06. Money
"Money's too tight to mention
Oh mo-ney mo-ney mo-ney mon-ey
Mo-ney's too tight to mention
I can't even qual-i-fy for my pension"
Simply Red - Money's too tight to mention
< N I A L L >
Mein Atem stockte.
Ich rührte mich keinen Millimeter von der Stelle. Schweiß trat aus allen meinen Poren und mein Herz hämmerte in der Brust.
Vor uns standen vier Typen der Hunts Point Gang. Man erkannte sie an dem Buchstaben „H", der an der linken Kopfseite aus den Haaren rasiert war.
„Los, Hände über den Kopf und umdrehen", befahl der Typ mit barscher Stimme, der seine Waffe auf mich richtete. Langsam nahm ich die Hände nach oben und sah in der Drehung, dass Louis das Gleiche tat. Wenn sie uns mit einem Genickschuss erledigten, hatten wir es schnell überstanden. Aber ich wollte nicht sterben, nicht mit neunzehn Jahren und nicht auf einer Straße in der South Bronx. Wo zum Teufel war die Mott Haven Gang, wenn man sie mal brauchte?
Beide Gangs bekriegten sich ständig und da der Bezirk, indem wir uns gerade aufhielten, zu Mott Haven gehörte, würde man eher uns als den Huntsmännern zur Seite stehen.
In den nächsten Sekunden zog mein Leben buchstäblich an mir vorbei. Meine Knie zitterten und ich sah Nan, meine Mutter, Agnes und Liam vor mir. Kurz schloss ich meine Augen, versuchte die aufkommende Panik zu unterdrücken so gut es ging.
„Köpfe nach unten", hörte ich den nächsten Befehl und wagte nicht, mich diesem zu widersetzen.
Einer der Typen lachte gequält auf: „Die sind nicht von der Mott Gang, die haben kein Tattoo im Nacken."
Was für ein Blitzmerker.
Innerlich entspannte ich mich etwas, denn wenn sie Mitglieder der Mott Haven Gang suchten, hatten wir eventuell die Chance ungeschoren davon zu kommen. Leider ließ man uns nicht so ohne weiteres gehen.
Einer der Typen, ein dicker mit zahlreichen Tattoos auf den Händen, tastete mich ab und fischte meine Geldbörse aus der Hosentasche meiner Jeans.
„Zehn Dollar, besser als nichts."
Meine Güte, jetzt beraubte man mich auch noch meiner letzten Kohle. Wie frustrierend war das denn? Sekunden später blühte Louis das gleiche Schicksal, nur mit dem Unterschied, dass sich über fünfzig Dollar in seiner Geldbörse befanden.
„Fünfzig ist schon viel besser", vernahm ich die Stimme des Anführers, dann sprach er: „Okay, ihr könnt abhauen. Aber dreht euch nicht um, sonst ballern wir fette Kugeln in eure hässlichen Fressen."
Jemand spuckte auf den Asphalt und ohne darüber nachzudenken, setzte ich mich langsam in Bewegung. Neben mir ging Louis, ebenfalls in gemächlichem Tempo und ohne den Anschein zu erwecken, dass uns die Angst im Nacken saß.
„Das war knapp", presste mein Kumpel hervor, als wir uns außer Hörweite befanden. „Ich dachte echt, unsere letzte Stunde hätte geschlagen."
„Frag mich mal", erwiderte ich mit noch immer rasendem Herzen. „Ich dachte, goodbye Juilliard, das war es dann wohl."
„Nicht eher goodbye Spagetti Palace? Es gibt kein gutes Essen mehr?"
Prompt musste ich grinsen, obwohl mir noch nicht danach zumute war. Erst, als wir um die nächste Ecke bogen, atmete ich erleichtert auf.
„Was für eine Scheiße, wir wurden glatt mit Gang Mitliedern verwechselt", schnaufte ich und Louis meinte: „Die sollten sich was anderes ausdenken als Tattoos im Nacken. Die sieht man aus Entfernung und vor allem nachts nicht so leicht."
„Wahrscheinlich ist das deren Plan, damit sie nicht gleich auffallen und von den Bullen einkassiert werden", sinnierte ich und holte eine Kippe hervor. Louis bot ich meine letzte an und er nahm sie dankend an.
„Diese Ärsche haben mich tatsächlich um fünfzig Dollar erleichtert. Das ist nicht zu fassen", schimpfte mein Kumpel und ich stimmte mit ein: „Und mir meine letzte Kohle geklaut. Ich habe jetzt gar nichts mehr für diesen Monat."
Genervt zog ich an der Kippe und lehnte mich gegen die Hauswand.
„Und das alles nur, weil Gabbys Bruder heute Geburtstag feiert", brummte Louis und nahm anschließend einen tiefen Zug aus der Zigarette.
Irritiert hob ich meine Augenbrauen: „Du willst jetzt nicht Gabby dafür die Schuld geben?"
„Quatsch", grinste Louis, „aber sie ist schuld daran, dass du heute Nacht ungefickt bleibst."
Lauthals lachte ich los. Wohl auch, um mich von der inneren Anspannung zu befreien, die noch vor wenigen Minuten meinen kompletten Körper beherrschte.
„Ich werde das überleben. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Du hattest schon lange keine Ische mir am Start."
Grinsend hob Louis seine Hände nach oben: „Ich nehme die und fertig."
„Hoffentlich wäschst du sie ordentlich, bevor du das Essen zubereitest", zog ich ihn auf.
„Na klar, was denkst du denn?"
Ich stieß mich von der Wand ab und Louis entsorgte die Reste seiner Kippe im nächsten Gulli. Eilig liefen wir nach Hause, denn werde er noch ich verspürten Lust auf eine erneute Begegnung mit einer Gang.
Mit dem obligatorischen Faustcheck verabschiedeten wir uns: „Schlaf gut, Niall, wir sehen uns."
„Du auch."
Im Haus war alles dunkel, der Strom funktionierte noch immer nicht und ich fühlte die Kälte im Raum. Seufzend schaltete ich die Taschenlampe meines Handys ein und ließ den Lichtstrahl nach unten zeigen. Leise öffnete ich die Tür zu Nans Zimmer. Als ich sie schlafend im Bett liegen sah, fiel mir ein Stein vom Herzen. Auf leisen Sohlen schlich ich in mein Zimmer, leuchtete auf das Bett und schlug die Decke zurück. Lächelnd blickte ich auf die Wärmflasche, die Großmutter für mich bereitgelegt hatte und wusste sofort, dass sie vorhin bei unserer Nachbarin, Kate, gewesen sein musste. Kate half immer aus, wenn bei uns der Strom abgestellt wurde und regte sich stets über Colins unmögliches Verhalten auf. Nan hatte auch schon bei ihr gekocht und es war kein Problem, Wasser für die Wärmflasche zu erhitzen.
Nachdem ich mich ausgezogen hatte, kuschelte ich mich ins Bett und legte die Wärmflasche auf die Füße.
Obwohl ich hundemüde war, tat ich mich mit dem Einschlafen schwer. Zu viele Gedanken kreisten in meinem Kopf umher. Dieser ständige Geldmangel zehrte an meinen Nerven und ich wollte unbedingt etwas Kohle zurücklegen, bevor ich mein Studium antrat. Nan sollte nicht mehr komplett auf Colin angewiesen sein, was den Strom betraf. Aber kurz vor den Abschlussprüfungen einen Nebenjob anzunehmen, der zeitaufwändig und so anstrengend war, wie die Arbeit im Lebensmittelgroßmarkt von Hunts Point, gestaltete sich als absolut kontraproduktiv. Außerdem vergab man da keine Wochenendjobs.
Wenn ich nur eine Tätigkeit finden würde, die man nur an den Wochenenden ausüben konnte, wäre das ideal. Türsteher im Groove fiel da schlichtweg aus, denn diese Posten waren fest besetzt. Außerdem brauchte man dort Männer wie Kleiderschränke, die einen entsprechenden Eindruck hinterließen. Aus diesem Schema fiel ich definitiv raus. Guter Rat war teuer und schließlich fielen mir bei all der Grübelei doch die Augen zu.
Am nächsten Morgen weckten mich zwei Stimmen und eine davon gehörte Colin. Missmutig blickte ich auf mein Handy, stellte fest, dass es erst neun Uhr war und zog mir die Decke über den Kopf. Diesem Idioten wollte ich auf nüchternen Magen nicht begegnen. Er sollte sich gefälligst aus unserem Haus verpissen.
So sehr ich es versuchte, ich konnte nicht mehr einschlafen und holte schließlich meinen Laptop ins Bett. Das gebrauchte Ding hatte ich einst von Colin geschenkt bekommen. Es war hundert Prozent geklaut, aber ich brauchte einen Laptop, da einige Dinge in der Schule darüber liefen. Für die Zukunft in der Uni war das Gerät sowieso unerlässlich und als im Bett saß, checkte ich meine E-Mails.
Mein Herz klopfte schneller, als ich auf die Nachricht der Juilliard blickte und ich öffnete diese sofort. Konzentriert las ich die Zeilen, verinnerlichte, dass sich mehrere Anhänge in der Mail befanden und ich ein Foto von mir hochladen musste, das für den Studentenausweis benötigt wurde.
Außerdem waren diverse Angaben für das Stipendium zu tätigen. Diese wollte ich gemeinsam mit Agnes durchgehen, so, wie sie es bei unserem letzten Treffen anbot.
Nun wartete ich erst recht auf Colins Verschwinden, um Nan die Neuigkeiten gefahrlos übermitteln zu können.
Leider saß Colin sich den fetten Arsch platt und blieb noch eine weitere halbe Stunde in unserem Haus. Erst als er verschwand, trat ich aus meinem Zimmer und wünschte Nan einen guten Morgen.
Auf dem Küchentisch lag Geld und als ich Nan fragend anschaute, sagte sie: „Das ist von Colin, weil er vergessen hat, die Stromrechnung zu bezahlen. Ich werde das gleich morgen machen, aber heute müssen wir ohne auskommen."
Da hatte ich ja Glück, dass der Akku meines Laptops noch vierundfünfzig Prozent Ladung aufwies. Essen kochen fiel also heute aus, ebenso eine warme Dusche und wieder einmal verfluchte ich meinen missratenen Onkel.
Nachdem ich kurz und kalt geduscht hatte, zog ich mich an und aß ein Sandwich. Einen Vorteil hatten die kalten Wintertemperaturen. Wir konnten die Lebensmittel aus dem Kühlschrank ohne weiteres draußen lagern, ohne dass sie verdarben. Der Schinken auf dem Sandwich war kurz vor der Gefriergrenze, doch ich aß trotzdem mit Appetit. Währenddessen erzählte ich Nan von der E-Mail und zeigte ihr diese später.
„Das klingt alles so toll, Niall", freute sie sich. „Dann wirst du also schon bald ein fleißiger Student sein."
Verschmitzt lächelte sie mich an und ich sprach: „Hoffentlich. Aber ich muss erst noch zu Agnes. Wir füllen die Formulare gemeinsam aus."
„Sehr gut."
Dieses Mal vergaß ich den Kuchen nicht, den Großmutter am Freitag gebacken hatte, bevor man uns den Strom abdrehte. Drei Stücke waren noch übrig und Nan nötigte mich förmlich, alle zu Agnes mitzunehmen.
Den Laptop brauchte ich nicht mitzuschleppen, denn ich konnte mich bei Agnes einloggen und von dort aus alles bearbeiten, was gefordert wurde. Anschließend wollte ich meine Mum im Gefängnis besuchen und somit war der Sonntag praktisch verplant.
Auf dem Weg zu Agnes hörte ich wie üblich Musik, deren Farben mich aus dem tristen Großstadtwinter herauskatapultierten. Die Vorfreude aus das Pianospielen wuchs, je näher ich der Haltestelle kam, doch vorher musste der Formularkram erledigt werden.
Freudestrahlend nahm Agnes den Kuchen in Empfang und überreichte mir sogleich ein Stück: „Hier, willst du Kakao dazu?"
„Gerne."
Ich mampfte den Kuchen und Agnes startete ihren Laptop, sodass ich mich gleich einloggen konnte.
„Hier ist die Mail. Ich muss die Formulare für das Stipendium ausfüllen, ausdrucken und unterschreiben. Außerdem müssen wir ein Foto von mir machen."
Es war ein Haufen Arbeit, den ganzen Kram ordentlich auszufüllen. Das Stipendium sparte mir sehr viel Geld, denn man übernahm meine kompletten Studiengebühren. Lediglich die Bücher musste ich selbst bezahlen und man stellte mir frei, entweder auf dem Campus oder außerhalb, in meinem Fall zuhause, wohnen wollte. Leben auf dem Campus hätte für mich eine jährliche Summe von rund siebentausend Dollar bedeutet und somit eine Kreditaufnahme. Das konnten wir uns nicht leisten und deswegen kreuzte ich gleich an, dass ich außerhalb wohnen würde.
Mit meinem Handy schoss Agnes ein Foto von meinem Gesicht. Es sah gar nicht so übel aus und ich lud es sogleich mit dem angegebenen Link in der E-Mail hoch. Es hieß, man würde benachrichtigt, sobald man den Ausweis abholen konnte.
Die nächste Hürde war somit geschafft.
Da ich früh dran war, übte ich fast zwei Stunden auf Agnes' Piano, probierte Stücke aus Star Trek nachzuspielen und hörte erst auf, als ich aus meinem persönlichen Rausch erwachte. Es wurde Zeit, sich zu verabschieden und auf den Weg ins Gefängnis zu machen.
Agnes tütete die ausgedruckten und unterschriebenen Unterlagen für die Juilliard ein und ich nahm diese gleich mit. Ein Umweg zur Uni war noch drin, sodass ich den Umschlag dort in den großen Briefkasten steckte und dann direkt zum Knast fuhr.
Meine Mutter gratulierte mir und ich hörte den Stolz aus ihrer Stimme heraus: „Als Nan mir das letzte Woche sagte, da hätte ich vor Freude tanzen können", sprach sie grinsend. „Du wirst das schon machen, Niall, keine Sorge."
„Ich hoffe es." Manchmal zweifelte ich tatsächlich an mir. Es hieß ja nicht, dass ich das Studium mit links bestehen würde, weil ich ein Stipendium erhielt.
„Wie läuft es mit Colin?", erkundigte sich Mum und sogleich geriet ich ihn Fahrt. Als sie erfuhr, dass er das Bezahlen der Stromrechnung vergaß und wir im Dunkeln und Kalten hatten sitzen müssen, flippte sie aus.
„Was bildet sich diese Missgeburt ein? Wenn ich das noch einmal hören muss, dann kannst du ihm ausrichten, dass er sein blaues Wunder erlebt, sobald ich aus dem Knast raus bin."
Das würde Colin wohl kaum beeindrucken, aber ich versprach, ihm die Botschaft zu übermitteln. Schaden würde das auf keinen Fall.
Wir redeten noch eine Weile, bis die Besuchsstunde sich dem Ende zuneigte. Danach trat ich direkt den Heimweg an, raus in die Kälte. Für einen Sonntag war die Subway ziemlich voll, ich bekam nicht einmal einen Sitzplatz und war froh, als sich die Bahn an der 125. Avenue endlich leerte.
Man erkannte sofort, wer in Richtung Bronx fuhr, wenn man selbst dort lebte. Die Leute trugen billige Klamotten, so wie ich. Meist kaufte ich diese auf dem Flohmarkt oder in den Billigläden wie TJ Max. Dort gab es Markensachen zu Dumpingpreisen, weil sie aus der letzten oder vorletzten Saison stammten. Mir war das egal und Louis, der ebenfalls dort einkaufte, ebenfalls.
Als ich nach Hause kam, saß mein bester Freund vor dem Haus und rauchte eine Kippe. Freudestrahlend begrüßte er mich und ich gab ihm einen Faustcheck.
„Du warst lange unterwegs", meinte er. „Ich hab' deiner Nan und dir was zu essen aus dem Spagetti Palace mitgebracht."
Louis hatte echt ein Herz aus Gold.
„Danke, das ist super von dir. Unser Strom ist nämlich mal wieder abgestellt."
Seufzend wühlte ich in der Tasche meiner Lederjacke nach den Kippen: „So ein Mist, sage ich dir. Ich brauche dringend einen Job, den ich nur an den Wochenenden verrichten könnte. Damit wäre uns schon geholfen. Dann kann Colin sich die Stromrechnung in seinen Arsch schieben."
Louis blaue Augen blitzten kurz auf und ich sah das Grinsen auf seinem Gesicht: „Ich hätte da vielleicht etwas für dich. Allerdings erst ab dem ersten April."
Gespannt hörte ich Louis' Vorschlag zu und konnte mir durchaus vorstellen, dass das mein Ding war.
„Und du denkst, die nehmen mich da?"
„Uns", verbesserte er. „Ich habe ebenfalls vor, ein wenig Kohle nebenbei zu verdienen. Wenn ich am Wochenende frei habe, steige ich mit ein. Ich habe das ja früher ab und zu gemacht und kenne die Typen, die man ansprechen muss, um den Job zu kriegen."
Ich schnickte den Rest der Kippe auf die Straße: „Gut, ich bin dabei."
In dieser Nacht kam ein Sturm auf, der kräftig an den Türen und Fenster rüttelte. Immer wieder schreckte ich hoch und plötzlich realisierte ich, dass das Geräusch an meinem Fenster ein Klopfen war.
Verschlafen tastete ich nach meinem Handy, die Uhr zeigte zwei und ich zwang mich dazu aufzustehen und zum Fenster zu gehen. Mit der Taschenlampe des Handys leuchtete ich nach draußen, machte eine Gestalt aus, die vor meinem Fenster stand.
Langsam öffnete ich dieses und leuchtete dem Typ ins Gesicht.
„Hey, Niall."
Sechs Jahre hatte ich ihn nicht mehr gesehen, aber nie vergessen, wie er mich in damals anstiftete, welchen Einfluss er auf mich hatte. Das wollte ich nie wieder.
Hart kamen die Worte aus meinem Mund: „Was willst du hier?"
_____
Ohh, wieder ein Cliffhanger :D
Was da wohl kommt?
Wer mag das wohl sein? Und in welcher Verbindung steht der Typ zu Nialls Vergangenheit?
Und welche Tätigkeit hat Louis wohl vorgeschlagen?
Wie fandet ihr die Begegnung mit der Gang?
Hattet ihr ein bisschen Angst um Niall und Louis?
Danke an alle, die fleißig kommentieren und voten. Ich hab euch lieb.
LG, Ambi xxx
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