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Cade fühlte sich, als hätte er endlich einen Durchbruch mit Nao geschafft. Nao hatte es hinbekommen, ganz ohne zu zittern, ihn mit seinen eigenen Händen zu wecken. Es war zwar nur ein leichtes, schwächliches Rütteln gewesen, doch war Cade mehr als froh, dass Nao sich nun anscheinend etwas sicherer mit ihm fühlte.
Jede Gelegenheit nutzte er nun also in voller Bandbreite aus, um Nao näher zu sein, als es dem unwissenden Omega selbst angenehm war.
Er sagte nichts, wenn Cade ihn striff. Er stockte nur kurz, wenn Cade eine Hand auf seine Schulter legte;
Obwohl er diese Berührungen nicht besonders mochte, fühlte er sich etwas wohler dabei, wenn es Cade war.
Cade.
Cade, mit seinen strahlend laubgrünen Augen. Cade.
Der Gedanke ließ Naos Glieder auf eine komische Weise zucken.
Cade.
Nao spritzte Wasser in sein Gesicht, als er gerade dabei war das Waschbecken zu putzen. Er musste aufhören an Cade zu denken. Er wollte gar nicht an Cade denken; doch schien etwas teuflisches ihm immer wieder Bilder in den Kopf stecken, die ihn inmer wieder von dem Alpha schwärmen und träumen ließen. Schwärmen. Träumen.
Er schüttelte sich.
Komisch.
Nao rieb sich durch das unangenehme Gefühl über die Arme. Sollte er so von einem Alpha denken? Cade war immer noch einer von ihnen. Egal wie anders oder besonders Cade war. Er war ein Alpha.
Der kleine Omega erschauderte, als alte Erinnerungen seinen Geist füllten. Er schluckte.
Weitere Gedanken krachten über ihm ein. Er wollte das doch gar nicht -
Sein Herz pochte immer schneller, bis es raste.
Ich muss mich beruhigen.
Es war alles okay - nicht?
Nao schlang seine Arme um sich selbst.
Alles okay.
Alles okay. Alles okay.
Er wiederholte die Worte wie einen Bannfluch in seine Gedanken. Er wollte nicht schlecht über Cade denken, er konnte jedoch nicht anders.
Alphas sind Alphas. Sie werden sich nie ändern. Ihr Verhalten liegt in ihrer Natur. Genauso wie das, der Omegas.
Nao atmete tief ein und aus - so, wie es ihm seine Mutter gesagt hatte, wenn er wieder in der Nacht von einer schlimmen Erinnerung erwacht war. Langsam. Beruhig dich. Alles ist gut. Dir wird niemand etwas tun.
Er hasste Erinnerungen. Tat er das?
Langsam beruhigte er sich so wieder und sah auf in den Spiegel.
Cade war zwar ein Alpha, doch war er nicht so. Cade hatte selbst gesagt, er würde ihm nichts antun.
Der Omega ballte seine Hände zu Fäusten.
Selbst wenn Cade immer noch ein Alpha war, vertraute er ihm.
Es war okay. Er war okay.
Mit neugefundener Motivation, seinen Job in Ruhe und Frieden, mit nur noch guten Gedanken zu machen, begann Nao konzentriert, dass Waschbecken zu schrubben, bis Platten und Metall glänzten. Es folgten der Spiegel und die Toilette, bevor Nao seine Handschuhe entsorgte und sich auf den Weg in die Küche machte, wo er das Mittagessen für Cade abholen sollte. Der Alpha wollte alleine im Garten essen.
Schon wieder saß er nun im selben Pavillon. Am selben Tisch, mit Cade.
Dem selben Alpha.
Nao senkte den Blick, um Cade nicht ansehen zu müssen. Der Alpha dagegen war mehr als beschäftigt damit, Naos Präsenz mit seinen Augen aufzusaugen, voll und ganz aufzunehmen.
Roch der Kleine schon immer nach so süßlichem Zeug? Blumen? Zucker? Eher Blumen. Rosen.
Es war, als würde er mit jedem Atemzug in eine riesige Blumenwiese fallen - nicht, dass er etwas dagegen hätte. Immerhin war es Naos Geruch.
Und Cade bemerkte diesen zum ersten mal, so intensiv. War es die Nähe?
Der Alpha lehnte sich entspannt zurück und trank ruhig seine Tasse Kaffee aus. Jetzt, wo er wusste, dass Nao sich etwas wohler fühlte, wusste er gar nicht mehr, was er noch fragen sollte. Die meisten Themen würden den Kleinen dazu nötigen, ewiglange Aufsätze auf den Block zu schreiben - und das wollte Cade ihm nicht antun.
Also musste es bei Nicken für 'Ja' und Kopfschütteln für 'Nein' bleiben.
Cade piekste seine Gabel immer wieder ungeduldig in sein Essen. Ihm fiel nichts ein.
"Hast du Geschwister?"
Nao schüttelte den Kopf.
Thema beendet.
Cade seufzte. Er sah den kleinen Omega an. So zierlich und ruhig.
"Wurdest du... damit geboren? Hast du keine Stimmbänder oder so?", Murmelte Cade. Das konnte er sich wiederrum nicht vorstellen - immerhin vermochte der Omega Töne von sich zu geben. Aber eine Frage war es ihm Wert.
Natürlich schüttelte Nao wieder den Kopf, obwohl er selbst nicht genau wusste, was in seiner Bewerbung, seinem Beweis, stand. Sein Vater hatte den Beleg bei einem Arzt besorgt - der Einzige, der Nao nicht für komplett gesund erklärt hatte. Doch wer wusste schon, was nun seine Diagnose war - denn Nao wollte nicht zu einem Psychologen (da 90% dieses Berufes von Alphas abgedeckt wurde). Aber egal was dort stand, es musste einfach reichen.
"Also konntest du mal sprechen?", fragte Cade verträumt weiter. Er würde so gerne Naos Stimme hören. Wie sie seinen Namen rief. In welchem Ton würde der Kleine ihn wohl aussprechen?
Er erwischte sich selbst dabei, wie er auf diese komische Art, über Nao dachte - als wären sie sich viel näher.
Ein Nicken; Cade wand sich interessiert dem Kleinen zu.
"Denkst du nicht, es gibt eine Möglichkeit, um wieder sprechen zu können?"
Nao wusste nicht, wie er antworten sollte. Natürlich konnte er sprechen. Nur nichr vor Alphas. Manchmal auch nicht vor Betas. Es gab keine Möglichkeit...
Keine, die ihm richtig vorkam.
Eine Gänsehaut breitete sich über seinen gesamten Körper aus. Es war aber auch schon schwer genug, mit seiner eigenen Familie zu sprechen. Manchmal bekam er selbst zu ihnen kein Wort mehr raus.
Vielleicht verlor er nun langsam wirklich seine Stimme. Nur hatte er kein Problem damit. Er hatte sich immerhin an ein stummes Leben gewöhnt. Und daran würde sich auch erstmal nichts ändern.
Er schüttelte den Kopf. Cade würde so wieso nicht mehr wissen, als was auf dem Zettel stand. Und solange Nao seinen Job gut machte, war das alles, was zählte.
Der Omega sah auf. Seine Aufgabe...
Er nahm einen Stift.
'Gehört das hier zu meinem Job?', schrieb er auf und hielt es Cade vor die Nase.
Cade sah Nao ungläubig an. Mochte der Kleine ihn doch nicht? Nervte er ihn, mit seinem Gefrage? Das hatte er noch gar nicht in Betracht gezogen. Er hatte nur an sich selbst gedacht, wie er Zeit totschlagen oder sich ablenken konnte. Um Naos Willen war es noch gar nicht gegangen.
"Nein, es gehört nicht zu deinem Job", meinte er schließlich etwas seufzend, "aber wie gesagt, du gefällst mir. Ich mag deine Gesellschaft. Darum sitze ich sehr gerne hier mit dir. Störe ich dich?" War das verwerflich?
Erneut ein Kopfschütteln. Cade war... erleichtert. Sehr erleichtert.
'Ich fühle mich nur schlecht, fürs nichts tun bezahlt zu werden', schrieb er dazu. Der Alpha war irgendwie berührt.
Er legte eine Hand auf Naos Kopf. Sein Haar war weich. Sehr weich.
Nao zuckte leicht zusammen, beruhigte sich jedoch sofort wieder. Es war nur Cade. Nur Cade. Nur. Cade.
Er nahm einen tiefen Atemzug und ließ Cade ihn anfassen.
Wie putzig, dachte der Alpha amüsiert und wuschelte durch des Omegas Haar, wie es seine Mutter vor ein paar Tagen getan hatte. Nao schien sich nicht zu wehren oder verlieh den Anschein, sich beschweren zu wollen.
"Du tust ja nicht nichts. Du leistest mir, wie gesagt, Gesellschaft - das gehört zwar nicht zu deinen Aufgaben, aber es ist weder für mich, noch für dich unangenehm, oder?"
Nao verstand nicht recht, was er damit meinte, weswegen er einfach still blieb und nickte. Er wartete eigentlich darauf, dass Cade die Hand von seinem Kopf nahm, doch Cade war sehr glücklich damit, Naos Haare immer weiter zu verwuscheln und anzufassen. Streicheln.
Nao verkrampfte sich langsam.
Ja, es war, als würde er das weiche Fell eine Katze streicheln - nur gab Nao leider keine Schnurr-Laute von sich.
Trotzdem war der Omega, natürlich - selbst in Angststarre, absolut putzig - wie der Alpha fand...
Cade fühlte sich schlecht so zu denken, doch was sonst konnte er tun? Nao war viel zu unschuldig und rein. Er wollte ihn geradezu vor allem Übel beschützen, ihn in seinen Armen für immer und ewig festhalten; und dass, obwohl er wohl selbst eines dieser Übel war, vor dem Nao so eine Angst hatte.
Cade biss sich, wie so oft, auf die Unterlippe, als er schließlich seine Hand wegzog. Er verhielt sich geradezu unmöglich gegenüber Nao. Der Kleine Omega musste vor Angst fast sterben, während Cade seinen Spaß hatte - sein Kopf machte schon Szenarios aus, in denen Nao eine Panikattacke bekam.
"Tut mir Leid", murmelte er schnell, immer noch das phantomartige Gefühl an seinen Händen, durch Naos Haare zu streicheln - als wollten seine Hände es für immer spüren.
Der Omega schüttelte jedoch nur den Kopf und setzte ein Lächeln auf, dass Cades Herz erwärmte. Süß, voller Ehrlichkeit. Der Alpha schmolz unter Naos großen, strahlenden Augen.
Mehr an diesem Tag, hätte er sich nie wünschen, erträumen, können. Er war glücklich.
Und Nao ging es dafür, dass er weder die Nähe, noch der Umgang mit Alphas gewohnt war, relativ gut.
Er war irgendwie... entspannt.
Und Cade merkte das - was ihn irgendwie auch ebenso entspannter zurückließ.
"Caaaade!"
Nao zuckte zusammen. Er mochte es überhaupt nicht, dass Cades Mutter durchs ganze Haus rief, wenn sie ihn suchte.
Cade sah Nao entschuldigend an. "Ich muss dann kurz weg ja? Machs dir ruhig noch gemütlich. Ich komme schnell zurück, sobald ich fertig bin."
Nao wusste gar nicht, warum Cade ihm auch noch versprach, wieder zu kommen - doch widmete er sich einfach dem abräumen des Tisches, als der Alpha abging.
Er stockte.
Der kleine Omega tastete ungläubig an seine Mundwinkel.
Lächelte er etwa? Ehrlich?
Über was war er so glücklich?
Hatte Cade, ein Alpha, ihn etwa glücklich gemacht?
"Übermorgen."
"Aber-"
Cade schnaufte und sah seine Mutter ungläubig an. Er konnte sehr wohl auf diese Party voller reicher Eltern und ihren hochnäsigen Kindern, die dachten sie wären etwas besseres, verzichten. Vor allem würde er in diesem Gemisch von Verabscheuung niemanden finden, den er lieben könnte. Nicht einmal für seine Mutter.
Selbst wenn sie das süßste, ehrlichste und hübscheste Mädchen aus der Menge ziehen würde, hätte er immer noch kein Interesse an ihr.
Immerhin würden sie auch nur mit ihm flirten, weil sie sein Geld, das seiner Familie, ihren Einfluss wollten.
Er konnte es den ganzen jungen Mädchen aber auch nicht verübeln. Immerhin wurden sie geradezu von ihren Eltern zu dieser 'Party' genötigt.
Genauso wie er selbst.
Seufzend und sich genervt über die Schläfen reibend, ging Cade in sein Zimmer und warf sich aufs Bett.
Er hatte keine Motivation mehr, seine Arbeit zu machen. Er hatte keine Motivation für irgendwas.
Er wollte sich einfach in diesem Bett vergraben und nie wieder aufstehen.
Es brauchte eine Weile, bis er den Geruch des Omegas bemerkte. Omegas hatten nie besonders starke Gerüche, aber er wusste es sofort, wenn es Nao war - warum auch immer. Er hob den Kopf etwas und starrte auf sein Kissen.
Okay.
Nach einigen Sekunden voller hoffnungsloser Überlegung, ob er jetzt wieder aufstehen würde, stand er endlich auf und ging mit einem breiten Lächeln zu dem Omega, der gerade das Bad putzte.
"Nao", murmelte er mit einem leichten Schmunzeln, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.
Der Kleine hob den Kopf und sah Cade fragend an.
"Ich muss dich um etwas bitten."
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