Dreiunddreißig
„Musste das gerade echt sein?", frage ich zurückhaltend.
„Und ob das sein musste! Was denkt sie sich eigentlich dabei, so etwas mit dir abzuziehen? Die kann doch nicht einfach anfangen, dich zu bedrohen! Auch noch anonym! Warte, gib mir dein Handy", verlangt sie und streckt ihre leere Hand aus. Ich sehe sie etwas verdutzt an.
„Swan, bitte, beruhige dich erst einmal!", sage ich vorsichtig. So wütend und gereizt habe ich sie bisher noch nie erlebt. Ich traue mich nicht einmal mehr, sie zu umarmen oder zu küssen.
„Mache ich, sobald du ihre Nummer blockiert hast."
Seufzend krame ich mein Handy aus der Hosentasche. Auch wenn ihre Art, mich zu schützen, viel aggressiver ist als es mir lieb ist, tue ich trotzdem, was sie von mir verlangt. Vor ihren Augen wähle ich bei Tabeas Nummer die Option blockieren aus. „Ist jetzt alles okay?", hake ich nach und greife nach ihrer Hand, die sie zu einer Faust geballt hat.
„Ja", sagt sie stumpf.
Ich schlinge die Arme um sie und gebe ihr einen Kuss auf die Wange. „Hey... warum bist du so sauer?"
„Warum wohl? Ich liebe dich! Ich habe mir Sorgen um dich gemacht." Ihre Stimme wird weicher und ihre blauen Augen verlieren den wütenden Ausdruck. Stattdessen gibt sie mir einen Kuss mit ihren weichen, nach Kirschen schmeckenden Lippen.
„Ich liebe dich auch", antworte ich und lasse den Kopf an ihre Brust sinken. Sie streichelt über meine Haare und küsst mich kurz auf die Stirn.
„Können wir dann gehen?", fragt sie Minuten später und löst sich wieder aus meinen Armen.
Ich nicke, nehme sie am Arm und ziehe sie zum Empfangstresen. „Ich muss nur noch die PCs ausmachen und hier gleich auch abschließen." Sie hockt sich auf den Tresen, von dem ich sie jedoch gleich wieder runterbefördere. „Ich hab das an meinem ersten Arbeitstag gemacht. Glaub mir, die Begegnung meines Gesichts mit dem Boden war nicht angenehm."
„Lieben Dank, dass du mich nicht gleich auf den Fußboden geklatscht hast", sagt Swan gespielt missmutig und klopft ein paar nicht vorhandene Staubflusen von ihrem Oberarm. Kopfschüttelnd, aber grinsend, wende ich ich mich den Computern zu, die auf dem Tresen stehen und beginne, sie auszuschalten.
„Danke nochmal", sage ich zu ihr. Ich bin so erleichtert, es fühlt sich gut an, zu wissen, wer die ganze Zeit solch seltsame Nachrichten geschickt hat. Und auch, dass es jetzt nicht mehr passieren wird. Dass Tabea sich in mich verliebt hat, wusste ich ja schon, aber dass sie wirklich so weit gehen würde, hätte ich von ihr nie gedacht. Ihr hätte ich auch nicht zugetraut, zu solch drastischen Mittel zu greifen. Dafür wirkte sie immer viel zu schüchtern.
„Kein Problem. Aber bitte, glaub nicht, dass ich immer so aggressiv bin", bittet sie. „Ich kann es nur einfach nicht ausstehen, wenn jemand, den ich liebe, so bedroht wird." Sie sieht im Nachhinein sogar ein bisschen schuldbewusst aus.
„Geht klar." Ich sehe zu den Computern hinüber. Sie sind bereits komplett aus, deshalb greife ich nach meiner Jacke und den Schlüsseln für die Bibliothek. „Von mir aus können wir gehen. Zu mir oder zu dir?", frage ich. Verabredet haben wir uns nur dazu, dass sie mich abholt, aber nicht, zu wem wir gehen.
„Zu mir, wenn's möglich ist. Ich hab schon 'ne Pizza im Ofen", lächelt sie, nimmt mir meine Jacke ab und führt mich zur Tür. Gibt es eigentlich solche Begriffe wie Gentleladies? Alleine für Swan sollte es diesen Begriff geben.
Sie zieht mich weiter, denn ich bin langsamer geworden, weil meine Gedanken mich wieder einmal in eine andere Welt gezogen haben. In eine Welt, in der es Maya noch gab. In eine Welt, die ich ab dieser Sekunde für immer hinter mir lassen will. Es war eine schöne Zeit, aber sie gehört der Vergangenheit an. Im jetzigen Universum gibt es Swan.
„Lilly? Wo bist du denn jetzt schon wieder?", fragt Swan mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Bei dir. Komm, wir können los."
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