13 - Flucht
Romys POV
„Ich könnte einen ganzen Bären verschlingen", stöhne ich und reibe mir über den Bauch. „Und wenn wir noch länger warten, vielleicht sogar zwei." Dawson ist der Einzige, der etwas auf meine Bemerkung erwidert. „Arme Romy", verstellt er seine Stimme und tätschelt meine Wange. „Bekommt nichts zu essen und fängt gleich an, zu weinen."
Dass ich tatsächlich schon öfter geweint habe, weil ich Hunger hatte, muss er ja nicht unbedingt wissen. Also verdrehe ich nur die Augen und boxe ihm halbherzig gegen den Arm.
Wenn ich eine Sache in der kurzen Zeit über Dawson gelernt habe, dann ist es sein Talent, andere Leute zu provozieren. Er hat einfach immer einen guten Spruch auf Lager und kann in jeder Situation einen passenden Konter nennen.
Eine sehr beneidenswerte Eigenschaft, wenn ihr mich fragt.
„Ich habe aber auch echt Hunger", murmelt Alica kleinlaut, wofür sie einstimmiges Nicken von Sarina und Elayna erhält. Anscheinend muss gleich eine ganze Bärenfamilie dran glauben, wenn wir nicht schleunigst etwas Essbares vor uns stehen haben.
„Können wir nicht einfach in dieses Restaurant gehen? Sieht doch ganz nett aus", frage ich hoffnungsvoll und deute auf die Glastür neben mir. Je länger wir durch die Innenstadt laufen, umso schlechter wird meine Laune und desto hungriger werde ich.
„Mir reicht's auch", seufzt Elin und nimmt den anderen die Entscheidung meiner Frage ab, indem sie die Tür aufstößt. „Kommt schon!" Ohne noch mehr Zeit zu vertrödeln, eile ich ihr hinterher und begrüße die Kellner mit einem „Hola". Dann suchen wir uns einen Tisch und lassen uns erschöpft auf die Stühle plumpsen. Endlich sitzen. Ich hätte keine Sekunde länger wie eine Irre durch die Stadt laufen können.
„So, was möchten meine hübschen Begleiterinnen denn trinken?", fragt Dawson schmunzelnd in die Runde. „Vielleicht Wodka und Martini?" Alleine schon die Erwähnung von Alkohol reicht aus, dass ich mein Gesicht verziehe und Würggeräusche von mir gebe. Im Gegensatz zu den anderen bin ich zwar die Einzige, die keine Kopfschmerzen hat, aber in Topform bin ich auch nicht. „Oder ein schönes Konterbier?"
„Wow, du bist ja ein richtiger Witzbold, Dawson", gibt Sarina augenverdrehend von sich. „Pass bloß auf, dass du nicht derjenige bist, der heute kotzend über einem Mülleimer endet." Ich schaffe es nicht, mir ein hinterhältiges Grinsen zu verkneifen, denn ich würde Dawson wirklich mal gerne betrunken erleben.
Hätte er dann immer noch so coole Sprüche auf Lager?
„Keine Sorge, ich passe auf, Sarina. Dann solltest du aber im Umkehrschluss aufpassen, dass du dir nicht noch mehr Haare abschneidest", erwidert der Sportler und wackelt mit den Augenbrauen. Sein Witz kommt nur so semi-gut bei Sarina an. „Das ist nicht lustig!", zickt sie zurück und versucht Dawson mit ihrem eisigen Blick zum Schweigen zu bringen.
„Aber funny."
Die Braunäugige ist kurz vorm Platzen. „Du bewegst dich gerade auf sehr dünnem Eis, du Idiot", mischt sich Elin ein und wirft Sarina einen vielsagenden Blick zu. „Und du scheinst außerdem vergessen zu haben, dass wir in der Überzahl sind."
„Ganz ruhig. Fahr lieber die Krallen ein", hebt Dawson beschwichtigend die Hände in die Höhe. „Lasst uns einfach etwas zu Essen bestellen und den Abend harmonisch ausklingen lassen." Kaum hat er seinen Satz beendet, gesellt sich ein Kellner zu uns. Er begrüßt uns auf Spanisch und reicht uns die Speisekarte.
„¿Qué queréis beber?", fragt er uns freundlich und schaut uns der Reihe nach an. Gott sei Dank verstehen Elin und Elayna spanisch, ansonsten wären wir ziemlich aufgeschmissen. „Was möchtet ihr trinken?", übersetzt uns die Blondine die Frage und antwortet dann selber: „Tomo un zumo de naranja."
„Ein Wasser."
„Eine Apfelschorle."
„Ein alkoholfreies Bier."
Elin und Elayna geben unsere Bestellungen weiter, wobei Erstgenannte eindeutig mit dem Kellner flirtet. Er ist ungefähr in unserem Alter, hat gebräunte Haut, dunkelblondes Haar und eisblaue Augen. Er ist zwar attraktiv, aber kein Vergleich zu Cade.
Mir fällt auf, dass es egal ist, wie attraktiv oder humorvoll ein Junge ist, denn ich möchte nur meinen Ex Freund zurück. Einen anderen Partner an meiner Seite kann ich mir nicht vorstellen.
Bevor ich mich noch weiter in meinen Gedanken verzetteln kann, werfe ich einen Blick auf die Speisekarte und stöhne genervt. Ich verstehe kein Wort. „Oh man, ich glaube, Romy weint gleich", grinst Dawson und streckt mir die Zunge entgegen. Dafür fängt er sich erneut einen Hieb gegen den Oberarm ein. „Pizza salami", murmele ich und lächele. Endlich ein Wort, das ich verstehe. „Leute-", setze ich gerade begeistert an, werde allerdings von Alica unterbrochen.
„Seid leise, dreht euch nicht um und versteckt euch irgendwie", wispert sie nervös und hält sich die Speisekarte vor das Gesicht. Ihre Finger zittern und ich kann sehen, dass sich ihre Brust in unregelmäßigen Abständen hebt und wieder senkt. Was ist der Auslöser für ihre panische Reaktion?
„Wer oder was ist da?", wende ich mich an Dawson und starre angestrengt nach vorne. Ich würde mich unheimlich gerne umdrehen, doch Alicas immer zittriger werdende Hand hält mich davon ab. Sarina und Elayna haben sich ebenfalls hinter ihren Speisekarten versteckt und Elin tut so, als ob ihr Schuhband aufgegangen wäre.
„Wenn mich nicht alles täuscht, sind das die Fußballer."
Was?
Ich verschlucke mich vor Schock an meiner eigenen Spucke und huste laut los. Sofort klopft mir Dawson auf den Rücken und zischt: „Sei nicht so auffällig!" Alles klar, dann ersticke ich halt weniger laut.
„Achtung! Sie gehen an unserem Tisch vorbei", warnt uns der Sportler und drückt gleichzeitig meinen Kopf unter die Tischplatte. Ich schnappe empört nach Luft und möchte mich bei ihm beschweren, doch da hält mir auch schon Elin ihre Hand vor den Mund. „Pst", zischt sie und funkelt mich wütend an. „Die dürfen uns nicht sehen."
Es brennt mir auf der Zunge, einen blöden Spruch zu erwidern, aber mit Mühe und Not schlucke ich ihn hinunter. Wir haben gerade ganz andere Probleme. Wie sollen wir hier bloß ungesehen rauskommen? Oder müssen wir uns so lange unter dem Tisch verstecken, bis die Fußballer wieder gehen?
„Las bebidas", nehme ich die Stimme des Kellners wahr und schlucke. Er möchte bestimmt unsere Essensbestellung aufnehmen. „Shit", flucht Elin neben mir. Wahrscheinlich hat sie denselben Gedanken wie ich. Ganz zu unser beider Überraschung unterhält sich Dawson mit dem Kellner auf Spanisch, sodass ich einige Sekunden später Schritte höre, die sich von unserem Tisch entfernen. Ich weiß zwar nicht, was er gesagt hat, aber immerhin konnte er den Kellner zufriedenstellen.
„Was sollen wir jetzt machen?" hauche ich leise und ziehe vorsichtig an Sarinas Bein. Sie duckt sich zu uns nach unten, Alicas und Elaynas Köpfe folgen. „Wir müssen uns irgendwie rausschleichen."
„Aber wie?"
Ich zucke mit den Schultern. Ich wollte doch einfach nur etwas essen und mich nicht mit irgendwelchen Jungs befassen müssen, die Fußballprofi werden wollen. Was für ein riesiger Zufall ist es überhaupt, dass die Jungs im selben Restaurant sind, wie wir?
Anscheinend spielt uns unser Karma gerade ganz miese Streiche.
„Vielleicht sehen sie uns nicht, wenn wir über den Boden robben", überlegt Alica. Die Idee ist gar nicht mal so schlecht. „Ich versuche einfach mal mein Glück", murmelt Elin und krabbelt von ihrem Stuhl. Dann legt sie sich mit dem Bauch auf den Boden, wirft uns einen letzten Blick zu und robbt aus dem Versteck.
Oh bitte, liebes Karma, fall uns nicht erneut in den Rücken!
Die Blondine kriecht flink über den Boden – dabei ignoriert sie hoffentlich die verstörten Blicke der anderen Gäste – und verschwindet bereits nach wenigen Sekunden hinter einer Ecke. „Sie hat es geschafft", atmet Elayna erleichtert aus und hebt ihren Kopf. Dabei stößt sie gegen die Tischplatte und gibt einen quietschenden Laut von sich. „Shit, sorry", flucht sie und reibt sich den Hinterkopf.
Wir warten noch einen kurzen Moment, ob niemand auf unser Versteck aufmerksam geworden ist, ehe ich raune: „Die Luft ist rein, Alica." Die Grünäugige legt sich ebenfalls auf den Bauch und robbt über die Fliesen. Auch sie schafft es ungesehen hinter die Ecke.
„Clay wird mich mit den kurzen Haaren sowieso nicht erkennen", meint Sarina und klettert unter dem Tisch hervor. Mir gestrafften Schultern und schnellen Schritten stolziert sie aus dem Raum. Bleiben also nur noch Elayna und ich übrig.
„Hey, bist du nicht der Typ, der uns gestern mit Wasserbomben abgeworfen hat?"
Augenblicklich rutscht mir mein Herz in die Hose hinab. Warum zur Hölle spricht Cade mit Dawson? Ich merke, wie ich unruhig werde und Panik in mir aufkeimt. Mein Ex Freund müsste nur die Tischdecke anheben und schon wäre meine Reise nach Spanien für die Katz gewesen.
„Da musst du etwas falsch verstanden haben, Kumpel. Ich wollte die Mädchen aufhalten", räuspert sich Dawson nach einer Weile.
„Ach ja? Und warum bist du dann auch weggelaufen?"
„Weil ich mir schon gedacht habe, dass ihr mich sonst auch für schuldig befindet", lügt der Sportler. „Aha", gibt mein Ex Freund nicht gerade überzeugt von sich. Kann er nicht einfach wieder gehen? „Wo sind denn die fünf Mädchen, mit denen du eben am Tisch saßt? Waren das die Fünf von gestern?"
„Die sind auf's Klo gegangen. Du weißt ja, wie Mädchen ticken – die können nichts alleine machen", lacht Dawson. „Und nein, das sind natürlich nicht die Fünf von gestern, sondern meine Cousine und ihre Freundinnen. Wir wollen gleich noch zu einer Party weiter."
Die Luft unter dem Tisch wird immer dünner. Vorsichtig beuge ich mich zu Elayna und raune beinahe lautlos in ihr Ohr: „Wir müssen hier weg." Die Brünette nickt. „Wir können aber nicht", erwidert sie schließlich und deutet auf Cades Sneaker. Er darf mich auf keinen Fall sehen!
„Versteckt sich da etwa jemand unter dem Tisch?"
„Äh, nein!", schreit Dawson viel zu schnell und viel zu hysterisch. Im nächsten Moment wird die Tischdecke angehoben, sodass Elayna und ich aus unserem Versteck stolpern und aus dem Saal stürmen. Ich rempele dabei aus Versehen einen Kellner an und werde mit Getränken überschüttet. „Fuck", fluche ich, renne allerdings weiter. Ich erreiche den Ausgang, stoße die Tür auf und taumele der Abendwärme entgegen.
Das war verdammt knapp. Außerdem kann ich nicht garantieren, dass mich Cade nicht erkannt hat. Jetzt gilt es wohl, zu hoffen.
„Nichts wie weg hier!" Elin schnappt sich meine Hand und schon rennen wir orientierungslos durch eine fremde Stadt.
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