreche? Wir machen ab, uns an meinem freien Nachmittag zu treffen.
„Ich habe darüber nachgedacht, in mein altes Zimmer zurückzukehren."
Ich lächle Dorothea verstehend an, obwohl ich sie am liebsten festhalten würde. Bei mir halten würde. „Das klingt sinnvoll, aber gibt es dieses Zimmer noch?"
„Mein Elternhaus steht, da war ich. Es wohnt eine Familie dort, also kann ich nicht ins Zimmer."
„Das ist scheisse." Ich spiele mit meinen Kastanienhaaren, mir fällt nichts Vernünftiges ein. „Du könntest in einen Baum gegenüber vom Fenster klettern?", bemerke ich halb im Witz. Sie verdreht die Augen.
Ich gähne und zücke erneut mein Handy. „Jetzt will ich was anderes machen." Sie zieht die schmalen Augenbrauen hoch. „Dir, liebe Dorothea, werde ich die heutige Welt zeigen!" Lustigerweise ist sie immer wieder aufs Neue schockiert, die ganze Welt – wenn auch nicht wahrheitsgetreu – durch ein leuchtendes Rechteck zu sehen. Oder sie hat eine Psychose und spielt das alles. Wir scrollen eine Weile durch den Feed und ich habe Angst, Dorotheas Gehirn explodiert vor Reizüberflutung. Gerade beobachten wir meinen Kumpel Pierre, einen Salto auf dem Trampolin schlagen. Wir haben leider nur über Instagram Kontakt oder wenn ich in der Romandie Ferien mache, doch mit ihm ist es immer toll. Ich like den Clip und kommentiere, mein Gegenüber bleibt still.
„Warum habt ihr hier denn so viele Neger?" Mein Handy fällt mir aus der Hand, Dorothea fängt es gerade so. Richtig nehme ich das aber nicht wahr, meine Gedanken drehen sich nur darum, wie nonchalant sie dieses Wort gesagt hat. Es ist, als hätte sie es auf Pierre gerichtet, wie eine Waffe.
Dorothea beisst sich auf die Lippe. „Ich meine, ich dachte nur, es sind mehr, als ich es kenne. Das habe ich schon vorher in Zürich bemerkt." Als ich sie weiterhin gleich anstarre, fügt sie hinzu, „Vielleicht haben sich einfach viele Ne-"
„Sag dieses Wort nicht!", fauche ich.
„Viele- viele von ihnen sich hier niedergelassen?"
Schnaufend lasse ich meinen Kopf in die Hände fallen. „Ich kann dir nicht glauben, dass du aus dem Jahr 1920 stammst, aber das ist gerade egal." Ich sehe Dorothea ernst an. „Sowas sagt man nicht!"
„Okay, Entschuldigung. Ich wusste nicht, dass es hier ein Tabu ist."
„Es ist ein absolutes Tabu, das muss es überall sein! Stell dir vor, wie Pierre sich fühlen würde, wenn du ihm sowas an den Kopf schmeisst!"
„Dann nehme ich an, die Sicht auf unterschiedliche Rassen hat sich verändert?", fragt sie kleinlaut und zugleich neugierig.
Ich sehe, dass Dorothea sich Mühe gibt, aber das macht mich so wütend. Ich atme tief durch. „Zuerst einmal existiert nur eine (lebende) Menschenrasse. Dieser Rassebegriff sollte also niemals für Menschen unterschiedlichen Aussehens verwendet werden. Das wird er auf Englisch leider. Wenn zwischen Menschen unbedingt unterschieden werden muss, sag Hell- und Dunkelhäutige."
„Dann sind alle Rassentheorien, mit denen ich aufgewachsen bin, falsch?"
„Wenn ich davon ausgehe, du seist wirklich vor hundert Jahren aufgewachsen, dann ja. Alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Geld und Herkunft sind gleich viel Wert." Ich sehe Dorothea ernst an. „Dem widerspricht heute öffentlich keiner mehr, es gelten für alle die Menschenrechte. Wenn du die Wahrheit sagst und zurückreist, musst du daran denken! Falls du es schaffen würdest, dann ist es deine Verantwortung für die Rechte von Frauen, der Regenbogen Community und dunkelhäutigen Menschen zu kämpfen!"
~
Ich wollte diesen gesellschaftlichen Wandel umbedingt einbauen und hoffe mir ist es gelungen.
Was haltet ihr eigentlich davon, N* auszuschreiben?
Die meisten von euch kommen wahrscheinlich aus Deutschland und somit seit ihr das schafe S/ß gewohnt. Stört es euch, dass ich ohne schreibe?
~ Linea
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