°1
August.
Der letzte Tag vor den Schulferien brach an. Doch für die ganze Stufe war das nicht nur irgendein Tag, sondern der Tag, an dem jeder eingteilt wurde.
Ab 15 Jahren war die Entwicklung der Hormone abgeschlossen, undso konnte man durch eine einfache Blutabnahme herausfinden, ob man ein Alpha war und zu etwas taugte - oder als Omega, am Ende, der weitesten Grenze der Gesellschaft, leben würde.
Betas wurden noch fast als Alphas gezählt. Auch ohne die speziellen Charakteristiken.
Während die Kinder der hochangesehen Familien um ihren Status bangten, machte Nao sich weder sorgen, noch große Hoffnungen. Seine ganze Familie bestand aus reinen Omegas, kein einziges Gen würde auch nur daran denken, sich plötzlich als etwas anderes zu entpuppen.
Bis jetzt waren alle auf eine Gesamtschule gegangen, doch sobald die Ergebnisse bei den Eltern ankamen, ging es für die einen auf Privatschulen, auf die obersten der Elite, die reichsten leisteten sich sogar Hauslehrer für ihren Alpha, welcher die Familie weiterbringen, führen würde, - andere wiederrum trauerten sozusagen geradezu um das 'verfluchte' Kind, aus dem wohl nie etwas werden würde.
Nao empfand jedoch weder Scham, noch Angst, noch jegliche Gefühle, die er während der Blutabnahme wohl hätte verspüren sollen. Er musste nur der Ärztin zusehen, wie sie nach nur wenigen Minuten, schon den Stift in einer Kreisbewegung über die markierte Stelle fahren ließ. Es war nichts besonderes. Es war ein Fakt für ihn, den er schon immer gekannt und mit sich getragen hatte.
Seine Elterm würden jedoch nicht um sein Leben trauern, doch mit ihm das Beste aus dem machen, was sie hatten. Anders kannten sie es ja so wieso nicht. Und Nao war eigentlich ganz glücklich darüber, nicht in der Haut eines wohlhabenden Kindes zu stecken.
Danach durfte er endlich nach Hause.
Mit schnellen Schritten schlenderte er los. Alles war normal, fühlte sich normal an. Und auch der Weg verlief, wie er eben normalerweise verlief -
doch plötzlich schlich sich ein eigenartiges Gefühl durch seinen Körper, nur wenige hundert Meter von seinem zu Hause entfernt. Sein Atem wurde schneller und er realisierte, nachdem er schließlich zum stoppen kam, dass es nicht anderes sein konnte, als seine Heat. Viel zu früh. In der Schule hatten sie schon einiges dazu gelernt.
Es überkam ihn wie eine Welle aus Übelkeit, nur war es eben keine Übelkeit, sondern das Gefühl, von dem seine Eltern sich nur mit Scham dazu brachten, zu erklären.
Er wäre doch noch viel zu jung um zu verstehen, hatten sie immer gesagt.
Doch nun, als es begonnen hatte, verstand er mehr, als ihm Recht und Wohl war, was für plötzliche Gedanken und ungeahnte Bedürfnisse die Heat mit sich brachte. Sein Körper fühlte sich an wie fließende Lava, selbst wenn seine Beine ihn weiterhin nach vorne bewegten, merkte er, wie diese langsam nachgaben.
Ungeschickt zog er sein altes Tastenhandy aus der Jackentasche, stockte und stieß dabei plötzlich gegen einen älteren Mann, kniete sich jedoch sogleich nieder um das Gerät wieder in die zittrigen Finger zu bekommen.
"Tut mir Leid", murmelte er mit den leisesten Tönen und hoffte, er konmte nur schnell nach Hause kommen.
Doch so kam es nicht.
Der Mann drehte sich um. Seine Augen durchbohrten Nao mit einem giftigen Schimmer.
Nao schauderte, während der Alte sich zu ihm runter lehnte und eine feste Hand auf die Schulter des Kleineren legte.
Er nahm einen langen Atemzug, direkt neben Naos Ohr. Sanft, leicht, irgendwie animalisch klingend. Fast hechelnd.
Nao schluckte und versuchte etwas Abstand zu nehmen, sein Blick war verschwommen. Er konmte sich kaum mehr oben halten.
Doch der Mann wich um kein Stück.
"Ach, kleiner Omega, was machst du denn hier ganz hilflos und alleine auf der offenen Straße?", seine Stimme klang wie quietschende Kreide auf einer alten Tafel. Seine Hand immer noch fest auf Naos Schulter. Immer fester und fester zupackend. Er würde ihn nicht gehen lassen.
Nao wimmerte bei dem grässlichen Ton auf und versuchte sich wieder wegzudrücken. Er brachte kein Wort raus, sein Körper wurde immer heißer und heißer, während gleichzeitig die Angst in ihm stieg. Er hatte keine Zweifel daran, dass der Mann ein Alpha war. Er hatte Spitze Zähne, er war groß und der Geruch, oh Gott, der Geruch!
Der Kleine erzitterte unter dem großen Mann. Seine Knie bebten.
Und so fuhr der Alpha fort; flüsterte grässlich, für ihn noch nie gehörte Wörter in sein Ohr und zog ihn schließlich einfach mit sich. Nao hatte keine Chance gegen einen Alpha. Vor allem nicht als Omega - und dazu war er auch noch in Heat.
Bis zum Ende der Straße, zu einem schwarzen Auto wurde Nao gezogen, wobei er sich auf die fremde Rückbank durch seinen hilflosen Zustand geradezu freiwillig, wenn auch wimmernd, werfen ließ.
"Schatz, Schätzchen.., Nao, wach bitte auf Liebling."
Naos Mutter saß mit einem besorgten Ausdruck in ihren Augen am Bettrand, hatte die Hand sanft an Naos Arm gelegt und streichelte diesen vorsichtig.
"Alles okay?", fragte sie schließlich und strich ihm die Tränen aus dem Gesicht, von denen er selbst nicht einmal etwas gemerkt hatte.
"Mh.. ja, wieso?" Seine Stimme war hauchdünn, tonlos, kaum hörbar. Er versuchte trotzdem die Lüge glaubhaft darzusen.
Seine Mutter jedoch verstand ihn trotzdem sehr gut, viel zu gut, und küsste ihn auf die verschwitzte Stirn, während er sich das verwuschelte Haar zurückstrich. Sie würde wohl doch lieber so tun, als hätte sie es nicht gemerkt.
"Du hast geweint und nach Hilfe gerufen."
Nao stockte. Jede Nacht kam es wieder. Er wollte es nicht mehr erleben. Doch es holte ihn jeden Tag wieder aufs neue ein. Und es schien niemals zu enden. Konnte er es nicht einfach vergessen?
"Liebling, komm her", summte sie sanft und nahm ihn in den Arm. Diese Geste half ihm, sich wieder zu beruhigen.
Selbst mit zwanzig und wahrscheinlich auch für länger, lebte Nao noch bei seinen Eltern. Hier war nicht nur immer jemand für ihn da, doch sah man auch keine Möglichkeit, dass er es schaffen würde, alleine zu wohnen.
Wie auch, wenn er nicht mit anderen sprechen konnte?
Außerdem konnten sie sich wohl kaum eine zweite Wohnung leisten.
Geld war einer der wichtigsten Faktoren.
Doch auch wenn Nao nun mit der Schule fertig war, schien er festzustecken. Niemand wollte ihm Arbeit geben, weil er mit den meisten Arbeitgebern gar nicht reden konnte. Ein stummer Omega war unbrauchbar. Noch unbrauchbarer, als er so wieso schon war.
Nicht mal die Firma, in der sein Vater arbeitete, wollte ihn.
Aber diese Gedanken, die die allgemeine Gesellschaftsmeinung über Omegas umfassten, behielt Nao für sich. Es war ja nicht, als wolle er gar nicht arbeiten; im Gegenteil, er wollte seine Familie unterstützen.
Und so gab er mit der Hilfe seines Vaters auch nicht auf, sich überall zu bewerben. Egal für welche Arbeit. Er würde alles machen.
Es war der erste Frühlingstag, als Nao sich auf dem Weg zu einem Gespräch machte, nachdem er zum ersten Mal in Monaten eine Zusage zum Bewerbungsgespräch bekam.
Natürlich kam sein Vater mit ihm. Irgendwer musste ja reden.
Überrascht über die zwei Personen öffnete ein Hausmädchen die Tür, verneigte sich leicht. Höflichkeit. Wahrscheinlich hatte sie noch gar nicht gemerkt, dass die beiden genau wie sie, auch Omegas waren.
Schon von außen war Nao aufgefallen, wie groß das Gebäude war. Mehr eine Villa als beschauliche Wohnung.
Sein Vater hatte ihm außerdem auch nicht mehr Details gegeben, als dass er als Bediensteter arbeiten würde. Aber das machte Nao nichts aus. Er war froh, wenn er endlich einen Job hatte. Er hoffte dementsprechend sehr darauf, diesen Job zu bekommen.
Das Hausmädchen führte sie in den großen Salon des Hauses und als ein weiterer Bediensteter in das Zimmer trag, schien dieser nur noch verwirrter als die junge Frau selbst.
"Uhm, es muss ein Problem bei der Gesprächsverteilung gegeben haben", murmelte er und verbeugte sich entschuldigend, wollte gleich los um das Problem in seinem Zeitplan zu finden.
Doch Naos Vater schüttelte den Kopf und machte eine abschweifende Handbewegung. "Sagen wir, ich bin so etwas wie ein Übersetzer", entgegnete er.
Die Bediensteten schienen nicht zu verstehen, doch das war okay. Das mussten sie gar nicht. Das brauchte niemand..
Die beiden sahen sich an und zuckten dann schief lächelnd mit den Schultern.
"Dann folgen die Herren mir bitte", summte sie in einem ganz anderen Tonfall und geleitete die beiden zu einem Zimmer am Ende des Gangs.
Nao spürte sofort den Alpha hinter der Tür. Es war wie eine gewaltige Kraft die ihn immer zu vor dieser Art warnte. Seine Beine begannen zu zittern.
Doch heute würde er nicht nachgeben. Egal was sich ihm in den Weg stellte. Mochte es auch ein Alpha sein.
Eigentlich hatte er sich auch gewundert, warum er zuerst hier nur Omegas angetroffen hatte. Natürlich musste es einen, oder eine ganze Familie von Alphas an der Spitze geben.
Und diese Familie konnte sich einiges Leisten. Jeder Gang war geschmückt und bis in jede Ecke geputzt. Nao und sein Vater sahen mit ihren alten Anzügen dafür eher aus, als hätten sie noch nie etwas von dem Wort Sauber gehört.
Neue Anzüge waren eben zu teuer.
Das Hausmädchen klopfte zweimal, ehe sie nach einer unverständlichen Antwort die Tür öffnete und die Beiden Omegas als den Bewerber ankündigte.
Ebenso wie seine Bediensteten, war der Alpha verwirrt, als zwei Personen sein Büro betreteten.
Seine Augen hingen sich jedoch sofort an den kleineren, jüngeren Omega von den beiden. Er schmunzelte, als dieser sofort den Blick senkte.
Er mochte es, wenn Leute schüchtern waren. Das machte sie für ihn eintausend Mal interessanter.
Doch schnell merkte er, dass es sich hier um etwas anderes als Schüchterheit handelte.
Der Kleine konnte ihm kaum die Hand geben ohne heftig dabei zu zittern. Es erinnerte ihn irgendwie an seine Schwester, weswegen er dem Omega den Gefallen tat und schnell wieder losließ.
Trotzdem gefiel ihm dieser auf Anhieb mehr als der Ältere.
Vor allem wenn es um die Position seines persönlichen Dieners ging. Der Kleinere schien einfach interessanter. Aber würde es ihm bei dem ganzen Gezittere überhaupt möglich sein die Arbeit verrichten zu können? Oder war er nur nervös?
Er räusperte sich und sah auf seine Unterlagen, die er zuvor nicht wirklich durchgelesen hatte.
Schließlich jedoch, sah er beide hoffnungsvoll darauf an, sie würden ihm erklären was es mit den beiden auf sich hatte, da in der Bewerbung eindeutig nur eine Person gelistet war.
"Mein Sohn Nao hat sich bei Ihnen beworben.. - sie haben vielleicht gelesen, dass... er nicht sprechen kann. Also bin ich hier", erklärte Naos Vater sofort, der die Not des Alphas endlich erkannt hatte.
Genaugenommen war es auch keine gute Bezeichnung für Naos Fall, aber darüber würde sein Vater auch nicht reden wollen. Er kam sofort zum Punkt und stellte seinen Sohn vor, genauso wie Nao es tun würde, hätte er den Mut zusammengebracht in Anwesenheit eines Alphas auch nur richtig zu atmen.
Der Alpha hörte mal wieder kaum zu, verlor sich in den Gedanken um den kleinen Omega.
"Kann er morgen zum Probearbeiten kommen?", Platzte es letztendlich aus ihm heraus und sein Blick wich nur eine Millisekunde zum Vater, der ebenso fragend seinen Sohn ansah.
Nao nickte leicht, auch wenn er vor lauter Aufregung, Schweiß und Zittern kaum einmal das hinbekam.
Aber er war sich sicher, dass er das schaffen konnte. Immerhin war es für seine Familie. Sie brauchten das Geld.
Dafür würde er auch bei hundert Alphas arbeiten, wenn es sein musste.
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