ஜღKapitel 03ღஜ
Die Mensa der Uni war, bis auf einige Studenten, die an zusammengestellten Tischen saßen und ihr spätes Frühstück genossen, leer.
Ich ließ mich mit meiner vollen Tasche an einem Tisch an der breiten Fensterfront nieder. Dort stützte ich die Ellenbogen auf den Tisch, legte die Finger aneinander und bettete mein Kinn darauf ab. Timo beachtete ich nicht, auch wenn es mies von mir war. Stattdessen ließ ich meinen Blick durch die breite Fensterfront schweifen, welche sich an unserem Tisch befand. Ich beschloss, ihn noch ein wenig zappeln zu lassen, ehe ich das Eis zwischen uns langsam zum Auftauen bringen würde. Obwohl ... wenn ich es mir überlegte, so lag es ja nicht an mir, dass ich zum Eisklotz ihm gegenüber wurde. Immerhin war er es gewesen, der sich jahrelang nicht gemeldet hatte, dem unsere Freundschaft so gesehen am Arsch vorbeigegangen war. Zumindest kam mir sein Verhalten, sein Nicht-bei-mir-melden, so vor. Und ich hatte ihn nach mehreren Versuchen, ihn zu erreichen, einfach nicht mehr ans Telefon bekommen. Es war, als sei er wie vom Erdboden verschluckt gewesen.
Bei den Wittenbergs ging niemand ans Telefon und ein Handy besaß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Irgendwann, als ich wieder einmal versucht hatte, ihn anzurufen, wurde mir gesagt, dass unter der gewählten Nummer kein Anschluss sei.
Dies kam mir sehr merkwürdig vor, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, warum die Telefonnummer gewechselt worden war.
Von Tag zu Tag wurde ich unruhiger, versuchte es sogar per E-Mail bei ihm, nachdem ich meinen Bruder lange genug genervt hatte, damit er Timo eine Mail schrieb.
Simon verstand meine ganze Aufregung nicht so wirklich, weshalb er dies achselzuckend tat. Ich hingegen konnte das Ganze nicht einfach so hinnehmen und versuchte weiter meinen besten Freund zu erreichen.
Und irgendwann, nach unzähligen Fehlversuchen, klappte es. Nach einem, wie es mir schien, stundenlangen Tuten in der Leitung, wurde abgehoben.
Voller Freude war ich gewesen, als ich nach langer Zeit endlich wieder die vertraute Stimme meines besten Freundes am Telefon vernommen hatte.
Ich überhäufte ihn mit meinen Erlebnissen, die ich seitdem gehabt hatte, quatschte einfach so darauf los und freute mich jedes Mal wie ein kleines Kind, wenn von Timo ein vertrautes Wort kam. Selbst, wenn es nur ein Brummen, oder gar sein Atmen war.
Ich merkte gar nicht, wie schlecht es meinem besten Freund wohl ging, denn er wurde von Tag zu Tag einsilbiger, sagte an manchen Tagen kaum mehr ein Wort, schien schlichtweg einfach keine Lust zu haben, mit mir zu telefonieren. Doch aus Rücksicht meiner Gefühle und meiner Freude, die ich immer übers Telefon zu versprühen schien, sagte mein bester Freund nie etwas.
Irgendwann, nach mehreren Wochen des fast täglichen Telefonierens, musste ich der schrecklichen Wahrheit ins Gesicht blicken.
Ich hatte wieder einmal bei ihm angerufen und zu meinem Glück ging seine ältere Schwester Melanie ans Telefon. Mit ihr hatte ich mich wunderbar verstanden, allerdings auch erst, nachdem sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder weggezogen war.
Sie war sozusagen der weibliche Ersatz für Timo, wenn ich ein kleines Frauenproblem hatte, über das ich mit meinem besten Freund nun einmal nicht sprechen konnte. Sie sagte mir, dass Timo gerade nicht daheim wäre, sie ihm aber ausrichten würde, dass ich angerufen hätte.
Leider musste ich feststellen, dass sie dies wohl offensichtlich nicht tat, denn nach diesem Telefonat bekam ich ihn erst recht nicht an den Hörer. Egal, wie oft ich es auch bei ihm versuchte, es hob keiner bei den Wittenbergs ab, oder man sagte mir jedes Mal, dass Timo nicht daheim wäre. Zu Melanie riss der Kontakt nach etwa einem Vierteljahr gänzlich ab, nachdem sie für ein Austauschjahr ins Ausland gezogen war.
Kurz darauf brach die jahrelange Freundschaft zu Timo endgültig, nachdem ich ihn für exakt zwei Minuten am Telefon hatte, jedoch nur zwei Sätze mit ihm wechseln konnte. Egal wie oft ich es danach mit einem Anruf probierte, es hob keiner ab.
Seine Eltern selbst bekam ich nicht ans Telefon, sondern immer nur eine ältere Dame, wie es mir schien. Wer sie war, wusste ich nicht und irgendwann gab ich es völlig auf. Besonders, nachdem die Telefonnummer nicht mehr existierte.
Doch nun hatte ich die Gelegenheit, auf diese quälenden Fragen, die ich all die Jahre nie beantwortet bekommen hatte, von meiner ehemaligen Sandkastenliebe eine Antwort zu erhalten.
Timo stand einen Moment verloren neben den Stühlen mir gegenüber, bevor er Platz nahm.
Die Unterarme stützte er auf dem Tisch ab und blickte nervös umher, ehe er mich schließlich ansah.
Seine warmen, braunen Augen bohrten sich in die meinen und einen Moment hatte ich das Gefühl mich in ihnen zu verlieren. Sie erinnerten mich jedes Mal an süße Schokolade. Wusste der Kuckuck, warum das so war. In meiner Kindheit hatte ich Timo oft wegen seinen braunen, weichen Haaren und seinen Augen bewundert, doch nie zuvor hatte ich mich so derart von ihnen faszinieren lassen, wie jetzt.
Um nicht weiter in seinen Bann gezogen zu werden, unterbrach ich den Blickkontakt zu ihm und starrte stattdessen wieder auf meine Finger.
»Wie ... wie geht es dir? Du hast dich ganz schön verändert, seit damals«, begann Timo das Gespräch.
Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass ich mich freute, ihn nach all diesen Jahren wiederzusehen? Dass ich so gerne alles wieder ungeschehen machen würde und am liebsten unsere Kindheit zurück wollte?
Stattdessen starrte ich nun die Tischplatte an und kaute auf meiner Unterlippe herum.
Timo ließ einen tiefen Seufzer von sich hören, was mich zum Schmunzeln brachte. Das hatte er früher auch immer getan, wenn er nicht weiter wusste oder wenn ihm etwas tierisch auf die Nerven ging.
»Ich weiß, dass vieles damals schief lief und ich möchte dir erklären, warum ich mich nie wieder bei dir gemeldet hab. Vielleicht verstehst du dann ja den Grund, warum ich gerne einen Neuanfang mit dir wagen möchte – als Freunde.«
Ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen, ehe ich langsam nickte. Ich wollte ihm eine Chance geben, das war richtig, aber ob er die auch nutzen würde...
»Vermassle es nicht!«, brachte ich leise hervor. Einen Moment stutzte Timo, ehe er eine Augenbraue hob und langsam nickte.
Am liebsten hätte ich jetzt süß gesagt, denn dieser Ausdruck auf seinem Gesicht verlieh ihm wirklich etwas niedliches, das fast zum Dahinschmelzen war. Doch ich riss mich zusammen.
»Was magst du frühstücken?«, kam die nächste Frage von ihm und riss mich aus meiner Starre.
Ich wurde rot. Wollte er mich jetzt zum Frühstück in der Mensa einladen? Wozu bitte? Um sein schlechtes Gewissen, das er anscheinend hatte, zu beruhigen?
Einen kurzen Moment zögerte ich, ehe ich murmelte: »Nur einen Kaffee bitte. Schwarz, mit Zucker.« Als Frühstück reichte mir dieser heute aus. Außerdem befürchtete ich, dass ich nichts runterbringen würde. Die Neugier, weshalb sich Timo wohl mit mir treffen wollte, würde das Schlucken wohl erschweren. Himmel, war ich nervös und neugierig, auch wenn ich versuchte, mir dies nicht anmerken zu lassen.
Timo grinste, erhob sich und schlenderte zur Ausgabe, um das Gewünschte zu holen.
In meinem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn.
Ich saß hier mit ihm beim Frühstücken in der Mensa der Uni und wusste nicht genau, wie ich mich ihm nun gegenüber verhalten sollte.
Mein Kopf schrie mir zu, auf der Stelle zu verschwinden, doch mein Herz sagte mir, dass ich sitzen bleiben und ihm wenigstens eine Chance geben sollte.
Engel und Teufel waren noch nie gut auf mich zu sprechen gewesen, weswegen ich oft nicht wusste, was denn nun die richtige Entscheidung war.
Total in Gedanken vertieft merkte ich nicht, dass Timo an den Tisch zurückgekehrt war. Erst, als er mir einen Becher mit dem heißen Kaffee vor die Nase setzte und mir der Geruch entgegen stieg, erwachte ich aus meiner Trance.
Mit einem zweiten Becher setzte er sich mir gegenüber.
»Warum, Timo? Warum jetzt? Warum nach all den ganzen Jahren?«, platzte ich mit meinen Fragen heraus, noch bevor er überhaupt etwas sagen konnte.
Ich hatte es nicht mehr ausgehalten, die Worte hatten meinen Mund schneller verlassen, als das mein Gehirn sagen konnte »Erst Denken, dann Reden!«
Der junge Student nahm den zweiten Becher Kaffee und drehte diesen in seinen Händen hin und her. Er schien zu überlegen.
»Du hast jedes Recht sauer auf mich zu sein, aber bevor du es bist oder sein wirst, gib mir bitte die Chance, dir das alles zu erklären und vielleicht auch zu zeigen. Rena, ich weiß, dass ich dein Vertrauen mehr als nur missbraucht hab. Ich hab dich tief verletzt. Aber bitte denke nicht, dass mir unsere damalige Freundschaft nichts bedeutet hat. Denn das stimmt nicht. Sie hat mir viel, sehr viel bedeutet.«
Eine Pause entstand, in der ich ihn skeptisch musterte und dann an meinem Kaffee nippte.
Timos Augen blickten mich fest an, fast als würde er wollen, dass ich seinen Worten Glauben schenkte.
Doch zwischen Glauben und Vertrauen lagen Welten ... Welten, die er mit seinem damaligen Umzug nur noch mehr auseinandergerissen hatte.
»Was machst du heute Nachmittag? Hast du da noch Vorlesungen?«, wechselte er nun das Thema. Eigentlich mochte ich es nicht, wenn man vom eigentlichen Problem, welches im Raum stand, abwich, aber da ich selbst immer noch nicht genau wusste, was ich von all dem hier halten sollte, ging ich darauf ein.
»Muss lernen und abends aushelfen«, murmelte ich eher zu mir selbst als zu ihm. Mit Kathi und Jasmin würde ich mich dennoch treffen.
Immerhin war es bis zum Nachmittag ja noch ein Weilchen hin.
»Aushelfen?«, wiederholte Timo neugierig. Ich nickte, denn sagen, wo und als was ich aushalf, wollte ich nicht unbedingt.
Er musste nicht wissen, dass ich neben meinem Studium etwas dazu verdiente.
Obwohl ... wenn er damals im Park richtig zugehört hatte, dann wüsste er, als was ich aushalf und vor allem auch wo.
Die Arbeit im Café war entspannt und neben dem Studium eine willkommene Abwechslung, zumal ich dort mit Nico, dem Chef des Cafés, eng befreundet war.
»Hm, okay. Wenn du magst ...«, doch er unterbrach sich, als sein Handy klingelte. Er zog es aus der Hosentasche seiner Jeans und nahm den Anruf entgegen.
»Ja? Okay, nein, kein Problem ... geht klar. Gut, dann bis später. Hauste rein!«
Mit einem leichten Grinsen auf den Lippen, was ihm etwas Verwegenes gab, beendete er sein Telefonat und drehte sich zu mir herum.
»Sorry, ich muss jetzt leider los. Aber vielleicht lässt sich unser Treffen ja bald wiederholen. Ich weiß, ich hatte dir versprochen, dass ich dir Fragen beantworten würde, aber im Moment ist alles noch etwas stressig hier an der Uni. Du weißt ja, dass ich erst kürzlich gewechselt habe und ... ich erkläre dir das alles, wenn es etwas ruhiger bei mir geworden ist. Muss jetzt auch wirklich los.« Ich nickte leicht und wusste nicht, ob ich nun erleichtert aufseufzen sollte, weil ich diesem sehr peinlichen Treffen entkommen war, oder ob ich genervt sein sollte, weil das Schicksal es offenbar nicht gut mit uns beiden meinte. Timo konnte von Glück reden, dass ich ihm für sein jahrelanges Schweigen nicht an die Gurgel gesprungen war. Ich hatte gehofft, bei diesem Treffen alle Antworten zu erhalten, deren Fragen mir auf der Zunge lagen, doch wieder wurde daraus nichts.
Timo wollte schon die Kaffeebecher nehmen, doch ich winkte ab.
»Lass, ich mach das. Geh du nur!« Einen Moment zögerte er, doch dann zuckte er mit den Schultern und lächelte mich leicht an.
»Danke. Das nächste Mal revanchiere ich mich dann dafür.« Leises Lachen war von ihm zu hören, was mir eine Gänsehaut bescherte und meine Schmetterlinge im Bauch zum Leben erweckte.
Verfluchter Mist, wo kamen die denn jetzt auf einmal her?
Mir nichts weiter anmerken lassend hob ich eine Augenbraue, so wie er es vorhin getan hatte und zuckte die Schultern.
»Du kennst viele Seiten an mir noch nicht«, sagte ich leise und schien wohl dabei unbeabsichtigt geheimnisvoll zu klingen, denn Timo schmunzelte, ehe er sich zu mir beugte und mir fest in die Augen sah.
»Es wird mir ein Vergnügen sein diese herauszufinden, Karena. Immerhin haben wir uns einige Jahre lang nicht gesehen und es wäre wirklich interessant zu wissen, was aus meiner süßen, kleinen und ängstlichen Zuckerschnute geworden ist.«
Ich wurde rot und blickte verlegen zu Boden.
Zuckerschnute ... so hatte er mich damals nach einem Besuch auf der Kirmes mit unseren Eltern genannt. Es war kurz vor Beginn der Einschulung in die erste Klasse der Grundschule gewesen.
Timos und meine Eltern zogen zusammen mit Melanie und meinem Bruder Simon los. Natürlich waren wir Kinder total aufgeregt, während die Erwachsenen viel mehr damit beschäftigt waren, uns im Zaum zu halten, denn wir wollten am liebsten überall hinein. An einem Stand voller Süßigkeiten, an dem es Lebkuchenherzen, Zuckerperlen, Lakritz und sonstige Naschereien gab, zog ich Timo am Ärmel davor und grinste ihn an.
Er schien von der Vielfalt der Süßigkeiten gar nicht zu wissen, was er nehmen sollte.
Da wir beide noch zu klein waren, um selbst zu zahlen, mussten unsere Geschwister herhalten, denn unsere Eltern waren schon ein Stück vorgegangen.
Während Timo sich schnell für eine riesige Lakritzstange entschied, musste ich etwas länger überlegen. Simon war deswegen schon leicht genervt.
»Schwesterchen, jetzt mach endlich. Ich will hier keine Wurzeln schlagen«, rief er und rollte mit den Augen, was ich nur halb beachtete.
»Ich will die da haben!«, forderte ich endlich und zeigte auf eine Trommel, in der die Masse für die Zuckerwatte hergestellt wurde.
Die freundliche Verkäuferin nickte und begann nach kurzer Zeit die rosa Zuckerwatte auf einen langen Holzstab aufzudrehen.
Wenig später hielt ich meine klebrige, süße und rosafarbende Zuckerwatte in den Händen. Ich strahlte begeistert und steckte mir die erste Ladung des süßen Zeugs in den Mund.
Die Watte zerging augenblicklich in meinem Mund und hinterließ einen süßen Geschmack.
»Ich will auch mal probieren.« Timo sah mich bittend an, während ich ihn misstrauisch beäugte. Bei Süßigkeiten war ich wirklich giftig, denn die teilte ich ungern.
Nach einigen Sekunden des Überlegens und meinen Kopf hin und her wiegend, nickte ich schließlich.
Mein bester Freund griff zur Watte und zog sich ein Stück heraus.
Währenddessen waren wir weiter geschlendert, mein Bruder und Timos Schwester liefen hinter uns.
»Schmeckt viel zu süß«, stellte Timo nach einigen Sekunden fest und ich zog eine Schnute, während ich weiter die rosa Watte in mich hineinstopfte.
»Stimmt ja gar nicht!«, widersprach ich ihm und funkelte ihn böse an, was aber nicht zu fruchten schien.
Stattdessen hatte ich, weil ich von meiner Watte einfach so abgebissen hatte, einige Fetzen der klebrigen, rosa Watte um meine Nasenspitze, sowie an einigen Haarsträhnen, die mir immer wieder ins Gesicht gefallen waren, kleben.
Timo, der mich beobachtet hatte, grinste jetzt leicht, ehe er mir nahe kam und die Zuckerwatte mit dem Finger von der Nasenspitze zog.
»Da, du hast die sogar auf der Nase gehabt, meine kleine, süße Zuckerschnute!«, lächelte er, ehe er mir einen kleinen Kuss auf die Wange drückte, dann verlegen zu Boden schaute und sich ganz schnell beeilte, unseren Geschwistern hinterher zu kommen, die weitergegangen waren, sich nun aber zu uns umdrehten und warteten.
Ich hingegen war etwas perplex, ehe ich ihm langsam folgte. Der Kuss, sowie seine Stimme, als er „meine kleine, süße Zuckerschnute" gesagt hatte, verursachten bei mir ein angenehmes Kribbeln. Damals konnte ich dies jedoch noch nicht deuten und Timo ließ sich seitdem auch nie etwas anmerken.
Gefühlsmäßig versteht sich. Jedoch nannte er mich noch ein paar Mal so, ehe mein neuer Kosename von ihm endgültig abgelegt wurde. Dies geschah einige Wochen bevor Timo für immer aus meinem Leben verschwunden war.
Und nun ... fast zwei Jahrzehnte später verwendete er ihn wieder.
Ich musste bei dem Gedanken daran, wie mein Kosename entstanden war, lächeln und ich glaubte, Timo tat das Gleiche, denn auch er feixte.
»Na ja, ich muss dann jetzt mal los. Wir sehen uns bald wieder, Karena. Und ... danke für das unvergessliche Wiedersehen mit dir!« Mit einem Zwinkern und einer lässigen Handbewegung verabschiedete sich Timo von mir und schlenderte Richtung Ausgang.
Ich sah ihm einen kurzen Moment nach, ehe ich mich erhob und die leeren Kaffeebecher zur Theke zurückbrachte. Dann nahm ich meine Tasche, schulterte diese und schritt ebenfalls hinaus.
Meine Freistunde war um und die erste Vorlesung würde in wenigen Minuten beginnen. Zügig spurtete ich durch die Gänge der, mal wieder völlig überfüllten, Uni und suchte meinen Hörsaal auf.
Zum Glück hatte ich heute nur zwei Vorlesungen, sodass ich den Nachmittag gut für mich nutzen konnte, bevor meine Schicht bei Nico anfangen würde.
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»Was haltet ihr davon, wenn wir zu unserer Lieblingseisdiele gehen und uns dort hinsetzen? Zeit genug wäre doch noch, bevor Renas Schicht beginnt, oder?«
Zusammen mit Jasmin und Kathi schlenderte ich durch die Heidelberger Innenstadt. Das Wetter war fantastisch, unsere Laune war super und nach einer ausgedehnten Shoppingtour hatten wir noch genügend Zeit, um uns ein sonniges Plätzchen zu suchen und einfach die Seele baumeln zu lassen.
»Oh ja, los kommt. Bei Luigi wird's sicher voll sein, aber probieren kann man's ja mal. Und wenn's gar nicht anders geht, nehmen wir eins auf die Hand und gehen zum Stadtpark.« Jasmin war sofort Feuer und Flamme und auch ich hatte nichts dagegen einzuwenden.
Mit unseren neusten Errungenschaften, die wir auf unserer Tour durch die Läden erworben hatten, machten wir uns auf zur Eisdiele.
Es schien vorauszusehen gewesen, dass es bei Luigi verdammt voll war. Wir drei ergatterten dennoch einen kleinen, runden Tisch draußen vor der Eisdiele und setzten uns.
Jasmin fiel durch ihre Punkkleidung zwischen den Leuten sehr auf, was sie jedoch nicht im Geringsten störte.
Kathi ließ sich mit einem »Puh, ist das heiß heute.« auf den nächstbesten Stuhl am Tisch fallen und schnappte sich die Eiskarte, die sie als Fächer umfunktionierte.
Ich schüttelte lachend meinen Kopf und Jasmin rollte die Augen.
»Ganz schön was los hier«, stellte Jasmin fest und ich sah mich um. Fast alle Tische waren draußen auf der Terrasse besetzt, was bei dem Wetter auch kein Wunder war.
Wenn ich daran dachte, dass meine Schicht heute sehr stressig werden würde, seufzte ich innerlich. Doch das Geld, was ich mir bei Nico dazu verdiente, konnte ich gut gebrauchen und so schlecht waren die Schichten ja auch nicht, denn der Umsatz war oft sehr gut.
»Was darf ich euch drei hübschen Damen denn bringen?« Luigi, der Eisdielenbesitzer höchstpersönlich, war zu uns an den Tisch getreten und sah uns freudestrahlend an.
Er war ein netter Herr von etwa fünfzig Jahren, die ergrauten Haare machten sich bereits bemerkbar. Ein leichter Bauch zeichnete sich unter seinem Arbeitshirt mit dem Logo der Eisdiele ab, doch ansonsten war dem Besitzer der beliebtesten Eisdiele mit seiner lustigen Art nicht anzumerken, dass er langsam immer älter wurde. Seitdem ich an der Uni studierte, war die Eisdiele eine Art Ruhepol für mich. Hier konnte ich bei den leckeren Eissorten, sowie dem köstlichen Cappuccino einfach mal meine Seele baumeln lassen, was ich leider viel zu selten tat.
Nachdem wir unsere Bestellungen aufgegeben hatten, lehnte ich mich entspannt zurück.
»Bin mal gespannt, wie die ersten Hausarbeiten aussehen werden für dieses Jahr. Bestimmt werden die super schwer werden«, jammerte Jasmin und ich rollte mit den Augen. Sie war so eine Jammertante, wenn es darum ging, die Hausarbeiten zu erledigen. Dabei hatten wir noch keinen ersten Auftrag, sowie das Thema dazu von unseren Dozenten erhalten.
»Du machst dir immer viel zu viele Sorgen. Letztes Jahr hast du eine grandiose Arbeit abgeliefert mit fast der besten Punktzahl und jetzt jammerst du schon herum, obwohl noch nichts angefangen hat. Ehrlich man, du brauchst endlich einen Typen an der Seite. Der bringt dich auf andere Gedanken«, stauchte Kathi sie zusammen und erntete von mir einen Daumen nach oben.
»Ha Ha!«, erwiderte sie trocken und zog eine Grimasse, was mich sehr an mich selbst erinnerte. Und schon wieder musste ich an die Kindheit mit mir und Timo denken, verscheuchte den Gedanken daran jedoch sofort.
Dummerweise schien das nicht lange anzuhalten, wie ich etwas später feststellen musste.
Nachdem wir gut zwei Stunden bei Luigi verbracht und es ein wenig kühler wurde, obwohl wir immer noch Sommer und um die achtundzwanzig Grad hatten, zogen wir drei es vor uns zurück zum Wohnheim zu begeben.
»Jasmin und ich haben nachher vor, noch zu kochen. Wenn du magst, heben wir dir was auf.«
Ich blickte meine besten Freundinnen skeptisch an, denn deren Kochkünste kannte ich zur Genüge. Vor nicht allzu langer Zeit hatten beide schon einmal versucht zu kochen und dabei fast die halbe Küche mit in Brand gesteckt. Und das nur, weil die beiden mehr auf die halbnackten Männer, die draußen auf dem Basketballfeld ihre verschwitzten und muskulösen Körper den schwärmenden und schmachteten Studentinnen vorführen mussten, achteten, als auf das, was in der Küche passierte.
Die Folge war, dass das Essen halb anbrannte, die Gemeinschaftsküche des Wohnheims auch nach zwei Tagen immer noch wie Hölle stank und beide von Glück reden konnten, dass sie nicht abgefackelt war.
Demnach verzichtete ich dann doch liebend gerne auf deren Essen.
Sie verstanden meinen Blick auch, ohne dass ich etwas sagen musste und verdrehten die Augen.
»Dann eben nicht. Aber du kannst ja Nico fragen, ob der dir das Kochen beibringen kann, damit du uns in Zukunft ...«, brachte Kathi leicht lachend hervor, wofür ich ihr einen Vogel zeigte.
So schlenderten wir drei gemütlich zurück Richtung Wohnheim und quatschten über Gott und die Welt.
»Schau mal: Ein Zuckerwattestand.« Kathi deutete nicht weit von uns entfernt auf einen kleinen, bunten Wagen, an dem eine rundliche Verkäuferin stand und in einer Trommel für zwei Kleinkinder die klebrig-süße Zuckerwatte auf einen Holzstab drehte.
Uns wunderte es, denn normalerweise waren diese Stände nur dort, wenn ein Jahrmarkt oder gar ein Straßenfest eröffnet hatte. Was jedoch gerade nicht der Fall war.
Dennoch fühlte ich mich sofort um Jahre zurückversetzt.
Wenn Timo das jetzt sehen könnte ... er würde sicherlich genauso denken wie ich. Vielleicht sollte ich ihn einfach anrufen, doch schnell fiel mir auf, dass ich seine Handynummer nicht hatte. Na ja, war wohl auch besser so. Mich wurmte es immer noch, dass er nach all den vielen Jahren wieder da war, dass er in meiner Nähe war.
»Irgendwie hab ich da jetzt Hunger drauf. Wer noch? Ich lad euch ein«, überkam mich die Euphorie. Und das lag ganz sicher an dem damaligen Rummelbesuch mit Timo und der Zuckerwatte mit ihm. Dieses leichte Kribbeln, welches sehr nahe an flatternde Schmetterlinge in meinem Bauch herankam, wollte einfach nicht mehr weichen. Und dabei wollte ein kleines Stückchen Kindheit wieder in mir aufkeimen. Also warum nicht die Gelegenheit beim Schopfe packen und es genießen?
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»Rena, du hast da ...« Kathi zeigte auf meine Nasenspitze und ich merkte erst jetzt, dass ich dort rosa Zuckerwatte kleben hatte.
Jasmin lachte. »Jetzt siehst du aus wie ein rosa Häschen aus der Werbung.«
Ich fand das nicht lustig, doch viel Zeit zum Diskutieren hatten wir sowieso nicht mehr, da just in diesem Moment mein Blick zur Uhr ging und ich mich fast verschluckte.
»Himmel, ich muss los. Nico steht schon seit fast einer Stunde alleine hinter der Theke. Sorry Mädels, aber ... und das Lernen hab' ich auch vergessen.« Ich stöhnte auf. Das fing ja schon mal gut an. Ich musste wirklich aufpassen, dass ich meine Struktur, was das Lernen betraf, nicht völlig durcheinanderschmiss.
Doch meine beiden besten Freundinnen winkten lässig ab. Sie verstanden mich auch, ohne dass ich mich entschuldigen musste.
»Hau ab, Rena, bevor dir Nico den Kopf abreißt. Und vergiss nicht, mir die Nummer von ihm zu besorgen ...«
»Kathi!« Jasmin und ich sahen unsere Freundin vorwurfsvoll an, auch wenn wir wussten, dass es von Kathi nur ein Scherz war. Obwohl ... manchmal war ich mir nicht ganz so sicher, ob sie nicht doch heimlich in Nico verknallt war.
»Bis später«, verabschiedete ich mich von ihnen, warf beiden im Gehen noch ein paar Luftküsschen zu und spurtete dann los.
Etwa zwanzig Minuten später traf ich bei Nico's Café ein. Durch den Hintereingang, den ich als Angestellte benutzen durfte, ging ich zügig ins Lager und zog mich um. Mehr als eine Schürze, sowie die Kellnerbörse brauchte ich nicht.
Mit einem »Hey Rena.« wurde ich fröhlich im Gastraum hinter der Theke, wo mein Arbeitsplatz war, von Nico begrüßt.
»Sorry Nico, dass ich zu spät bin. Ich hab mich mit Kathi und Jasmin verquatscht und dadurch völlig die Zeit vergessen. Noch nicht viel los hier, was? Ist die Außenterrasse auf?«, fragte ich, während ich das Becken zum Spülen für die Gläser mit neuem, heißen Wasser füllte.
»Jap. Das kommt schon noch. Tut mir leid, dass du heute einspringen musst. Eigentlich wollte ich dich nur im Notfall einplanen, wegen deinem Studium. Wäre der Wasserrohrbruch im Keller nicht dazwischen gekommen, wäre heute sicherlich mehr los. Viele wissen eben noch nicht, dass wir wieder geöffnet haben«, entschuldigte sich Nico im Vorbeigehen bei mir, während er eine Kiste mit Kaffeebohnen, die er aus dem Keller geholt hatte, in einer Ecke hinter dem Tresen abstellte und sich dann zu mir herumdrehte.
»Aber trotzdem schön, dass du immer noch hier arbeitest. Ohne dich wäre ich aufgeschmissen. Wenn du magst, kannst du die Tische eindecken. Ich erwarte heute eine große Gruppe von zehn Personen.«
Eifrig nickte ich und half Nico bei den Vorbereitungen. Die Zeit verging wie im Fluge. Am frühen Abend hatte ich aufgrund der großen Anzahl der Gäste alle Hände voll zu tun und hatte so vom Kellnern und den Aufgaben hinter dem Tresen einiges an Ablenkung. Und obwohl Nico's Café keine Kneipe, sondern eher ein wirklich kleines Café sowie ein gemütliches Restaurant, in dem man auch einige Kleinigkeiten wie Suppen oder Baguette bestellen konnte, war, schien es doch wirklich recht beliebt zu sein. Zumindest in den Abendstunden.
Während ich gedankenverloren die dreckigen Gläser, die ich zuvor von den Tischen abgeräumt hatte, im Becken am Tresen spülte, träumte ich vor mich hin, bis mich Nico von hinten in die Seite pikste und ich leise aufquieckte.
»Nicht träumen, oder hattest du vor das Bierglas noch weiter zu misshandeln? Die Aufschrift hast du jedenfalls schon erfolgreich abgeschrubbt.« Nico war keinesfalls böse mit mir, dafür kannte er mich zu gut. Ich schaute aufs Glas, welches wirklich schon fast kein Etikett der Firma mehr trug, seufzte ich gefrustet auf.
»Tut mir leid«, murmelte ich und stellte das Glas beiseite, ehe ich mir ein neues griff.
»Rena, ich kenne dich jetzt schon ziemlich lange, aber das du so in Gedanken bist, ist mir neu. Und sag mal ... was hast du da in den Haaren kleben? Das ist mir vorhin schon aufgefallen«, bemerkte er und deutete auf meine Haarspitzen.
Ich drehte meinen langen, geflochtenen Zopf, den ich mir vor der Schicht schnell gemacht hatte, nach vorne und begutachtete ihn genau, ehe ich rosa Restspuren der Zuckerwatte entdeckte und leicht lächelte.
»Ach das ... Nico, du bist zu neugierig«, beantwortete ich seine Frage mit einem Zwinkern und verschwand kurz nach hinten in die kleine Küche. Dort fummelte ich mit etwas heißem Wasser die Reste der Zuckerwatte aus den Haaren. Dann begab ich mich wieder hinter den Tresen, bevor ich einige Gäste bedienen musste.
Die gesamte Zeit über musste ich an die Zuckerwatte denken und das wiederum bedeutete, dass ich automatisch an Timo dachte. An seine braunen Augen, sein leichtes verschmitztes Lächeln und an unsere Kindheit. Es waren die einzigen Erinnerungen, die mir von ihm geblieben waren. Warum ich so oft daran dachte, wusste ich selbst nicht. Vielleicht, weil ich mir tief im Inneren wünschte, dass damals alles anders gekommen wäre. Doch ich wollte mich zusammenreißen, nicht mehr an meine ehemalige Sandkastenliebe denken, aber das war leichter gesagt, als getan.
Hätte ich geahnt, dass es zum Nachtisch Zuckerwatte geben würde, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, zum Stand zu gehen und welche zu kaufen.
Doch auf der anderen Seite ... warum nicht doch wirklich herausfinden, was Timo in Heidelberg wollte.
Verfolgten ihn unsere gemeinsamen Kindheitserinnerungen genauso wie mich, seitdem er mich gesehen hatte?
Im Grunde konnte es mir egal sein, was mit ihm war, warum er hier war, ob er eine feste Freundin hatte, wie seine Kindheit, seine Jugend verlaufen war, nachdem der Kontakt zwischen uns zerbrach.
Doch etwas in mir wollte dies nicht zulassen. Etwas in mir bestand darauf herauszufinden, warum er zurückgekehrt war. Warum er wieder den Kontakt zu meinem Bruder aufgebaut hatte, seitdem er wieder in der Uni war. Ich hatte gedacht, dass ihm mein Bruder darüber hinaus am Arsch vorbeigegangen war, wie ich, seitdem er sich damals nie wieder bei uns gemeldet hatte. Und warum versuchte Timo so verbissen, mir vieles erklären zu wollen? Denn eigentlich wollte ich doch ganz gerne wissen, warum meine erste große Liebe wieder hier war. Und vielleicht ... ja, vielleicht versuchte mein Unterbewusstsein ja herauszufinden, ob ich nicht doch noch Gefühle für ihn hatte. Ob unsere Freundschaft von damals noch genauso intensiv sein würde, wenn wir uns wieder annähern würden. Doch ob mein Herz einen weiteren Vertrauensbruch und eine Trennung von meinem besten Freund oder eher gesagt ehemaligen besten Freund überstehen würde, wusste ich nicht.
Vielleicht sollte mein Schicksal diesbezüglich entscheiden, was passieren würde.
Schicksal ... ich hatte noch nie an so etwas geglaubt, doch wer wusste schon, ob es nicht doch einfach das Schicksal war, welches mich und Timo wieder aufeinandertreffen ließ.
Mit diesen Gedanken begann ich weiter in meiner Schicht zu arbeiten und bekam seltsamerweise richtig gute Laune.
Zuckerwatte und Shoppingtour mit meinen besten Freundinnen ... zwei Dinge, die auf jeden Fall meine Laune mehr als gehoben hatten. Und ich hoffte, dass meine Laune bis zum Schichtende so gut blieb.
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