2. Halbzeit
Gesittet und ruhig liefen wir als Mannschaft durch den Tunnel. Wir waren gesittet und ruhig, aber man spürte den Stolz für schwarz-gelb zu spielen an unserer aufgerichteten Haltung und den aufgekommenen Siegeswillen an unseren Schritten.
Als sich die beiden Rivalen mit unveränderten Spieler-Konstellationen auf dem Rasen gegenüber standen, reichte es, dass der Schiri in seine Trillerpfeife blies und Paris den Anstoß eröffnete.
Sofort schoss unser ganzes Team mehrere Meter nach vorne. Alle waren mit ihren Gedanken auf dem Platz. Wir wollten das Ruder um jeden Preis herumreißen. Und jede Person im Stadion fühlte es von ihren Haar- bis in die Zehenspitzen.
Unser Pressing war fantastisch. Paris und Dortmund hatten Rollen getauscht. Wir dominierten deutlich und machten das auch mit 8 Torschüssen in der ersten Viertelstunde nach der Pause deutlich, trotz einem Mann weniger! Paris hatte zwar eine hervorragende Abwehr, aber wir gaben nicht auf.
Ecke. Dahoud legte sich den Ball zurecht. „Kommt schon! Ich will in 20 Sekunden ein Tor haben!", spornte Marco uns lauthals an. Ganze drei Pariser, die ich trotzdem alle überragte, versuchten, mich zu decken, aber als Dan schoss wusste ich bereits, dass ich zu weit vorne stand. Ich sprang ab, der Ball flog sichtlich an mir vorbei. Ich wollte gerade die Chance als vergeben abstempeln, da drehte ich mich um die eigene Achse und sah, ja, ich sah Marcel. Mitten in einem Seitfallzieher. Er traf den Ball und dieser landete perfekt im leeren Eck. Ich denke ich habe noch nie etwas befriedigenderes gehört, als den Sound des Balles, wie er in Dortmund, Campions League Rückrunde gegen PSG, das Netz zum 1:2 traf.
Die Fans bäumten sich auf, über 20 Bierduschen alleine in der Gelben Wand, alle schrien sich das von der ersten Halbzeit Übergebliebene von den Stimmbändern, während Mats, Marco und Piszu Marcel trotzdem mit Abstand am meisten feierten. Ich rannte zwar mit in die Fankurve, aber konnte nicht mehr, als ihm kurz einen Klaps auf den Rücken zu geben und ihn abzuklatschen, dann joggten alle sofort weiter zum Anstoßpunkt. Der erste große Durchbruch war geschafft. Jetzt war alles möglich.
Das ganze Stadion stand trotz der eingesetzten Kälte unter Strom.
Die Fangesänge ließen mein Herz noch schneller schlagen. Die kleinen Atemwölkchen, die beim Ausatmen entstanden, tanzten über das Feld. Bei jeder kleinsten Vorwärtsbewegung sprangen alle Fans hoffnungsvoll auf. Paris klammerte sich verzweifelt an die übrigen 15 Minuten, in denen wir noch mindestens 2 Tore schießen mussten. Aber es war machbar. Ich würde heute nicht mehr aufgeben. Und mein Team hatte es, dem Anschein ihrer entschlossenen Gesichter nach, ebenfalls nicht vor. Sofort nach Anstoß baute ich vorne Druck auf und zwang Paris zu lahmen Querpässen. Plötzlich traf einer das Leder nicht genau und der Ball eierte für eine Sekunde herrenlos über das Feld...bis Gio vorschnellte und ihn sicher aus dem Mittelfeld angelte. Sofort stürmte schwarz-gelb vor. Ich allen voran. Ich wollte meine Fehler so unbedingt wieder gut machen!
Aber Paris war nicht umsonst weiterhin ein ernst zu nehmender Gegner. Sofort rückten sie zurück und stellten sich in eine 4-3-3 Konstellation mit unglaublich raffiniert gedecktem Mittelfeld. Ich wusste, dass Gio mir eine Vorlage für ein Tor schenken wollte, aber zwischen den ganzen Gegnern würde ich ihn zu schnell wieder verlieren, also deutete ich zu seiner Linken, wo Thomas lief. Er passte zu Axel, der den Ball ein Stück zu gemächlich an Rapha weitergab, welcher dann unter Druck hinter den letzten Mann der Pariser Abwehr lief, um das Abseits zu entschärfen. Rapha lupfte den Ball im spitzen Winkel locker flockig in die Mitte. Keiner von den Parisern hatte es bemerkt oder etwas dagegen getan, als sich Klein-Gio durch sie durchgemogelt hatte. Jetzt brauchte er einfach nur den Fuß hinzuhalten und der Ball sprang davon ab ins Tor.
Mir blieb kurz mit allen anderen Anwesenden im Stadion der Mund offen stehen, bevor ich mich fasste. Das war anders frech. Jubelnd stürzte ich ins Getümmel aus schwarz-gelben Trikots und Spielern. Gio wurde von jedem einzeln so fest gedrückt, dass man daran hätte ersticken können, doch er strahlte nur glücklich. „Na, übernimmst du demnächst meinen Stürmerposten?", rief ich ihm scherzhaft ins Ohr, in dem Versuch, irgendwie die austickende Südtribüne neben uns zu übertönen, als ich ihn als letzter an mich zog. „Wenn du heute kein Tor mehr schießt, rede ich die nächsten zwei Wochen kein Wort mehr mit dir!", erwiderte er nur in warnendem Tonfall und ich ignorierte den Fakt, dass er sich ziemlich süß auf die Zehenspitzen gestellt hatte, um bis an mein Ohr zu kommen und mit seinen zu einem Trichter geformten Händen, seine Lippen abschirmte, als würde er mir ein Geheimnis verraten.
Belustigt fuhr ich ihm grinsend mit dem Finger schnell über die Nasenspitze und jetzt meldete sich seine Schüchternheit wieder, denn seine Wangen färbten sich "vor Kälte" leicht rot, dann wandte er sich schnell ab und joggte hastig zum Anstoßpunkt. Ich liebte es, ihn in Verlegenheit zu bringen, auch, wenn ich selber nicht besser war. Es tat zwar weh zu wissen, dass es für ihn nur ein Spiel war, aber solange er dadurch lachte und glücklich war, nahm ich alles in Kauf.
„Eigentlich würde uns ein Unentschieden doch reichen, oder?", fragte ich mein Team extra laut. Während alle anderen verwirrt den Kopf schüttelten, warf mir Gio einen drohenden Blick zu. Als er zufällig noch mal an mir vorbeikam zischte er: „Ich mache keine halben Sachen, Erling, und das weißt du auch. Also provozier nicht, sondern spiel und schieß dieses doofe Tor endlich!" Nach der viel zu lieben Beschreibung vom Tor, konnte ich den ernsten Teil seiner Nachricht gar nicht mehr ernst nehmen und grinste nur dümmlich vor mich hin.
Verratti tätigte den Anstoß. Und während beide Mannschaften lostrabten, schloss unser Kapitän kurz zu mir auf. „Er hat Recht. Hör auf den Dummen zu spielen, vor allem jetzt! Wenn wir nicht aufpassen liegen wir gleich wieder zwei Tore zurück. Also mach deinen Job, danach kannst du weiter mit Gio flirten!", sagte er leise aber ernst. Meine Ohren brannten vor Scham. Nicht nur, weil ich mich wirklich daneben benahm, auch, weil die Gerüchte scheinbar immer noch ihre Runde machten. Und in meinem Kopf kreiste nun die Frage, ob das wirklich schon flirten war, was wir da taten und wie viel die anderen davon mitbekamen. Aber mein Mitspieler ließ mich wieder alleine stehen und bezog vorbildlich seine Position.
Aus dem Nichts zeigte PSG wieder sein offensives Gesicht. Jetzt standen sich zwei gewinnen wollende Mannschaften gegenüber. Jede Balleroberung endete in einem Zweikampf und die Laufrichtung änderte sich alle 20 Sekunden. Noch fünf Minuten. Keine der beiden Partein wollte das Unentschieden akzeptieren. Die Fans saßen auf glühenden Kohlen. Ich spürte, wie ich ans Ende meiner Kräfte kam, aber versuchte mir nichts anmerken zu lassen, als unser Trainer den aufgewärmten und angezogenen Mateu zu sich rief, um noch kurz Taktiksachen zu klären, bevor er den letzten Wechsel vollführte.
Gio sah ebenfalls ziemlich platt aus und plötzlich bekam ich Angst vor seiner Reaktion, wenn mit diesem Spielstand abgepfiffen wurde. Er würde unglaublich enttäuscht sein. Er hatte diese letzte Bitte und ich spielte diese gerade nichtig zu Ende. Also straffte ich meine Schultern, ich hob meinen Blick vom Boden und als Bürki nach einem weiteren Abschluss der Franzosen den Ball abpielen wollte, rief ich nach Aufmerksamkeit. Plötzlich hoben alle skeptisch den Kopf. „Lasst uns endlich dieses verfickte Match gewinnen!", rief ich mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Kann doch nicht sein, dass wir jetzt aufgeben!?"
Zu meiner Verwunderung nickten sich die älteren Spieler nach kurzer Pause der Verwunderung langsam zu, dann kam endlich wieder Bewegung in unser Team. „30 Sekunden Nachspielzeit noch, verstanden!", wiederholte der Schiri für die Assistenten in sein Mikrofon. Bürki schoss den Ball nach vorne, ich rannte los. Déja vu. Wieder nahm ich den Ball an, aber stand nicht alleine vor Paris Strafraum. Ich spielte an Axel in die Mitte. Jetzt schossen die Pässe nur so zwischen Schwarz-Gelb hin und her. Dan. Zu Gio. Wieder Axel. Julian. Das ganze Stadion war auf den Beinen und hoffte. Er dribbelte, als ginge es um sein Leben. 20 Sekunden. Ich stürmte stur durch einen freien Weg nach vorne. Aber als mir Julian dann den Ball perfekt zuspielte, stand ich bereits zu weit ins Eck gedrängt und vor mir drei Gegner. Noch einmal würde ich nicht so viel Glück haben und einfach tunneln und tricksen können. Die Lage war aussichtslos. „Hinten!", hörte ich dann plötzlich Gio. Instinktiv trat ich den Ball mit der Hacke rückwärts und rannte bis vor das Tor. Ich hörte, wie Gio den Ball schoss, wie auch immer er es gegen die drei Pariser geschafft hatte. Die Fans schrien auf. 10 Sekunden. Ich visierte den Ball an, sprang, dann prallte er von meiner Schläfe nach unten ab und ich schoss.
Als der Ball hinter der Linie landete explodierte alles. Die Zuschauer rissen die Arme gen Himmel und schrien los. Automatisch stürmte ich vor die Gelbe Wand und drehte mich zu meinem Team um. Gio, der direkt an meiner Seite gewesen war, sprang in meine Arme und schlang seine Beine um meine Hüften. Für einen Moment rutschte alles in den Hintergrund. Das Schreien wurde leiser, der Hintergrund verschwamm. Was zählte war Gio alleine. Stumm lehnten wir unsere Stirnen aneinander und sahen uns in die Augen. In mir tobte ein Feuer des Verlangens, das mich innerlich zerriss. „Darf ich dich küssen?", rutschte es mir heraus, aber in der nächsten Sekunde war es mir bereits wieder egal.
Und dann nickte er. Ganz ruhig, gefasst, völlig bei Bewusstsein. Okay, das hatte ich jetzt nicht erwartet.
Doch ich reagierte schneller als ich denken konnte. Unsere Nasenspitzen berührten sich nun ebenfalls. Er zuckte nicht zurück. Nein, sein Blick forderte mich beinahe heraus, es zu tun. Jeden Moment war endlich mein derzeitig größter Traum erfüllt- ...wäre da nicht Thomas, der sich genau da, auf uns warf.
Schlagartig zerplatzte unsere kleine Seifenblase und alles rutschte wieder in Normalzustand. Die Fans brüllten immer noch und übertönten fast die inzwischen eingespielte Tormusik. Als ich Gio gezwungener Weise loslassen musste, war es keinesfalls zu spät, denn in der nächsten Sekunde lag die ganze Mannschaft auf mir drauf. Obwohl ich eigentlich sauer sein sollte, musste ich grinsen und genoss den Moment. Die Jungs standen wieder auf und hoben mich auf ihre Schultern. Mein Blick schweifte zur Anzeigetafel. Das Spiel war abgepfiffen. Wir hatten gewonnen. Ich riss meinen Arm in den Himmel und jeder einzelne in der Gelben Wand, die sich immer noch nicht beruhigt hatte, tat es mir gleich.
Ich bekam eine Gänsehaut wie noch nie zuvor. Für solche Momente lebte ich, für solche Momente kämpfte ich, für solche Momente würde ich nichts auf der Welt eintauschen.
Na gut, außer vielleicht endlich einen Kuss von Gio.
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