Kapitel 15
Da ich nicht wusste, wo ich hin konnte, fuhr ich erstmal zu Louise, meiner Cousine. Sie wohnte ein bisschen außerhalb von Tallinn und war mit einem Typen verheiratet worden, den niemand von uns gut leiden konnte. Ich stand schon vor der Tür, den Finger in Richtung Klingelknopf ausgestreckt, als ein schwarzes Auto auf die Einfahrt einbog. Die Türen öffneten sich und meine beiden Brüder sprangen zusammen mit Tristan heraus.
„Biene", rief Tristan und rannte zu mir. „Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht." Zärtlich fuhr er mir über die Haare.
Mein Widerstand löste sich in hundert kleine Teile auf.
„Ich will nicht zurück", schluchzte ich an Tristans Hemd.
„Ich weiß", Nico tauchte neben mir auf und streichelte beruhigend meinen Rücken. „Doch wir müssen leider wieder zurück."
Ein letztes Mal strich ich über den Stoff meines wunderschönen weißen Kleides. Es funkelte leicht in dem sanften Licht der Deckenlampe. Am Saum des Rockes waren kleine silberne Steine aufgeklebt, die bei jeder Bewegung mit den Steinen auf meiner Korsage um die Wette glitzerten.
„Du siehst wunderschön aus", hauchte meine Cousine Louise andächtig, bevor sie meine langen Haare nahm und sie kunstvoll aufsteckte. Am Schluss steckte sie noch zwei silberne Spangen rein. Lucie hielt schon den Schleier in der Hand, den sie mir jetzt aufsetzte.
„Ich hätte nie gedacht, dass du mal so schön aussehen könntest", meinte sie grinsend und erntete sofort einen Ellenbogenstupser von Louise. Außer uns dreien war niemand mehr im Raum. Faraelle, die mittlerweile bei uns mit eingezogen war, hatte ich nach unten geschickt, um Pietro zu holen, der mich anstelle meines leiblichen Vaters mich zum Altar führen würde.
„Ich hatte doch gewusst, dass aus euch beiden mal mehr wird", meinte Lucie jetzt und ließ sich auf mein Bett fallen. Sie hatte die Nachricht, dass ich nicht Alycya hieß und auch nicht aus Dänemark kam leichter aufgenommen, als Rafael und Sander, die vermutlich gerade unten standen und sich mit Nico, meinem Bruder und seiner Verlobten Valerie unterhielten. Deren Hochzeit stand im nächsten Frühjahr an.
„Ich bin so stolz auf dich", Louise umarmte mich vorsichtig, was eine kleine Herausforderung war, da sie im achten Monat schwanger war und ich ein ausladendes Kleid anhatte. „Hast du eigentlich Tante Maggie und Onkel Constantin eingeladen?"
Ich schüttelte den Kopf. Lange Zeit haben Mark und ich überlegt, ob wir unsere Eltern einladen sollten, doch letztendlich hatten wir uns dagegen entschieden. Weder seine, noch meine waren glücklich über unsere Wahl gewesen.
Ein Klopfen erklang von der Zimmertür. Zitternd stieg ich von meinem kleinen Hocker runter, durchquerte das Ankleidezimmer und öffnete die Tür. Vor mir stand Pietro, in einer Hand meinen Brautstrauß, in der anderen eine kleine Schachtel.
„Komm rein", ich machte Platz. Lucie und Louise verständigten sich mit Blicken, die ich nicht deuten konnte und verließen unter sinnlosen Ausreden, wie Abwaschen den Raum.
„Du bist bezaubernd", Pietro blieb ein paar Schritte vor mir stehen und betrachtete mich. „Echt, ein wundeschöner Engel."
Verlegen wurde ich rot.
„Hier", er hielt mir die Blumen hin. „Den hat Marianne mir in die Hand gedrückt." Dankend nahm ich ihm den Strauß ab und legte ihn aufs Bett.
„Und das hier ist von deinen Eltern", er reichte mir die Schachtel. „Sie haben es mir per Post geschickt, zusammen mit einem Brief, in dem sie geschrieben haben, sie hätten das hier unter den Sachen von Samuel gefunden." Trauer huschte über sein Gesicht, obwohl er Sam nie wirklich gekannt hatte. Auch ich musste schlucken. Vor ein paar Wochen wurde Sam angefahren und schwer verletzt. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus starb er an seine Verletzungen. Äußerlich reagierte ich gefasst, doch innerlich blutete mein Herz. Immerhin waren wir lange Zeit sehr gute Freunde und Partner gewesen. Auch wenn er mich jahrelang verfolgt und gestalkt hatte. Das alles war bei dem Treffen vor einem halben Jahr heraus gekommen, wo wir offen miteinander gesprochen hatten. Nicht dass seine Entschuldigungen etwas an der Lage hatten ändern können. Neugierig öffnete ich die kleine cremefarbene Schachtel. In ihr, auf dunklem Samt ausgelegt, lag ein kleiner silberner Ring. Außer einem blauen Steinchen, hatte er keinerlei Verzierungen. Ich hasste meine Eltern! Auch jetzt noch versuchten sie sich in meine Entscheidungen einzumischen. Ohne den Ring eines weitern Blickes zu würdigen, schmiss ich ihn achtlos auf den Boden. Pietro nahm das alles schweigend zur Kenntnis, dann griff er an mir vorbei, nahm den Blumenstrauß und bot mir seinen Arm an.
„Wir sollten gehen. Auf keinen Fall will ich Mariannes Planungen durcheinander bringen. Und du solltest das auch nicht tun", uns beiden war bewusst, was passieren würde. Behutsam führte er mich aus dem Zimmer, den Flur entlang, zur Treppe. Mein Blick huschte zur weißen Tür. Dahinter verbarg sich ein Kunstwerk, an dem Mark und ich gemeinsam arbeiten. Es sollte später einmal das Kinderzimmer von Valja werden. Bis jetzt waren die Wände noch weiß, doch man konnte anhand der Bleistiftzeichnungen erkennen, was es werden sollte. Kleine Schnörkel und Striche hatten wir auch schon mit Farbe nachgezogen.
Zwei Monate, nachdem ich aus Ägypten erst nach England und dann weiter nach Schweden geflohen war, hatte sich Mark das erste Mal wieder bei mir gemeldet. Am Anfang hatte ich ihn immer wieder abblitzen lassen, doch seine Hartnäckigkeit war beeindruckend. Als er dann am Ende vor meiner Tür stand und mich um Vergebung bat, habe ich nachgegeben. Es dauerte zwar noch mal zwei Monate, bis es wieder so wie früher war, doch das hatte sich gelohnt. Wobei Valja eine große Rolle dabei gespielt hatte und vermutlich auch ausschlaggebend für die Verlobung war. Seitdem harmonierte es zwischen Mark und mir wieder. Er war ganz offiziell bei mir eingezogen und es hatte keine drei Tage gedauert, bis man auch sehen konnte, dass er hier wohnte. Das erste, was sich geändert hatte, war der versprochene DVD Stapel neben dem Fernseher und auch eine gefüllt Speisekammer sowie Kühlschrank war auf ihn zurück zuführen. Zusammen hatten wir dann, nachdem er bei Drakon gekündigt hatte, eine Organisation auf die Beine gestellt, die Spionen die Möglichkeit gab, ungehindert leben zu können. Viele kamen mehrmals im Jahr hierher und verbrachten die Sommerwochen bei uns am See. Wir hatten uns unsere eigene Familie gegründet.
Pietro gab Faraelle, die die Hochzeitsplanung in die Hand genommen hatte und jetzt an der Treppe stand, ein Zeichen, worauf sie alle vom Wohnzimmer in den Garten scheuchte.
„Du schaffst das", flüsterte mein Ziehvater mir zu und führt mich die enge Treppe runter. Unten wartete schon Louise mit Valja auf dem Arm auf uns. Sobald sie mich, ihre Mama, sah strahlten ihre grünen Augen, die mich sehr an Mark erinnerten. Insgeheim war ich froh, dass sie nicht meine Augenfarbe geerbt hatte. Ich glaube, dass hätte ich nicht durchgehalten, immer die Augen meines Vaters zu sehen. Zusammen gingen wir durchs Wohnzimmer in den Garten. Bei meinem Anblick drehten sich alle Gäste um. Überall hörte man beeindruckende Ah's und Oh's. Mit Stühlen hatten die Männer in den letzten Tagen einen Gang gebaut, der zum See und damit zum Altar führte. Auf beiden Seiten waren Blumengestecke befestigt, wodurch ein wunderschöner Duft durch die Luft getragen wurde. Louise mit Valja auf dem Arm schritt vor uns, wobei die beiden von Zeit zu Zeit Blumenblätter fallen ließen.
Mein Blick wanderte hoch, zu Mark, der am Ende des Ganges auf mich wartete. So viel war passiert. Angefangen mit der erlogenen Beziehung zwischen Sam und mir. Meiner rasanten und nicht wirklich durchdachten Flucht aus dem Hotel. Das Jahr bei Pietro und Marianne in Dänemark, wo ich so viel Liebe und Freude gespürt hatte, wie noch nie zuvor. Meine Erfahrungen und Freunde aus den Ländern die ich bereist habe, sie alle saßen hier und weinten um die Wette. Erstaunlicherweise war mir niemand böse, als ich von meinem wahren Ich erzählt habe.
Meine Entscheidung nach England zu gehen, zu studieren, Sam zu entkommen. Sander, Rafael und Lucie, drei Freunde wie man sie nie wieder findet. Auch sie saßen im Publikum und hatten Tränen in den Augen. Raf und Sander waren jetzt offiziell zusammen, was endlich auch Rafs Eltern wussten, worauf er bei ihnen hochkant rausgeflogen war und nun sich mit Sander eine Wohnung teilte.
Die erste Begegnung mit Mark, unser erstes Date, die Stadtbesichtigung. Die Flucht, die Reisen mit ihm. Die Abendteuer die wir erlebt haben und die uns zusammen geschweißt haben. Der Streit, meine Entscheidung alleine zu wohnen. Unsere Versöhnung, der Antrag, den er mir gemacht hat, und dann vor einem Jahr, Valjas Geburt.
Als dies, all diese Entscheidungen, haben mir zu meinem Glück verholfen. Ein Lächeln stahl sich langsam auf mein Gesicht. Als Pietro meine Hand auf die von Mark legte, sah ich zu meinem Verlobten auf. In seinen Augen konnte ich so viele Emotionen sehen doch am meisten stand Liebe in ihnen.
„Mark, willst du Leyla Shawn als deine Frau nehmen? Sie lieben und sie ehren, bis das der Tot euch scheidet?" Wir hatten Pietro gebeten, uns zu trauen.
„Ja, ich will", seine Stimme war heiser.
„Leyla, willst du Mark Vaun als deinen Mann nehmen? Ihn lieben und ihn ehren, bis dass der Tot euch scheidet?"
„Ja, ich will."
„Ihr dürft die Braut jetzt küssen." Und das tat er. Ich beugte mich ihm entgegen, während das Publikum anfing zu applaudieren. Atemlos lösten wir uns. „Später gibt es mehr", versprach er mir leise, dann drehte er uns um.
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