Hast du denn auch Freunde oder so? - Nee, ich hab Spandau.
Draußen war die Luft noch schwül vom Regen der Nacht. Hanna mochte den Sommer diesen Jahres. Er hatte ihr schon viele Gewitter und Regengüsse beschert, dabei war ihre Lieblingsjahreszeit eigentlich der Herbst. Trotz der Feuchtigkeit, schien die Sonne; sie trocknete das Straßenpflaster über das Hanna zum Bäcker an der Ecke schwebte. Sie schwebte in ihrer Realität, fühlte sich leicht, seit Max ihr gestern geschrieben hatte und war gegen fünf aufgestanden. Ihren Frühsport hatte sie längst hinter sich und ein Kapitel ihrer Semsterarbeit war vollendet. Der Kontakt zu Max kurbelte aus unerklärlichen Gründen ihre Produktivität an. Andere Männer hatten sie bisher - wenn sie überhaupt einen Einfluss auf sie ausübten - höchstens ausgebremst. Dass es bei Max anders war, machte ihn umso attraktiver für sie. Wärme stieg aus ihrem Bauch in ihre Brust auf, wann immer ihre Gedanken zu ihm abschweiften.
Ihr gesamter Rhythmus war durch die neuerlich verbrachte Zeit mit Nico und seinen Freunden durcheinander geraten. Gar nicht schlecht bei näherer Betrachtung. Hanna war gelassener geworden, seit dem Ende der Therapie, fokussierter, aber gleichzeitig war ihr angeraten worden, dass sie sich an Leute hielt, die ihr gut taten. Vielleicht würde sie den Anruf bei der Seelsorge heute ausnahmsweise ausfallen lassen. In den Wochen unmittelbar nach dem Ende ihrer Behandlung, hatte sie jeden Abend mit jemandem gesprochen. Die Frequenz hatte sich im Laufe der Zeit verringert. Hanna fühlte sich nun am wohlsten, wenn sie einmal die Woche einer fremden Person um die Ohren hauen konnte, wie falsch es ihr erschien, dass sie in ihrer eigenen Haut steckte. Ihre Konzentrationsschwäche vereinnahmte ihr Leben. Jetzt nicht mehr allzu doll, es blieben nur die Telefonate mit der Seelsorge am Samstag übrig. Die Therapie war vorbei und der Identitätsverlust, den sie verspürte, wenn sie sich einschränkte, ließ nach. Max trug dazu bei. Sie musste sich kein Stück verstellen in seiner Nähe. Hanna war sich nie sicher gewesen, ob sie wirklich gefahrlos sie selbst sein konnte, wie es von allen Seiten als oberste Priorität des Individuums gepredigt wurde. Hauptsächlich war die Schule dafür verantwortlich. Die Reaktionen anderer auf ihr Benehmen bestanden oft darin, Distanz zu ihr aufzubauen. Das letzte Mal war sie stolz auf sich gewesen, als sie ihr Abi in den Händen hielt. Und es war auch das erste Mal, dass sie stolz auf sich gewesen war. Zuvor war sie auf zwei anderen Schulen. Eine davon war für "besondere" Kinder wie sie vorgesehen: Schwierige Jugendliche mit ADHS. Den Stolz, den sie erlebt hatte, als sie mit Nico auf der Bühne stand, bei der Verleihung der Abschlusszeugnisse, den wollte sie wieder erleben. Deswegen hängte sie sich so in ihr Studium rein, um den Kick ein zweites Mal zu spüren.
Sie war gut darin geworden, ihr Syndrom runterzuspielen. Das war es ihr wert, sogar für den hohen Preis, den sie dafür zahlte. Hanna war depressiv geworden. Konstant war es für sie gewesen, als würde sie sich verlieren. Und obwohl sie glücklich war, dass sie Fortschritte machte, ihre Noten sich verbesserten, man plötzlich Freundschaft mit ihr schloss, wo doch früher alle zurückgewichen waren, wenn sie sich mit Hannas überbordender Persönlichkeit konfrontiert sahen, so dachte sie doch ständig, sie wäre nichts weiter als ein geformtes Abbild ihrer selbst, ging so weit, sich einzureden, niemand würde sie um ihrer selbst willen lieben, nicht ihre Eltern, nicht ihr Bruder, nicht ihr (Ex-)Freund oder Nico, niemand auf der ganzen Welt. Die Therapie war unter anderem dazu da, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Vor ein paar Monaten, nach dem Abi, hatten die Anstrengungen endlich gefruchtet. Hanna wusste, dass sie Hanna war und dass sie geliebt wurde. Manchmal ergriffen sie die Zweifel dennoch. Dann sprach sie mit der Telefonseelsorge darüber. Mit Nico konnte sie nicht über die Krankheit reden. Sie hatte es ein paar Mal versucht, aber ihm konnte sie sich einfach nicht verständlich machen, egal wie sehr sie sich bemühte. Mit Noah hatte sie das gleiche Problem. Ihr blieben die Worte schlichtweg im Hals stecken.
Apropos Noah. Sie hatte ihren Bruder zum Frühstück eingeladen, holte seine favorisierten Brötchen, Kürbiskern, außerdem Croissants. Oben in ihrer Wohnung briet sie Toastscheiben in Butter in der Pfanne an und schlug zwei Spiegeleier obendrauf, das Lieblingsfrühstück aus der Kindheit der beiden bereitete sie zu.
Eine Minute vor neun klingelte es und Noah stand vor der Tür.
Während er die Tatoos abbekommen hatte, war Hanna gepierct, auf der Zunge, an den Ohren und der Nase. Für ihre Eltern war das nie von Bedeutung gewesen. Sie unterstützten ihre Kinder bedingungslos, jederzeit. Finanziell ließen sie allerdings nur Mäuse springen, wenn es am Monatsende brenzlig für Noah wurde. (Bei Hanna verzichteten sie darauf, der Studienkredit musste ihr genügen. Sie waren streng, was Geldfragen anbelangte, aber keineswegs herzlos.) Noah war Freelancer-Fotograf, einigermaßen erfolgreich, immer im Auftrag der unterschiedlichsten Zeitungen unterwegs. Vice, Neon, etc. ... Junge Magazine meistens, die nach eindrucksvollen modernen Bildern suchten, die die Leserschaft unter dreißig zum Kauf bewegen sollten. Mit seinem Aussehen - Schönheit lag in der Familie - verdiente er sich nebenbei ein wenig dazu, als Model. Die tiefschwarzen verstrubbelten Haare, bemerkte Hanna, hatten ebenfalls einen Stich von Indigo, dem fabelhaften Nachtblau, angenommen, seit sie ihn zuletzt getroffen hatte. "Deine Haare sind ein bisschen blau", wuschelte sie hindurch.
"Annabel meinte, das würde mir stehen", verwies er auf seine Freundin, die in dem Friseursalon arbeitete, in dem sie sich beide die Haare schneiden ließen und in dem er Annabel kennen und lieben gelernt hatte
"Meinst du, sie könnte mit meinen Haaren -"
"Annabel hat schon alles mögliche mit deinen Haaren gekonnt; klar kann sie. Wie geht's dir?"
"Gut, mir geht's prima. Nico hat mich letzte Woche mit ins Kino genommen und vorher waren wir beim Thailänder. Er hat mir seine Freunde vorgestellt. Sein Mitbewohner ist echt süß."
"Du gibst dich mit Kerlen ab? Ich dachte, deine Vorlesungen und das Lernen würden dich 24/7 von Männern fernhalten."
"Max ist toll, er riecht immer nach frisch gewaschener Wäsche, als wäre das sein Parfüm oder so."
"Uiuiui, du schwärmst nach einer Begegnung? Bist du über ihn hergefallen?"
"Nein", empörte sie sich. "Er ist anders. Ein völlig unerforschtes Level von begehrenswert", seufzte sie.
"Spielt er außerhalb deiner Liga?"
"Mit solchen geh ich nicht mehr aus, das weißt du genau."
"Heißt das, ihr hattet Dates?!"
"Eins. Gestern."
"Oh, Hanna, du verliebst dich Hals über Kopf in irgendeinen Typen, den du eine Woche kennst."
"Er hat die Aura!", schüttelte sie ihren Bruder eindringlich.
"Die hatten deine Ex-Freunde auch."
"Nicht so stark, Noah, nicht so stark! Dieses Chakra!"
Noah seufzte. Er kannte die Esoterik-Obsession seiner Schwester.
"Ich schwöre dir hoch und heilig: Das ist keine Einbildung und ich erfinde nichts dazu."
"Er ist single?"
"Natürlich. Traust du mir zu, Vergebene anzubaggern?"
"Unglücklich Vergebene vielleicht?"
Sie schlug ihn im Spaß. "Du bist doof. Wie läuft's bei dir?"
"Alles gut, Annabel schiebt ein bisschen Panik, weil sie die Gesellenprüfung allein leiten muss. Mindy, du weißt, ihre Chefin, ist in New York, sie hat Urlaub. Sie macht mich nervös, überprüft bei jeder Gelegenheit, ob das, was sie in ihrer Ausbildung über Haarfarbe und Haarschnitt gelernt hat, noch aktuell ist und lässt sich nur schwerlich davon ablenken. Fünf Minuten Ruhe ... Was gäbe ich dafür? Ein Königreich für ein bisschen Ruhe, das wäre ein wahrer Segen ... Abgesehen von dieser Kleinigkeit geht's mir ausgezeichnet. Die Juice hat mich um Konzertfotos gebeten, ich darf zum SXTN-Gig im Juni. Leider muss ich die Kosten für die Karten selbst tragen, aber sie haben mir ein nettes Sümmchen versprochen und ich bin der einzige, der für sie dort Bilder schießt, was bedeutet, das ich mich nicht gegen dämliche Konkurrenz durchsetzen muss. Mein Leben ist gerade nicht wirklich spannend. Ich bin froh, dass Nico dich noch nicht aufgegeben hat und ihr wieder was miteinander unternehmt. Und dieser Max scheint es dir angetan zu haben."
Hanna schwelgte in Erinnerungen gestrigen Tag. Als sie ihren Vortrag beendete, starrte Noah sie ungläubig an.
"Meine Schwester posaunt ihre Gefühle raus?"
"Er schämt sich für nix, wofür sollte ich mich dann schämen?"
"Krass." Er belegte eine Hälfte seines Kürbiskernbrötchens mit einer Scheibe Käse. Sein Spiegelei auf Toast hatte er längst verdrückt. Hanna kaute indessen auf ihrem Croissant mit Marmelade herum. "Schön, dass du da bist", sagte sie leise.
"Wir sehen uns einmal im Monat mindestens. Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen. Klar bin ich da", grinste er und schob seine große Brille auf der Nase hoch.
"Nachher fahre ich zu Nico und Max. Nico will unbedingt, dass ich seine neue Flamme kennenlerne. Max weiß nicht, dass ich vorbeischaue."
"Okay, cool. Was macht ihr?"
"Quatschen. Wir werden sehen."
"Ich feiere übrigens nächsten Freitag meinen Geburtstag. Bring Nico und Max mit, wenn du willst. Und Nicos Freundin ist mir ebenfalls willkommen."
"Vielleicht müssen sie arbeiten", biss sich Hanna unsicher auf die Unterlippe.
"Es geht erst um neun los."
"Sie sind YouTuber, Noah, ich kenne ihre Arbeitszeiten nicht."
"Ach ja." Sein Blick schweifte in die Ferne. "Wenn du dich gestern mit Max am Nachmittag getroffen hast, dann werden sie freitags nicht lange arbeiten."
"Er könnte eine Ausnahme gemacht haben, was weiß ich."
"Hanna", rügte er sie ernst. "Wenn du Max nicht mitbringen willst, dann lass ihn daheim und komm allein. Ich dachte bloß, das es dir mit Annabel, Amalia, Janne, Costas zu langweilig werden könnte."
"Janne und Costas kommen?!"
Die ehemaligen WG-Mitbewohner ihres Bruders waren Hanna ans Herz gewachsen. Er war inzwischen bei Annabel eingezogen, wo er gut aufgehoben war, und man munkelte in ihrem Freundeskreis, das Janne und Costas in der Zwischenzeit eine lockere Beziehung angefangen hätten.
"Äußern sie sich zu den Gerüchten?", fragte Hanna sofort aufgeregt und lehnte sich über den Tisch.
"Das geht keinen was an. Sie werden nichts dazu beichten", winkte Noah ab.
"Ach", schnaubte Hanna verärgert. "Du weißt doch was!", warf sie ihm vor. "Ich würde ihnen nur meinen herzlichsten Glückwunsch entrichten, dann wäre ich ganz still und würde das Thema ruhen lassen, versprochen."
"Aus mir kriegst du nichts raus, kleine Schwester."
"Noah!"
Sie kabbelten sich, bis Noahs Blick auf die Uhr fiel und er aufstand. "Um sechzehn Uhr muss ich zum Shooting für H&M, davor möchte ich duschen, Annabel wollte mir die Spitzen schneiden und ich muss mich rasieren", strich er über seinen Dreitagebart. "In der Quintessenz heißt das, ich mach mich auf die Socken."
"Das hättest du alles heute Morgen erledigen können", streckte sie ihm die Zunge raus.
Er zeigte ihr einen Vogel. "Als ob ich mich um sechs Uhr aus dem Bett quäle, dafür."
"Na ja, dann hau ab, wenn's sein muss." Sie drückte ihn.
"Viel Spaß mit Nico, seiner Freundin und Max nachher."
"Danke, dir viel Spaß beim Shooting."
Hanna ließ sich gegen die Tür fallen, die sie hinter Noah geschlossen hatte und sank daran herab. Sie dachte über ihren Freundeskreis nach. Nico war ihr einziger echter Freund. Ihr restlicher Freudeskreis, das waren die Freunde ihres Bruders. Und ihr kam es vor, als hätte sie sich bei ihnen eingeschlichen, auf eine illegale Art.
In der Uni fand sie keinen Anschluss. Ihr Studium war ihr zu wichtig, um Zeit ans knüpfen von Freundschaften zu verschwenden. Sprach sie jemand in der Vorlesung an, wies sie ihn freundlich, aber bestimmt ab. Seit sie mit Nicos Clique im Kino gewesen war, vermisste sie den Spaß, den Freunde für gewöhnlich miteinander hatten. Vielleicht war der Ausflug dazu dagewesen, sie zurück auf den richtigen Weg zu lenken. Wenn dem so war, dann verdankte sie Nico noch viel mehr als nur all das, über das sie sich eindeutig bewusst war. Eventuell ergab sich mehr aus den Treffen mit Kutcher. Hanna fasste den Entschluss, demnächst auch Johnny und Kevin zu sich einzuladen. Zumal Kevin Top-Laner war, wie sie bei LoL. Ihnen würde die Gesprächsthemen schon nicht ausgehen. Mittlerweile stand sie vor dem Spiegel und unterbreitete sich einen Vorschlag, der fast einem Befehl glich: "Es ist Zeit für einen überteuerten Kaffee und sinnlosen, glücklich-machenden Konsum."
Gesagt getan.
Hanna nahm den Regionalexpress zur Friedrichstraße, kaufte sich bei Dussmann eine hochgelobte spanische Kurzfilmreihe und einen englischen Roman von John Green. Nachdem sie ihre Hautpflege nachgekauft hatte, schlenderte sie in den Starbucks und verlangte einen Eiskaffee. Das Warten versüßte sie sich mit lesen. Der Laden war übermäßig voll und es dauerte lange, bis man ihre Bestellung ausrief. Eine Frau etwa in ihrem Alter tat es ihr gleich. "Oh, hattest du auch einen Iced Frappé bestellt?", wunderte sie sich.
"Ja." Hanna nickte. "Wer von euch ist Emily?", fragte der Barista hinter dem Tresen leicht genervt. "Das bin ich", meldete die andere sich. "Aber ich überlasse ihn dir, auf dich wartet garantiert einer ungeduldig", zwinkerte sie ihr zu
"Nein, ich bin allein", meinte Hanna verblüfft.
"Der Norweger, der halb hinter dir stand ist nicht dein Freund?" Die Überraschung, die sie zur Schau trug, war echt.
"Nein." Hanna setzte ein imaginäres Fragezeichen dahinter. Versuchte dieses Mädchen sie anzubaggern? Dadurch würde sie sich zwar geschmeichelt fühlen, trotzdem wäre es ihr ein wenig unangenehm. Einmal hatte sie eine bisexuelle Kommilitonin enttäuschen müssen, als diese sie um ein Date bat.
"Hanna?", rief in dem Moment eine zweite Starbucks-Mitarbeiterin. Hanna schnappte sich erleichtert ihren Kaffee und lächelte ihrer Konkurrentin um das Getränk ein letztes Mal zu. Kaum war sie aus dem Lokal gestürmt, da schlich sich bereits ein schlechtes Gewissen bei ihr ein. Wie bescheuert war sie überhaupt, direkt auf die Sexualität dieser Frau zu schließen und ihr ein romantisches Interesse zu unterstellen?
"Warte mal!" Sie war Hanna nachgelaufen.
"Tut mir leid, dass ich dich eben überfallen habe. Ich bin gerade erst nach Berlin gezogen und habe hier noch keine Freunde." Sie zupfte nervös am kurzen Ärmel ihres T-Shirts. "Hast du Lust, dich ein paar Minuten mit mir zu unterhalten? Du musst natürlich nicht."
Hanna grinste. Das war ihre Chance auf Wiedergutmachung. Und hatte sie nicht vor einigen Stunden noch gejammert, sie hätte keine Freunde? Sie hatte eine Gleichgesinnte gefunden!
"Klar, gerne, ich wollte mich bloß draußen hinsetzen", vertuschte sie ihre Flucht.
"Ja, drinnen ist es wirklich voll", wischte Emily sich eine Schweißperle von der Stirn. Es waren siebenundzwanzig Grad Celsius, die Hauptstadt glich einer riesigen Sauna.
"Hey, woher wusstest du, das dieser fremde Typ, der bei mir stand, Norweger ist?", sprudelte es aus Hanna heraus. Die Wonne ergriff diesmal erstaunlich rapide Besitz von ihr. Trainierte sie sich in dieser Woche der sich überschlagenden Ereignisse einen vertrauensfreudigen Leichtsinn an?
"Er hat telefoniert, auf norwegisch. Dabei hat er dich angestarrt, deswegen nahm ich an, ihr würdet euch kennen."
Hanna runzelte die Stirn.
"Du fragst dich bestimmt, wie ich norwegisch von schwedisch und finnisch unterscheiden kann", erriet Emily ihren Gedanken. "Ich studiere Skandinavistik an der Humboldt-Uni."
"Cool!" Aufgeregt berichtete Hanna ihr von ihren eigenen Überlegungen darüber, was sie studieren sollte und wie sie schließlich bei Regie hängengeblieben war.
Sie unterhielten sich eine ganze Weile und sprangen von einem Thema zum nächsten.
"Nachdem ich festgestellt habe, das du nicht mit dem süßen Norweger zusammen bist, frage ich mich aber doch: Hast du einen Freund?"
"Nein, aber ich bin verliebt", grinste sie.
"Erzähl mir alles!"
Hanna lachte. "Also, er heißt Max -"
"Echt? Witzig. Ich gehe im Moment auch mit einem Max aus; Maximilian", lächelte sie verträumt. "Damit nerve ich ihn, die Langform seines Namens ist sein Nemesis. Aber ich wollte dich nicht unterbrechen, das war unhöflich, tut mir leid."
"Er ist der Mitbewohner meines besten Freundes und wir ticken gleich. Er ist bloß extrem vorsichtig, weil sich seine Ex-Freundin vor nicht allzu langer Zeit von ihm getrennt hat und er hat wohl noch davor eine böse Erfahrung gemacht und Dinge überstürzt. Ich überstürze die Dinge leider zu gerne. Irgendwie überlege ich manchmal, ob es richtig ist, sich mit ihm abzumühen."
"Du mühst dich doch nicht ab", widersprach Emily. "Du solltest deine Augen sehen, wenn du über ihn sprichst. Sie funkeln wie meine Ohrringe und das sind echte Swarovski-Kristalle", drehte sie die Stecker zwischen Daumen und Zeigefinger.
"In ein paar Stunden sehe ich ihn wieder, es wird eine Überraschung", weihte Hanna sie ein und die Vorfreude kribbelte in ihr.
"Da bin ich neidisch, ich würde meinen Max auch gerne mal sehen. Aber seit einer Woche herrscht irgendwie Funkstille zwischen uns. Ich weiß, dass er beruflich immer viel zu tun hat, trotzdem vermisse ich ihn. Mit ihm ist es lustig und er ist so ziemlich der einzige Mensch, den ich in diesem Großstadtdschungel kenne." Sie schob die Unterlippe vor. Ihr Kinn sank auf ihre gefalteten Hände.
"Er meldet sich bestimmt bald", sprach Hanna ihr Mut zu. "Und wenn du dich einsam fühlst, kannst du mich jederzeit anrufen. Gib mir dein Handy, dann speichere ich dir meine Nummer ein."
"Sorry, ich lege gerade ein Handy-Fasten ein, es liegt zu Hause. Wenn du mir deins gibst, kann ich meine Nummer bei dir einspeichern."
"Okay." Hanna zückte ihr Smartphone und reichte es Emily. "Ich würde ohne mein Handy nicht rausgehen, glaube ich."
"Alles Gewöhnungssache. Als ich nach Berlin gezogen bin, habe ich alle meine Social Media Accounts gelöscht und laufe seitdem mit einem uralten Nokia-Tastenhandy durch die Gegend."
"Warum?"
"Ich wollte wissen, ob ich mir mein eigenes, reales Netzwerk erstellen kann, wie die Leute das früher gemacht haben. Mir gefällt das."
Sie zupfte beim Sprechen am Bubi-Kragen ihrer weißen Bluse und Hanna bemerkte, dass sie ausschließlich altmodische Klamotten trug. Ein bisschen wirkte Emily wie aus einer früheren Dekade. Der englische Dandy-Stil stand ihr. Trotzdem hatte sie etwas unbestimmbar Modernes an sich.
Eine faszinierende Persönlichkeit.
Nach ihrer Verabschiedung wurde Hanna leicht ums Herz. Sie hatte einen wundervollen Tag heute, gerade lebte sie die beste Version ihres Lebens.
Mit einem breiten Lächeln im Gesicht klingelte sie etwas später bei Knabe/Linke.
Ihr öffnete Nico, der sie sofort in die Küche zog, wo das zierliche, hübsche Mädchen saß, das Julia war und von dem Hanna mehrere Fotos gesehen hatte.
Aufgeschlossen und fröhlich umarmte sie sie. "Hi, ich bin Hanna!"
"Ich bin Julia", lächelte Julia etwas überfordert.
"Ni-Chan, ich brauche ein Glas Wasser", wandte sie sich an ihren besten Freund, der sofort Eiswürfel in ein Glas klirren ließ. Indes wandte Hanna sich erneut dessen Fast-Freundin zu.
"Du bist in der Wirklichkeit noch viel niedlicher als Nico dich beschrieben hat", freute Hanna sich.
"Danke oder so", zuckte ihr Gegenüber schmunzelnd die Schultern.
"Bitte oder so. Wir sollten mal alle zusammen LoL spielen, du, Nico, Max und ich."
"Wenn jemand Hänno dazu überreden kann, dann du", nickte Nico.
"Ich hör die ganze Zeit nur meinen Namen."
Max hatte sich in die Küche geschlichen und musterte Hanna abschätzig. "Na, du traust dich ja was."
Einen winzigen Moment lang nahm sie ihm die Rolle ab und dachte, dass die Eiswürfel, die in ihrem Wasserglas schwappten, ihr Blut eingefroren hätten. Im nächsten Augenblick griente Max sein schiefes Grinsen und Hanna fiel ihm um den Hals. Er hob sie ein Stück hoch und sie lachte heiter.
"Kommst hier einfach her, ohne Bescheid zu sagen, was sind denn das für Sitten?", wetterte er.
"Pf, als ob ich mich bei dir an- und abzumelden hätte. Wer bist du? Mein Erziehungsberechtigter?", stieg sie auf den Zank ein.
"Das gebietet doch wohl unser Status, dass du mich informierst", schürzte er die Lippen und Hanna schnaubte.
"Erzähl mir mehr von diesem Status", verdrehte sie die Augen, meinte es aber vollkommen ernst und Max spürte das. Er wurde rot.
"Wollen wir raus?", warf Nico in die Runde. "Wir könnten in 'ne Bar, geht auf meine Rechnung."
Also war es beschlossene Sache.
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