Miroslav
Gegen dreiundzwanzig Uhr, als es draußen schon lange dunkel war und ein feiner Nebel über den Straßen schwebte, weil ein Sommerschauer überraschend eingesetzt hatte, kam Nico nach Hause. Max und Hanna hatten es sich auf der Couch gemütlich gemacht, jeder von ihnen mit einer Tasse Kakao, die ihnen die Hände wärmte. Ihre Knie lagen auf seinem Oberschenkel, er sah sie unverwandt an beim Reden, bewundernd, hatte einen Arm um ihre Schultern geschlungen und lauschte, wie sie ihm von ihrer Familie erzählte. Die Eltern kamen bis heute vortrefflich miteinander aus und waren überzeugt vom vogelfreien Erziehungsstil, weshalb Hanna und Noah, ihr Bruder, selbstständig denkende, kluge Persönlichkeiten geworden waren. Max berichtete von seiner Familie, seiner älteren Schwester Kaya und davon, wie seine Eltern seit Jahren verheiratet waren, wie sie gelegentlich heftig stritten, sodass die Luft gereinigt wurde und sie sich vertrugen.
Nico platzte mitten in das angenehme Gespräch und entschuldigte sich sofort dafür: "Tut mir leid, ich will nicht stören. Nur kurz die Frage, bleibst du über Nacht?", sah er seine beste Freundin erwartunsgvoll an. Sie warf einen Blick auf ihr Handy. "Oh, die Zeit ist wortwörtlich davongerannt", meinte sie erstaunt. "Nein, ich ..." Sie sah zu Max. "Ich bleibe ein anderes Mal für die Pyjama-Party." Er bestätigte ihr mit einem melancholischen Lächeln, dass sie die vernünftigere Entscheidung getroffen hatte.
Nico nickte. "Ich begleite dich bis zu dir. Verabschiedet euch, ich bin für zwei Minuten im Bad", zog er die Tür hinter sich zu. Hanna umarmte Max wieder. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass er sie ein zweites Mal halten würde wie zuvor, aber er tat es und spielte dabei gedankenverloren mit ihren farbenfrohen Haaren. Ein winziges Stück wich sie sich zurück, sah ihm in die Augen, strich mit dem Daumen über seine Wange ... Max lehnte seine Stirn gegen ihre und sie verharrten einen Moment in dieser koketten Pose. "Mit dir zusammen zu sein wirkt beruhigend", sagte er leise. Sie musste unwillkürlich lächeln, weil sie es gegensätzlich empfand. In ihr tobte ein Feuerwerk, hunderte Explosionen reihten sich aneinander.
"Ich würde mich gerne weiter mit dir treffen, wenn du's gestattest", gestand sie zögerlich.
"Ich gestatte es", lächelte er.
Hanna verschränkte ihre Finger mit seinen, während sie zeitgleich von ihm abrückte. "Schreibst du mir?", bat sie ihn und stand auf.
"Ja, logisch", ließ er sie los und folgte ihrem Beispiel. Sie traten gemeinsam in den Flur. Nico scrollte durch Instagram, legte sein Handy allerdings beiseite, als er die Turteltauben vor seiner Nase ausmachte. Hanna zog sich ihre Schuhe an und war schon halb aus der Wohnung raus, als sie es sich urplötzlich anders überlegte, eine 180°-Drehung hinlegte und Max kräftig knuddelte. Sie wollte sich seinen Geruch genau einprägen. Am liebsten hätte sie Nico dazu angestiftet, ihm einen Pullover zu klauen.
"Bis bald. Vergiss nicht, was du mir versprochen hast." Einen Hausbesuch und tausende Nachrichten.
"Bestimmt nicht", schüttelte er den Kopf.
"Hört ihr dieses Geräusch?", mischte Nico sich ein. "Klingt wie Klettband, das auseinandergerissen wird."
"Hast du's irgendwie eilig oder so?", boxte Hanna gegen seine Schulter.
"Sag Honey tschüss, Max", zwinkerte Nico seinem Mitbewohner zu, der prompt errötete.
"Ciao", nuschelte er, dann waren Hanna und Nico allein.
"Honey?", musterte sie ihn schräg.
"Er hat dich unter dem Namen eingespeichert, weil er dich honigsüß findet." Zwinker-zwinker. "Lass uns über Max reden", manövrierte er sie die Treppe runter.
"Wie war's?" Die Neugier triefte ihm aus sämtlichen Poren.
"Es war unbeschreiblich schön, richtig toll", quietschte Hanna und tat seiner Sensationsgeilheit damit anscheinend genüge.
"Ja ja, und er war charmant und ihr habt permanent miteinander gelacht", winkte Nico ihre Lobeshymnen auf Max beiseite. "Er sträubt sich, aber ich habe ihm geraten, dir zu erzählen, warum er sein Schneckentempo bei dir nutzt. Immerhin kenne ich dich ein Stück besser und weiß, wie schnell du ungeduldig wirst. Hat er es dir gesagt?"
"Er hat es nicht wirklich erklärt, es war nur von einer schlechten Erfahrung die Rede." Hanna umfasste Nicos Handgelenk, um sich für das Schlimmste zu wappnen.
"Na, ob man das schon eine Erfahrung nennen kann ..."
"Wieso?" Ihr Griff wurde fester. Hatte sie Max dermaßen überwältigt, dass er eigentlich bloß eine Ausrede suchte, um sie später loszuwerden, ohne dass sie mitbekäme, welche Intention er verfolgte, wenn er sie auf Sparflamme köcheln ließ?
"Meine Lippen sind versiegelt. Max hat mir versprochen, dir nicht wehzutun, und ich vertraue ihm", hielt er eisern dagegen.
"Nico, es macht mich wahnsinnig, nichts von dem zu wissen, was in ihm vorgeht", zerrte sie an ihm. "Noch wahnsinniger macht mich nur, dass ihr mir offensichtlich beide irgendwas verheimlicht!"
"Entspann dich, Honey."
"Gleich werd' ich zu Hannay", betonte sie die letzte Silbe entnervt, "und lasse dich inmitten dieser Trostlosigkeit stehen." Sie wies auf den grauen Neubaukomplex, den sie eben passierten.
"Willst du hören, wie ich seine Ex-Freundin in Erinnerung habe?" Da war sie, Nico die alte Klatschtante. Er hatte einen Hang zum Tratsch, der Hanna seit Jahren auf Wunsch mit Gerüchten und Halbwahrheiten fütterte.
"Spill the tea", ermutigte sie ihn.
"Nora war ein nettes Mädchen, schlagfertig, bodenständig, hübsch, das Übliche. Er hat sie im Club kennengelernt, wir waren ordentlich am Saufen an dem Abend und Tamina hat die eine Olle, die Kutcher angebaggert hat, durchgängig aggressiv angestarrt -"
"Du schweifst vom Thema ab", unterbach Hanna ihn.
"Max wollte Nora bloß für Knick-Knack."
"Der Junge scheint's ja nötig zu haben", wisperte sie.
"Aber Nora war nicht dumm", fuhr Nico unbeirrt fort. "Sie hat ihm lediglich ihre Nummer zugesteckt und gemeint, er solle sich was überlegen, wohin er sie ausführen könnte. Anfangs weigerte er sich, sie anzuschreiben, irgendwann hat er es doch getan und sie waren romantisch essen. Ja, er hatte Druck, mach dich nicht drüber lustig, du bist genauso rallig! Du verdrängst es nur, weil du ständig lernst. Jedenfalls, Max hat alles initiiert, vom ersten Kuss bis zur offiziellen Bekanntmachung ihrer Beziehung, aber Nora hat ihm die gesamte Verantwortung für alles übertragen und war dementsprechend übellaunig, als sie feststellen musste, wie oft er eigentlich arbeitet und wie wenig Zeit dabei für sie übrig bleibt. Sie hat sich vernachlässigt gefühlt und als sie diesen Zustand nicht länger ertragen konnte, hat sie ihn abserviert. Sie war tatsächlich die erste seiner Freundinnen, die mit ihm Schluss gemacht hat, sonst hat immer er sich von ihnen getrennt. Das war ein herber Rückschlag für ihn, aber er hat sich erstaunlich schnell aufgerappelt, Stehaufmännchen halt, obwohl er sich laut eigener Aussage noch in der Überwindungsphase befindet. Bevor er dich kennengelernt hat, hat er mir geschworen, er würde sich von Frauen in naher Zukunft lieber fernhalten."
"Kannst du ihm sagen, dass ich nicht ewig auf ihn warten werde? Ich bring's nicht übers Herz. Stimmt, ich hab's tatsächlich mindestens so nötig wie er, aber er ist so langsam", quengelte sie. "Bis über beide Ohren verknallt bin ich längst. Er muss wissen, was er will, sonst bin ich raus, du kennst mich."
"Jap, ich kenne dich und werde einmal, dir zuliebe, den Vermittler für euch geben. Mehr kann ich nicht für dich tun, ehe du mich um zehn weitere Gefallen bittest."
Hanna dachte an die Pullover-Idee zurück und verwarf sie innerlich jammernd.
"Was sagt er über mich?" Sie konnte sich nicht helfen; Max zu verstehen war schwieriger, als sie anfänglich angenommen hatte.
"Dass er dich als Honey eingespeichert hat, verrät dir nicht genug?", neckte Nico sie.
"Wow, für ihn bin ich süß", verdrehte Hanna die Augen. "Ich glaube, ich bin direkt schwanger."
"Er hat gefragt, ob wir je was miteinander hatten und ich sollte ehrlich antworten."
"Gott, diese Paranoia ist echt anstrengend. Das hat mich Johnny letzte Woche schon gefragt, er war sogar dabei, du hast währenddessen das Klo zerkackt." Bei Enttäuschungen sackte ihr Sprachniveau nach unten. Eine Eigenart, die ihre Deutschlehrerin nie an ihr zu schätzen wusste. Gelangweilt kratzte sie Klarlackreste von ihren Fingernägeln.
"Du bist ein Rätsel für ihn, ihn beschäftigt die Frage, kannst du das nicht nachvollziehen?"
"Hast du deinen Geburtstag erwähnt?"
"Nein, niemals", beäugte er sie verständnislos. "Damit ich unseren heiligen Pakt breche? Was in dieser Nacht war, hat sich nie wiederholt und wir behalten unser idiotisches Verhalten für uns", schärfte er ihr streng ein.
"Du tust, als hätten wir sonst was verbrochen", knirschte sie mit den Zähnen. "Sollte Max mein Freund werden, möchte ich es ihm erzählen", kickte sie einen Stein an den Rand des Bürgersteigs.
"Seit wann bist du für absolute Transparenz in einer Beziehung? Du bist die größte Verfechterin von Kleine Lügen halten die Liebe lebendig, die ich kenne."
"Hey, wie das klingt", wehrte sie das, was er implizierte vehement ab. "Ich befürworte Ehrlichkeit, trotzdem sollte man auch in einer Beziehung manche Dinge für sich behalten dürfen. Das will ich ihm sagen, damit an der expliziten Front wenigstens alles sauber ist und eure Freundschaft nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, falls er kalte Füße bekommt. Es ist zu deinem Schutz. Max hat schließlich Lunte gerochen oder etwa nicht?"
"Blödsinn, der täuscht einen Eifersuchtsanfall vor, viel Lärm um nichts." Wirklich überzeugt wirkte Nico nicht von seinen eigenen Worten.
"Na, wenn du das sagst", zuckte sie die Achseln. Sie wusste genug über Nico, um ihm die Ammenmärchen, die er ihr gerade auftischte, nicht zu glauben. Max war kaum der Typ für eine Eifersuchtsszene.
"Überhaupt: Du wirst Julia demnächst sowieso erzählen, was war", spielte sie ihren ultimativen Trumpf.
"Nein!", empörte er sich.
"Sola, ihr seid so nah dran ein Paar zu werden." Hanna fuchtelte mit dem Millimeterabstand zwischen Daumen und Zeigefinger, den sie ihm zeigte, vor seinem Gesicht herum. Seinen LoL-Namen verwendete sie höchstens, wenn er absichtlich über Angelegenheiten flunkerte, über die sie bestens im Bilde war.
Nico bemerkte ihren Groll. "Ich werde den Pakt trotzdem nicht brechen", schmollte er.
"Mimimi." Sie ließ ihre Hand auf und zuschnappen. "Lass uns einen neuen Pakt vereinbaren", schlug sie vor. "Unsere Partner erfahren die Wahrheit. Wir hatten einen schwachen Moment, das ist ewig her und es war nicht weiter dramatisch." Theatralisch - eine Imitation ihres besten Freundes, die sie über Jahre perfektioniert hatte - ließ sie sich auf eine Bank fallen, an der sie unter anderen Umständen vorbeigeschlendert wären. Nico setzte sich zu ihr.
"Okay", gab er kleinbei. Um sich mit Hannas Dickschädel anzulegen, war er zu müde.
"Apropos Julia, wie läuft's mit euch?", wechselte sie das Thema.
"Wir sehen uns morgen. Hast du Zeit zufällig reinzuschneien? Dafür, dass ich behaupte, du wärst meine beste Freundin hört und sieht sie eindeutig zu wenig von dir. Was im Übrigen nicht meine Schuld ist", warf er ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Hanna schnalzte gleichgültig mit der Zunge. Ja, sie konzentrierte sich auf ihr Studium. Akademische Strapazen forderten ihren Tribut.
"Ehe ich einen Schritt weitergehe, muss sie uns zusammen erlebt haben."
"Du bist derjenige, der bei mir reinschneit und meine Pläne unter seiner plötzlichen Anwesenheit begräbt. Ich spiele doch nicht dein Anhängsel, wenn du in Wirklichkeit meins bist."
"Ich bin nicht dein Anhängsel!"
"Oh, Nörgel-Nörgel-Nico ist wieder am Start, den hab ich am liebsten", rollte Hanna mit den Augen. Nicos geöffneter, karpfenähnlicher Mund klappte abrupt zu.
"Was ist?"
"Nichts, du hörst dich nur an wie Max."
"Männlich?", ließ sie ihre Stimme eine Oktave tiefer rutschen.
"Nein, deine Idiomatik deckt sich mit seiner."
"Mensch, da ist ja was aus dem Deutschunterricht bei dir hängengeblieben", klopfte sie ihm ironisch stolz auf die Schulter.
"Kommst du morgen jetzt vorbei oder nicht?"
"Ich komme, wenn du mich ankündigst. Warn Julia wenigstens. Ansonsten bleibe ich brav zu Hause und lerne."
"Max hat garantiert nix dagegen, wenn du dich nach ein paar Minuten Gespräch mit uns zu ihm ins Zimmer schmuggelst."
"Zieh mich nicht mit ihm und meinen Teenager-Gefühlen für ihn auf, das ist unfair", erhob sie sich von der Bank und sie setzten ihren Weg fort.
"Du bist verliebt, Han-Chan. Unter normalen Umständen lässt du dich nicht mehr aufziehen. Du bist gelassener geworden. Die Therapie hat dir gut getan."
Ihr Schweigen bedeutete ihm zurückzurudern. Hanna wollte nix über die Therapie hören. Dieses Kapitel ihres jungen Lebens war abgeschlossen.
"Ich mochte die quirlige Hanna, aber du bist immer noch quirlig und Max ist so nah dran völlig vernarrt in dich zu sein." Er wiederholte ihre Geste von vorhin, mit dem Millimeterabstand zwischen Daumen und Zeigefinger.
"Weißt du, was komisch ist? Er ist gefestigt im Leben, das merke ich ihm an. Es ist nur ... Als würde er sich verkleiden, vorgeben er wäre schüchtern. Er lässt mir eine Aufmerksamkeit zuteil werden, die ich nicht gewohnt bin. Mich scheint er zu mögen, weil ich ich bin, nicht weil ich wie ich aussehe oder mich wie ich benehme. Das ist unbekanntes Terrain für mich und eins weckt dabei Ärger in mir; irgendwas scheint ihn zu verunsichern. Und das verunsichert mich."
"Was ist, wenn du ihn verunsicherst?"
"Dann ist er nicht der Richtige", meinte Hanna entschieden. Den Einen gab es für sie nicht, maximal den Richtigen. Wer der Richtige war, das war der Metamorphose unterworfen. Ihr Ex-Freund hatte eines Tages aufgehört der Richtige zu sein, da hatte sie sich von ihm getrennt.
"Ist egal", riss Nico sie aus ihren Gedanken. "Du bist es nämlich nicht, die ihn verunsichert."
"Wer ist es?" Sie schnupperte eine Konkurrentin.
"Das muss Max dir beantworten."
"Sola, hör auf mit deinen Scheißandeutungen", warnte sie ihn. "Du frustrierst mich." Die Buhlerei um Max' Gunst war nicht unbedingt ihre Vorstellung einer stressfreien, sich süßlich entfaltenden Liebesbeziehung.
"Sorry", zog er sie seitlich an sich. "Ich versuche ein verlässlicher Kumpel zu sein."
"Stop it, you fucking try-hard", schlug sie ihm auf die Brust. "Außerdem war ich vor Max da. Alter vor Schönheit."
"Unsere Freundschaft ist alt und schön. Nachdem du ihn auf die Wange geküsst hattest, war er total durch den Wind. Hat er sich heute bei dir revanchiert?"
"Er ist sehr vorsichtig, geradezu ein Gentleman", seufzte sie. "Wir haben uns lange umarmt. Dabei konnte ich die Kurve seiner Wirbelsäule nachfahren. Seine Rückenmuskulatur ist ausgeprägt."
"Hast du deinen Spezialtest bei ihm angewandt?" Nicos Augenbrauen beschrieben eine Welle. Hanna hatte im Suff mal erzählt, dass sie bei Kerlen, die sie attraktiv fand, gerne den "Mein Knie juckt!"-Test durchführte. Sie wanderte mit besagtem Knie hoch in den rechten Winkel und klemmte das arme Versuchskanninchen von Mann zwischen sie und ihr Bein. Rechtfertigen tat sie die Aktion mit der Behauptung, ihr Knie würde jucken; sie kratzte es, die Testperson lachte und hatte nicht den blassesten Schimmer davon, das Hanna mit dieser geschickten Bewegung die Größe seiner Kronjuwelen exakt ausgelotet hatte.
"Ich bereue, dass ich dir davon erzählt habe", schlug sie sich beschämt kichernd die flache Hand gegen die Stirn.
"Hast du?"
"Nein, er ist der Erste, dem ich zutrauen würde, dass er mitkriegt, was gerade abgeht."
"Schade."
"Wie sieht er denn aus, wenn er nass aus der Dusche kommt?"
"Angezogen sieht er aus. So wie heute eigentlich, als er aus dem Bad kam. Nach dem Duschen."
"Menno", streckte sie ihm die Zunge raus. "Erzähl mir was Spannendes."
"Nora hat mir mal gesteckt, dass er wohl ziemlich fantastisch küsst."
"Kein Wunder bei den Lippen", träumte Hanna vor sich hin.
"Du sabberst."
"Gar nicht wahr", fuhr sie sich trotzig unterm Kinn entlang und wurde von ihm ausgelacht. Sie liefen zu ihr, die U-Bahn könnten sie am Tag nehmen, wenn sie sich vor dem Licht verstecken wollten.
"Heute Nacht soll es gewittern", teilte Nico ihr winkend mit. Hanna schnurrte angetan, ließ ihn hinter sich und erklomm so schwungvoll, elegant und katzenartig die Stufen, die zu ihrem kleinen Reich hinaufführten.
Es war ein verschwindendes Kapäuschen, in dem sie hauste. Mit zwei Zimmern, von denen das größte acht Quadratmeter maß plus Küche, Bad und Korridor. Sich vorzustellen, man würde in einem Mikroapartment in Tokio wohnen, half die Klaustrophobie schürende Enge zu ertragen. Die Miete war zum Glück durch den Studienkredit bezahlbar. Zusätzlich zu ihrem Studium arbeiten zu gehen, hätte Hanna vermutlich an den Punkt zurückkatapultiert, an dem sie ihre Therapie damals begonnen hatte.
Gewittern sollte es also ... Hanna zog ihren kurzen gestreiften Pyjama aus Satin an, ein Geschenk von ihrer Mutter zu ihrem Sechzehnten und das kostbarste Stück Kleidung, das sie besaß, obwohl sie gerne in Mode investierte, was mit ihrer ein wenig über das Maß hinausgeschossenen Eitelkeit einherging. Das Petrol stand ihr exquisit. Selbst im Schlafanzug war es Hanna wichtig, Eindruck beim Postboten zu schinden. Wobei sie ihr schnuckeliger, leider vergebener Postbote nicht länger in Atem hielt. Immerhin war da jetzt Max.
Sie kochte eine Kanne Jasmintee und trat mit nackten Füßen auf den Balkon, auf den sich bis zu drei Menschen quetschen konnten. Es war ihr Ritual bei Stürmen. Es hatte angefangen zu blitzen und der Donner grollte. Die Elektrizität, die in der Luft sirrte, erinnerte sie an das, was zwischen ihr und Max schwebte; der Donner, das entfernte, dumpfe Grollen, klang für sie wie der dubiose Haken, den er haben sollte. Es musste irgendwas Erschütterndes sein, das Nico ihr verheimlichte. Erschütternd wie der Donner, die unbändige Naturgewalt - Am Ende wird es sich als harmlos entpuppen, stoppte sie sich jäh.
Als ihr Tee fertig war, fläzte sie sich mit einer Tasse auf die Couch und brütete über den Geschehnissen des Nachmittags. Ob Max Nico über sie ausfragte, wie sie Nico über Max ...?
Hannas Telefon vibrierte und störte ihren Frieden. Eine Nachricht vom Zentrum ihres Gedankenkarussells trudelte ein, dann noch eine und noch eine.
Max [00:02 Uhr]: Ich will deinen Harry Potter Schrein sehen ... Schick mir ein Foto.
Max [00:02 Uhr]: Jetzt.
Max [00:03 Uhr]: Sofort!
Sie baute kopfschüttelnd eine simple Konstruktion aus einer Harry Potter Legofigur als Stativ für ihr Handy und stellte sich neben ihr Regal, auf das sie mit einem übertriebenen Dauerwerbesendungslächeln deutete.
Hanna [00:06 Uhr] Bild
Hanna [00:06 Uhr]: Wenn du dir ein Stativ aus Lego bastelst ...
Max [00:07 Uhr]: Mein erstes Facecam-Stativ war ein Playmobil-Belagerungsturm.
Hanna [00:07 Uhr]: xD
Max [00:07 Uhr]: Dein Pyjama ist niedlich ;)
Hanna [00:08 Uhr]: Liegt das am Pyjama oder an mir?
Wenn er schon angefangen hatte, konnte sie gefahrlos mitziehen. (Es war nicht geplant gewesen, sie wollte ihm auf dem Foto nicht ihre körperlichen Vorzüge präsentieren, die der Pyjama zweifelsfrei hervorstechen ließ. Sie wollte sich nur zum Affen machen, wie er es für gewöhnlich tat. Man neigt dazu - dieser Fakt ist psychlogisch erwiesen -, denjenigen zu imitieren, zu dem es einen hinzieht.)
Max [00:09 Uhr]: Sowohl als auch.
Max [00:09 Uhr]: Gute Nacht, Schönheit.
Hanna [00:10 Uhr]: Gute Nacht, Hänno ^.^
Sie reckte die Faust in die Luft. "Jackpot!", rief sie und ließ sich lachend auf ihr Bett fallen. Eindeutiger Flirt.
Sie war ganz nah dran.
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