Kapitel 6
Die ganze Nacht wälzte ich mich im Bett umher und brachte, trotz Julian's beruhigenden Geruches, kein Auge zu. Er lag auf der Couch seines Zimmers, bewegungslos und still. Julian sagte nichts zu meiner Unruhe, wofür ich ihm sehr dankbar war. Ich wollte nicht sprechen, schon gar nicht über die Geschehnisse in den letzten Tagen. Mir lag Boosters Tod schwer auf den Schultern und der Gedanke daran, dass ich Schuld daran war schien mich von innen raus zu zerreißen. Aber meine Tabletten verhinderten das mich diese Gedanken übermannten.
Auch der Schock über den Vorfall in meinem Zimmer saß tief in meinen Knochen. Niemand wusste wie der Eindringling so nah an mein Fenster kommen konnte ohne von irgendwem gesehen zu werden. Das Sicherheitspersonal wurde verdreifacht und ich durfte vorläufig Julian's Zimmer nicht verlassen. Normalerweise war es kein Problem mir mit einem attraktiven Mann ein Zimmer zu teilen. Aber es war eben Julian. In seiner Gegenwart fühlte ich mich wohl, aber doch so klein. Seit dieser einen Nacht war unser Verhältnis nicht mehr das selbe. Früher konnte er mich ausstehen und wir konnten normal miteinander sprechen, ohne dass es komisch war. Doch seitdem war alles anders. Seine Meinung von mir war alles andere als nett und unser Verhältnis hielt sich auf beruflicher Basis. Ich war die Tochter seines Vorgesetzten, also theoretisch gesehen war er irgendwie auch mein Angestellter. Wenn ich ihm das sagen würde, wäre ich zwei Köpfe kurzer. Er hasste es, wenn ich das sagte und trotzdem tat ich es, um ihn zu ärgern.
Nachdem ich Julian über meinen Stalker informiert hatte konnte ich ihn nicht davon abhalten meinen Vater davon in Kenntnis zusetzen. Sofort wurden die Behörden informiert und mein Handy beschlagnahmt, damit sie die IP-Adresse der Nachrichten zurückverfolgen konnten. Aber ich bezweifelte, dass sie dabei Erfolg haben würden. Es wäre zu schön um wahr zu sein und mein Glück hielt sich in Grenzen.
Mit einem leisen Seufzen richtete ich mich auf und rieb über meine schmerzenden Augen. „Bist du wach?" flüstere ich und schlang meine Arme um die Knie.
„Natürlich."
Ich nickte und spielte mit dem Stoff der Bettdecke. Sie war nicht aus samt, wie die in meinem Schlafzimmer. Der Stoff war normale Baumwolle, aber sehr gemütlich.
„Es war blöd von dir, diese Angelegenheit vor mir zu verheimlichen."
Schuldbewusste senkte sich mein Blick. Vermutlich wäre alles anders gelaufen, wenn ich eher Bescheid gesagt hätte. „Ich weiß." Meine Stimme war ein einziges Flüstern. „Ich hab Mist gebaut.
„Er ist ein Mörder, richtig?"
Ich sagte nichts. Er wusste die Antwort, was auch der Grund war, weshalb er sich erhob und zu mir an die Bettkante setzte. Sein Geruch stieg mir in die Nase. Ich musste mich beherrschen nicht erleichternd zu seufzen. Was war nur an seinem Duft, was mich so aus der Rolle brachte? Ich konnte nicht mal definieren nach was genau er roch.
„I-Ich muss meine Tabletten noch nehmen." hauchte ich und rückte ein Stück von ihm ab. Umso näher er mir war, desto mehr Erinnerungen spielten sich vor meinen inneren Auge ab. Meine Schreie. Das Gewitter. Die Tränen. Julian, der mich versuchte zu beruhigen. Meine Angst.
Daran wollte ich nicht denken. Nicht jetzt.
Julian wühlte in seinem Nachtschränkchen und reichte mir mein Pillendöschen. „Dein Bruder hat sie mir vorhin gegeben."
Bei der Erwähnung meines Bruders verzog ich mein Gesicht und entriss ihm das Döschen. Mittlerweile tat es einfach nur noch weh von ihm zu hören. „Wie nett von ihm."
Ein, zwei, drei Pillen. „Ich glaube nicht das diese Menge gut für deinen Körper ist."
Ich sah auf und traf auf Julians ernsten Blick. „Es ist okay."
Ich wusste was er meinte, aber bevor er mich abhalten konnte schluckte ich die drei Pillen und stellte die Dose auf das Schränkchen. Mein Arzt hatte mir abgeraten mehr als zwei Tabletten auf einmal zuschlucken, aber manchmal musste es einfach sein. Es fühlte sich so an, als ob es mir helfen würde und bisher war noch nie etwas passiert.
Er sagte nichts mehr dazu. Sondern sah einfach aus dem Fenster in die Dunkelheit. Es war stockdunkel draußen. Nichtmal der Mond war zu sehen, so nebelig war es draußen. Es schien, als hätte sich das Wetter meiner Stimmung angepasst. Manchmal hatte ich das Gefühl die Antidepressiva wirkten überhaupt nicht, so wie in diesem Moment.
„Hast du eine Vermutung wer der Stalker sein könnte? Irgendwelche Feinde oder jemand mit dem du Ärger hattest?" durchbrach Julian die Stille.
Ich zuckte mit den Schultern. „Es könnte jeder sein. Als Person des öffentlichen Lebens ist es schwer Verdächtige einzugrenzen. Es könnte ein Fan sein oder ein Mitschüler... oder ein Freund."
Wieder kehrte Stille ein. Ich fragte mich was gewesen wäre, wenn ich damals einfach gemacht hätte was Booster mir gesagt hatte. Ob Julian dann trotzdem so abweisend wäre? Es hätte so viel anders sein können, wäre ich nicht auf Booster reingefallen. Vielleicht hatte er den Tod ja doch verdient. Er war ein schlechter Mensch gewesen und hätte vermutlich weiterhin Schaden angerichtet. Natürlich wäre es die oberste Strafe gewesen den Rest seines Lebens in Einzelhaft verbringen zu müssen, aber der Tod schien für mich auch nicht gerade ungerecht. Nachdem was er mir alles angetan hatte... Irgendwie hatte mein Stalker in diesem Punkt gute Arbeit geleistet.
„Warum sollte diese Person ausgerechnet deinen Ex umbringen?"
Beinahe musste ich lachen. Als könnte er meine Gedanken lesen... „Booster war kein guter Mensch."
Julian schnaufte verächtlich. „Hat er dich etwa abserviert und du kamst damit nicht klar?"
Wut keimte in mir auf. „Du hast keine Ahnung wovon du sprichst."
„Ist das gebrochene Herz auch der Grund für die Antidepressiva? Oder liegt es daran, dass dein Daddy dir nicht genug Aufmerksamkeit schenkt?"
„Hör auf." plärrte ich, aber ihn schien es nicht zu interessieren. Wieso war er aufeinmal so? Von jetzt auf gleich wechselte sein Verhalten um hundertachtzig Grad.
„Wieso? Du führst ein perfektes Leben in deinem Märchenschloss und trotzdem denkst du hättest eine schlimme Vergangenheit. Ein Ex der dich abserviert hat und ein Vaterkomplex. Du hast keine Ahnung von der Welt da draußen und darüber, was richtige Probleme sind."
Was fiel ihm ein? Er hatte kein Recht so mit mir zusprechen. Wie konnte er von der einen zur anderen Sekunde so abweisend und gemein werden? Julian wusste nur den Bruchteil von dem was passiert war und hatte kein Recht über mich zuurteilen. Mir war klar, dass er als ehemaliger Soldat viel gesehen hatte. Es war bestimmt nicht einfach für ihn mit den Geschehnissen im Krieg umzugehen. Aber er wusste worauf er sich eingelassen hatte, als er der Armee beitrat. Und seine Erlebnisse mit meinen zu vergleichen war wie die Maus mit einem Elefanten gleichzustellen. Wir kamen aus zwei verschiedenen Welten, die aus unterschiedlichen Gründen grausam waren. Aber ich würde Julian nicht zeigen, dass mich seine Worte verletzten, also tat ich das was ich am besten konnte: Meine Rolle spielen.
„Du hast recht. Ich hab keine Ahnung wovon ich spreche."
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