5 | Porzellan
»Ihr seid zu spät.«
Der Vorwurf in der Stimme der Königin war allein an ihn gerichtet, das wusste er. Denn Caden hatte sich bereits hingesetzt, mit dem selben leeren Blick wie immer. Bei ihm interessierte es niemanden, ob er zu spät kam. Hoffentlich würden sie ihn nicht auch so schnell aufgeben.
Er wollte sich gerade entschuldigen, als Ruelle vor ihn trat. »Das ist alles meine Schuld, meine Königin«, erklärte sie zerknirscht, »Wir hatten so ein interessantes Gespräch und ich konnte gar nicht mehr aufhören, weiterzureden. Dabei muss ich die Zeit vergessen haben. Es tut mir zutiefst leid.«
Adrian schnaubte belustigt, was ihn einen bösen Blick seiner Mutter kostete. Anscheinend kam es öfters vor, dass Ruelle sich verquatschte. Ravi verkniff sich knapp ein Schmunzeln. Bei dem Redefluss, der aus ihr herausgestürmt war, nachdem sie erstmal in einem richtigen Gespräch gewesen war, konnte er sich das gut vorstellen.
Das Lachen verging ihm jedoch, als die Königin auf den freien Platz neben sich deutete. Stattdessen schluckte er unbemerkt. Es war nur ein Frühstück mit den mächtigsten Personen dieses Landes. Nichts weiter schlimmes. Sie konnten ihn ja nur mit einem Schnipsen umbringen. Wen würde das schon beunruhigen?
»Nun, Ravi ... Da du jetzt ja zur Familie gehörst, willst du uns nicht etwas erzählen? Zum Beispiel was du jetzt vorhast, wo du zu den Mächtigen dieses Landes gehörst?«, fragte Adrian im fröhlichen Plauderton und goss sich etwas Tee in seine Porzellantasse. Noch während Ravi den Blick hob, um zu antworten, fiel ihm auf, dass er gar keine Antwort parat hatte.
Die letzten Jahre war er so damit beschäftigt gewesen, sich auf die große Prüfung vorzubereiten, dass er nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet hatte, was danach kam. Bleib im Hier und Jetzt, dann hast du die besten Chancen, das war eine der wenigen sinnvollen Lektionen seiner Mutter gewesen. Und daran hatte er sich immer gehalten.
»Um ehrlich zu sein ... So weit war ich mit meiner Planung noch nicht. Ich muss erstmal verarbeiten, was alles passiert ist«, gab er wahrheitsgemäß zu und strich sich eine Locke hinter die Ohren. Für einen Moment wurde es still und Ravi war sich kurz sicher, gleich im hohen Bogen im Kerker zu landen. Doch dann brach Adrian ihn lautes Gelächter aus.
»Verständlich, verständlich«, schnaufte er amüsiert und hielt Ravi dann die Teekanne hin. »Willst du eine Tasse Tee? Ist auch nicht vergiftet, ich verspreche es.«
Immer noch etwas misstrauisch nahm Ravi das Gefäß und musterte es. Tee ... Ja, davon hatte er in Unterstadt gehört. In Geschichten um den Adel waren es immer die besonders vornehmen Prinzen und Prinzessinnen, die aus kleinen Tässchen dampfende Flüssigkeiten schlürften. Nie hatte er gedacht, selber einmal davon kosten zu dürfen.
Vorsichtig ließ er ein paar Tropfen in das weiße Porzellanschälchen fallen und nahm dieses dann an seinem goldenen Henkel. Schon durch das Porzellan spürte er, wie warm der Tee noch sein musste. Warme Flüssigkeiten, die man trank ... Jeder Unterstädler hätte von einer maßlosen Verschwendung gesprochen. Warmes Wasser war zum Waschen da, nicht zum Trinken.
Der erste Schluck ließ ihn leise aufzischen. Obwohl er mindestens drei Minuten gewartet hatte, brannte seine Zunge wie verrückt und fühlte sich an einer Stelle seltsam taub an. Glücklicherweise waren alles gerade in Gespräche verwickelt, nur einer beobachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Caden. Wer auch sonst.
Man merkt, dass du noch nie Tee getrunken hast. Selbst ein Anfänger weiß, dass man mindestens fünf, wenn nicht sogar sieben Minuten warten muss.
Am liebsten hätte er Caden die Tasse über den Kopf geschüttet.
Jetzt sind schon acht Minuten vergangen. So schmerzhaft dürfte das also nicht sein.
»Wenn du mit mir reden willst, öffne deinen Mund«, zischte Ravi zu seinem Sitznachbarn und nahm die Tasse dann wieder in die Hand. Genussvoll atmete er den aufsteigenden Dampf ein. Es roch nach Apfel, Zimt und Pflaum, nach einem behaglichen Winterabend neben einem knisterndem Kamin.
Kurz bevor er endlich in den Genuss dieses legendären 'Tees' kommen konnte, stieß ihn jemand an. Einen kurzen entsetzlichen Moment sah er die Tasse fallen, dann fing er sich wieder und stellte sie schnell ab. Wütend sah er Caden an, der völlig unbeteiligt an einem Stück Toast knabberte.
Du hältst die Tasse falsch. Und so etwas ist meiner Mutter sehr wichtig.
Ihm blieb jegliche Protest ihm Hals stecken, als er realisierte, das Caden recht hatte. Jeder hier hielt den Henkel in der Hand und nippte zurückhaltend an seinem Getränk. Erwartet Caden jetzt, dass er sich bedankte? Lächerlich. Er war immer noch ein Mörder.
Diesmal mit richtiger Haltung hob Ravi seine Tasse an und setzte sie an die Lippen. Nach so vielen Umwegen schaffte er es endlich, einen Schluck des warmen Wassers zu nehmen. Wenn es so viel Aufwand brauchte, nur um ein paar Tropfen zu trinken, musste das Zeug einfach lecker sein.
Nach den Geschichten hatte Ravi mit einem süßlichen Geschmack gerechnet, irgendetwas, das zu den kleinen Porzellantassen und den mit Blumen verzierten Untersetzern passte. Womit er nicht gerechnet hatte, war die bitter-fruchtige Note, die sich jetzt unaufhaltsam in seinem Mund ausbreitete. Die Wärme und der Geschmack erfüllten ihn langsam, flossen durch seinen Kehle direkt in seinen Magen und hüllten sein Herz in schummriges Sonnenlicht.
Tee war nicht so wie in den Geschichten. Er war viel besser.
»Für einen Unterstädler haben sie wirklich gute Manieren, Sir Ravi!«, lobte Ruelle von der anderen Seite der Tafel und nippte auch an ihrer Tasse. Von all den neuen Erfahrungen überwältigt, bemerkte er nicht einmal, das ihre Wort mehr Spott als Kompliment waren, und nickte nur.
»Danke. Meine Mutter hat es für nötig gehalten, dass wir uns zumindest am Tisch würdevoll verhalten.«
Niemand musste wissen, das er den Tee ohne Cadens Hinweis wie ein Wilder in sich reingekippt hätte.
»Ach, das verstehe ich. Tischmanieren sind wirklich etwas Wichtiges«, meinte Ruelle gedankenverloren und unterdrückte dann hinter vorgehaltener Hand ein Kichern. Ravi sah, wie Adrians Mundwinkel sich hoben. Fast hätte er vergessen, dass die Beiden natürlich auch in Gedanken kommunizieren konnten.
»Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Dürfte ich sie, unabhängig davon, etwas fragen, Lady Ruelle?«
Sie nickte sofort mit einem Lächeln. »Natürlich. Aber probieren Sie erstmal diese Kekse aus Honigkaramell und Schokolade aus den Traumlanden. Die schmecken wirklich vorzüglich«, schwärmte sie und schob ihm gleich zwei auf den Teller. Wieder schaffte Ravi es nicht, ein Funkeln Misstrauen aus seinem Blick fernzuhalten. Diese goldenen Köstlichkeiten mit den braunen Punkten sahen zwar in der Tat lecker aus, aber ... man konnte nie wissen.
»Danke. Ich werde sie später definitiv probieren. Also, meine Frage ... Wie genau funktioniert das mit dem Kommunizieren in Gedanken?«, fragte er möglichst nebensächlich, als wäre er sich nur nicht sicher, ob er alles richtig machte. Er hatte das Gefühl, das es seinem Ruf nicht gerade gut tun würde, wenn alle von seinen Problemen mit der Seelenverbindung wissen würden.
Sie schmunzelte und sah kurz zu Adrian rüber, als müsste sie sich erinnern, wie diese Selbstverständlichkeit zu erklären war. »Nun, das ist eigentlich ziemlich einfach. Sie müssen einfach nach der Seele ihres Partners suchen, in ihren Gedanken. Und dann in diese eintauchen. Dann besteht eine direkte Verbindung zwischen ihnen und Sie können die Gedanken und Gefühle ihres Partners wahrnehmen. Und natürlich selber Gedankenbotschaften aussenden.«
Am liebsten hätte er gefragt, woher er bitte wissen sollte, was die Seele seines Partners war, was er tun sollte, wenn diese blockiert war, wie er seine eigene Seele blockieren konnte und hunderte weitere Dinge. Doch er blieb still. Schon jetzt wirkte Ruelle etwas verwirrt, so verwirrt, wie ein Lehrer war, wenn sein 20-Jähriger Schüler noch nicht verstanden hatte, wieso Eins plus Eins Zwei war.
»Vielen Dank. Es ist wirklich freundlich, dass Sie sich Zeit nehmen, um meine Fragen zu beantworten«, dankte er lächelnd und nahm als Zeichen dann noch einen der Kekse in die Hand. Sie winkte ab. »Kein Problem.«
Vor einer Woche hätte sie ihm nach seiner Frage wahrscheinlich nur einen genervten Blick zugeworfen und wäre weitergelaufen.
Während er auf dem Keks herumkaute, sah er zu Caden rüber. Die Seele seines Seelenpartners finden? Er wusste nicht, ob er das wollte. Cadens Seele war sicher schwarz wie die Nacht und hinterlistig wie ein Dolch. Was, wenn er in dieses Schwarz eintauchte und dann nie wieder hervorkam?
Wenn ich dich so hätte umbringen können, hätte ich es schon längst getan.
Ravi schluckte und bemühte sich, schnell wieder wegzuschauen. Immer, wenn er dachte, dass Caden vielleicht doch nicht so schlimm war, bewies dieser sofort das Gegenteil. Als ob er Angst davor hätte, doch nicht als eiskalter Mörder gesehen zu werden.
»Ravi ... Wie gut kennst du dich im Schloss bisher aus? Hast du gestern schon etwas Zeit gehabt, dich umzuschauen?«, wollte Adrian wissen, bevor er sich weiter mit diesem Problem beschäftigen konnte. Ihm gefiel die Richtung nicht, in die diese Frage ging.
»Leider nicht«, sagte er. Wie auch? Als sie am späten Nachmittag angekommen waren, war er vor Erschöpfung direkt eingeschlafen. Und abgesehen davon hatte er größere Sorgen als das Erkunden des Schlosses gehabt. Wie er verhindern konnte, das Caden ihn nachts einfach abstach, zum Beispiel.
»Das ist ja wirklich Schade! Das Schloss wird dir sicher gut gefallen, es ist wirklich wunderschön eingerichtet. Vielleicht kann Caden dich ja nach dem Frühstück rumführen!«, schlug Ruelle begeistert vor. Als sie bemerkte, dass weder Ravi noch der dritte Prinz ihren Enthusiasmus teilten, legte sie den Kopf schief. »Oder wäre das ein Problem?«
Caden hob den Blick. Keiner der Anderen schien es zu bemerken, doch Ravi sah, wie Adrian ihn warnend anstarrte. »Nein. Das wäre kein Problem«, erwiderte Caden säuerlich und verschränkte die Arme. Er hätte wenigstens so tun können, als ob er sich freuen würde.
»Vielen Dank«, brachte Ravi etwas verkrampft heraus. Er rang sich ein mattes Lächeln ab und trank dann noch etwas Tee, um sein Entsetzte zu verstecken. Mehrere Stunden mit dem Mann alleine sein, der ihm gerade noch mit dem Tod gedroht hatte? Großartig.
Als er ein paar Minuten später fertig mit Essen war, stand Caden bereits wie eine Art gruselige Leibwache hinter ihm und wartete. Sein Teller war leer. Ob er wohl schon alleine gegessen hatte? Schnaubend erhob Ravi sich und schob seinen Stuhl an den Tisch. Das war sowieso nicht sein Problem.
Sein Problem war vielmehr, dass Caden ihn dermaßen genervt anstarrte, das er noch einmal mehr froh war, eine Ersatz-Haarnadel in der Tasche zu haben.
»Also ... Überraschenderweise ist das hier der Essensaal. Der kleine Essensaal, um genau zu sein«, begann Caden, herunterzuleiern. Wenn diese Halle mit ihren riesigen Säulen und der massiven Holztafel nur der kleine Essensaal war, wollte Ravi gar nicht wissen, wie riesig der große Essensaal dann war.
Ohne ein weiteres Wort zu wechseln traten sie durch die Eingangstür und liefen den Gang entlang, in dem Ravi Lady Ruelle kennengelernt hatte. Diesmal waren die Bäume im Garten jedoch nicht alleine, sondern wurden von einer kleinen Gruppen beklettert. Ravi verkniff sich ein sehnsüchtiges Seufzen. Wie gerne er als Kind auch einen Baum zum klettern und umarmen gehabt hätte.
Drei von Zehn Kinder, die auf einen Baum klettern, fallen irgendwann runter und verletzen sich.
Caden besaß wirklich eine außergewöhnliche Begabung dafür, friedliche Momente zu zerstören. Genervt ließ Ravi die Fenster hinter sich und versuchte dann, sich zu konzentrieren. Wenn er schon gezwungen wurde, Zeit mit Caden zu verbringen, wollte er diese wenigstens in Gedanken in etwas Sinnvolles investieren.
Es war ein wirklich seltsames Gefühl, sein Bewusstsein gezielt nach etwas zu durchsuchen. Es war ein bisschen als ob er versuchen würde, sich an etwas bestimmtes zu erinnern, diese Erinnerung ihm aber immer wieder durch die Finger glitt. Doch egal wie sehr er sich anstrengte, er fand nichts, das Cadens Seele sein könnte. Frustriert riss er die Augen auf, die er unbewusst geschlossen hatte. Caden stand neben ihm und hatte eine Augenbraue gehoben.
Du wirst meine Seele nicht finden, solange ich es nicht will.
Ravi fuhr herum. »Schön! Das freut mich für dich!«, fauchte er und lief dann wutentbrannt weiter. Wenn er wenigstens wüsste, wie er seine eigene Seele verstecken konnte. Aber nein, das zeigte ihm natürlich keiner. Er war schließlich ein Unterstädler und damit daran gewöhnt, das alles dem Adel gehörte. Sein Besitz, sein Körper und jetzt eben auch seine Gedanken. Kein Problem.
»Hier geht es übrigens zur Bibliothek. Falls du lesen kannst«, merkte Caden an. »Und ich kann dir zeigen, wie du deine Seele verschließt.«
Er blinzelte einmal. Hatte er sich verhört oder hatte Caden ihm gerade Hilfe angeboten?
»Ich mache das nicht, um dir zu helfen«, warf Caden schnell ein. Da war sie wieder, seine seltsame Angst, vielleicht nett zu erscheinen. Ravi schnaubte.
»Natürlich nicht.«
Er fragte nicht nach, warum Caden das alles dann tat, wenn nicht, um nett zu sein. Nicht, weil es ihn nicht interessierte, sondern einfach, weil er wahrscheinlich sowieso keine Antwort bekommen würde.
Ohne weitere Erklärung blieb der Prinz plötzlich stehen und bog scharf nach links ab, auf eine Wendeltreppe, deren Stufen aus glänzendem Elfenbein gemacht war. Während Ravi ihm folgte, versuchte er, möglichst sanft aufzutreten. Der schimmernde Boden unter ihm wirkte, als ob er jede Sekunde einbrechen könnte.
»Und wohin gehen wir jetzt, wenn ich fragen darf?«, fragte er unruhig, während sie immer weiter in die Tiefe stiegen. Vor seinem inneren Augen sah er Bilder von stillen, spinnenwebenverhangenen Kellern, in denen Menschen verschwanden und nie wieder zurückkamen. Auf einmal wünschte er sich nichts mehr als das plötzlich ein Diener vor ihnen auftauchte, nur damit er nicht mehr alleine mit diesem Mörder sein musste.
Caden antwortete ihm nicht, sondern blieb stehen und drehte sich mit verschränkten Armen um. Staub bedeckte seine rabenschwarzen Haare, und obwohl Ravi diesen Gedanken am liebsten sofort wieder verdrängt hätte, sah er nicht gerade schlecht aus, mit seinen sturmgrauen Augen und den gehobenen Augenbrauen. Unordnung stand ihm viel besser als die verkrampfte Disziplin des Adels.
»Wenn ich dich hätte umbringen wollen, hätte ich es schon längst getan. Anstatt dich vor mir, deinem Seelenverwandten, zu fürchten, solltest du deine Augen lieber mal auf deine Umgebung richten.«
Wieder blinzelte Ravi ungläubig. Macht Caden ihm gerade wirklich Vorwürfe, weil er Angst vor einem seelenlosen Mörder hatte? Vor Empörung brachte er kein Wort heraus, nur ein Schnauben. Noch heute Morgen hätte sein Seelenverwandter ihm fast die Augen ausgestochen. Was erwartete der denn bitte?!
»Oh, weil die Wand mich plötzlich mit einem Messer in der Hand anspringen wird?! Tut mir leid, wenn du mich ablenken willst, musst du dir schon was besseres ausdenken«, schnaubte er und und schob sich an Caden vorbei. Doch dabei war er so abgelenkt, dass er das Loch in der Stufe vor sich übersah. Sein Fuß blieb hängen, er taumelte, ruderte mit den Händen. Der Boden kam näher ... und stoppte. Caden hielt ihn an einem Arm fest.
»Die Wand muss dich gar nicht anspringen, die Treppe runterfallen kannst du wohl auch von allein«, spottete der Prinz und ließ Ravis Ärmle schnell los, als er wieder gerade stand. Bevor Ravi irgendetwas zu seiner Verteidigung sagen konnte, würgte ihn Cadens melodische Stimme ab. »Aber das ist sowieso nicht, was ich gemeint habe. Ich meinte dein soziales Umfeld. Menschen mit Macht kann man nicht trauen.«
»Oh, und Menschen mit Messer schon? Das kommt mir nicht sehr logisch vor.«
»Ein Messer kann nur eine Person auf einmal umbringen. Macht ein ganzes Königreich.«
Ravi verdrehte die Augen, während sie weiter nach unten stiegen. Caden übertrieb maßlos. Macht war keine Krankheit, keine Armee, keine Naturgewalt. Sie war überhaupt nichts physisches. Und deswegen konnte man mit ihr auch niemanden umbringen.
»Toll. Spielen wir jetzt Philosoph? Das kann ich auch, hör zu: Macht mag vielleicht gefährlich sein, aber Machtlosigkeit ist tödlich. Wundervoll, nicht?«, erwiderte er genervt. Caden seufzte, sagte aber nichts mehr. Von so viel Wortgewalt war er wohl erdrückt worden.
Die Treppe endete genauso abrupt wie sie angefangen hatte, in Form einer alten Holztür, bei deren Anblick Ravi sofort an knarzende Scharniere denken musste. Das dunkle Tannenholz war sicher schon ein paar Jahrzehnte alt aus, so sah es zumindest aus. Efeuranken drängten sich durch den Türschlitz und bedeckten das ganze Tor. Er hob eine Augenbraue und sah Caden zweifelnd an.
»Bringst du mich jetzt durch einen Hintereingang nach draußen, um meine Leiche in einem See zu versenken?«, fragte er und stupste das Holz mit einem Finger an. Die Tür sah aus, als ob sie jeden Moment zusammenbrechen würde.
Caden verdrehte nur die Augen und schob sich vor Ravi, um dann einen kleinen, goldenen Schlüssel hervorzuziehen. Genau wie erwartet Quietschte es laut, als er das Tor öffnete. Ein angenehmer, luftiger Geruch strömte Ravi entgegen. Irgendwie wirkte diese Luft ... frischer als die im Schloss.
»Das hier ist das Gewächshaus«, erklärte Caden und trat ein. Kurz bildete Ravi sich ein, ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen. Misstrauisch folgte er seinem Seelenverwandten und lugte hinter der Tür hervor.
Vor Überraschung stieß er ein leises Keuchen aus.
Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit einem kleinem Dschungel.
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