12 | Monster
Das Klirren von Schwertern erfüllte die Luft, als Ravi auf den Trainingsplatz der königlichen Wache zulief. Den ganzen Morgen schon suchte er jemand, und dieser jemand war ihm immer wieder knapp entwischt. Schon fast eine Stunde hatte er darauf verschwendet, von einem Ende des Schlosses zum anderem zu rennen. Jetzt, nach fast zwei Stunden, war er sich endlich sicher, sein Ziel gefunden zu haben.
»Guten Morgen«, begrüßte er einen der Offiziere, die am Rande des Platzes standen und Anweisungen gaben. Er lächelte höflich, so wie immer, doch der Wachmann machte sich nicht einmal die Mühe, die Mundwinkel zu heben.
»Immer mehr Leute werden kriminell und die Mordrate in Mittelstadt steigt jeden Tag. Wie könnte dieser Morgen gut sein?«, knurrte er und wandte sich wieder ab, um einen der Soldaten zusammenzubrüllen. Ravi stand daneben und schob sich nervös eine seiner Haarsträhnen hinter die Ohren.
»Das stimmt, Sir. Aber sie könnten zumindest meinen Morgen verbessern, wenn sie mir kurz zuhören und eine Frage beantworten.«
Erst ignorierte der Offizier ihn weiter, und Ravi spielte mit dem Gedanken, ihm einfach kommentarlos ins Ohr zu schreien, als er sich doch noch umdrehte und die Augen verdrehte. »Meinetwegen. Aber hören Sie mit dem Gelächel auf. Hier ist kein Platz für Spaß.«
Es kostete ihn einiges an Willenskraft, bei so viel krampfhafter Ernsthaftigkeit nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. »Natürlich, Sir. Sie haben recht«, stimmte er sofort zu und zwang seine Mundwinkel nach unten. Er hätte nie gedacht, das Nicht-Lächeln mal schwerer als Lächeln sein würde.
»Also, meine Frage ist die Folgende: Wissen Sie zufällig, wo sich Yinan Springleaf gerade aufhält?«
Die Überraschung in den Augen des Offiziers machte es noch schwerer, nicht zufrieden zu grinsen, doch noch schaffte Ravi es, sich zu kontrollieren. Nach einiger Zeit antwortet der Wachmann mit zusammengekniffenen Augen.
»Wieso wollen Sie das wissen?«
»Ich habe eine Nachricht von Kronprinz Adrian für ihn. Es wäre wirklich eine Schande, wenn er sie nicht erhält. Wie alle wissen schließlich, wie ungerne der Prinz es hat, wenn man nicht tut was er sagt oder schreibt«, log er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Kurz überlegte der Offizier noch, dann nickte er ergeben. »Gut. Dann habe ich wohl keine Wahl. Soldat Yinan trainiert gerade auf dem Wildnis-Parkour.«
Schnell senkte Ravi den Kopf, um sein Grinsen zu verbergen. Es war erstaunlich einfach gewesen, diesen Offizier hinters Licht zu führen. Auch wenn ihn etwas an diesen Worten überraschte: Yinan war also doch ein Mitglied der königlichen Wache. Hatte Adrian ihn angelogen?
Oder war es vielleicht Yinan, der den Kronprinzen anlog?
»Vielen Dank, Sir. Ich bin sicher das er es Ihnen danken wird.« Mit diesen Worten verschwand er in die Richtung, in die sein unfreiwilliger Helfer gezeigt hatte. Er musste noch ein paar taumelnden Soldaten ausweichen, bevor er am Wildnis-Parkour angekommen war.
Und dieser hatte seinen Namen wirklich verdient. Bäume, Flüsse, Unterholz, sogar kleine Berge - alles war zu einem schwierigen Labyrinth aus Hindernissen verbaut, in dem Ravi wirklich ungern landen würde. Die königliche Wache war bekannt dafür, ab und zu auch einen Soldaten bei ihren Übungen umzubringen, und dieser Parkour war sicher der Grund für dieses Gerücht.
»Du hast echt lange gebraucht um mich zu finden«, hörte er auch schon Yinans amüsierte Stimme, und keine Sekunde später landete der junge Mann leichtfüßig vor Ravi. Der Ast, von dem er gesprungen war, schwebte in ungefähr fünf Meter Höhe. Wer auch immer dieser Yinan wirklich war, menschlich schien er wohl kaum zu sein.
Mit verschränkten Armen ließ Ravi sich auf einen herumliegenden Baumstamm fallen und kreuzte die Beine zu einem Schneidersitz. »Du bist vor mir weggelaufen. Was hast du erwartet?«
In den letzten Tagen hatte er Yinan immer wieder getroffen, manchmal zufällig auf dem Gang, manchmal nicht ganz so zufällig nachdem er Tee oder irgendetwas Anderes gebracht hatte. Es war fast schon eine Tradition zwischen ihnen geworden, möglichst respektlos und unhöflich zu sein.
Trotzdem verbeugte sich der junge Soldat leicht und lehnte sich dann mit verschränkten Armen gegen den Eingang des Parcours. »Ich hatte erwartete dass du dich nach einer Woche zumindest etwas im Schloss auskennst«, lachte er. Bei dem Gedanken daran, wie er gefühlte Stunden nach dem Trainingsplatz gesucht hatte, füllten sich Ravis Wangen mit Hitze. Er schnaubte, um seine Verlegenheit zu verstecken.
»Das tut jetzt nichts zur Sache. Ich habe ein paar Fragen an dich, und ich erwarte, dass du sie ehrlich beantwortest.«
Wieder lachte Yinan nur und hob eine Augenbraue. »Und warum sollte ich das tun? Ich bin nicht dein Gefangener.«
»Aber Adrians Diener. Wenn ich ihm erzähle, dass du Caden von einem gewissen Plan erzählt hast, wem wird er wohl glauben: Dir oder mir?«
Normalerweise wäre es definitiv wahrscheinlicher gewesen, dass Ravi am Ende selbst im Gefängnis landete, schließlich war er Cadens Seelenverwandter. Doch noch diesen Morgen hatte Adrian ihm etwas sehr Interessantes mitgeteilt: Er verdächtigte Yinan, eigentlich auf Cadens Seite zu stehen.
Und das wusste Yinan anscheinend, denn sein Blick verdunkelte sich augenblicklich. »Du bist wirklich nerviger als ich dachte. Was willst du denn so dringend wissen, dass du mich sogar mit dem Kronprinz selbst erpresst?«, zischte er durch zusammengebissenen Zähne.
Bevor er sich schuldig fühlen konnte, antwortete Ravi mit einem Lächeln. »Nicht viel. Nur ein paar Informationen über den dritten Prinz.«
»Über den dritten Prinz ... Vergiss es«, fauchte Yinan. In seinen eigentlich so kindlichen Augen flackerte plötzlich ein tiefrotes Feuer aus, dass vor Hass nur so brannte. »Ich werde dir ganz sicher nicht dabei helfen, Caden umzubringen! Schon gar nicht auf eine so ... widerliche Weise!«
Obwohl sie es nicht sollten, trafen diese Worte Ravi irgendwo in seinem Herzen. Es war wirklich widerlich, was Adrian geplant hatte. Aber er war nur eine Schachfigur. Er hatte keine Wahl. Und selbst wenn er sich weigern würde: Nachdem Adrian ihn aus dem Weg geräumt hatte, würde er seinen Plan einfach anders durchführen. Caden war schon so gut wie tot, man konnte ihm sowieso nicht mehr helfen!
»Wieso verrätst du ihm den Plan dann nicht einfach? Dann wäre er doch sicher. Oder hast du etwas doch Angst, als Verräter hingerichtet zu werden?«, meinte er mit einem provokantem Lächeln, hinter dem er all seine Zweifel wegsperrte. Yinan funkelte ihn böse an und trat einen Schritt nach vorne. Seine Hand war gefährlich nah an dem Kurzschwert, dass an seiner Hüfte baumelte.
»Ich habe keine Angst davor, zu sterben«, presste er hervor, »Also verrat mich ruhig. Adrian weiß sicher längst, dass ich mit Caden in Kontakt stehe. Und selbst wenn er mich trotzdem hinrichtet, ich bin immer noch besser als du.«
Ich habe keine Angst davor, zu streben.
Was für ein lächerlicher Satz! Am liebsten hätte Ravi hier und jetzt ein Messer gezogen und es Yinan an die Kehle gehalten. Und ihn dann nochmal gefragt, ob er nun wirklich keine Angst hatte. So etwas konnte schließlich nur von jemandem kommen, dessen Leben nie akut bedroht war. Wenn es nämlich so weit war, hatte jeder Angst. Es gab niemanden, der keine Angst vor dem Tod hatte!
Wutschnaubend stieß er sich von seinem Sitzplatz ab und ging einen Schritt auf Yinan zu. »Besser als ich? Ich töte einen Mörder! Und dann wird mich das ganze Königreich als Held feiern. Denn das ist es, was Helden tun! Leute wie Caden, die eine Gefahr für jeden hier darstellen, auslöschen!«
Es musst wahr sein. Es musste einfach wahr sein. Natürlich war er auch ein Seelenmörder, wenn er Caden tötete, doch das war nicht dasselbe. Niemals! Adrian hatte versprochen, dass er ein Held sein würde. Also musste es auch stimmen, egal wie falsch es sich anfühlte!
Langsam hob er den Blick. Yinan stand da, ein paar Meter vor ihm, und hatte den Kopf gesenkt. Seine ganzer Körper zitterte. Erst dachte Ravi, er hätte die Angst in seinem Gegenüber geweckt, die ihn endlich zum Reden bringen würde, doch dann hob der Junge den Kopf.
»Wie kannst du es wagen so etwas zu sagen!«, brachte er heraus, und keine Sekunde lag Ravi plötzlich am Boden und fühlte die Kälte einer Klinge an seiner Kehle. Kalter Schweiß rollte seine Stirn herunter.
So hatte er das alles nicht geplant.
»Du hast keine Ahnung was er alles durchgemacht hat! Du kennst ihn überhaupt nicht! Und trotzdem ... trotzdem sagst du, dass er den Tod verdient hat?! Du und deine dämlichen Freunde verdienen den Tod! Adrian verdient den Tod! Für das, was sie ihm angetan haben, für das, was du ihm antun wirst! Derjenige, der dich umbringt, ist ein Held, du dreckige Ratte!«, schrie er, und seine Faust traf Ravi mitten ins Gesicht. Schmerzen explodierten auf seiner linken Wange, und sein Sichtfeld verschwamm kurz.
»Weißt du, was das traurigste ist? Caden glaubt wirklich, dass du derjenige bist, auf den er gewartet hat. Jemand der nicht nur ihren Lügen glaubt. Trotz allem, was passiert ist, glaubt er immer noch an dich! Und du ... Und du willst ihn umbringen!«
Langsam wurde das Feuer in Yinans Augen zu einer nebligen Dampfwolke, und sein zweiter Schlag stoppte knapp vor Ravis Auge. Für einen kurzen Moment wirkte er zutiefst verzweifelt, wie ein Kind, dass gerade seine Liebsten sterben sah und nichts dagegen tun konnte.
Entsetzt schubste Ravi ihn nach hinten und stand zitternd wieder auf. Staub und Dreck klebte überall an seinem Körper, und als er an seine Wange griff, war diese bereits geschwollen. »Wachen!«, rief er, während er gegen einen der umliegenden Bäume wankte.
Ohne ein weiteres Wort drehte Yinan sich weg von ihm und sah zu den Soldaten, die gerade um die Ecke rannten. Auch als sie ihn packten und seine Hände brutal auf den Rücken zerrten, sagte er nichts. Erst, als Ravi an ihm vorbei zu Adrian lief, der ihn sofort für seine erfüllte Mission beglückwünschte, öffnete er seinen Mund noch einmal.
»Monster«, flüsterte er.
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