13 | Gold
Ravi zuckte zusammen, als er den riesigen blauen Fleck in seinem Gesicht vorsichtig mit der Hand berührte. Seufzend sah er sich im Spiegel an und strich das letzte bisschen der Salbe, die Adrian ihm gegeben hatte, über die Verletzung.
Er hatte den Auftrag, den der Kronprinz ihm gegeben hatte, um seine Zuverlässigkeit zu beweisen, zwar erfolgreich abgeschlossen, doch trotzdem fühlte es sich nicht an, als ob er gewonnen hätte.
Du kennst ihn überhaupt nicht.
Was hatte Yinan damit gemeint? Er wusste, wer Caden war. Er wusste, wie Caden war. Kalt, emotionslos und gefährlich. Manchmal erstaunlich hilfsbereit, wenn das nicht nur gespielt war.
Du weißt nicht, was er alles durchgemacht hat.
Den Tod seines Seelenverwandten hatte Caden selbst zu verschulden, und sonst hatte er sicher ein tolles Leben gehabt. Er war schließlich ein Prinz, wieso sollte es anders sein? Was konnte er schon groß durchgemacht haben, dass es rechtfertigte, einen Menschen umzubringen? Einen Menschen, der im Auge jedes Anderem nett und liebenswert war?
»Was ist mit deinem Gesicht passiert?«
Überrascht drehte er sich zu Caden um, der plötzlich hinter ihm stand. Es war Tage her, dass er wirklich mit dem Prinzen geredet hatte. Seit dem Streit im Garte nicht, um genau zu sein.
Schnell wandte er den Blick wieder ab und konzentrierte sich darauf, seine Medizin wieder wegzupacken. Er hatte zu große Angst davor, dass Caden doch noch seine Gedanken lesen konnte, wenn er ihm in die Augen sah.
Erst, als sein Seelenverwandter nach ein paar Minuten immer noch hinter ihm stand und wie gebannt auf sein Gesicht starrte, erinnerte Ravi sich an seine Frage. »Nichts. Meinem Gesicht geht es gut.«
Caden hob eine Augenbraue. Wieder drehte Ravi sich weg und holte seine Schminke aus einem Fach. Die kleine Schachtel wäre ihm um ein Haar runtergefallen.
»Ich hoffe, mit dieser Lüge willst du nicht auch die anderen Adeligen überzeugen?«
Schnaubend begann er, die Schminke aufzutragen. Er war über die Jahre Experte darin geworden, blaue Flecken und Wunden aller Art zu verstecken. Trotzdem rutschte er mehrmals mit dem Pinsel aus und zuckte schmerzverzerrt zusammen.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte Caden, der sich in den letzten Minuten keinen Millimeter bewegt hatte. Da er dich mag, wird er alles dafür tun, dass du ihn auch magst, schallten Adrians Worte durch seinen Kopf. Er trat einen Schritt zurück.
»Nein, danke.« Irgendwie fühlte es sich falsch an, Caden um Hilfe zu bitten. Schließlich hatte er nicht nur gerade seinen einzigen Verbündeten ins Gefängnis gebracht, sondern hatte auch noch vor, ihn umzubringen.
»Bist du sicher?«
Nein, war er nicht.
»Klar. Und jetzt lass mich in Ruhe.«
Deine Gegenwart macht mich nervös, wollte er hinzufügen. Ich kann mich nicht konzentrieren.
Wieder rutschte er ab. Ein leises Keuchen entwich seinen Lippen und Tränen schossen in seine Augen. Caden wirkte von Sekunde zu Sekunde besorgter.
Du weißt nicht, was er alles durchgemacht hat, hörte er Yinans wütendes Fauchen noch einmal.
»Hat einer der Soldaten dich angegriffen?«, wollte Caden wissen. Hat einer der Soldaten dich geschlagen, weil du aus Unterstadt kommst?, war die Frage, die ihm eigentlich auf den Lippen lag, da war Ravi sich sicher.
Es dauerte etwas, bis er verstand. Caden wusste es nicht. Er wusste nicht, dass einer seiner Verbündeten aufgeflogen war. Hoffentlich hatten er und Yinan sich nicht allzu nah gestanden. Nein, das war egal. Es interessierte ihn nicht.
»Nein. Es war einer von Adrians Diener. Adrian wollte, dass ich ihn provoziere, damit er mich angreift und dann verhaftet werden kann.«
Weder Überraschung noch Erkenntnis zeigte sich in Cadens Augen, nur unterdrückte Wut. »Ja, das klingt nach meinem Bruder. Er macht immer solche Pläne, bei denen möglichst viele zu Schaden kommen.«
»Immerhin hat er nicht seine Seelenverwandte umgebracht.«
Diesmal zuckte der Prinz nicht einmal zusammen, sondern senkte nur den Kopf. Ravi wusste nicht einmal, warum er das gesagt hatte. Er konnte kaum noch klar denken. Sonst hätte er Caden doch niemals von Adrians Plan erzählt, oder?
»War es Yinan? Der Soldat, der verhaftet wurde?«
»Du kennst ihn?«
Cadens Augen verdunkelten sich. »Adrian hat ihn nur verhaften lassen, weil ich ihn kenne. Das weißt du selber.«
»Adrian- Ich meine, Prinz Adrian hat ihn verhaften lassen, weil er zusammen mit dir geplant hat, das Königreich zu stürzen. Er ist ein Verräter.«
Ein kaltes Lachen schallte durch die noch kältere Nachtluft. »Du weißt selber, dass das nur ein Vorwand ist.«
Sie schwiegen. Ravi schaffte es irgendwann, seine Schminke fertig aufzutragen. Als Caden immer noch nicht verschwand, drehte er sich ruckartig um. »Was willst du von mir, Caden?«, zischte er.
Das ungute Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben, drängte sich in Ravis Gedanken, als er seinen Seelenverwandten ansah, der verwirrt den Kopf schieflegte. »Heute Abend ist der königliche Ball zu deinen Ehren. Wir sollen in ein paar Minuten dar sein, also dachte ich, ich hole dich ab.«
Erneutes Schweigen. Dann ein ungläubiges Schnauben aus Cadens Richtung. »Sag mir nicht, du hast es vergessen.«
Und dann war die unangenehme Spannung zwischen ihnen plötzlich weg, dahingefegt von hektischer Panik. Ravi schob sich an Caden vorbei und sah entsetzt auf das Chaos in seinem Kleiderschrank. Wie hatte er etwas so wichtiges vergessen können?
»Ich weiß nicht einmal, was man an so einem Ball anzieht! Und meine Haare sind ein einziges Chaos! Ich ... Ich ...« Er stand kurz davor, zu hyperventilieren.
Caden stand plötzlich wieder neben ihm und drückte ihm einen Anzug in die Hand. »Hier. Zieh das an. Deine Haare sind gut so, durcheinander ist auch ein Stil. Schmuck machen wir danach.«
Als er erstmal immer noch wie ein vom Blitz getroffenes Erdmännchen dastand, gab Caden ihm einen sanften Schubs. »Das wird schon irgendwie«, flüsterte er leise. Es war komisch - bei jedem Anderem hätte Ravi nur noch mehr Panik bekommen, doch als sein Seelenpartner ihn jetzt vorsichtig anlächelte, schaffte er es endlich wieder, sich zu bewegen.
Der Anzug, den er von Caden bekommen hatte, stand im starken Kontrast zu allem, was Ravi sonst in seinem Kleiderschrank gefunden hatte. Er war schwarz wie die Nacht, verziert mit kleinen, goldenen Edelsteinen. Obwohl sein Atem immer noch schneller als sonst ging, konnte er sich ein glückliches Lächeln nicht verkneifen. Das war die Kleidung, die er sich gewünscht hatte, als er ins Schloss gekommen war. Keine weißen, unförmigen Hemden.
Für einen Moment fragte er sich, ob Caden diesen Anzug extra für ihn hatte anfertigen lassen, doch diesen Gedanken verwarf er direkt wieder. Sicher hatte er einfach eins seiner alten Kleidungsstücke genommen.
Als er wieder aus dem Bad zurück kam, war Caden verschwunden. Dafür lag ein kleiner Haufen Gold auf seinem Schreibtisch. Erst als Ravi näher kam, erkannte er die filigranen Strukturen von Ketten und winzigen Anhängern. Mit großen Augen hob er das Schmuckstück hoch.
Das dünnes Kettchen, glänzend wie die Sonne selbst, trug einen Mond und zwei Sternen. In der Mitte des Mondes, der aus tausenden, winzigen Linien zusammengesetzt war, prangte ein klarer, schwarzer Stein, auf dessen Oberfläche sich tausende Farben spiegelten. Die zwei Sterne bestanden ebenfalls aus diesem Material, das Ravi beim besten Willen nicht erkennen konnte.
Doch in einem war er sich absolut sicher: Diese Halskette war mehr wert als sein ganzer bisheriger Besitztum.
»Gefällt sie dir?«
Ertappt legte er das Schmuckstück zurück und räusperte sich. »Sie sind ganz okay aus«, log er und bemühte sich, das aufgeregte Glitzern in seinen Augen zu verstecken. Als er sich zu Caden umdrehte, klappte sein Kinnladen herunter.
Schon davor hatte er sicher nicht schlecht ausgesehen. Doch jetzt, in neuen Klamotten, mit geordneten Haaren und einigen silbernen Ketten, sah er wirklich umwerfend aus. Eigentlich unterschied sich sein Anzug nicht einmal so sehr von Ravis - die Edelsteine waren silbern anstatt golden, das war alles. Doch vielleicht war es genau dieser Unterschied, der ihn so aufleuchten ließ.
Wobei aufleuchten eigentlich das falsche Wort war. Cadens Schönheit war schüchtern, unauffällig. Erst bei näherem Betrachten erkannte man, wie hell seine silbernen Augen eigentlich leuchteten und wie elegant sich die Krone an seine Haare schmiegte. Er war wie der Mond, und Ravi schaffte es nicht, die Augen von ihm zu lassen.
»Du kannst sie haben, wenn du willst«, meinte Caden plötzlich. Erst jetzt merkte Ravi, wie auffällig er gestarrt hatte, und er sah sofort zur Seite. Mit einem leisen Hüsteln versuchte er, seine leicht geröteten Wangen zu verstecken.
»Das kann ich nicht annehmen, mein Prinz. Ich bin nur ein einfacher Bürger aus Unterstadt, so etwas Wertvolles kann ich nicht tragen.«
Wie eine sanfte Brise huschte Caden an ihm vorbei und hob die Kette hoch. Er öffnete sie vorsichtig. Das erste Mal fiel Ravi auf, das er Handschuhe trug. Und wie ungemein geschickt er trotzdem war.
Als Caden die goldene Zierde in seine Richtung hielt, beugte er mehr aus Reflex den Kopf. Ein Schauer ließ ihn leicht erzittern, als das kalte Metall seinen Rücken berührte.
»Mein Prinz-«
»Du bist kein einfacher Bürger mehr, Ravi. Du bist mein Seelenverwandter. Damit ist dein Rang fast so hoch wie meiner.«
Langsam hob er den Kopf, und für einen Moment strich Cadens Blick den seinen. Goldene Augen blickten in eine mysteriösen, dunklen Nachthimmel voller silbernen Sternen.
Dann schien Caden zu realisieren, wie nah aneinander sie standen, und machte sofort einen Schritt zurück. Ravi tat es ihm gleich. Doch selbst als er einmal tief Luft holte, beruhigte sich sein viel zu schnell klopfendes Herz nicht.
Das war alles nur für den Plan. Für seine Zukunft. Für Adrian. Für seine Freunde und für Unterstadt. Sein Herz klopfte aus Angst, er könnte versagen.
Es lag sicher nicht daran, dass er Caden mochte. Niemals. Er könnte keine Mörder mögen.
Was, wenn er unschuldig ist?, flüsterte eine hoffnungsvolle Stimme in seinen Gedanken, doch er würgte sie sofort ab.
»Danke«, sagte er lächelnd.
Caden antwortete nicht, stattdessen drückte er Ravi einen kleinen, spitzen Gegenstand in die Hand. Erst bei nähere Betrachtung erkannte er eine goldenen Haarnadel, die mit einigen Blumen verziert war. »Das hier gehört auch noch dazu. Du scheinst Haarnadeln ja schließlich besonders zu mögen.«
Ravi war zwischen Überraschung, Scham und Begeisterung hin und her gerissen. Wenn er sich daran erinnerte, wie er Caden mit einer Haarnadel bedroht hatte, begannen seine Wangen sofort zu glühen, doch wenn er das goldene Kunstwerk in Cadens Hand ansah, begann seinen Augen sofort hell aufzuleuchten.
»Vielen Dank, Caden«, stotterte er schließlich. Er ließ zu, dass der Prinz sich vorbeugte und ihm das Geschenk vorsichtig ins Haar steckte. Es war seltsam, wie angestrengt er dabei aussah. Als müsste er sich darauf konzentrieren, nicht wegzulaufen.
Als Caden wieder gerade stand, fiel Ravi eine kleine Haarlocke auf, die sich aus seiner Frisur gelöst hatte. Ohne weiter darüber nachzudenken, beugte er sich diesmal vor und strich sie Caden sanft hinter die Ohren.
Der Prinz zuckte unter seiner Berührung zusammen. Ravi erinnerte sich plötzlich an seine Worte, daran, wie Caden das Messer gezogen hatte, nur weil er ihm zu nah gekommen war. Sofort stolperte er ein paar Schritte zurück.
»Tut mir leid, ich wollte nicht-«
»Alles gut. Ich ... Es ist nicht so schlimm, wenn ich weiß, was passiert«, murmelte Caden leise, und hob dann mit einem schüchternen Lächeln den Kopf. »Und ... Bei dir ist es grundsätzlich nicht so schlimm.«
Das Rot auf Ravis Wangen wurde noch intensiver, und er senkte den Kopf. »Das ist ... gut, denke ich«, brachte er heraus. Wo er Caden jetzt so sah, wie er lächelnd nickte, konnte er sich plötzlich überhaupt nicht vorstellen, dieses Lächeln nie wieder zu sehen. Schnell drängte er sich zur Tür und stürmte beinah schon auf den Flur.
Angestrengt versuchte er, seinen Puls unter Kontrolle zu bekommen. Mit leicht zitternden Händen strich er sich über die Stirn. Sie war heiß, viel zu heiß. Hatte er Fieber? Das wäre zumindest eine Erklärung für die wirren Gedanken, die er in Cadens Nähe gehabt hatte.
»Du musst dich nicht beeilen. Wir haben noch genug Zeit«, merkte der Prinz mit schiefgelegtem Kopf an und schloss die Tür. Ein kleiner, silberner Gegenstand blitze auf. Ravi streckte die Hand aus, um ihn zu fangen. Als er erkannte, dass es sich um seinen Schlüssel handelte, wurde ihm sofort wieder wärmer.
»Ich ... Ähm ... Danke«, murmelte er beschämt. Caden winkte ab und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie den Flur entlangliefen.
»Warst du schonmal auf einem Ball?«, fragte er, als das Schweigen gerade kurz davor war, unangenehm zu werden. Ravi schüttelte den Kopf. Komischerweise war die Panik von vorhin verschwunden, sein Gehirn hatte gar nicht genug Zeit, sich mit diesem Problem zu beschäftigen. Da war ein anderes Problem, das gerade nachdenklich nickend neben ihm lief, und das beanspruchte gerade alle verfügbare Aufmerksamkeit.
»Ich hoffe, dass klingt jetzt nicht komisch, aber ... Der königliche Ball ist gefährlich.«
Mit seinem Schweigen forderte Ravi Caden ohne Worte auf, weiter zu reden.
»Natürlich geht man auch hin, um zu tanzen und Spaß zu haben, aber der Hauptzweck ist das Austauschen von Informationen. Das Austauschen von Informationen und das Erschaffen von Skandalen.« Kurz hielt Caden inne. Dann fuhr er mit einem besorgten Blick fort. »Er ist eine Prüfung, ob du gut genug auf deine Geheimnisse aufpassen kannst. Denn dort werden alle versuchen, sie dir mithilfe von Alkohol zu entreißen.«
»Ich soll aufpassen, nicht zu viel zu trinken?«
»Nicht nur das. Die Leute dort haben ihre Wege und Möglichkeiten, um schon einen einzelnen Drink gefährlich zu machen.«
»Also soll ich am besten gar nicht trinken?«, schnaubte Ravi und verdrehte die Augen. Es war ja eigentlich ganz nett, dass Caden sich Sorgen um ihn machte, doch er übertrieb. Vor so vielen anderen Leuten würde sicher niemand ihn vergiften.
Der Prinz seufzte und schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ... Pass einfach auf, aus welchem Glas du trinkst. Und verlier dich nicht in der Musik. Sei aufmerksam.«
Seine Augenbrauen stiegen mit jedem Wort, dass Caden von sich gab, weiter nach oben. So schlimm war es sicher nicht, und vor allem war er kein Kleinkind mehr. Er wusste durchaus auf sich selbst aufzupassen. »Ja, ja. Pass lieber auf dich selbst auf, du bist schließlich nicht sonderlich beliebt.«
Mit einem letzten besorgten Blick blieb Caden stehen. Sie standen jetzt direkt vor der großen, goldenen Tür, die den Ballsaal vom Rest des Schlosses abtrennte. Schon hier hörte man die Musik und das Gelächter. Grinsend legte Ravi beide Hände auf die Klinke und drückte zu.
Nach den Feiern in Unterstadt konnte ihn sowieso nichts mehr überraschen.
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