43 - Sonnenaufgang
Romys POV
„Wow", raune ich verträumt und lege meinen Kopf auf Caspers Schulter ab. „Das ist wunderschön." Während ich das sage, starre ich fasziniert auf das Meer und beobachte den Sonnenaufgang. Es scheint, als würde sich die leuchtende Scheibe ihren Weg hinter der Wasseroberfläche bis hin zum Horizont suchen.
Ein unglaubliches Farbenspiel.
„Ich wusste, dass es dir gefallen würde", haucht der Blondhaarige neben mir und zieht mich noch ein bisschen näher an sich heran. Jetzt bin ich ihm so nahe, dass ich sein Parfüm riechen kann und mir einbilde, seinen gleichmäßigen Herzschlag zu spüren.
Ich mag Casper – daran gibt es keine Zweifel – aber ich mag ihn nicht auf dieselbe Art und Weise, wie ich Cade mag. Das war mir eigentlich von Anfang an klar, aber als mich der Grünäugige vor zwei Tagen erneut küssen wollte, wurde mir erst so richtig bewusst, dass niemand meinen Ex Freund ersetzen kann.
Cade ist der Einzige. Er ist mein Junge. Und nur er weiß, wie er mein Herz berühren kann.
„Du wirkst so nachdenklich", reißt mich Casper aus meinen Gedanken, indem er zwei Finger unter mein Kinn legt. „So kenne ich dich gar nicht, Romy." Ich schmunzele und schüttele den Kopf. „Wir kennen uns auch erst seit vier Tagen", kichere ich und erwidere seinen Blick. Casper hat wirklich wunderschöne Augen. Es ist kein langweiliges grün, sondern ein saftiges moosgrün vermischt mit hellen Sprinklern.
„Na und?", zuckt der Sportler mit den Schultern. „So wie du mich gerade ansiehst, habe ich das Gefühl, dich schon ewig zu kennen."
„Ach ja? Wie schaue ich dich denn gerade an?", hake ich neugierig nach und lege den Kopf schief.
Dieses Gespräch ist irgendwie anders. Sonst haben Casper und ich immer herumgealbert, doch jetzt gerade werden wir von unseren Emotionen geleitet. Wir sind einfach ehrlich zueinander.
„Du siehst mich so an, als würdest du Cade in mir sehen. Deine blauen Augen funkeln und sprühen vor Lebensfreude. Und obwohl du es zu verstecken versuchst, flimmert ein Funken Sehnsucht in ihnen."
Wow.
Ich öffne meinen Mund, nur um ihn gleich darauf wieder zu schließen. Ich weiß beim besten Willen nicht, was ich auf seine Worte erwidern soll. Das ist auch der Grund, weshalb ich meinen Blick von ihm abwende und stattdessen die Sonnenscheibe beobachte.
Als kleines Mädchen war ich im Sommer oft mit meinen Großeltern campen. Mein Opa hat mich dann immer früh am Morgen geweckt und ist mit mir auf den See rausgefahren. Von dort aus haben wir beinahe täglich den Sonnenaufgang beobachtet. Nachdem mein Opa dann an Herzversagen gestorben ist, hat Cade seinen Platz eingenommen.
Denke ich deshalb so viel an meinen Ex Freund? Weil ich sonst immer mit ihm den Sonnenaufgang beobachtet habe? Ein schlechtes Gewissen macht sich in mir breit.
„Denkst du, dass ich ein schlechter Mensch bin?" Ohne es kontrollieren zu können, gleiten die Worte wie kochendes Gift über meine Lippen. „Nein, natürlich nicht", beeilt sich Casper zu sagen. „Warum sollte ich das denken?" Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass er die Stirn runzelt und mich mit einem fragenden Blick bedenkt. Automatisch muss ich seufzen. „Du glaubst gar nicht, wie oft ich schon mit einem Filmriss aufgewacht bin."
„Da bist du bestimmt nicht die Einzige. Wahrscheinlich kannst du einfach noch nicht richtig einschätzen, wann es genug ist." Ich nicke, obwohl ich weiß, dass das gelogen ist. Ich kenne meine Grenzen, überschreite sie aber meistens extra. Vor allem seit der Trennung von Cade versuche ich mich und meine Gedanken in Alkohol zu ertränken.
Erfolglos.
„Ich habe mal Drogen genommen", murmele ich und knete dabei nervös meine Finger. „Zwar nur zweimal, aber ich habe es trotzdem getan."
„Viele Teenager probieren so etwas mal aus. Das macht dich nicht zu einem schlechten Menschen, Romy!"
„Aber dass ich mal Probleme mit der Polizei hatte, schon", erwidere ich und beiße mir auf die Unterlippe. Casper erscheint mir gerade als ein ziemlich guter Zuhörer, weshalb ich ihm von meiner nicht ganz so rosigen Vergangenheit erzählen möchte. Damit ist er neben Cade und Avery der Einzige, der einen Blick hinter meine Maske erhaschen darf.
„Warum hattest du mal Probleme mit der Polizei? Bist du ohne Licht gefahren oder was?" Ich ignoriere Caspers gekünsteltes Lachen und fahre mir durch die Haare. Ich wünschte, es wäre so etwas Banales gewesen, aber leider war es nicht so. „Nein", gebe ich also von mir. „Schlimmer. Viel schlimmer."
Anstatt mich nun von sich wegzustoßen, zieht mich der Blondschopf noch näher an sich heran. Er streicht zärtlich über meinen Rücken und malt Muster auf meine Haut. Auch wenn es nur kleine Gesten sind, gibt er mir damit eine Menge Kraft.
„Ich hatte falsche Freunde, aber das rechtfertigt unsere Taten keineswegs", beginne ich zögerlich. „Wir haben geklaut, Wände besprüht und teilweise auch randaliert." Der Sportler schluckt. „Ich wollte aufhören – das wollte ich wirklich – aber die anderen konnten das nicht zulassen. Eins führte zum anderen und ehe ich mich versah, stand die Polizei bei mir zu Hause auf der Fußmatte."
„Wie alt warst du da?"
„Fünfzehn. Es ist erst drei Jahre her." Ich bin absolut nicht stolz auf das, was ich getan habe, aber leider lässt sich die Vergangenheit nicht rückgängig machen. Wenn ich könnte, würde ich alles anders machen.
„Drei Jahre sind eine lange Zeit, Romy", wispert Casper und wischt mir eine Träne der Schwäche von der Wange. „Menschen ändern sich. Du hast dich geändert."
Habe ich das tatsächlich getan? Wie kann er sich da so sicher sein?
Ich habe Elins Ex Freund geküsst, nur um sie zu provozieren. Als Freundin macht man so etwas nicht, aber in dem Moment sind alle Sicherungen bei mir durchgebrannt. Das könnte daran liegen, dass mir meine alten Freunde damals auch heimlich nachspioniert haben, um mir letztendlich die Polizei auf den Hals hetzen zu können.
Vielleicht sollte ich mich bei Elin entschuldigen. Das wäre immerhin ein erster Schritt Richtung Veränderung.
„Hey." Casper dreht mein Gesicht zu sich und zwingt mich somit ihn anzusehen. „Du hast dich wirklich geändert, Romy. Ich bewundere dich. Du bist stark, clever, wunderschön, selbstbewusst, talentiert, sportl-"
„Hör auf", unterbreche ich ihn lächelnd und boxe ihm sanft gegen den Oberarm. „Du musst dich nicht einschleimen. Ich mag dich auch so irgendwie." Caspers Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen – ein Hauch Arroganz ist ebenfalls zu sehen. „Jeder mag mich!"
„Ja ja und Einbildung ist auch eine Bildung, richtig?"
„Ganz genau."
Für einen kurzen Moment herrscht wieder Schweigen, in dem jeder seinen eigenen Gedanken nachhängt. Ich bin Casper unglaublich dankbar, dass er mich nicht verurteilt. Wir kennen uns eigentlich so gut wie gar nicht, aber vielleicht ist es auch genau das, was unsere Freundschaft prägt.
„Danke", wispere ich schließlich und hauche dem Grünäugigen einen Kuss auf die Wange. „Für alles." Er lächelt bloß und nickt. Dann sagt er: „So gefühlvoll kenne ich dich auch noch nicht. Du steckst voller Überraschungen."
„Es wäre ja auch langweilig, wenn du mich wie ein offenes Buch lesen könntest." Mit diesen Worten löse ich mich aus seinen Armen und streife mir das Langarmshirt über den Kopf. Danach schlüpfe ich aus meinen Sandaletten und ziehe mir die Jogginghose aus.
„Was zur Hölle machst du da?", fragt mich Casper entgeistert, während er mich mit aufgerissenen Augen anstarrt. Auch wenn er es vermutlich nicht so auffällig machen möchte, scannt er meinen Körper von oben bis unten ab. „Soll das hier eine Strippshow werden oder was?" Ich werfe den Kopf in den Nacken und lache. Davon kann er noch lange träumen.
„Ich würde niemals strippen, Kasperleinchen, und erst recht nicht für dich", mache ich meinen Standpunkt klar und binde mir die Haare zu einem Pferdeschwanz zurück. „Aber ich würde hier und jetzt mit dir schwimmen gehen." Ich deute Richtung Meer und zwinkere verschwörerisch.
Ein Punkt auf meiner eigentlich nicht vorhandenen To-Do-Liste ist es, nur in Unterwäsche im Meer zu schwimmen. Aber ganz ehrlich? Ich glaube, das möchte fast jeder Mensch mal machen.
„Du bist doch verrückt!", murmelt der Sportler und entledigt sich endlich seiner Kleidung. „Nicht verrückt", korrigiere ich ihn sofort. „Nur für eine Überraschung gut." Daraufhin verflechte ich meine Finger mit seinen und renne los. Unsere Füße versinken im Sand, bis sie von Wellen umspielt werden. „Huch", stoße ich einen überraschten Ton aus. „Ganz schön kalt."
Das scheint Casper wohl genauso zu sehen, denn er steht zitternd neben mir und nickt mit großen Augen. Sein Körper ist bereits mit einer feinen Gänsehaut überzogen. „Komm schon", ziehe ich ihn trotzdem weiter ins Wasser hinein. „Wie oft wirst du noch die Chance haben, während des Sonnenaufgangs im Meer zu schwimmen?"
„Um ehrlich zu sein noch die nächsten drei Wochen." Ich lege meine Stirn in Furchen und mustere den Sportler von der Seite. Was macht er denn noch so lange in Spanien? Casper scheint meinen fragenden Blick zu bemerken, weshalb er mich aufklärt: „Dawson und ich sind hier für einen Monat im Trainingslager. Wir machen beide Zehnkampf, wobei ich eindeutig der Schlechtere bin."
„Ich sehe euch aber fast nie zusammen."
„Wir sind Jungs. Wir hängen nicht so wie ihr Mädchen den ganzen Tag aufeinander. Wenn wir uns kurz abends treffen, reicht das völlig aus." Ich nicke verstehend, ehe ich Casper mit Wasser nass spritze. Er quietscht unmännlich und möchte zum Strand zurückrennen, stolpert jedoch dabei und landet mit einem lauten Platsch im Wasser.
„Oh Gott!", lache ich und halte mir den Bauch. „Das war absolut filmreif. Du solltest echt Schauspieler oder Comedian werden." Der Blondschopf gibt bloß ein Brummen von sich und streicht sich die Haare aus der Stirn. „Ich hasse Wasser!", bibbert er verärgert und schlingt fröstelnd seine Arme um den Oberkörper.
„Soll ich dich aufwärmen?"
„Ja, bitte!" Ich gehe langsam auf Casper zu, nur um direkt vor ihm stehen zu bleiben und ihn erneut mit Wasser nass zu spritzen. „Ich muss mich korrigieren!", kreischt er und tunkt mich im Gegenzug einmal unter Wasser. „Ich möchte nie wieder im Meer von dir aufgewärmt werden!"
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