15 - Herzschmerz
Elins POV
Meine Armbanduhr zeigt gerade mal halb sieben an – und damit meine ich nicht abends – als ich mich auf der Tribüne des Laufstadions niederlasse. Um unerkannt zu bleiben, habe ich mir eine Sonnenbrille und einen albernen Strohhut, den ich neben einer Mülltonne gefunden habe, aufgesetzt. Zudem trage ich ein altes, verwaschenes Shirt, eine kurze Hose und meine abgetragenen Vans.
In diesem Aufzug würde mich Raiden niemals erkennen. Ich erkenne mich ja fast selber nicht wieder.
Kaum habe ich einen Gedanken an meinen Ex Freund verschwendet, betritt er auch schon mit ein paar anderen Jungs die Laufbahn. Sie unterhalten sich und stellen dann ihre Wasserflaschen auf einer Bank ab.
Dank Alica weiß ich, dass die Fußballer jetzt eine Stunde Lauftraining haben, bevor sie sich dann erst wieder heute Nachmittag auf dem Sportplatz einfinden müssen, um Fußball zu spielen. Das ist also gerade die perfekte Gelegenheit für mich, Raiden zu beobachten. Natürlich wäre ein bisschen mehr Schlaf auch nicht schlecht gewesen, aber ich habe sowieso keinen Schönheitsschlaf mehr nötig.
Optisch bin ich eine Zehn von Zehn.
„Kommt mal alle her!", klatscht der Bundestrainer auf einmal so laut in die Hände, dass ich zusammenzucke, und pustet danach in seine Trillerpfeife. Die Fußballer joggen eher etwas unmotiviert zu ihrem Coach und versammeln sich in einem Halbkreis vor ihm. Der Mann erklärt etwas, doch ich sitze zu weit weg, um ihn zu verstehen.
Ich habe mich ganz oben auf der Tribüne verschanzt, sodass ich einen ausgezeichneten Überblick über die Laufbahn habe. Außerdem sinkt somit das Risiko von Raiden erkannt zu werden, da er kurzsichtig ist.
Der Bundestrainer klatscht erneut in die Hände, woraufhin sich die Jungs in Bewegung setzen. Sie joggen langsam los und unterhalten sich dabei. Mich würde mal interessieren, über welche Themen sie so sprechen. Ich grinse und suche mit meinen Augen nach Raiden. Er hat sich im Mittelfeld positioniert und läuft neben einem Jungen, dessen Arme von oben bis unten tätowiert sind. Damals mochte ich Tattoos nicht, aber mittlerweile finde ich sie attraktiv.
Nach dem Einlaufen dehnen sich die Jungs, ehe sie sich an der Startlinie aufstellen müssen. Ein Pfiff ertönt und schon laufen die Fußballer los. Im Gegensatz zu eben wird das Tempo nun drastisch erhöht.
Ein dunkelhäutiger Junge läuft schnell einen Vorsprung auf die anderen heraus und lässt sich bei seinem Vorhaben nicht aus dem Konzept bringen. Nach der vierten Runde hat er bereits die ersten überrundet. Raiden ist ebenfalls ganz gut unterwegs und beginnt nun seine fünfte Runde. Vor ihm sind nur noch drei andere Jungs, von denen er zwei locker überholen könnte.
In seinem alten Verein war mein Ex Freund angeblich immer der Schnellste. Ich habe es zwar nie geschafft, bei einem seiner Spiele zuzugucken, aber dass er schnell ist, wusste ich schon immer. Raiden hat öfter versucht, mich zu überreden bei seinen Spielen zuzuschauen, doch mir ist leider jedes Mal etwas Wichtigeres dazwischengekommen. Außerdem ist Fußball so ziemlich die langweiligste Sportart, die es gibt.
Raiden ist sportbegeistert und ich bin modebegeistert. Irgendwie haben sich diese beiden Komponenten nie miteinander vereinbaren lassen.
„Noch eine Minute!", reißt mich die Stimme des Bundestrainers in die Realität zurück. „Gebt nochmal alles!" Nicht nur Raiden, sondern auch alle anderen Jungs beschleunigen ein letztes Mal ihr Tempo und legen in dieser Minute mehrere hundert Meter zurück. Alleine schon vom Anschauen wird mir ganz mulmig zumute.
Ich hasse Sport.
Sobald der erlösende Pfiff ertönt, lassen sich die Sportler auf den Boden fallen und wischen sich den Schweiß von der Stirn. Der Bundestrainer hingegen geht mit einem Klemmbrett herum und notiert sich bei jedem Jungen etwas. Wahrscheinlich die gelaufene Runden- oder Meteranzahl.
Die letzte halbe Stunde joggen die Fußballer locker ihre Runden um den Platz und legen beim Ertönen des Pfiffs einen kurzen Sprint hin. „Gut gekämpft", lobt der Trainer seine Schützlinge, bevor er sie mit einer Handbewegung zu den Duschen scheucht. Ich warte noch zwei Minuten und verlasse dann ebenfalls das Laufstadion.
Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, Raiden zu beobachten. In seinen Sportsachen sieht er einfach unverschämt gut aus.
„Hat dir gefallen, was du gesehen hast?", spricht plötzlich jemand meine Gedanken aus, sodass ich zusammenzucke und mit klopfendem Herzen herumwirbele. Vor mir steht ein großgebauter Junge mit Locken und karamellfarbenen Augen. Als er meinen intensiven Blick bemerkt, hebt er sein T-Shirt an und wischt sich mit dem Saum den Schweiß aus seinem Gesicht.
Nettes Sixpack.
„Hab schon bessere Athleten gesehen", lüge ich, während ich mich möglichst unauffällig umschaue. Wie es scheint, ist Raiden schon unter der Dusche verschwunden. „Das glaube ich dir nicht", erwidert der fremde Junge lachend und wackelt mit den Augenbrauen. „Niemand ist besser als ich. Dein Blick sagt mir, dass ich Recht habe." Ich verschränke die Arme vor der Brust und lege den Kopf schief. Noch so ein eingebildeter Idiot wie Dawson.
„Ich kann dich auch gerne von meinem Körper überzeugen. Und damit meine ich nicht nur von meinem Waschbrettbauch."
„Tz", rolle ich mit meinen Augen. „Danke, aber nein danke." Ich möchte mich zum Gehen abwenden, werde allerdings zurückgehalten. „Ich bin übrigens Zander. Es wäre eine Schande, wenn du ohne meinen Namen verschwinden würdest", streckt mir der Braunäugige seine Hand entgegen und lächelt charmant. „Und wer bist du?"
„Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, bin ich dein schlimmster Albtraum", lächele ich zuckersüß zurück und wickele mir eine Haarsträhne um den Finger. Unter anderen Umständen hätte ich mich sogar auf Zander und seine Flirtversuche eingelassen, aber heute gilt meine Aufmerksamkeit Raiden. Ich muss wissen, ob er sich hier mit anderen Mädchen vergnügt oder ob wir immer noch eine Chance auf eine gemeinsame Zukunft haben.
Ich kann ihn nicht aufgeben. Nicht ohne zu kämpfen.
Ich lasse den Fußballer sprachlos hinter mir und suche mir ein Versteck am Ausgang. Es dauert nicht lange, da kommt Raiden auch schon mit Zander und dem dunkelhäutigen Wunderläufer vom Sportplatz. Die drei schlendern nebeneinander her und steuern den Strand an. Nichts wie hinterher!
„Ich sag's euch, das war voll die eingebildete Tussi. Was fällt der überhaupt ein, mich einfach stehenzulassen?!", beschwert sich Zander bei seinen Freunden über mich und gestikuliert dabei wild mit seinen Armen herum. Meine Abfuhr kratzt wahrscheinlich an seinem Ego.
Ich folge den Jungs unauffällig zum Strand und setze mich dann mit einem Sicherheitsabstand in den Sand. Natürlich gilt meine Aufmerksamkeit nur Raiden. Er zieht sich gerade sein Tanktop über den Kopf und mustert dabei ein Mädchen. Sie lächelt ihn bloß schüchtern an, was er mit einem breiten Grinsen erwidert.
Scheiß Liebe.
Ich kann das Ziehen in meiner Brust nicht ignorieren und stöhne frustriert. Verschwendet Raiden überhaupt eine einzige Sekunde am Tag an mich? Wie es scheint, kann mich jedes beliebige Mädchen, das einigermaßen passabel aussieht, ersetzen. Ich hoffe, dass meinem Ex Freund bewusst ist, dass er mit Kopien flirtet. Das Original hat er verloren.
Gerade als ich denke, dass es nur bei ein paar anzüglichen Blicken bleibt, fährt sich Raiden durch die Haare und steuert dann auf das brünette Mädchen zu. Leider kann ich nicht verstehen, worüber sie reden, aber sie stehen nun gemeinsam auf und laufen Hand in Hand ins Meer.
Dieser Anblick schmerzt so sehr, dass eine Träne über meine Wange kullert. Wie kann man nur so verdammt arschig sein? Ich ärgere mich über mich selber, dass ich auf diesen Idioten reingefallen bin. Raiden scheint sein Singleleben in vollen Zügen auszukosten.
Doch was er kann, das kann ich schon lange. Ich muss nur einmal mit dem Finger schnipsen und schon kann ich mir einen von unzähligen Jungs aussuchen. Raiden kommt zwar gut bei Mädchen an, aber dafür komme ich mindestens genauso gut bei Jungs an. Ich habe die Rundungen an den richtigen Stellen – mehr sage ich dazu nicht.
Immer noch deprimiert, dass mein Ex mit anderen Mädchen flirtet, erhebe ich mich und klopfe mir den Sand von der Kleidung. Ich werde jetzt erstmal zu den anderen Mädels gehen und ihnen von meiner Entdeckung berichten. Vielleicht haben sie ja eine gute Idee, wie ich es Raiden heimzahlen kann.
„Oh, mein schlimmster Albtraum verfolgt mich anscheinend schon." Genervt drehe ich mich zu Zander und schenke ihm ein falsches Lächeln. Ich habe gar nicht bemerkt, dass er zu mir gekommen ist. „Weißt du, ich überlege gerade, wie ich deinen Tod wie einen Unfall aussehen lassen kann", behaupte ich und stapfe wütend durch den Sand.
Ich hätte ehrlich gesagt damit gerechnet, dass mich Raiden wenigstens ein bisschen vermisst, aber ich habe mich getäuscht. Für ihn war der Schlussstrich unserer Beziehung wohl endgültig.
„Du bist eine richtige Tussi!"
„Und du ein Arsch! Geh zu deinem noch viel arschigerem Freund Raiden zurück oder schnapp dir auch irgendein Püppchen, das du dann heute Abend flachlegen kannst", rede ich mich in Rage und balle meine Hände zu Fäusten. Mein Herz schmerzt so sehr, dass ich gar nicht mehr darauf achte, was ich überhaupt sage.
„Warte mal", unterbricht mich Zander skeptisch. „Woher kennst du Raiden?" Ich bemerke erst jetzt, dass ich mich verplappert habe. Shit. Ich versuche die Situation zu retten, indem ich mit den Schultern zucke und verschwörerisch raune: „Tja, das bleibt wohl mein Geheimnis."
„Bist du eine kranke Stalkerin?"
„Nein!"
„Was bist du dann?"
„Jemand, der dich gleicht schlägt, wenn du nicht die Klappe hältst und wieder abzischst!"
Ich drängele mich an dem Schwarzhaarigen vorbei und mache mich auf den Rückweg zum Hotel. Ich möchte Rache ausüben. Nicht nur an Raiden, sondern auch an den Ex Freunden von Romy, Sarina, Alica und Elayna. Jungs sind sowieso alle gleich. Schwanzgesteuert, hirnlos und blöd.
Kurz bevor ich das Hotel erreiche, werde ich zu meinem Leidwesen von Dawson abgefangen. Der Junge klebt uns wie eine Klette am Arsch und das nervt mich. „Guten Morgen", lächelt er mich an. „Gut geschlafen?" Mit gerunzelter Stirn mustere ich ihn. Seit wann ist er denn so nett zu mir? „Das steht dir nicht", murmele ich. „Sei einfach wieder so dämlich wie immer."
„So dämlich kann ich ja gar nicht sein, denn ich habe dir schon zweimal den Hintern gerettet, Elin." Ich weiß, dass Dawson Recht hat, aber um ihm das nicht unter die Nase zu reiben, zucke ich mit den Schultern und gebe ein sarkastisches „Toll" von mir. „Toll", äfft er mich nach und verdreht seine Augen.
Bitte lieber Gott, verschone mich von diesem Idioten und lass ihn irgendwie verschwinden. Es reicht schon, wenn ich mich mit meinem Idioten von Ex Freund herumschlagen muss.
„Was willst du überhaupt hier? Sarina ist doch eine Langschläferin oder nicht?"
„Ich wollte eigentlich gar nicht zu Sarina, sondern zu dir." Okay, jetzt bin ich verwirrt. „Zu mir?", wiederhole ich misstrauisch und verschränke die Arme vor der Brust. Was sollte Dawson von mir wollen, außer sich ein paar Kontersprüche abzuschauen?
„Dir ist anscheinend gestern etwas aus der Tasche gefallen. Ich wollte es dir nur schnell zurückgeben." Der Braunäugige hält mir ein Foto von Raiden und mir vor die Nase, auf dem wir uns küssen. Bis gestern war das Bild noch in meinem Portmonee, aber anscheinend ist es herausgefallen.
Das kommt mir gerade recht.
Ich nehme das Foto an mich und zerreiße es. Raiden ist für mich gestorben. Soll er sich doch ein paar andere Mädels anlachen und sie aus Versehen schwängern. Mir ist das egal. „Du hättest das Foto direkt in der Toilette runterspülen können", säusele ich und werfe die Papierschnipsel wie buntes Konfetti in die Luft.
Das war es nun endgültig mit unserer Beziehung.
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