7. Das Kind
Clios PoV
Menschen standen überall in den Prachtstraßen. Jubelnd und mit fröhlichen Gesichtern. Alle waren sie gekommen um mich zu sehen. Schon als ich mit dem Schiff in den Hafen gefahren war, war alles voll mit Menschen gewesen.
Winkend ritt ich nun auf einem seltenen tiefschwarzen Zebra voran. Das für mich beschaffte Gefolge zog hinter mir her, darunter mein Leibwächter und mein "wundervoller" Lehrer, welcher den ganzen Trubel im Gegensatz zu mir auch noch zu genießen schien.
Wenn ich meinen Mund noch weiter so zum Lächeln bringen musste, würde ich später einen Krampf in meinen Gesichtsmuskeln haben.
Wieso sollten sie mein echtes Lächeln sehen dürfen?
Ich wusste nur zu gut, dass ihr Lächeln nur eine Maske war und was wirklich in den Köpfen dieser Menschenmenge vor sich ging.
Jeder wünschte sich einen anderen, besseren Prinzen als mich.
„Nein, fass ihn nicht an", zischte eine Mutter ihren kleinen Jungen an, der die Hand nach mir ausgestreckt hatte.
Schnell zog sie ihn von mir weg.
„Aber Mommy, seine Haut leuchtet und ist so hell", quengelte der Junge, dem sein dunkelbraunes Haar frech ins Gesicht fiel und streckte weiterhin seine kleinen Hände nach mir aus.
„Du darfst ihn nicht anfassen!", wiederholte die Mutter und zog wieder an dem Kleinen.
Gegen mein besseres Wissen sattelte ich ab und kniete mich vor dem Jungen hin.
„Wenn du magst, darfst du mich gerne anfassen", bot ich ihm freundlich lächelnd an und vergaß für einen Moment die Tausenden von Augen, die auf mir lagen und mich wahrscheinlich zum ersten Mal lächeln sahen.
Grinsend machte sich der Junge von seiner Mutter los und trat auf mich zu.
„NEIN!", schrie die Mutter, griff nach ihrem Jungen und kniete sich flehend vor mir hin.
„Bitte seid nicht so schrecklich. Bitte bestraft meinen Jungen nicht so! Er weiß nicht was er da tut. Legt nicht den Sprout-Fluch über ihn!"
Mir gefror das Blut in den Adern und mein Lächeln verschwand. Jetzt erst verstand ich warum die Mutter den Jungen abgehalten hatte, nicht etwa weil ich der Prinz war. Oh nein, sondern weil der Aberglaube besagte, dass wenn man einen Sprout berührte, die Nachkommen ebenfalls Sprouts werden würden.
Mit einem Gesicht, dass keine Regung erkennen ließ, stand ich auf und schwang mich ohne ein Wort in meinen Sattel.
Innerlich fühlte ich mich als hätte man mir in den Bauch getreten.
Es schmerzte und ich hatte das Gefühl, als könnte meine kühle Fassade bersten wie Glas.
Ich betrachtete den Jungen, wie er verständnislos seine Mutter anstarrte. Wie seine kleinen hellbraunen Hände über den Rücken seiner Mutter strichen. Er war vielleicht drei Jahre alt und wusste anscheinend noch nichts über Sprouts.
Nicht welchen Unterschied es bedeutete diese schokoladenbraunen Augen zu besitzen.
Offen und ohne Vorurteil war er auf mich zugekommen und ich hatte alle Vorsichtsmaßnahmen in den Wind geworfen.
Das würde sich nun sicher ändern. Der Junge würde eingebläut bekommen, wie er mit Sprouts umzugehen hatte.
In wenigen Jahren wäre diese kindliche Offenheit und Neugier dem Fremden und Unbekannten gegenüber komplett verschwunden.
Wieder huschte mein Blick zu dem Jungen, dessen Mutter noch immer am Boden kniete.
Für einen Moment sah er auf, mir direkt in die Augen.
Ganz ohne Furcht.
In dem Moment beschloss ich, dass ich diese angstfreien Augen beschützen würde.
Ich räusperte die Stimme, damit der Jubel verstummte und mich auch jeder hören konnte.
„Setzt den Jungen zu mir aufs Pferd. Ich werde ihn mitnehmen", sagte ich mit klarer Stimme, die über die verstummten Mengen hallte und nur durch den markerschütternden Schrei der Mutter übertönt wurde. Ein Schrei der mir durch die Glieder fuhr.
„MONSTER!"
Eiskalt wurde mir bei dem Gedanken an das, was ich da gerade getan hatte. Es war als hätte der Schrei mich geweckt.
Ich hatte einer Mutter willentlich ihr Kind genommen. Einem Kind die Mutter. Seit wann war ich so grausam? Die Frau hatte Recht. Ich war ein Monster.
Ich wollte gar nicht hinsehen wie die Wachen sich den Jungen griffen, zwang mich aber dazu. Sie nahmen den Jungen hoch und trugen ihn einfach zu mir, setzten ihn vor mich auf den Sattel wie ich es befohlen hatte. Einen Befehl den ich nicht zurücknehmen konnte. Mein Vater würde mich für diesen Befehl bestrafen. Wenn ich mich jedoch nicht wie ein Prinz in der Öffentlichkeit zeigte, würde er mich nicht mehr erdulden. Und ein Prinz nahm niemals seinen Befehl zurück.
Jetzt hatte der Sohn bewiesen, dass er wie der Vater war. Beides Monster.
Dennoch sah der Junge mich, ein Monster, mit seinen großen braunen angstfreien Augen an.
Sie sollten Angst haben....
Ich drückte den Jungen enger an mich, bevor ich mit dem Zebra den restlichen Weg bis zum Schloss in Höchstgeschwindigkeit zurücklegte.
Keinem dieser Menschen würde ich heute mehr zuwinken. Ich spürte nur die Wärme des Jungen, fühlte sein pochendes Herz und wusste das ich einen unverzeihbaren Fehler gemacht hatte. Ich hatte sein Leben für immer verändert. Nichts würde das wieder gut machen.
Vor dem Schloss stieg ich aus dem Sattel, nahm den Jungen in den Arm und ging ohne ein Wort hinein. Mein Gefolge und die schaulustige Menschenmenge ließ ich bis auf Levrir einfach hinter mir.
„Bring mich auf mein Zimmer", murmelte ich knapp und kraftlos, woraufhin er nur kurz nickte und mir bedeutete ihm zu folgen.
„Wo ist Mommy?"
Bei seinen traurigen Worten, als wüsste er, dass er sie wahrscheinlich nicht wieder sehen würde, schloss ich gequält die Augen. Was sollte ich ihm nur sagen?
„Sie ist...." Mir versagte die Stimme. Nein. Ich musste es ihm sagen. Der Junge hatte ein Recht darauf!
Entschlossen riss ich meine Augen wieder auf und wollte ihm alles erzählen.
Doch er schlief.
Tief und fest.
Als hätte er nicht eine Sorge in der Welt. Als hätte er nicht eben seine Mutter verloren und als wäre ich nicht die Person, die dafür verantwortlich war.
Es wärmte und zerbrach mir zugleich das Herz.
„Wir sind da, mein Prinz", flüsterte Levrir, der sorgenvoll den Jungen in meinen Armen betrachtete.
„Dein Vater wird nicht erfreut sein", murmelte er und schüttelte den Kopf. „Clios, ein Kind?", fragte er leise, damit ihn niemand hörte wie er mich, den Prinzen, so vertraulich ansprach.
„Ich weiß Levrir...es war nicht richtig", murmelte ich und begann den Jungen sanft am Kopf zu streicheln.
Levrir seufzte und wuschelte mir dann väterlich durchs Haar.
„Was soll ich nur mit dir machen. Es ist ja nicht so als würde ich nicht nachvollziehen können, warum du das gemacht hast. Ich wünschte nur du hättest mir die Möglichkeit gelassen dich davon abzubringen"
„Danke Levrir, aber ich denke, dass das diesmal nicht möglich gewesen wäre", erwiderte ich und verschwand in meinem Zimmer, dass wie üblich viel zu extravagant eingerichtet war.
Das Zimmer war groß und führte über einen offenen Balkon hinaus in einen Garten. An den Wänden befanden sich Gemälde und einige Regale, die wahrscheinlich extra für mich mit Büchern befüllt worden waren. Ein vergoldeter Tisch war voll mit duftendem Essen bedeckt. Weiche, bunte Teppiche lagen überall auf dem Boden. Unübersehbar mitten im Raum stand zudem ein großes Bett mit vielen Kissen auf welchem ich vorsichtig den Jungen ablegte, damit er nicht aufwachte. Wenn ich Glück hatte, würde er noch eine Weile schlafen und mir somit die Zeit geben, mir eine gute Antwort auf seine Frage zu überlegen.
Da öffnete sich jedoch auf einmal wieder die Tür und ein atemberaubendes Mädchen kam herein um kurz darauf in einen eleganten Knicks zu sinken.
„Ich bin Jiriya, Eure Zofe, Prinz Clios", stellte sie sich vor und sah auf, sodass ich ihr ins Gesicht sehen konnte.
Glühend blaue Augen nahmen mich in ihren Bann.
Lebendig und wild.
Unbeugsam.
Bei dem Gedanken an die Persönlichkeit die hinter solchen Augen stecken musste, schlich sich mir ein Grinsen ins Gesicht.
Ich war mir sicher, dieses Mädchen würde sich nicht alles gefallen lassen, auch nicht, nur weil ich der Prinz war.
Das würde interessant werden.
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