Kapitel 3
Mizuki beobachtete ihre Mutter, ihre Augen fragend und suchend nach einer Erklärung. Doch statt einer Antwort sah sie nur ein nervöses Lächeln auf dem Gesicht ihrer Mutter, das alles andere als beruhigend war. Es wirkte gezwungen, fast so, als würde sie versuchen, die Schwere des Augenblicks zu verbergen.
„Mama … was ist das?“ Mizukis Stimme zitterte leicht, und ihr Herz begann schneller zu schlagen.
Die Ungewissheit nagte an ihr, und das unangenehme Schweigen, das zwischen ihnen hing, machte die Sache nicht besser. Ihre Mutter sah aus, als würde sie am liebsten weglaufen, aber stattdessen blieb sie einfach stehen, die Hände nervös ineinander verschränkt.
„Mizuki, bitte … vertrau uns einfach, ja?“ Die Worte ihrer Mutter klangen fast flehend, als ob sie ahnte, wie schwer das, was Mizuki gleich erfahren würde, zu akzeptieren war.
Als Mizuki ihre Mutter so ansah, fiel ihr auf, wie seltsam sie sich den ganzen Tag über verhalten hatte. Jedes Mal, wenn Mizuki das Gespräch suchte, zuckte ihre Mutter zusammen, als hätte sie etwas zu verbergen, und schaute sie erschrocken an. Doch anstatt zu antworten, wich sie aus, stellte absurde Fragen über Patienten oder machte grundlose Bemerkungen, die in keinem Zusammenhang standen. Es war, als würde sie verzweifelt versuchen, das Thema zu wechseln, um einer unausweichlichen Wahrheit zu entkommen.
Noch nie hatte Mizuki ihre Mutter so nervös – fast schon panisch – erlebt. Dieses Verhalten, diese Unruhe, die jede ihrer Bewegungen durchzog, löste bei Mizuki ein tiefes Gefühl der Beklommenheit aus. Was konnte so schlimm sein, dass ihre Mutter, die sonst so gefasst und stark war, sich so verhielt? Beruhigend legte Mizukis Vater seiner geliebten Ehefrau eine Hand auf die Schulter, die sonst so fest und sicher wirkte, nun aber zitterte. Seine Berührung schien sie ein wenig zu stabilisieren, während er ihr einen ermutigenden Blick zuwarf. Es war ein stilles Zeichen, ein unausgesprochenes „Wir schaffen das“, doch die Spannung in der Luft blieb spürbar.
Mizuki sah das kurze Zusammenspiel zwischen ihren Eltern und spürte, wie sich ihre eigene Nervosität weiter verstärkte. Was konnte so ernst sein, dass selbst ihr Vater, der normalerweise Ruhe ausstrahlte, sich um Fassung bemühen musste? Mizuki öffnete den Umschlag nur zögernd, ihre Hände bebten, und ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, als hätte man sie inmitten einer frostigen Landschaft zurückgelassen. War es Nervosität? Ein seltsames Kribbeln breitete sich in ihr aus, als ob ihr Verstand sich darauf vorbereitete, endlich Antworten auf all ihre quälenden Fragen zu bekommen.
Gleichzeitig begann ihr Herz schneller zu schlagen, wild und unkontrolliert, als wüsste es bereits, dass sich ihr Leben im nächsten Moment verändern könnte. Die junge Japanerin zog vorsichtig ein Foto aus dem großen Umschlag. Darauf waren zwei Neugeborene zu sehen, beide mit dunklem Haar, eng nebeneinanderliegend. Das Baby auf der linken Seite hielt die winzige Hand des anderen fest umklammert, als wollte es nicht loslassen. Sie wirkten nicht älter als ein paar Wochen. Doch während Mizuki das Bild betrachtete, schoss ihr nur eine Frage durch den Kopf: Wer waren diese Kinder? Und warum hatten ihr ihre Eltern dieses Bild geschenkt? Doch noch wichtiger: Was daran machte ihre Eltern so nervös?
Verwirrt sah sie von dem Foto hoch und in die besorgten Augen ihrer Eltern „Was … wer ist das? Hat Tante Orika Zwillinge bekommen? Wieso weiß ich davon nichts?“
Behutsam nahm ihre Mutter die Hand ihre Tochter und setzte sich mit ihr auf das Sofa „Mizuki.“
Mizukis Mutter schien zu kämpfen, ihre Augen wichen denen ihrer Tochter aus, während sie nervös ihre Hände aneinander rieb. Mehrmals setzte sie an, etwas zu sagen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Ein tiefer Atemzug, dann ein unsicherer Blick zu Mizuki, bevor sie schließlich leise flüsterte: „Es gibt etwas, das ich dir schon lange hätte sagen müssen …“
Doch erneut hielt sie inne, als würde die Wahrheit, die sie in sich trug, zu schwer wiegen, um sie auszusprechen. Mizuki sah ihre Mutter nervös an. Was war so schlimm, dass es ihrer Mutter so schwerfiel, es auszusprechen? Normalerweise konnten sie doch über alles miteinander sprechen und mussten nie Angst vor der Reaktion des anderen haben. Ihr Vater setzte sich schweigend neben sie und deutete auf das Kind links im Bild.
„Mizuki … das hier bist du“, sagte er mit gedämpfter Stimme, während sein Finger leicht auf das Foto tippte „Gerade mal zwei Monate alt.“ Seine Worte hingen schwer in der Luft, als ob sie eine tiefere Bedeutung trugen, die Mizuki erst noch erfassen musste.
Mizuki sah überrascht zu ihrem Vater, ihre Augen suchten nach Antworten in seinem Gesicht, bevor sie den Blick wieder auf das Foto richtete. Wenn sie das Kind auf der linken Seite war, wer war dann das Baby neben ihr?
Ihr Gesicht spiegelte Verwirrung wider, als sie schließlich leise fragte: „Aber … wer ist dann das andere Kind?“
„Das ist dein Zwillingsbruder Kanata“, antwortete ihr Vater mit einer Ruhe, als wäre es das Normalste der Welt, seiner Tochter zu offenbaren, dass sie einen Zwillingsbruder hatte.
Mizuki erstarrte. Sie war ohne Geschwister aufgewachsen, und jetzt erfuhr sie, dass sie einen Zwilling hatte? Ein Sturm aus Fragen wirbelte in ihrem Kopf, und das Bild vor ihr verschwamm, während die Realität sich vor ihren Augen neu formierte. Ein seltsames Gefühl breitete sich in Mizukis Körper aus. Zorn überkam sie wie ein wildes Feuer – wütend darüber, dass ihre Eltern ihr diese entscheidende Information zwanzig Jahre lang vorenthalten hatten.
Es war ein Gefühl, als hätte man ihr das Fundament ihres Lebens weggerissen. Doch neben der Wut schlich sich auch eine tiefe Enttäuschung in ihr Herz. Wie konnten sie ihr nur so etwas Wichtiges verheimlichen? Doch inmitten all dieser negativen Emotionen regte sich etwas Unerwartetes – eine Art Befreiung für ihre Seele, die ihr das Gefühl gab, dass sie endlich ein Teil von etwas Größerem war. Doch die drängendste Frage, die sie quälte, ließ ihr Herz rasen: Was war mit ihrem Bruder passiert? Warum war sie nicht mit ihm zusammen, wenn sie doch Zwillinge waren?
Die Ungewissheit schnürte ihr die Kehle zu und ließ ihre Gedanken wie ein unaufhaltsamer Sturm in ihrem Kopf kreisen. Es war nicht nur eine Suche nach Antworten; es war eine verzweifelte Jagd nach der Wahrheit über ihre eigene Existenz. Der Gedanke an Kanata brannte in ihr wie ein heller Lichtstrahl in der Dunkelheit, und sie wusste, dass sie Antworten finden musste, egal wo sie suchen musste. Ihr Vater atmete tief ein, als würde er sich darauf vorbereiten müssen, ihr ein weiteres Stück ihres bisher bekannten Lebens entreißen zu müssen
„Da gibt es noch etwas Mizuki.“ Schnell – und fast schon panisch – unterbrach ihre Mutter ihren Mann und sah die junge Japanerin mit einem herzzerreißendem Blick an „Aber egal was das ist, vergiss nicht, dass wir dich lieben Mizuki. Mehr als alles andere. Du bist unser größtes Glück.“
Die Augen ihrer Mutter glänzten, und Mizuki wurde stutzig. Warum sollte ihre Mutter anfangen zu weinen, nur weil sie ihr sagte, dass sie sie liebte? So etwas musste man nicht einmal aussprechen. Mizuki wusste, dass ihre Eltern sie liebten – das war eine unausgesprochene Wahrheit, die in der Luft hing.
Doch in diesem Moment, unter dem Gewicht der neuen Informationen, verwandelte sich diese einfache Gewissheit in etwas Komplexeres. Was verheimlichte ihre Mutter? Warum schien es, als wäre diese Liebe mit einem tiefen Schmerz verbunden? Die Tränen ihrer Mutter verwirrten sie, und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihr aus.
Beunruhigt sah Mizuki ihren Vater an „Was ist mit Mama los? Raus damit!“, forderte sie, ihre Stimme zitterte vor Nervosität und Unruhe.
Es war, als ob eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen stand, und sie spürte, dass etwas Dunkles und Geheimnisvolles im Raum lag. Mizuki wollte keine Ausflüchte oder beschönigenden Worte: sie verlangte nach der Wahrheit, egal wie schmerzhaft sie sein mochte. Die Anspannung in der Luft war greifbar, und ihr Herz pochte laut, während sie darauf wartete, dass ihr Vater endlich antwortete.
„Mizuki, ich weiß nicht genau, wie ich dir das jetzt sagen soll“, begann ihr Vater, während er behutsam ihre andere Hand nahm.
Er atmete tief ein und sah ihr fest in die Augen, als würde er versuchen, die richtigen Worte aus einem tiefen, inneren Chaos herauszuziehen. Sein Blick war ernst und voller Sorge, und Mizuki konnte das Gewicht seiner Gedanken förmlich spüren. Es war, als würde er in einem Meer von Erinnerungen und Emotionen schwimmen, auf der Suche nach dem richtigen Moment, um die schmerzhafte Wahrheit auszusprechen. Sie konnte nicht anders, als das Gefühl zu haben, dass die nächsten Worte ihr ganzes Leben verändern würden. Yuna, die Mizukis Anspannung spürte, setzte sich nun neben sie und legte sanft ihre Hand auf ihre Schulter. Es war ein stilles Zeichen, dass sie für ihre beste Freundin da war, egal was jetzt geschehen würde.
Mizuki fühlte sich durch diese einfache Geste ein wenig gestärkt, als ob Yuna ihr den Mut gab, sich der Wahrheit zu stellen. Yuya hingegen stand teilnahmslos da, seine Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete die angespannte Situation, in der sich seine Verlobte befand. Sein Gesicht war unbeweglich, als würde er versuchen, die Wogen der Emotionen um sie herum zu ignorieren. Doch in seinen Augen lag eine Mischung aus Sorge und Unverständnis, die darauf hindeutete, dass er nicht genau wusste, wie er reagieren sollte.
Das Ungleichgewicht zwischen Yunas Unterstützung und Yuya’s Distanz verstärkte die Spannung im Raum und ließ Mizuki das Gefühl haben, dass alles, was jetzt gesagt wurde, ihre Realität für immer verändern würde.
„Wir haben dich damals adoptiert, als du zwei Monate alt warst. Daher stammt auch das Bild“, brach es schließlich aus ihrem Vater heraus.
Seine Stimme zitterte leicht, als würde er fürchten, dass seine Worte die zerbrechliche Stille im Raum zerreißen könnten. Mizuki fühlte, wie ihr Herz für einen Moment stillstand. Die Worte hallten in ihrem Kopf wider und ließen einen Sturm aus Emotionen in ihr aufsteigen. Adoptieren? Diese simple Erklärung schien alles, was sie über ihr Leben zu wissen glaubte, infrage zu stellen. Sie hatte die Bruchstücke ihrer Identität nur mühsam zusammengesetzt, und jetzt, wo ein Teil des Puzzles fehlte, fühlte sie sich plötzlich schutzlos und verloren.
Verwirrt sah sie ihre Mutter an, deren Augen vor Angst glänzten. Sie befürchtete, dass Mizuki ausrasten und ihnen die schlimmsten Dinge an den Kopf werfen würde – dass sie sie nicht mehr sehen wollte oder sie für all die Jahre der Lüge verfluchen würde. Ihr Vater hingegen betrachtete sie mit einem Blick, der Hoffnung und Angst zugleich ausdrückte; er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie ihm einfach nur nicht sagen würde, dass sie sie hasste.
Obwohl Mizuki fassungslos war und die Situation erst verarbeiten musste, wusste sie tief in ihrem Herzen, dass sie ihre Eltern niemals hassen konnte. Sie hatten ihr eine Familie gegeben und liebten sie bedingungslos. Doch in ihrem Inneren brannten unzählige Fragen, die sie nicht ignorieren konnte. Was war mit ihrem Bruder? Wo war er? Lebte er noch? Wer waren ihre leiblichen Eltern? Diese Fragen wirbelten in ihrem Kopf wie ein unaufhörlicher Sturm, und der Drang, Antworten zu finden, wurde mit jeder Sekunde stärker.
Sie musste herausfinden, woher ihre Wurzen stammten. Doch das, was sich für sie am wichtigsten anfühlte, war eine einzige Sache, etwas, was ihr in der Seele brannte: Sie musste ihren Bruder Kanata finden. Die Suche nach der Wahrheit hatte gerade erst begonnen. Doch etwas in dem Blick ihres Vaters verunsicherte sie leicht.
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