10 - Trinkspiele
Alicas POV
Es ist mittlerweile halb elf am Abend und ich sitze mit den Mädels am Strand. Wir haben es uns auf einer Picknickdecke bequem gemacht und unterhalten uns über den Tag. Das wutverzerrte und vor allem nasse Gesicht des Bundestrainers werden wir wohl so schnell nicht vergessen können.
Ich frage mich immer noch, wie Elayna es geschafft hat, den Platzwart von unserer Idee zu überzeugen. Leider will sie es uns nicht verraten und besteht darauf, dass es ihr Erfolgsgeheimnis bleibt.
„So Leute, es wird Zeit für eine Runde Never have I ever", grinst Romy und drückt jedem von uns ein kleines Pinnchen aus Plastik in die Hand. Anfangs habe ich mich beim Einkauf dagegen gewehrt, da ich bewusst auf Plastik verzichte, doch letztendlich war meine Widerrede zwecklos. Also muss ich heute nach fast zwei Jahren eine Ausnahme machen.
„Das ist außerdem die perfekte Chance, damit wir uns besser kennenlernen können." Ich nicke nur und nehme der Brünetten die Flasche Apfelkorn ab.
Nachdem wir die Fußballer auf dem Sportplatz – wohlbemerkt klitschnass – zurückgelassen haben, haben wir einen Abstecher zum Supermarkt gemacht und uns Alkohol besorgt. Natürlich möchten wir uns weiterhin an den Jungs rächen, aber dabei darf unser Spaß auch nicht zu kurz kommen.
„Seid ihr alle bereit?", grinst uns Elin an und wackelt spielerisch mit den Augenbrauen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie und Romy am meisten Alkohol vertragen. Ich hingegen bin immer relativ schnell angeheitert. „Stell endlich die erste Frage, Barbie! Ich will wieder besoffen sein! Ist schon viel zu lange her." Jetzt heißt es nur noch beten, dass die Fragen nicht komplett aus dem Ruder laufen.
„Ich hab noch nie so viel getrunken, dass ich am nächsten Morgen einen Filmriss hatte." Romy, Elin und zu meiner Verwunderung auch Sarina kippen ihren ersten Shot herunter. Interessant.
„Ich hab noch nie Drogen genommen", werfe ich die nächste Behauptung in die Runde und beobachte die anderen. Tatsächlich trinkt Romy erneut. Wir schauen sie alle etwas überrascht an, weshalb sich ihre Wangen rot färben. „Chillt mal", rollt sie mit den Augen. „Ich habe nur einmal Drogen genommen und das ist jetzt auch schon drei Jahre her. Ich war jung und naiv und wollte das unbedingt mal ausprobieren." Sie zuckt mit den Schultern und füllt dann ihr Pinnchen auf.
Ehrlich gesagt finde ich es nicht gut, dass sie dieses Thema so herunterspielt. Erst letztes Jahr ist ein Junge auf meiner Schule an einer Überdosis Kokain gestorben. Man sollte vorsichtig mit dem Zeug sein.
„Ich hab noch nie jemanden geküsst und es danach bereut." Ich greife ebenso wie die anderen nach meinem Schnapsglas und lasse den süßen Alkohol meinen Rachen hinunterrinnen. Es ist schon ziemlich lange her, als ich das letzte Mal Hochprozentiges getrunken habe.
Wahrscheinlich war es an Silvester, wo sich Jonah übergeben hat. Irgendwie tat er mir so leid, dass ich ihn nach seinem Date mit der Toilette geküsst habe und bei Gott – ich bereue es bis heute.
„Ich hab noch nie bei einer Prüfung gemogelt", säuselt Elayna und stößt mit Romy an. Wir anderen tun es ihr gleich und spüren erneut das Prickeln auf unserer Zunge.
„Ich hab noch nie Probleme mit der Polizei gehabt." Mal wieder ist Romy die Einzige, die einen Shot trinkt. Ich bin zwar neugierig, was sie angestellt hat, belasse es aber dabei. Sie soll uns nur davon erzählen, wenn sie das auch möchte. „Falsche Freunde und so", winkt sie ab und schaut dann erwartungsvoll zu Elin, die die nächste Aussage machen darf.
„Ich hab noch nie einen Dreier gehabt." Ich verschlucke mich beinahe an meiner eigenen Spucke und reiße die Augen auf. Dieses Spiel verläuft gerade eindeutig in die falsche Richtung. „Niemand?", hakt Elin enttäuscht nach und runzelt die Stirn. „Wie langweilig." Daraufhin leert sie ihr Pinnchen in einem Zug und schmatzt genüsslich. Hier kommen Wahrheiten ans Licht, die besser geheim bleiben sollten.
„Ich hab noch nie etwas geklaut." Alle außer Elayna trinken. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich mit acht Jahren eine Playmobilfigur von meiner damaligen besten Freundin geklaut habe. Letztendlich war mein schlechtes Gewissen aber so groß, dass ich die Figur am nächsten Tag zurückgebracht habe. Eine Kriminelle könnte ich also niemals sein.
„Ich hab noch nie Hausarrest bekommen." Romy und Elin grinsen sich an, ehe sie den nächsten Shot trinken.
„So langsam muss hier mal mehr Schwung reinkommen", unterbricht Sarina das Spiel und tauscht den Apfelkorn gegen Wodka. Ich mustere die durchsichtige Flasche skeptisch und seufze. Wir sind nicht unbedingt gute Freunde. Vor nicht mal einem Jahr habe ich mich auf meiner Party wegen zu vielen Wodkashots übergeben. Hoffentlich passiert mir das heute nicht erneut.
„Ich hab noch nie einen Porno zu Ende geschaut."
„Ich hab noch nie meine beste Freundin angelogen."
„Ich hab noch nie jemandem den Freund ausgespannt."
„Ich hab noch nie jemanden geschlagen."
„Ich hab noch nie das Haus ohne Unterwäsche unter der Kleidung verlassen."
„Ich hab noch nie mit Zunge geküsst."
„Ich hab noch nie eine Waffe benutzt."
Der Abend nimmt irgendwie seinen Lauf und je mehr Alkohol fließt, umso lustiger wird es. Elayna ist bereits betrunken, wohingegen Sarina und ich noch relativ nüchtern sind. Romy und Elin haben sich vor einigen Minuten auf die Toilette verabschiedet, sind seitdem jedoch nicht wieder aufgetaucht. Keine Ahnung, was sie dort treiben.
„Wenn ich du wäre, Alica", lallt Elayna lachend und torkelt auf mich zu, „würde ich in Unterwäsche ins Meer laufen." Ohne großartig darüber nachzudenken, ziehe ich mir mein Sommerkleid über den Kopf und laufe Richtung Meer. Meine Sicht ist verschwommener als gedacht – ich bin also doch nicht mehr nüchtern - , sodass ich auf einmal und ohne jegliche Vorwarnung in dem kalten Wasser lande. Ich stoße einen Schrei aus, aber lache dann.
Das sind die Momente, die man später seinen Enkelkindern erzählen kann.
„Wenn ich du wäre, Elayna, würde ich jetzt auch ins Meer kommen!", rufe ich der Braunhaarigen zu und strecke meine Arme zum Nachthimmel empor. Ich bin seit langem wieder glücklich. Und das sogar ohne Jonah. Es erfordert einfach nur die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.
Und das ist hier. Jetzt. In Spanien. Mit Romy, Sarina, Elin und Elayna.
„Ally Schatzi, ich bin gleich bei dir!", kichert Elayna. Schneller als ich „Betrunken" sagen könnte, wirft sie sich in eine Welle, dicht gefolgt von Sarina. „Guck mal, was ich hier habe", singt sie und hält mir die Wodkaflasche unter die Nase. Da ich bis jetzt noch nicht so viel von dem Alkohol spüre, reiße ich ihr die Flasche aus der Hand und nehme einen großzügigen Schluck. Die Flüssigkeit hinterlässt ein feuriges Kratzen in meinem Hals und entfacht eine Gänsehaut auf meinem Rückgrat.
Ich hasse Wodka.
„Schlücketrinkeeen!" Ich wirbele herum und werde gleich darauf von Romy und Elin umarmt. Die Blondine nimmt mir die Flasche ab und setzt sie an ihre Lippen.
Ein Schluck.
Zwei Schlucke.
Drei Schlucke.
Vier Schlucke.
Fünf Schlucke.
Die Welt um mich herum dreht sich und explodiert trotz der Dunkelheit in bunten Farben. Ich weiß nicht, seit wann wir wieder auf der Decke sitzen, aber es ist witzig, denn ich sehe Sarina doppelt. Sie und ihr Zwilling machen zusammen mit Elin peinliche Fotos.
„Woah! Du hast ja einen Doppelgänger, Sina!", kreische ich fasziniert und springe auf. Plötzlich verschwindet eine der beiden Sarinas. „Er ist weg", schmolle ich und reibe mir traurig über die Augen. „Ich wollte deinen Zwilling doch unbedingt kennenlernen." Ich mag Sarina. Ihre Doppelgängerin ist bestimmt auch cool.
„Nicht weinen, Ally-Bärchen", schlingt Romy ihre Arme um mich, damit sie mich trösten kann. „Trink noch was." Sie drückt mir die halbleere Apfelkornflasche in die Hand und nickt auffordernd. „Ich-"
„Nicht lang schnacken, Kopf in' Nacken." Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich setze die Flaschenöffnung an meine Lippen und trinke gierig den Alkohol. Alles ist auf einmal so harmonisch und friedlich.
Zwei Uhr.
Drei Uhr.
Halb vier.
„Ich saufe in 'ner Bar und trinke einen Mojito."
„Ich saufe in 'ner Bar und trinke einen Mojito und Sex on the beach."
„Ich saufe in 'ner Bar und trinke einen Mojito, Sex on the beach und Martini."
Mein Kopf explodiert gleich. Ich nehme zwar all die Wörter wahr, aber kann sie nicht weiterverarbeiten. „Ich saufe in 'ner Bar und trinke Schnaps!", jubele ich und leere mein Pinnchen. Wer kann sich denn überhaupt so viele komische Wörter merken? Ich jedenfalls nicht.
„Hey, ich weiß, was wir spieleeen!" Ein bisschen zu schnell drehe ich meinen pochenden Kopf zu Elin und kichere. Ihre Schminke ist verlaufen und lässt sie wie einen Zombie aussehen. Hoffentlich möchte sie nicht mein Gehirn essen!
„Attached at the hip!"
Ich runzele die Stirn und überlege, was mit diesem Spiel gemeint sein könnte. So lange ich Alkohol trinken kann, finde ich das gut. „Romy und Sarina: Nase an Nase!" Die beiden Benannten springen eilig auf und torkeln aufeinander zu. Anstatt sich vorsichtig mit den Köpfen anzunähern, donnern sie geräuschvoll zusammen.
„Autsch!", grinst Sarina und fasst sich an ihre blutige Nase. „Mehr Alkohoool!" Sie reißt Elin die beiden Schnapsgläser aus der Hand und leert diese mit Romy.
„Alica und Elayna: Arsch an Arsch!" Ich erhebe mich und versuche, mein Gleichgewicht zu halten. Noch bevor Elayna bei mir angekommen ist, taumele ich einen Schritt zurück und lande wenig später im Sand. „Trinkeeen!" Ich strecke meine Hand nach der Wodkaflasche aus und trinke einen Schluck. Meine Sinne sind benebelt, das Kratzen im Hals bleibt aus.
Was für ein toller Abend!
Viertel nach vier.
„Clay ist so ein Arsch."
„Oder ein Affe?"
„Oder ein freches Krokodil?"
„Oder ein Kackhaufen?"
Wir beschimpfen gemeinsam unsere Ex Freunde und lästern über sie. Warum haben diese Idioten überhaupt mit uns Schluss gemacht? Wir sind doch die Geilsten!
„Jonah ist auch ein mieser Penner."
„Ein Waschlappen?"
Ich nicke zustimmend und leere mein Pinnchen. Obwohl mein Kopf dröhnt und mir kotzübel ist, kann ich nicht aufhören, zu trinken. Der Wodka und ich sind gerade dabei, Freunde zu werden.
Halb fünf.
„Hat jemand mein Handy gesehen?" Ich verneine die Frage und lege meinen Arm um Sarinas Schulter. Elin hängt über einem Mülleimer und erbricht sich und Elayna und Romy kuscheln miteinander. „Ich muss jemanden anrufen", lallt Sarina neben mir und tastet ihre Gesäßtasche ab. Tränen glitzern in ihren Augen, bis sie wenig später über ihre Wangen laufen.
„Ich helfe dir beim Suchen", nuschele ich und hake mich bei ihr unter. Wir entfernen uns immer weiter von den anderen. Irgendwann können wir nicht mehr laufen und lassen uns einfach in den Sand fallen. „Ich will schlafen, Ally."
„Ich auch."
Dunkelheit.
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