Stöhnen kann ich auch
"Ich kann nicht glauben, dass du hier bist." Max war erstaunlich anhänglich. Als sie die Treppe runtergingen lag seine Hand auf ihrem Rücken, aber sein kleiner Finger befand sich ... woanders ...
Hanna schüttelte lachend den Kopf.
"Hast du nicht gestern noch nach dem Motto Vorsicht ist besser als Nachsicht gelebt?", flüsterte sie ihm ins Ohr, sodass ihre Lippen ihn kitzelten.
"Neunzig Prozent meiner Finger sind sehr nachsichtig", versicherte er.
"Wie lange seid ihr schon zusammen?", lächelte ihnen Julia unvermittelt zu.
Max räusperte sich, Hanna strich sich verlegen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Nicht lange", antwortete er schließlich in die peinliche Stille hinein.
"Wir sind nicht zusammen ... Um genau zu sein", schob Hanna so aufrichtig wie melancholisch hinterher. Julia zu belügen hätte ihr in der Seele wehgetan.
"Ich gebe ihnen eine Woche", gab Nico seinen Senf dazu. Julia lächelte wieder. Sie war wirklich niedlich, stellte Hanna fest. Nico hatte großes Glück. Während sie Max ansah, fragte sie sich, ob man das von ihr auch behaupten könnte. Um sich selbst ein weiteres Mal davon zu überzeugen, wie angetan sie von Max war, umarmte sie ihn von der Seite und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Sein Geruch benebelte sie auf diese angenehme Art.
"Hey, alles okay bei dir?", fuhr er sanft ihre Konturen nach.
"Könnte nicht besser sein", nuschelte sie.
"Hä?", bat er sie elegant um eine Wiederholung ihrer Worte, die er aus akustischen Gründen nicht verstanden hatte.
Schweren Herzens löste Hanna sich von ihm und grinste ihn keck an. "Mir geht's gut, ich freue mich einfach dich zu sehen."
"Eine Woche?", drang Julias Stimme an sie heran. "Ich wette dagegen", sagte sie gerade zu Nico. "Ich gebe ihnen höchstens heute Abend."
Sie wurde Hanna immer sympathischer.
Die Bar, die sie fanden, bot billiges Bier. Anderer Alkohol war teurer. Kurz überlegte Hanna, ob sie sich einen Sex on the Beach mit Augenzwinkern in Richtung Max bestellen sollte. Das Einzige, was sie wirksam davon abhielt war der stolze Preis von sieben Euro für ein 0,4l-Glas. Also tranken sie Bier und quatschten. Sie hatten einen Tisch draußen ergattert und die untergehende Sonne tünchte die Wolken am Himmel rosarot, wobei Hanna keinen Unterschied zu dem Zuckerwattefilter wahrnahm, der sowieso über allem lag, seit sie Max getroffen hatte.
"Ni-Chan, eine Frage stelle ich mir: Wie hast du es bloß fertig gebracht, dass Julia sich mit dir abgibt?", unterbrach Hanna ihren besten Freund abrupt, der eigentlich gerade dabei gewesen war seine letzte Runde im Ranked Revue passieren zu lassen.
"Wie hast du Max dazu gebracht, dass er dich nicht sofort verscheucht?", feuerte er zurück.
"Hänno ist nerviger", meinte sie überzeugt.
"Niemals", hielt Nico dagegen.
Hanna, Julia und er musterten Max einvernehmlich.
"Muss ich mich gegen ihn wenden, damit du mich nicht abservierst?", äußerte Max sich zu Hanna gebeugt im Theater-Flüsterton, den jeder am Tisch deutlich verstand. Sie verfluchte innerlich die Ironie, die in dem Wörtchen abservieren mitklang.
"Alter", hob Nico hilflos die Hände. Hanna signalisierte ihrem Freund mit einer Geste grinsend, dass sie Max um den Finger gewickelt hatte.
"Nein, ernsthaft, Julie: Du wirst es nicht bereuen", behauptete sie voller Wärme und Herzlichkeit, um die Aufmerksamkeit von sich wegzulenken und weil sie Nico liebhatte und ihm auf keinen Fall die Tour versauen wollte.
"Das beruhigt mich oder so?", zuckte Julia ratlos die Schultern. Es folgte allseitig Gelächter. Hanna begann sich einzubilden, sie hätte die von Balu besungene Gemütlichkeit mit Löffeln gefressen.
Es traf sie umso mehr, als sie von Nico aus dem Konzept gebracht wurde, denn plötzlich hieß es: "Han-Chan, zeigst du Max unser Plätzchen am Wasser?"
Verdammt, der Punkt ging an Nico. Sie machten meist einen geheimen Wettkampf daraus, wer den anderen vor dessen Schwarm erfolgreich durcheinanderbringen konnte.
"Julia", wandte Hanna sich an seine Freundin, nicht ohne Nico vorher mit zusammengekniffen Augen stumm und ärgerlich den Sieg zuzugestehen. "Wenn er zu weit geht, schreist du so laut du kannst, dann eile ich zu deiner Rettung", drückte sie diese furchtbar niedliche Person kurz an sich und überspielte damit, dass Nicos Finte sie voll erwischt hatte. Er wusste es zu ihrem Leidwesen doch genau und winkte ihnen selbstgefällig hinterher.
Max sah einigermaßen überrascht drein, als sein Mitbewohner ihn mit Hanna fortschickte.
"Hatten Sola und du eine Abmachung? Vonwegen: Das Doppel-Date ist nur ein Deckmantel und nach einer Runde Saufen trennen sich unsere Wege."
"Nein, wir verstehen uns nur blind. Sechs Jahre Freundschaft - obwohl ich wohl besser von Seelenverwandtschaft sprechen sollte - machen das mit dir. Er hat mich überrumpelt, indem er uns früher weggeschickt hat, als ich angenommen hätte. Aber ich bin gern mit dir allein, also soll mich das nicht stören." Verschmitzt grinste sie ihn an.
"Wie war dein Tag, bevor du zu uns kamst?", machte Max unbeholfen Smalltalk mit ihr, was sie unbestreitbar niedlich fand.
"Gut, ich habe mit meinem Bruder gefrühstückt und war danach in der Stadt, um Bücher zu kaufen. Bei Starbucks habe ich eine neue Freundin gefunden, sie heißt Emily und geht wie ich mit einem Max aus."
"Ehrlich?", lachte er.
"Ja, ehrlich. Er meldet sich nicht mehr bei ihr, seit ein paar Tagen. Sie hat Angst, er könnte das Interesse an ihr verloren haben", berichtete Hanna.
"Hast du Angst, ich könnte das Interesse an dir verlieren?", feuerte er unverblümt eine Frage auf sie ab, mit der sie nicht gerechnet hatte.
"Du hast noch gar nicht so viel Interesse an mir gezeigt", färbten ihre Apfelbäckchen sich rot.
"Aua, das trifft mich jetzt wirklich zutiefst", klagte er.
"Du Blödmann", nahm sie seine Hand und bemerkte wohlwollend, dass er sie nicht zurückzog.
"Wir sind da." Am Wasser angelangt, auf einem kleinen Plateau, umkreist von alten Bäumen mit dicken Stämmen, lehnte sie sich an die Reling aus Leichtmetall; ihm zugewandt. Die glimmenden Strahlen der Abendsonne wärmten ihre Haut. Ein Dampfer mit offenem Verdeck glitt durchschnitt hinter ihr die Spree. Kubanische Musik kündete von einem Tanzkurs für Pärchen.
"Du und ich", ließ Max sich die drei Worte auf der Zunge zergehen. Hanna lauschte gespannt, aber es kam nix mehr. Gut möglich, dass er laut gedacht hatte, ohne es zu bemerken. Er sah sie an und dann das sich kräuselnde Wasser des Flusses, immer im Wechsel.
Deshalb ergriff sie die Initiative, umfasste seine schmalen Hüften und holte ihn zu sich. "Magst du mich, Max?", fragte sie. Ihre Nasenspitzen trennten nur wenige Zentimeter.
"Mögen ist ein viel zu schwaches Wort. Ich mag Videospiele, ich mag leckeres Essen ...", antwortete er.
"Und mich ...?"
"Dich ...", kam er ihr langsam näher
Hanna hörte es knistern als säße sie vor dem Kamin in ihrem Elternhaus.
Er war von sich aus noch viel näher an sie herangetreten und sie berührten sich fast am kompletten Körper.
Max war nicht im Allgemeinen hübsch. Seine Attraktivität rührte größtenteils von seiner Persönlichkeit her und nur geringfügig von seinem Äußeren.
Hanna hingegen war nach den heutigen Standards wunderschön. Hinter der Fassade verbargen sich tausend unentdeckte Talente, von denen kaum jemand je etwas zu Gesicht bekam. Vielleicht würde ihre Verschlossenheit endlich ein Ende finden, in Max' Armen.
Er überbrückte die letzte Distanz und küsste sie und Hanna musste zugeben, wer Nora auch war, welche Gründe sie auch gehabt haben mochte, Max sitzen zu lassen, sie war absolut im Recht mit dem, was sie Nico über die Künste ihres Ex-Freundes im Kuss-Metier vorgeschwärmt hatte.
Als sie sich voneinander lösten schwebte bloß eine Sache in der Luft.
"Wieso hat dich das diese lange Zeit gekostet?", durchbrach Hanna schließlich das angenehme Schweigen.
"Also", holte Max tief Luft. "Es könnte sein, dass du mich danach mit anderen Augen siehst und deswegen erzähle ich das, was ich dir gleich sage, selten. De facto ist es etwas, das ich nur meinen Freundinnen erzählt habe und nur ihnen erzählen musste und konnte." Er schluckte nervös und Hanna streichelte seine Wange. Das Wort Freundinnen lenkte sie kurz ab und sie fragte sich, von wie vielen er reden mochte.
"Mit siebzehn kam ich mit meiner zweiten Freundin zusammen", begann er. Mindestens zwei, notierte sie mental, wurde dann aber sofort wieder aufmerksam.
"Sie war sechzehn und ging in die Parallelklasse, in der sie neu war. Bei uns hatten die Klassen damals gemeinsam Sport und wir fanden schnell einen Draht zueinander. Nach einer einzigen Stunde, der letzten an dem betreffenden Tag, sind wir losgezogen und waren in der Eisdiele, weil es warm draußen und das Wetter schön war. Im Gespräch sind uns viele Gemeinsamkeiten aufgefallen und am Ende habe ich ihr noch mein Zimmer gezeigt, weil sie wissen wollte, welche Videospiele ich spielte. Sie fuhr dann später allein nach Hause. Am nächsten Morgen, während des ersten Sportblocks verabredeten wir uns für den Nachmittag bei ihr und im Anschluss fuhr ich allein heim. Am Ende der Woche, waren wir ein Paar, nachdem ich sie nach einem Abendessen zu zweit beim Italiener, unserem ersten offiziellen Date, heimbrachte und geküsst habe. Es hat sich einfach richtig angefühlt mit ihr, weil alle negativen Gefühle wie betäubt waren." Offensichtlich war er unmissverständlich glücklich gewesen. Da noch, jedenfalls. Hanna kämpfte gegen ihre kleine Aufmerksamkeitspanne. Sie las unter anderem deswegen häufig. Es half ihr dabei, sich länger am Stück konzentrieren zu können.
In dem Fall auf Max, der fortfuhr: "Wir waren am darauffolgenden Samstag bei mir. Weder meine Eltern noch meine Schwester waren zu Hause an dem Wochenende und sie schlug vor, sie könne über Nacht bleiben, ihre Familie hätte kein Problem damit. Natürlich stimmte ich zu, ich Trottel. Ich legte einen Film ein und es lief, wie es halt läuft, wenn man frisch verliebt ist. Die DVD spielte sich im Hintergrund ab und wir machten unverhohlen rum. Dabei war sie ziemlich fordernd, was mir nicht unbedingt etwas ausmachte, ich hatte ja bereits Erfahrung sammeln können. Stattdessen ging ich darauf ein und sie hatte mir mein T-Shirt ausgezogen, bevor ich protestieren oder überhaupt an Protest denken konnte. Sie hat gefragt, ob ich Kondome hätte und ehrlich, wie ich bin, bejahte ich. Als ich sie wiederum fragte, ob sie wirklich wollen würde, denn wir kannten uns - wie gesagt - eine Woche, hat sie mir ausdrücklich versichert, dass sie es definitiv tun wollte. Und ich war jung und dumm, habe ihr geglaubt und ich konnte mein Glück kaum fassen. Ihre Gänsehaut hätte es mir schon verraten müssen." Sein Blick implizierte eine Trance. "Als ich ihre Beine auseinanderschob, fragte ich, ob es ihr erstes Mal wäre und sie sagte, es wäre ihr erstes Mal und ich sagte, wenn sie warten wollen sollte, dann wäre das vollkommen in Ordnung für mich und ich meinte es. Glaubst du mir, dass ich mich zigmal vergewissert habe, ob sie es wollte?" Max sah Hanna intensivst an und Hanna spürte, das alles, was zwischen ihnen werden oder nicht werden würde in diesem Moment von dem abhing, was sie gleich erwiderte. "Ja, ich glaube dir", nickte sie ernst und traf damit den exakten Ton.
"Sie hat mich wieder ermutigt und ich war total benebelt; ich habe ihre körperliche Ablehnung gar nicht gecheckt. Dabei hat sie die Arme von unten gegen mich gestemmt, als würde sie mich von sich runterheben wollen, fiel mir später auf. Sie hat gezittert und statt mir zu sagen, dass ich ihr wehtat, obwohl ich ihr vorher eingetrichtert hatte, dass sie genau das tun müsse, wenn sie Schmerzen hätte, hat sie mich angefleht, ich solle bloß nicht aufhören. Als es vorbei war ist sie ins Bad geflüchtet und hat bitterlich geweint."
"Das erste Mal ist meistens schrecklich", erinnerte Hanna sich. "Es war nicht deine Schuld", entschied sie.
Max blickte direkt in Hannas dunkle Augen und in seinen eigenen, grünen lag jetzt uneingeschränktes Vertrauen. "Wir waren noch fast drei Monate zusammen, aber ich konnte mir das nie verzeihen. Diese drei Monate bestanden aus ständigen Entschuldigungen meinerseits und dämlichen Versuchen der Wiedergutmachung. Und ich schwor mir, dass ich dem Verlangen nicht noch einmal voreilig nachgeben würde. Nicht mehr in diesem Leben. Nicht, wenn die Liebe noch in den Kinderschuhen steckte. Nicht, wenn mir an der Person gelegen war." Er schaute sie bedeutungsvoll an bei seinem letzten Satz und ihr wurde klar, dass er keine andere als allein sie selbst damit meinte.
"Wie lebt sie mit der Tatsache?", konnte Hanna sich die Frage nach dem Mädchen nicht verkneifen.
"Sie hat mir nie die Verantwortung dafür aufgehalst und behauptet, sie hätte es verkraftet. Ich war derjenige, der irgendwann Schluss gemacht hat. Ich konnte sie kaum mehr ansehen, ohne daran denken zu müssen."
Max zog Hanna unvermittelt an sich und sie strich beruhigend über seinen Rücken.
"Es ist okay", murmelte sie. "Ich möchte deine Freundin sein. Trotzdem."
Sie wartete. Jede Faser ihres Körpers war bis zum Zerbersten gespannt.
"Denk an diese Geschichte, Honey", bat er sie. "Vergiss nicht, ich arbeite wie ein Irrer. Es mag dir nicht so vorkommen, aber es ist wahr, frag Nico oder Kutcher." Er küsste sie auf den Haaransatz, als würde er das wenigstens ein einziges Mal ausprobieren wollen, bevor sie sich, wie er glaubte, todsicher von ihm verabschiedete. Die Sorgen, die er sich darüber machte, furchten ein Gebirge in seine Stirn mit hohen Bergen und tiefen Tälern.
"Hör endlich auf dich schlecht zu reden, Max. Du bist nicht furchtbar", neckte sie ihn aufmunternd und hoffte, ihn nicht in einem zu sensiblen Zustand zu erwischen. "Du musst schon Schlimmeres durchziehen, um mich zu verscheuchen ... Zum Beispiel sowas Bescheuertes wie ich", wurde sie leiser. "Nico und ich reden nicht darüber", gab sie sich einen Ruck. Max verdiente die Wahrheit.
"Aber wir waren mal eine Nacht lang zusammen."
Das Gebirge auf seiner Stirn wich einem glatten Erstaunen.
"Wir haben sämtliche Stadien einer normalen Beziehung miteinander durch", erklärte Hanna. "Es war an seinem siebzehnten Geburtstag, die anderen Gäste waren längst gegangen. Wir lagen auf seinem Bett und Nico hatte in seinem alten Zimmer diese rötliche Lichterkette, die alles in warmes Licht tauchte. Wir haben uns zehn Sekunden - ich habe sie gezählt - bloß in die Augen gesehen und es ist passiert." Ihre Stimme wurde dünner. Die folgenden Worte schnürten ihr die Kehle regelrecht zu. "Wir haben uns in derselben Nacht, im selben Moment ineinander verliebt und wir haben geredet, wie sonst. Aber zusätzlich haben wir uns dieses eine Mal geküsst und dann ein zweites Mal und dann wurde ich nach reiflicher, fünfminütiger Überlegung -" Ironie in das Geständnis zu legen erstickte sie fast. "- seine Freundin." Hanna legte eine Pause ein und nahm Max' Hand. Seine Finger schlossen sich nicht um ihre. "Es blieb nicht bei den Küssen, logisch." Sie hätte nie gedacht, das es ihr mal so viel abverlangen würde, die Eskapade zu enthüllen. "Und es hat sich gut angefühlt. Wenn du jemandem so sehr vertraust, ist Intimität mit dieser Person in gewisser Weise etwas Selbstverständliches ... Danach saßen wir am Fenster, er in Jogginghose und oberkörperfrei, ich in seinen mir viel zu großen Bademantel gewickelt, und wir haben weiter miteinander geredet. Damals habe ich noch geraucht, was er nie leiden konnte. Als ich mir eine Zigarette anzündete wurde er still und am Himmel waren keine Sterne zu sehen; das weiß ich noch genau, denn wenn dort welche gewesen wären, hätten wir nicht geschwiegen. Ein paar Minuten später fragte ich, was mit ihm los sei und er hat sich über die Zigarette beschwert und im gleichen Zug angefangen, mir alles aufzuzählen, was ihn an mir störte. Ich bin drauf eingestiegen und plötzlich haben wir heftig gestritten, als würde ein Hurricane über die Freundschaft fegen, die wir uns aufgebaut hatten, und nachdem ich die bedruckte Tasse gegen die Wand geworfen habe, die ich ihm in Verbindung mit einem Zwanzigeuroschein geschenkt hatte, den er für seine größte Leidenschaft, für LoL, ausgeben sollte, haben wir beschlossen Schluss zu machen. Und wir haben außerdem beschlossen, dass wir nie jemandem davon erzählen würden." Hanna atmete tief durch. Sie fühlte sich, als wäre sie eine Grippe losgeworden. Befreit.
Doch Max schätzte die Lage anscheinend anders ein. "Du weißt, dass das ein völlig anderes Licht auf die Sache wirft, oder?" Er wirkte völlig verständnislos und fremd. "Das Wichtigste an deiner verneinenden Antwort auf diese Frage, die ich dir gestern zu einem ganz bestimmten Zweck gestellt habe, war für mich, dass ich begriff, dass ich mich nicht um Nico zu scheren brauchte. Wenn er, wie du dich vor den anderen ausgedrückt hast, mehr dein kleiner Bruder für dich ist, dachte ich, ich könnte einfach genießen, dass du Interesse an mir zeigst. Aber von dem Moment an, in dem Nico ins Spiel käme, das wusste ich, wäre dein Interesse an ihm jederzeit und zweifellos viel größer als an mir. Ihr seid unzertrennlich."
"Das ist doch Blödsinn, ich sehe ihn ja als kleinen Bruder."
"Was ist dann mit dem, was zwischen euch war? Du würdest ja wohl kaum mit deinem kleinen Bruder schlafen."
"Es war eine Nacht, Max. Uns fehlte jede Form von Verstand, wir hatten getrunken. Wir verschweigen das, weil wir es beide am liebsten vergessen würden und haben deshalb sogar einen Pakt geschlossen, den wir vor zwei Tagen umgeändert haben." Jetzt wurde ihre Stimme mit jedem Wort fester. "Es ist nämlich das: Ich bin der Meinung, man sollte seine Vergangenheit in Ehren halten. Sie macht uns zu den Menschen, die wir heute sind. Nico hingegen glaubt, dass die Vergangenheit keine Rolle spielt. Er möchte diese Nacht vertuschen, aber ich möchte, dass wir endlich anfangen damit zu leben. Es ist passiert und es lässt sich nicht mehr rückgängig machen und ich schäme mich nicht wegen dieser Nacht, aber ich schäme mich vor dir und vor Johnny und Kevin und Kutcher und vor jedem, den ich in dieser Hinsicht schon angelogen habe. Diese Lüge geht mir seit Jahren über die Lippen als entspräche sie der Wahrheit und das kann doch nicht angehen. Ich habe mich mein Leben lang selbst belogen, das hat Nico nie verstanden. Deswegen versteht er heutzutage immer noch nicht, dass ich reinen Tisch machen möchte, um die gesunde Balance zu finden, die uns hilft diese verdammten acht Stunden zu verarbeiten!" Max schwieg perplex über die hochgeschraubte Lautstärke, in der sie nun sprach. "Acht Stunden in denen wir Freuden und Leiden für acht Jahre geteilt haben ... Wir haben inzwischen abgemacht, dass wir es unseren Partnern erzählen. Damit Julia es weiß; damit du es weißt, Max."
"Über manche Sachen wäre ich gern im Ungewissen geblieben", fuhr er sich durch die Haare.
"Sag das nicht. Du verstehst nicht, was das für eine Belastung für mich war. Du bist der erste Mensch, dem ich das nach drei Jahren erzähle. Ich kann mit Nico nicht darüber reden, er macht dicht bei dem Thema."
"Bereust du es?"
In Hannas Augen sammelten sich Tränen. Max' Miene war hart, gnadenlos und kalt, so kam es ihr vor. Er verstand sie überhaupt nicht.
"Nein", flüsterte sie tonlos.
"Wow." Er drehte sich um und Hanna schluchzte: "Es ist Nico. Ich kann es nicht bereuen, weil es Nico ist. Es ist nicht irgendwer, der mir egal ist."
"Bitte, nicht weinen", wurde er sanfter. "Das ist viel auf einmal gerade", drückte er sie an sich und Hanna schniefte. "Für mich, für dich. Ruhig, okay? Ich laufe dir nicht weg, ich bin bei dir." Er drückte sie auf die Bank und ließ sich daneben sinken. "Was für Allüren", hörte sie ihn wispern und vergrub sich an seiner Schulter, wo ihr der Duft vorgaukelte, sie können sich in einem weichen Bett mit frisch gewaschenen Bezügen verkriechen.
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