49 - Cheerleader
Romys POV
„Wir haben uns verlaufen", stelle ich frustriert fest und lasse mich auf eine Bank fallen. Wir irren nun schon seit einer halben Ewigkeit durch eine fremde Stadt, ohne auch nur den kleinsten Hinweis auf die Lage des Sportplatzes zu erhaschen. Nicht mal bei Google Maps ist das Stadion eingezeichnet – und das muss schon etwas bedeuten.
Alica und Sarina setzen sich zu mir auf die Bank und teilen meine Leidensmiene. Von der anfänglichen Euphorie ist nichts mehr zu spüren.
Obwohl es noch früh am Morgen ist, knallt die Sonne in ihrer vollen Pracht auf uns nieder und lässt Schweißperlen über meine Stirn tanzen. Hitze und Müdigkeit vertragen sich nicht sonderlich gut, wie ich gerade feststellen muss.
Wir haben uns gestern noch bis halb vier im Hotel der Fußballer aufgehalten und sie vom Schlafen abgelenkt. Dabei mussten wir uns nicht nur einmal vor wütenden Gästen oder der Security verstecken. Gelohnt hat es sich trotzdem.
„Ich verdurste gleich", jammere ich und lege den Kopf in den Nacken. Der Himmel ist strahlendblau und wolkenlos. Eigentlich ein perfekter Tag für den Strand, doch was machen wir? Wir wandeln durch eine fremde Stadt und zerfließen dabei in unserem eigenen Schweiß. „Und ich bin müde", klage ich, während ich mich bei Alica anlehne.
Sie ist ebenso ausgelaugt wie ich. Das kann ich daran erkennen, weil ihre Augen immer mal wieder für einige Sekunden zuflattern. Vermutlich haben wir uns in den letzten Tagen etwas zu viel zugemutet und mussten deshalb auf ein paar wichtige Stunden Schlaf verzichten.
„Können wir nicht einfach den nächsten Bus zurücknehmen?" Ich blinzele zu Sarina hinüber und beobachte sie dabei, wie sie sich den Schweiß von der Stirn wischt. Gut, dass Dawson sie nicht so zu Gesicht bekommt, denn sie sieht wirklich schrecklich aus – fast schon wie ein Zombie.
„Aufstehen, Leute!", klatscht Elayna plötzlich motiviert in die Hände. „Es geht weiter!" Ich stoße einen Seufzer aus und lasse mir von der Brünetten auf die Beine helfen. Vor lauter Erschöpfung taumele ich einen Schritt nach vorne und stütze mich dann an einem Mülleimer ab. „Schwächelst du etwa schon, Ken?" Wenn Blicke töten könnten, würde Elin spätestens jetzt unter der Erde liegen.
Die Blondine wirkt ausgeschlafen und ausgeglichen und scheint als Einzige nicht zu schwitzen. Auch wenn wir ihr gestern mehrmals gesagt haben, dass sie sich nicht hinter einer Maske verstecken muss, hat sie sich heute wieder viel zu viel Make-Up aufgetragen. Na ja, vielleicht hilft das ja gegen die Schweißausbrüche?!
Ich versinke in einem Strudel aus Gedanken und blende meine Umgebung aus. Meine Füße setzen automatisch einen Schritt vor den anderen und folgen somit Elin und Elayna. Die beiden spielen unsere Reiseleiter und führen uns durch enge Gassen.
Ohne Erfolg.
„Sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?", äußert Sarina irgendwann ihre Bedenken und bleibt einfach stehen. Sie stemmt die Hände in die Hüften und schließt für einen kurzen Augenblick ihre Lider. Eine Portion Schlaf würde ihr nicht schaden.
„Wir haben uns ganz bestimmt verlaufen", mische ich mich ein und fächele mir mit der Hand Luft zu. Die Hitze steht praktisch zwischen den ganzen Häusermauern, weshalb mittlerweile selbst Elin schwitzt. Anscheinend besitzt sie doch kein Wunder-Make-Up, das ich mir mal ausleihen könnte.
„Wir haben uns ganz bestimmt nicht verlaufen!", erwidert Elayna, während sie ihre Stadtkarte studiert. „Außerdem haben wir extra Einheimische nach dem Weg gefragt." Auf einmal wirkt sie nicht mehr so entschlossen, sondern dreht die Karte unschlüssig hin und her. „Theoretisch könnte es sein, dass wir in die falsche Richtung gelaufen sind."
Das darf doch wohl nicht wahr sein! All die Anstrengungen waren umsonst? Ich werfe meine Arme in die Luft und stöhne frustriert. Wir sind mindestens zehn Minuten in diese Richtung gelaufen und jetzt soll das auch noch der falsche Weg gewesen sein? Ich fasse es nicht.
Warum hasst uns das Karma heute so sehr?
„Gib mal her", murrt Alica genauso unzufrieden wie ich und reißt Elayna die Karte aus der Hand. Sie starrt mehrere Minuten auf den Stadtplan, ehe sie auf dem Absatz kehrt macht und in die entgegengesetzte Richtung weiterläuft.
Jetzt würde ich auch gerne Sarinas Plan mit dem Bus umsetzen.
Trotz meiner schlechten Laune verkneife ich mir einen Kommentar und folge stattdessen der Grünäugigen. Hoffentlich kann sie uns ohne weitere Zwischenfälle zu unserem Ziel führen. Noch mehr Hitze ertrage ich nicht.
-
Es dauert fast eine halbe Stunde – in der ich fast verdurstet bin – bis wir endlich vor dem riesigen Sportstadion ankommen. Schon hier draußen kann ich Stimmengewirr wahrnehmen und Fußballer über den Platz huschen sehen.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass die zweite Halbzeit erst vor fünf Minuten angepfiffen wurde. Uns bleibt also noch genügend Zeit, die Jungs aus dem Konzept zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie verlieren.
„Da vorne sind die Toiletten. Dort können wir uns umziehen." Ich folge Elaynas Zeigefinger und marschiere los. „Wir sollten uns beeilen, Mädels", raune ich und öffne meinen Rucksack, aus dem ich wenig später unsere Tiermasken und ein Megaphon hervorziehe.
Richtig interessant ist jedoch erst der Inhalt aus Elins Rucksack. Sie kramt fünf knallpinke Röcke und bauchfreie Tops hervor, die mehr als nur kitschig aussehen. Nichtsdestotrotz schnappen wir uns alle jeweils ein Outfit und ziehen uns um. Zusätzlich binden wir unsere Haare mit einer pinken Schleife zurück, setzen die Tiermasken auf und nehmen zwei Pompons in die Hand.
Als kleines Mädchen wäre ich wahrscheinlich total begeistert gewesen, aber aktuell fühle ich mich fast schon unwohl in diesem Aufzug. Alica ergeht es ähnlich, denn sie sagt: „Oh Gott, sehen wir albern aus."
„Denk einfach daran, wofür wir das machen. Dann ist es nicht mehr albern, sondern perfekt", grinst Elin verschwörerisch, als wir die Toiletten verlassen und auf das Spielfeld zusteuern. Die Fußballer hasten gerade über den Platz und schreien sich gegenseitig an. Ihre Schreie vermengen sich mit dem Gejubel der Zuschauer und den Anweisungen der Trainer.
Ich halte neugierig nach Cade Ausschau, sehe ihn allerdings nicht auf dem Feld. Der Braunhaarige sitzt mit Clay auf der Auswechselbank und verfolgt jede noch so kleine Bewegung seiner Teamkollegen.
Ob es wohl ein gutes Zeichen ist, dass er nicht auf dem Platz steht? Bedeutet das, dass Cade zu schlecht für den Kader ist? Zerplatzt sein Traum vom Fußballprofi gerade?
Ich hoffe es, denn das würde heißen, dass er dann doch genug Zeit für mich und unsere Beziehung hätte.
„Auf der anderen Seite ist noch etwas Platz", flüstert Sarina und deutet dabei auf die Gegengerade. Wir bahnen uns also unseren Weg durch die ganzen Zuschauer – die uns misstrauische Blicke zuwerfen – und positionieren uns schließlich am Rand des Fußballfeldes. Wenn man von den Tiermasken absieht, sehen wir vielleicht wie echte Cheerleader aus, aber das bedeutet keineswegs, dass wir uns auch so wie welche bewegen oder verhalten können.
Unser Plan ist ein anderer. Nicht anfeuern, sondern herunterziehen.
„Schaut mal!", reißt mich Elin in die Realität zurück. „Mein geliebter Ex Freund hat die Ehre, einen Freistoß zu schießen. Wir sollten ihn etwas unterstützen – meint ihr nicht auch?" Wir werfen uns einen vielsagenden Blick zu, ehe ich das Megaphon einschalte und zu meinen Lippen führe. Die Show kann beginnen.
„Gebt mir ein R!"
„R!"
„Gebt mir ein A!"
„A!"
„Gebt mir ein I!"
„I!"
„Gebt mir ein D!"
„D!"
„Gebt mir ein E!"
„E!"
„Gebt mir ein N!"
„N!"
„Und was kommt raus?"
„Loser!"
Wir springen jubelnd auf und ab und versuchen dabei den Blondhaarigen aus dem Konzept zu bringen. Sein verkniffener Gesichtsausdruck verdeutlicht, dass er uns gehört hat und ihn unsere Worte verärgert haben.
Raiden wartet dennoch auf den Pfiff des Schiedsrichters, bevor er gegen das Leder tritt und sein Ziel um mehrere Meter verfehlt. Der Ball fliegt mindestens fünf Meter über das Tor und landet direkt vor den Füßen eines kleinen Jungen. Ganz ehrlich? Das hätte selbst ich besser hinbekommen!
„Schlecht!", brülle ich deswegen in mein Megaphon und übertöne damit die Stimmen der anderen. Elins Ex Freund ballt wütend die Hand zu einer Faust und schenkt mir einen vernichtenden Blick. Ziemlich lustig, wenn man bedenkt, dass er mich noch vor zwei Tagen geküsst hat.
Tja, so schnell kann sich alles ändern.
Das Spiel nimmt irgendwie seinen Lauf und verlangt uns die übelsten Beschimpfungen ab. Wir rufen ständig etwas dazwischen, stimmen feindliche Lieder gegen England an und beleidigen unsere Ex Freunde. Zwischendurch bekommen wir zwar immer mal wieder böse Blicke zugeworfen, ignorieren diese jedoch gekonnt.
„Foul!", schreie ich und strecke meine Faust in die Höhe. „Das muss man doch sehen, Schiri! Rote Karte! Elfmeter!" Natürlich versteht mich der Schiedsrichter nicht, aber es macht trotzdem Spaß, mit willkürlichen Ausrufen um sich zu werfen – vor allem, weil mich die Fußballer total verwirrt anschauen.
„Wir sind doch alle sportlich, oder?" Ich drehe mich zu Elin und blinzele sie perplex an. Worauf möchte sie hinaus? „Wie wäre es mit einer typischen Cheerleader Pyramide?" Ich bin die Erste, die begeistert nickt, und werfe das Megaphon zu Boden. „Aber wir sind nur fünf und nicht sechs", runzelt Sarina die Stirn. „Ich kann eh nicht mitmachen", schaltet sich Elayna ein und deutet auf ihre linke Schulter. „Es tut zwar nicht mehr weh, aber mit einer ausgekugelten Schulter ist nicht zu spaßen."
„Wir müssen ja auch keine Pyramide machen. Wie wäre es, wenn sich stattdessen jemand auf unsere Hände stellt und wir diese Person in die Höhe strecken?" Trotz Alicas ungenauer Beschreibung weiß ich genau, was sie meint. „Ich erkläre mich freiwillig dazu bereit, oben zu stehen", zucke ich mit den Schultern und grinse. Ich habe eine gute Körperspannung, also sollte das nicht allzu schwer sein. Außerdem liebe ich neue Herausforderungen.
„Einverstanden."
Sarina, Elin, Alica und Elayna gehen in die Hocke und strecken mir ihre Hände entgegen. Vorsichtig setze ich meinen Fuß auf ihre Handflächen, drücke mich vom Boden ab und ziehe flink mein anderes Bein nach. Die Mädels reagieren zum Glück schnell genug und umfassen meine Knöchel. Als ich mich sicher genug fühle, richte ich mich langsam auf und strecke meine Arme in die Höhe.
„Zappele bitte nicht so viel herum, Romy!" Ich bemühe mich, Elaynas Aufforderung nachzukommen und verfolge möglichst starr das Fußballspiel – natürlich nicht, ohne blöde Bemerkungen abzugeben.
Wie es das Schicksal so will, kullert der Ball nach einigen Minuten direkt vor Sarinas Füßen ins Aus. Asher joggt in unsere Richtung und fährt sich einmal durch die Haare. Automatisch verstärkt sich Elaynas Griff um mein Fußgelenk. Ihr Ex Freund schenkt uns einen misstrauischen Blick, bevor er nach dem Ball greift.
Im selben Moment fliegt eine Biene neben Alicas Ohr her, sodass diese ängstlich um sich schlägt. „Leute!", keife ich panisch, doch es ist bereits zu spät. Die Mädels lassen mich los und treten einen Schritt zur Seite.
„Ah!"
Ich falle und suche nach Halt. Meine Fingerspitzen krallen sich in einen Stoff und ehe ich realisiere, was hier gerade geschieht, steht Asher nur noch in Boxershorts auf dem Platz.
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